VwGH vom 06.03.2018, Ra 2017/08/0048

VwGH vom 06.03.2018, Ra 2017/08/0048

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätin Dr. Julcher sowie die Hofräte Mag. Berger und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revisionen des Arbeitsmarktservice Wien Huttengasse, 1160 Wien, Huttengasse 25, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom , W218 2130754-1/8E und W218 2131601-1/8E, betreffend Widerruf und Rückforderung von Arbeitslosengeld und Übergangsgeld (mitbeteiligte Partei: D M in W, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Walfischgasse 12/3), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Erkenntnisse werden im Umfang der Anfechtung, somit in ihren Spruchpunkten A II., wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Bescheid des revisionswerbenden Arbeitsmarktservice (AMS) vom wurde gegenüber dem Mitbeteiligten gemäß § 24 Abs. 2 AlVG der Bezug des Arbeitslosengeldes im Zeitraum vom bis widerrufen und der Mitbeteiligte gemäß § 25 Abs. 1 AlVG zur Rückzahlung des unberechtigt empfangenen Arbeitslosengeldes in der Höhe von EUR 3.446,06 verpflichtet. Mit weiterem Bescheid vom widerrief das AMS den Bezug des Übergangsgeldes (nach § 39a AlVG) des Mitbeteiligten gemäß § 24 Abs. 2 iVm § 39a Abs. 6 AlVG im Zeitraum vom bis und verpflichtete den Mitbeteiligten gemäß § 25 Abs. 1 iVm § 39a Abs. 6 AlVG zur Rückzahlung des unberechtigt empfangenen Übergangsgeldes in der Höhe von EUR 19.908,57.

2 Gegen beide Bescheide erhob der Mitbeteiligte Beschwerden. Hinsichtlich des den Widerruf und die Rückforderung des Arbeitslosengeldes im Zeitraum vom bis betreffenden Bescheides erließ das AMS - anders als hinsichtlich des das Übergangsgeld betreffenden Bescheides - am eine Beschwerdevorentscheidung, mit der es die Beschwerde des Mitbeteiligten abwies. Der Mitbeteiligte erhob einen Vorlageantrag.

3 Mit den angefochtenen Erkenntnissen wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerden insoweit ab, als die Bezüge des Mitbeteiligten von Arbeitslosengeld in der Zeit vom bis sowie von bis und von Übergangsgeld in der Zeit vom bis sowie vom bis widerrufen worden waren und der Mitbeteiligte zur Rückzahlung des in diesen Zeiträumen bezogenen Arbeitslosengeldes in Höhe von EUR 1.462,95 bzw. Übergangsgeldes in Höhe von EUR 4.545,72 verpflichtet worden war (Spruchpunkte A I. der angefochtenen Erkenntnisse). Im Übrigen sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass den Beschwerden "stattgegeben" werde, und brachte damit zum Ausdruck, dass die Bescheide (bzw. die Beschwerdevorentscheidung) des AMS insoweit ersatzlos behoben würden, als auch das in den Monaten April und Mai 2014 bezogene Arbeitslosengeld bzw. das in den Monaten von August bis November 2014 und von Februar bis September 2015 bezogene Übergangsgeld gegenüber dem Mitbeteiligten widerrufen und der Mitbeteiligte zur Rückzahlung des in diesen Zeiträumen bezogenen Arbeitslosengeldes bzw. Übergangsgeldes verpflichtet worden war (Spruchpunkte A II. der angefochtenen Erkenntnisse). Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass Revisionen gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig seien (Spruchpunkte B der angefochtenen Erkenntnisse).

4 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, der Mitbeteiligte habe mit Unterbrechungen vom bis Arbeitslosengeld und vom bis Übergangsgeld bezogen. Er sei während des Bezuges dieser Leistungen bis beim Unternehmen H beschäftigt gewesen. In den Monaten Februar, Juni und Dezember 2014 - nicht aber in den anderen Monaten - habe der Mitbeteiligte aus dieser Tätigkeit ein Einkommen über der Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG) erzielt, sodass eine "vollversicherungspflichtige Beschäftigung" vorgelegen sei. Die Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenze habe sich im Februar 2014 durch eine an den Mitbeteiligten von seinem Dienstgeber ausbezahlte Prämie und im Juni und Dezember 2014 durch die Erbringung von Mehrstunden durch den Mitbeteiligten ergeben. Gegenüber dem AMS habe der Mitbeteiligte lediglich eine geringfügige Beschäftigung gemeldet. Das Überschreiten der Geringfügigkeitsgrenze in den Monaten Februar, Juni und Dezember 2014 sei dem Mitbeteiligten schon aufgrund der großen Differenz zum sonst ausbezahlten Entgelt sowie im Juni und Dezember 2014 auch aufgrund des Umstandes, dass er selbst die geleisteten Mehrstunden gegenüber seinem Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht habe, bewusst gewesen.

