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VwGH vom 15.11.2017, Ra 2017/08/0075

VwGH vom 15.11.2017, Ra 2017/08/0075

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Honeder, über die Revisionen

1. des G S in L, vertreten durch Dr. Peter Eigenthaler, Rechtsanwalt in 3180 Lilienfeld, Babenbergerstraße 33/1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , Zl. W156 2142128-1/4E (Ra 2017/08/0075), 2. der Mag. B S in L, vertreten durch Dr. Peter Eigenthaler, Rechtsanwalt in 3180 Lilienfeld, Babenbergerstraße 33/1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , Zl. W156 2149617-1/4E (Ra 2017/08/0077), jeweils betreffend Pflichtversicherung nach dem BSVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:

Sozialversicherungsanstalt der Bauern in 1030 Wien, Ghegastraße 1; weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz),

Spruch

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision des Erstrevisionswerbers zu Ra 2017/08/0075 wird zurückgewiesen.

II. zu Recht erkannt:

Das von der Zweitrevisionswerberin zu Ra 2017/08/0077 angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Sozialversicherungsanstalt der Bauern hat der Zweitrevisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1 Mit dem zu Ra 2017/08/0075 in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass der Erstrevisionswerber gemäß § 2 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 BSVG vom bis laufend in der Kranken- und Pensionsversicherung der Bauern pflichtversichert ist.

2 Mit dem zu Ra 2017/08/0077 in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass die Zweitrevisionswerberin gemäß § 2 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 BSVG vom bis in der Krankenversicherung der Bauern und vom bis in der Pensionsversicherung der Bauern pflichtversichert war.

3 Die Revisionswerber seien gemeinsam mit dem Ehepaar Mag. B und G D. je zu einem Viertel Eigentümer an Grundstücken im Ausmaß von 21,5018 ha. Ab dem seien 0,45 ha Wiese sowie 3,44 ha Wiese von G und R S. bzw.von der Stadtgemeinde Lilienfeld unentgeltlich mitbewirtschaftet worden. Die genannten Personen - vertreten durch den Erstrevisionswerber - hätten an die "Agrarmarkt-Austria" (AMA) für die Jahre 2008 bis 2016 (Förder)Anträge gestellt.

4 Die Revisionswerber und das Ehepaar D. hätten eine mit datierte "Nutzungsvereinbarungen" abgeschlossen (der Inhalt dieser "Nutzungsvereinbarungen" wurde nicht festgestellt). Es handle sich um Formulare der A GmbH, ausgedruckt am und bei der belangten Behörde eingelangt am .

5 Ab dem (dem Zeitpunkt einer entsprechenden Meldung durch den Erstrevisionswerber) sei die alleinige Betriebsführung durch den Erstrevisionswerber anerkannt worden.

6 Beweiswürdigend führte das Verwaltungsgericht aus, die Führung des land(forst)wirtschaftlichen Betriebes auf gemeinsame Rechnung und Gefahr durch die Personengemeinschaft der Miteigentümer ergebe sich aus den gestellten Anträgen an die AMA. Jedenfalls liege bis Jänner 2016 keine Meldung über eine alleinige Betriebsführung des Erstrevisionswerbers vor. Die "Nutzungsvereinbarungen" seien Scheinvereinbarungen, weil die Personengemeinschaft als Betriebsführer bis 2016 jedenfalls bei der AMA gemeldet gewesen sei und auch die Anträge in deren Namen gestellt worden seien. Die Formulare für die Nutzungsvereinbarungen stammten aus dem Jahr 2015 und seien auf das Jahr 2002 rückdatiert. Sie stünden in Widerspruch zu den in den Förderanträgen gemachten Angaben. Diese Vereinbarungen seien erst vorgelegt worden, als dem Erstrevisionswerber und den sonstigen Miteigentümern durch die Ermittlungen der belangten Behörde bewusst geworden sei, dass infolge der Erhöhung des Einheitswertes eine Einbeziehung in die Kranken- und Pensionsversicherung erfolgen würde.

7 Eine sozialversicherungsrechtlich relevante Änderung der sich primär aus den Eigentumsverhältnissen ergebenden Zurechnung der Betriebsführung sei nicht eingetreten. Die vorgelegten Vereinbarungen seien Scheinvereinbarungen zur Umgehung der Pflichtversicherung in der Kranken- und Pensionsversicherung nach dem BSVG. Wenn ein Pflichtversicherter Miteigentümer eines auf gemeinsame Rechnung und Gefahr geführten land(forst)wirtschaftlichen Betriebs sei, so sei gemäß § 23 Abs. 3 lit. b BSVG der im Verhältnis seines Eigentumsanteils geteilte Einheitswert bei Bildung des Versicherungswertes zu Grunde zu legen. Gemäß § 2 Abs. 2 letzter Satz BSVG sei für die Pflichtversicherung von Eheleuten jeweils der gesamte Einheitswert des Betriebes maßgeblich. Der Einheitswertanteil pro Ehepaar (die Revisionswerber sowie das Ehepaar D.) betrage die Hälfte des gesamten Einheitswertes des Betriebes der Gesellschaft nach bürgerlichem Recht, sohin EUR 2.052,49 für den Zeitraum von Februar 2008 bis September 2010, EUR 1.957,32 von Oktober 2010 bis März 2012 und EUR 1.821,60 von April 2010 bis März 2016.

