Suchen Hilfe
VwGH vom 10.04.2012, 2010/06/0077

VwGH vom 10.04.2012, 2010/06/0077

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und den Hofrat Dr. Waldstätten, die Hofrätin Dr. Bayjones, den Hofrat Dr. Moritz sowie die Hofrätin Mag. Merl, als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, über die Beschwerde der AR in G, vertreten durch Dr. Peter Wasserbauer, Dr. Gisela Possnig und Dr. Michael Maurer, Rechtsanwälte in 8160 Weiz, Lederergasse 10/2, gegen den Bescheid der Berufungskommission der Landeshauptstadt Graz vom , Zl. 029222/2007/0012, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Partei: I Gemeinde in G, vertreten durch Dr. Hans Werner Schmidt, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Brockmanngasse 63/I), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Landeshauptstadt Graz hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Im Beschwerdefall handelt es sich um ein Bauvorhaben in einem Gebäudeblock in Graz, der an einer Längsseite von der S-Gasse, an der Stirnseite vom E-Platz und der H-R-Gasse und an der anderen Längsseite von der A-Straße begrenzt ist. Das Vorhaben betrifft zwei aneinander gebaute dreigeschoßige Häuser, die jeweils auf einem eigenen Grundstück errichtet sind (die allerdings beide zu einer Einlagezahl gehören). Das Gebäude auf dem Grundstück Nr. 803 grenzt mit einer Längsseite an die S-Gasse und einer Schmalseite an den E-Platz (Eckgebäude), das Gebäude auf dem Grundstück Nr. 804 mit einer Seite an den E-Platz sowie an die H-R-Gasse und mit der anschließenden Seite an die A-Straße (ebenfalls ein Eckgebäude; beide Gebäude nehmen U-förmig die Stirnseite des Gebäudeblockes ein).

Die Beschwerdeführerin ist Miteigentümerin eines in der S-Gasse an das Baugrundstück Nr. 803 angrenzenden Grundstückes, das ebenfalls mit einem Wohnhaus bebaut ist. Die Bebauung in diesem Bereich des Wohnblockes stellt sich als geschlossene Bebauung entlang der S-Gasse, der Stirnseite des Blockes und der A-Straße dar (in der Mitte des Blockes gibt es eine Art Innenhof).

Mit dem am beim Stadtmagistrat eingebrachten Baugesuch beantragte die mitbeteiligte Partei (kurz: Bauwerberin) die Erteilung der baubehördlichen Bewilligung für eine dreigeschoßige Aufstockung des Gebäudes auf dem Grundstück Nr. 803 und eine viergeschoßige Aufstockung des Gebäudes auf dem Grundstück Nr. 804 sowie für weitere bauliche Maßnahmen.

Die Beschwerdeführerin erhob als Nachbarin rechtzeitig Einwendungen gegen das Vorhaben und zwar hinsichtlich der einzuhaltenden Abstände, der Überschreitung der höchstzulässigen Bebauungsdichte und der Höhenentwicklung.

Der Stadtsenat erteilte mit dem erstinstanzlichen Bescheid vom die angestrebte Baubewilligung mit einer Reihe von Vorschreibungen und erachtete die Einwendungen als unbegründet.

Die Beschwerdeführerin erhob Berufung. Im Berufungsverfahren kam es zu einer Modifikation des Vorhabens, die die Beschwerdeführerin als unzureichend erachtete. Der erforderliche Gebäudeabstand betreffend ein neu errichtetes Stiegenhaus auf dem Grundstück Nr. 804 sei nicht ausreichend.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde der Berufung der Beschwerdeführerin teilweise Folge gegeben (das modifizierte Projekt genehmigt) und den erstinstanzlichen Bescheid im Übrigen bestätigt. Zur Begründung führte sie zusammengefasst aus, der erforderliche Abstand werde eingehalten, weil die Gebäudefront des Stiegenhauses in den zusätzlich geplanten Geschoßen zur hofseitigen Außenmauer des Gebäudes der Beschwerdeführerin derart versetzt sei, dass nicht mehr von einem Abstand voneinander gegenüberliegender Gebäudefronten untereinander ausgegangen werden könne, sodass in diesem Bereich nicht der Abstand von der Gebäudefront des Stiegenhauses zur Ecke des Hauses der Beschwerdeführerin, sondern ausschließlich der seitliche Grenzabstand - gemessen von der Außenmauer des geplanten Stiegenhauses zur Grundgrenze des Grundstückes der Beschwerdeführerin - relevant sei, der aber eingehalten werde (§ 13 Abs. 2 Stmk. BauG).

Mangels Aufzählung im Katalog des § 26 Abs. 1 Stmk. BauG komme der Beschwerdeführerin als Nachbarin kein Mitspracherecht hinsichtlich der Gebäudehöhe, der Geschoßanzahl sowie hinsichtlich der Bebauungsdichte zu.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und, ebenso wie die mitbeteiligte Bauwerberin, in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Die Beschwerdeführerin hat repliziert.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Beschwerdefall ist das Steiermärkische Baugesetz 1995, LGBl. Nr. 59 (Stmk. BauG), in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 88/2008, anzuwenden.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Mitspracherecht des Nachbarn im Baubewilligungsverfahren in zweifacher Weise beschränkt: Es besteht einerseits nur insoweit, als dem Nachbarn nach den in Betracht kommenden baurechtlichen Vorschriften subjektiv-öffentliche Rechte zukommen, und andererseits nur in jenem Umfang, in dem der Nachbar solche Rechte im Verfahren durch die rechtzeitige Erhebung entsprechender Einwendungen wirksam geltend gemacht hat (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , Slg. Nr. 10.317/A, uva.). Das gilt weiterhin auch für den Nachbarn, der i.S. des § 27 Stmk. BauG die Parteistellung behalten hat.