5 In rechtlicher Hinsicht folgerte das Bundesverwaltungsgericht, durch die Bestimmung des § 12 Abs. 3 lit. h AlVG solle "klargestellt" werden, dass Arbeitslosigkeit nur dann vorliege, wenn das vorangegangene Beschäftigungsverhältnis tatsächlich beendet werde, aber eine bloße "Umwandlung des Beschäftigungsverhältnisses" keine Arbeitslosigkeit bewirke. Im vorliegenden Fall sei der Mitbeteiligte im gesamten gegenständlichen Zeitraum aber "grundsätzlich durchgängig" nur geringfügig beschäftigt gewesen. Eine arbeitsrechtliche "Umwandlung" des Beschäftigungsverhältnisses habe nicht stattgefunden. Es sei lediglich aufgrund von Zahlungen für Mehrstunden bzw. einer Prämie in einzelnen Monaten zu Überschreitungen der Geringfügigkeitsgrenze gekommen. In diesen Monaten entfalle der Anspruch. Nach § 12 Abs. 3 lit. h AlVG stehe auch im auf die Vollversicherung folgenden Monat kein Arbeitslosengeld bzw. Übergangsgeld zu. Aus dem Gesetz ergebe sich aber nicht, dass es auch im darauf folgenden Zeitraum zu einem Entfall des Anspruches komme.

6 Gegen diese Erkenntnisse - soweit den Beschwerden Folge gegeben worden war (Spruchpunkte A. II) - richten sich die Revisionen, die der Verwaltungsgerichtshof wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden hat. Der Mitbeteiligte erstattete nach Einleitung des Vorverfahrens eine Revisionsbeantwortung, in der er die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7 Das AMS bringt zur Zulässigkeit seiner Revision vor, die Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes, wonach eine länger als einen Monat dauernde Beschäftigung beim selben Dienstgeber dem Eintritt der Arbeitslosigkeit nach § 12 Abs. 3 lit. h AlVG nicht mehr im Weg stehe, weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf ) ab.

8 Damit ist die Revision im Recht, weshalb sie sich als zulässig und berechtigt erweist.

9 Die Ausübung einer "geringfügigen Erwerbstätigkeit" im Sinn des § 5 Abs. 2 ASVG schließt in den in § 12 Abs. 6 AlVG näher festgelegten Grenzen Arbeitslosigkeit im Sinne des § 12 Abs. 1 AlVG grundsätzlich nicht aus, egal ob diese Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) noch während der aufrechten (anwartschaftsbegründenden oder die Arbeitslosigkeit nach § 12 Abs. 3 AlVG ausschließenden) Erwerbstätigkeit oder erst nach deren Beendigung aufgenommen wird, sofern keine Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung (§ 12 Abs. 1 Z 2 AlVG) vorliegt (; , 2011/08/0138).

10 Nach § 12 Abs. 3 lit. h AlVG gilt jedoch nicht als arbeitslos, wer beim selben Dienstgeber eine Beschäftigung aufnimmt, deren Entgelt die im § 5 Abs. 2 ASVG angeführten Beträge nicht übersteigt, es sei denn, dass zwischen der vorhergehenden Beschäftigung und der neuen geringfügigen Beschäftigung ein Zeitraum von mindestens einem Monat gelegen ist.

11 Diese durch das Strukturanpassungsgesetz 1996, BGBl. Nr. 201, (damals als lit. i) eingefügte Bestimmung sollte nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (72 BlgNR 20. GP 234 f) Missbrauchsmöglichkeiten hintanhalten, seien doch vermehrt Fälle aufgetreten, in denen ein Arbeitnehmer beim selben Arbeitgeber von einem vollversicherten Dienstverhältnis in ein geringfügiges Dienstverhältnis wechsle und daneben Arbeitslosengeld beziehe. In einem solchen Fall solle der Anspruch auf Arbeitslosengeld daher ausgeschlossen sein, wenn zwischen dem Vollarbeitsverhältnis und der geringfügigen Beschäftigung nicht ein Zeitraum von mehr als einem Monat liege (vgl. ).