8 Der Einheitswert der von der Zweitrevisionswerberin bewirtschafteten Fläche für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum liege somit über der Grenze des § 2 Abs. 2 BSVG von EUR 1.500,--. Die Betriebsführung des Erstrevisionswerbers sei nicht bestritten worden. Die Feststellung der Pflichtversicherung der Revisionswerber in der Kranken- und Pensionsversicherung sei zu Recht erfolgt.

9 Gemäß § 7 Abs. 3 BSVG ende die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung der Zweitrevisionswerberin in Anbetracht des Wegfalls der Voraussetzungen ab dem mit dem folgenden Monatsersten. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BSVG ende die Pflichtversicherung in der Krankenversicherung der Zweitrevisionswerberin mit dem Tag des Wegfalls der Voraussetzungen. Das Ende der Pflichtversicherung in der Krankenversicherung sei entsprechend zu ändern gewesen.

10 Zum Vorbringen des Erstrevisionswerbers, er unterliege auf Grund seiner ASVG-Versicherung bereits der Höchstbeitragsgrundlage, sei festzuhalten, dass Gegenstand des Verfahrens lediglich die Pflichtversicherung nach dem BSVG sei und weder über die Beitragspflicht noch über die Höhe der Beiträge abzusprechen sei.

11 Gegen diese Erkenntnisse richten sich die außerordentlichen Revisionen.

12 Die belangte Behörde hat Revisionsbeantwortungen erstattet, in denen sie die kostenpflichtige Abweisung der Revisionen beantragt.

13 Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revisionen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges wegen zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und darüber in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

14 Zu I.:

15 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

16 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

17 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.

18 Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

19 Der Erstrevisionswerber bringt zur Zulässigkeit seiner Revision vor, er sei seit dem auf seine Rechnung und Gefahr (alleiniger) Betriebsführer des gegenständlichen land(forst)wirtschaftlichen Betriebes gewesen. Andererseits unterliege er aber auch der Höchstbeitragsgrundlage der "ASVG Versicherung", weshalb eine Pflichtversicherung nach dem BSVG nicht eintreten könne.

Mit diesem Vorbringen zeigt der Erstrevisionswerber keine Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG auf (zur Zulässigkeit einer Doppelversicherung vgl. das Erkenntnis vom , Ro 2015/08/0021).

Die Revision des Erstrevisionswerbers war daher gemäß § 34 Abs. 1

iVm Abs. 3 VwGG zurückzuweisen.

20 Zu II.:

21 Die zweitrevisionswerbende Partei bringt zur Zulässigkeit der Revision u.a. vor, dass sich die Verhältnisse der Betriebsführung nach den zwischen den Miteigentümern getroffenen Nutzungsvereinbarungen richten würden. Das Verwaltungsgericht habe diese auf der Grundlage einer unrichtigen Beweiswürdigung als Scheinvereinbarungen qualifiziert, ohne eine mündliche Verhandlung durchzuführen und ohne den revisionswerbenden Parteien Gelegenheit zu geben, den Sachverhalt persönlich vor Gericht darzulegen. Das Formular stelle keine Rückdatierung dar, sondern nur eine "Bekräftigung der historischen Wahrheit der Bewirtschaftungsverhältnisse".

22 Die Revision der Zweitrevisionswerberin ist zulässig und berechtigt. Sie hat im Verfahren vorgebracht, die getroffenen Nutzungsvereinbarungen hätten eine von den Eigentumsverhältnissen abweichende Zurechnung der Betriebsführung zur Folge gehabt. Diesem Vorbringen ist die belangte Behörde entgegengetreten. Es gehört gerade im Fall widersprechender prozessrelevanter Behauptungen zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichts, dem auch im § 24 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsprinzip Rechnung zu tragen und sich als Gericht im Rahmen einer (bei Geltendmachung von "civil rights" in der Regel auch von Amts wegen durchzuführenden) mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien zu verschaffen und insbesondere darauf seine Beweiswürdigung zu gründen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Ra 2016/08/0089, mwN).

23 Bei der Feststellung einer gesetzlichen Pflichtversicherung handelt es sich um "civil rights" im Sinn des Art. 6 EMRK (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G124/02). Auf die Relevanz des Verfahrensmangels der Unterlassung der Durchführung einer Verhandlung kommt es in diesen Fällen, in denen der rechtserhebliche Sachverhalt umstritten ist, nicht an (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Ra 2016/05/0014, und vom , Ra 2016/09/0052, jeweils mwN).

24 Da die Unterlassung der Durchführung einer mündlichen Verhandlung auf einer Verkennung der Vorgaben des § 24 VwGVG beruhte, war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

25 Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013.

Wien, am