Gemäß § 26 Abs. 1 Stmk. BauG kann der Nachbar gegen die Erteilung der Baubewilligung Einwendungen erheben, wenn diese sich auf Bauvorschriften beziehen, die nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse der Nachbarn dienen (subjektiv-öffentlich-rechtliche Einwendungen). Das sind Bestimmungen über

"1. die Übereinstimmung des Vorhabens mit dem Flächenwidmungsplan und einem Bebauungsplan, soweit damit ein Immissionsschutz verbunden ist;


Tabelle in neuem Fenster öffnen
2.
die Abstände (§ 13);
3.
den Schallschutz (§ 43 Abs. 2 Z. 5);
4.
die Brandwände an der Grundgrenze (§ 51 Abs. 1);
5.
die Vermeidung einer Brandgefahr, einer sonstigen Gefährdung oder unzumutbaren Belästigung (§ 61 Abs. 1, § 63 Abs. 1 und § 65 Abs. 1);
6.
die Baueinstellung und die Beseitigung (§ 41 Abs. 6)."
§ 13 Stmk. BauG lautet auszugsweise:
"§ 13
Abstände

(1) Gebäude sind entweder unmittelbar aneinander zu bauen oder müssen voneinander einen ausreichenden Abstand haben. Werden zwei Gebäude nicht unmittelbar aneinandergebaut, muß ihr Abstand mindestens so viele Meter betragen, wie die Summe der beiderseitigen Geschoßanzahl, vermehrt um 4, ergibt (Gebäudeabstand).

(2) Jede Gebäudefront, die nicht unmittelbar an einer Nachbargrenze errichtet wird, muß von dieser mindestens so viele Meter entfernt sein, wie die Anzahl der Geschosse, vermehrt um 2, ergibt (Grenzabstand).

(3) Steht ein Gebäude an der Grundgrenze, so hat der Nachbar, soferne durch einen Bebauungsplan oder durch Bebauungsrichtlinien nichts anderes bestimmt ist oder Gründe des Straßen-, Orts- und Landschaftsbildes nicht entgegenstehen, die Wahlmöglichkeit, entweder an die Grundgrenze anzubauen oder den erforderlichen Gebäudeabstand einzuhalten. Weist das Gebäude an der Grenze Öffnungen (Fenster, Türen und dgl.) auf, so ist der erforderliche Gebäudeabstand einzuhalten.

(8) Die Behörde kann geringere Abstände von den Nachbargrundgrenzen und Nachbargebäuden zulassen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
-
für Nebengebäude oder
-
wenn dies im Interesse des Ortsbildschutzes, der Altstadterhaltung, des Denkmalschutzes oder der Erhaltung einer baukulturell bemerkenswerten Bausubstanz (Ensemble) liegt.;
-
für barrierefrei (§ 4 Z. 5) ausgebildete Außenaufzugsanlagen zur Personenbeförderung als Zubau zu bestehenden Gebäuden.

(12) Läßt der Verwendungszweck von baulichen Anlagen eine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung oder Gesundheitsgefährdung der Nachbarschaft erwarten oder ist dies zum Schutz des Ortsbildes erforderlich, hat die Behörde größere Abstände vorzuschreiben."

§ 26 Abs. 1 Stmk. BauG räumt dem Nachbarn kein Recht auf Einhaltung der im Flächenwidmungsplan festgesetzten höchstzulässigen Dichte ein (siehe dazu beispielsweise das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/06/0197, mwN), auch nicht auf gesetzmäßige Handhabung des der Behörde zukommenden Planungsermessens bei der Bewilligung des gegenständlichen Vorhabens, mit dem die im Flächenwidmungsplan festgelegte Dichte überschritten wird (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2009/06/0267, und vom , Zl. 2006/06/0307). Das fehlende Mitspracherecht kann auch nicht mittelbar über § 13 Abs. 12 Stmk. BauG erwirkt werden, weil der Verwendungszweck des Gebäudes mit der Flächenwidmung "Kerngebiet" im Einklang steht und der projektierte Verwendungszweck (Wohnungen bzw. Büro- und Geschäftsräume) keine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung oder Gesundheitsgefährdung der Nachbarschaft erwarten lässt, mag auch die Aufstockung dazu führen, dass die Belichtung des Hofraumes im Gebäudeblock beeinträchtigt wird.

Berechtigt ist aber der Einwand, dass der erforderliche Gebäudeabstand (zur projektierten Stiegenanlage des Gebäudes auf dem Grundstück Nr. 804) nicht eingehalten wird. Maßgeblich ist insofern § 13 Abs. 1 Stmk. BauG. Dieses Gebäude ist nicht im Sinne dieser Bestimmung an das Gebäude der Beschwerdeführerin "unmittelbar aneinander gebaut", hat daher den erforderlichen Gebäudeabstand einzuhalten. Es kommt dabei nach dieser Bestimmung auf den Gebäudeabstand an und nicht, was die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid verkannte, auf den Abstand von Gebäudefronten (wie nach Abs. 2 leg. cit.). Das Stiegenhaus ist Teil des Gebäudes (§ 13 Abs. 8 dritter Fall greift sachverhaltsmäßig schon deshalb nicht, weil es sich nicht bloß um eine Liftanlage handelt), hat daher den erforderlichen Gebäudeabstand einzuhalten. Das ist aber nach der Darstellung in den bewilligten Bauplänen jedenfalls schon im fünften Obergeschoß (und wohl auch bereits im vierten Obergeschoß) nicht der Fall (ausgehend von einer dort zugrunde gelegten Fünfgeschoßigkeit des Hauses der Beschwerdeführerin).

Dadurch, dass die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
XAAAE-73130