12 Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass die vom Gesetzgeber angenommene Missbrauchsmöglichkeit des vom jeweiligen Bedarf des Arbeitgebers abhängigen Wechsels des Arbeitnehmers in ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis bei (teilweiser) Substitution des Entgeltausfalles durch Arbeitslosengeld indiziert ist, wenn zwischen einem vollversicherten Beschäftigungsverhältnis und einer späteren geringfügigen Beschäftigung beim selben Dienstgeber ein Zeitraum von weniger als einem Monat liegt. Für eine Interpretation des § 12 Abs. 3 lit. h AlVG dahin gehend, dass eine innerhalb eines Monats an die vollversicherte Beschäftigung anschließende geringfügige Beschäftigung beim selben Dienstgeber nach Ablauf eines Monats dem Eintritt der Arbeitslosigkeit nicht mehr entgegenstehen sollte, besteht in Anbetracht des eindeutigen Wortlauts dieser Bestimmung kein Raum (vgl. in diesem Sinn ).

13 Auch im vorliegenden Fall ist daher in den auf die vollversicherte Beschäftigung des Mitbeteiligten in den Monaten Februar, Juni und Dezember 2014 folgenden Zeiträumen einer geringfügigen Beschäftigung beim selben Dienstgeber - entgegen der Annahme des Bundesverwaltungsgerichtes auch soweit diese einen Monat überschreiten - keine Arbeitslosigkeit anzunehmen. Damit lagen aber die Voraussetzungen der Zuerkennung von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung im Zeitraum der Beschäftigung des Mitbeteiligten beim Unternehmen H vom bis nicht vor.

14 Mit endete die (geringfügige) Beschäftigung des Mitbeteiligten beim Unternehmen H. Durch das AMS wurde der Bezug des Übergangsgeldes durch den Mitbeteiligten auch für den weiteren Bezugszeitraum - nämlich die Monate August und September 2015 - widerrufen und der Mitbeteiligte zur Rückzahlung des Bezuges verpflichtet. Der vor dem Bundesverwaltungsgericht angefochtene Bescheid des AMS enthielt dazu - wie bereits in der Beschwerde des Mitbeteiligten aufgezeigt - keine Begründung. Das AMS ging allerdings offensichtlich - wie sich aus der Revision ergibt - in rechtlicher Hinsicht davon aus, dass die Leistung dem Mitbeteiligten trotz seiner Arbeitslosigkeit ab August 2015 nicht mehr zustand. Dies trifft insofern zu, als gemäß § 39a Abs. 1 AlVG der Anspruch auf Übergangsgeld unter anderem voraussetzt, dass die antragstellende Person in den letzten fünfzehn Monaten mindestens 52 Wochen arbeitslos im Sinn des § 12 AlVG (allenfalls mit Ausnahme des Abs. 3 lit. f dieser Bestimmung) war, wobei der Zeitraum von 52 Wochen sich um Zeiträume gemäß § 15 Abs. 3 Z 1 AlVG verlängert. Aus den bereits dargestellten Gründen ist der Mitbeteiligte in der Zeit vom bis nicht als arbeitslos im Sinn des § 12 AlVG anzusehen, sodass die Voraussetzungen für eine (erstmalige) Zuerkennung des Übergangsgeldes nach § 39a AlVG mit nicht vorlagen.

15 Die erkennbare Ansicht des AMS, die in den Monaten August und September 2015 bezogene Leistung sei daher zu widerrufen und zur Gänze zurück zu fordern, greift jedoch zu kurz. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang bereits ausgesprochen, dass der Umstand, dass eine bestimmte vom Antragsteller bezeichnete Leistung aus der Arbeitslosenversicherung nicht zusteht, die Behörde nicht von der Prüfung enthebt, ob bei der gegebenen Sachlage im Fall des Nichtbestehens des Anspruches auf diese Leistung die Voraussetzungen einer anderen der in § 6 Abs. 1 AlVG vorgesehenen Leistungen erfüllt sind (vgl. ; , 99/08/0112; , Ra 2014/08/0068). Es wird daher zu überprüfen sein, ob beim Mitbeteiligten die Voraussetzungen des Bezugs bzw. Fortbezugs einer anderen Leistung aus der Arbeitslosenversicherung in den Monaten August und September 2015 vorlagen. Gegebenenfalls wird die in diesen Monaten erbrachte Leistung nicht gänzlich zu widerrufen, sondern gemäß § 24 Abs. 2 AlVG neu zu bemessen und der Mitbeteiligte gemäß § 25 Abs. 1 AlVG (jeweils iVm § 39a Abs. 6) zum Ersatz eines allfälligen Überbezuges zu verpflichten sein.

16 Die angefochtenen Erkenntnisse waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben. Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017080048.L00

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