VwGH 27.04.2011, 2010/06/0015
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | LStG NÖ 1999 §11; LStG NÖ 1999 §12; LStG NÖ 1999 §13 Abs1; LStG NÖ 1999 §13 Abs2; MRKZP 01te Art1; StGG Art5; |
RS 1 | Im Anwendungsbereich des NÖ LStG 1999 hat als Grundsatz zu gelten, dass die strittige Frage der Notwendigkeit der Errichtung einer Straße, die (mangels Einschränkung des Gesetzes) bereits im straßenbaurechtlichen Bewilligungsverfahren zu prüfen ist, im nachfolgenden Enteignungsverfahren nicht neuerlich hinterfragt werden könnte, was im Übrigen auch der Verfahrensökonomie entspricht (zum früheren NÖ Landesstraßengesetz vgl. die in Hauer/Zaussinger, Niederösterreichisches Baurecht, 6. Auflage, Seite 1238 f zu § 11 NÖ LStG 1999 wiedergegebene Judikatur; zur Bedeutung eines straßenrechtlichen Bewilligungsbescheides nach dem OÖ LStG 1991 für das nachfolgende Enteignungsverfahren siehe beispielsweise das E , 2001/05/0327, mwN; zum Stmk LStVwG 1964 siehe beispielsweise das E , 2002/06/0079). Dass der Eigentümer jener Grundstücke, die für die Errichtung der Straße in Anspruch genommen werden sollen, auch nach Inkrafttreten des NÖ LStG 1999 die mangelnde Notwendigkeit der Errichtung der Straße im Bewilligungsverfahren einwenden kann, ergibt sich e contrario aus § 13 Abs. 1 letzter Satz NÖ LStG 1999. Danach dürfen Nachbarn - das gilt nicht für die anderen in § 13 Abs. 1 NÖ LStG 1999 angeführten Parteien - nur die in Abs. 2 dieses Paragraphen erschöpfend festgelegten Rechte geltend machen. Daraus erhellt unzweifelhaft, dass andere Parteien an diese erschöpfende Aufzählung nicht gebunden sind, und dass der Gesetzgeber bisher anerkannte Rechte der Eigentümer in Anspruch genommener Grundstücke nicht beschränken wollte. Die prinzipiell verneinte Berechtigung der Beschwerdeführerin (in ihrer Eigenschaft als Eigentümerin von Grundstücken, die für das Straßenbauvorhaben herangezogen werden sollen), die Notwendigkeit des Vorhabens an sich in Frage zu stellen, liefe auch darauf hinaus, das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht auf Achtung des Eigentums zu schmälern. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2004/05/0085 E RS 1
(hier: nur erster Satz ohne Klammerausdruck) |
Normen | LStG NÖ 1999 §11; LStG NÖ 1999 §12; |
RS 2 | Der Erlassung eines Baubewilligungsbescheides hat nicht die Einleitung eines Enteignungsverfahrens vorauszugehen, soll doch gerade das Enteignungsverfahren die Durchführung des straßenrechtlichen Baubewilligungsverfahrens garantieren, sofern sich ein Enteignungsverfahren überhaupt als notwendig erweist. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 90/05/0055 E RS 1 |
Normen | LStG NÖ 1999 §11; VwRallg; |
RS 3 | Der straßenrechtliche Bewilligungsbescheid setzt die Bedingungen fest, welche bei der Ausführung der beabsichtigten Straßenbauten vom Standpunkt des öffentlichen Interesses und der mit diesem nicht in Widerspruch stehenden Interessen Dritter zu erfüllen sind. Er entfaltet daher für das Enteignungsverfahren eine Bindungswirkung derart, dass die Notwendigkeit des konkreten Vorhabens im Enteignungsverfahren nur mehr sehr eingeschränkt geprüft werden darf. Im Enteignungsverfahren ist daher im Wesentlichen nur mehr die Frage zu prüfen, ob die Enteignung der für die Realisierung des Straßenbauvorhabens vorgesehenen Grundstücke im beantragten Umfang erforderlich ist. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2008/05/0266 E RS 2 |
Normen | LStG NÖ 1999 §11; LStG NÖ 1999 §12; |
RS 4 | Einem rechtskräftigen straßenbaurechtlichen Bescheid kommt im Enteignungsverfahren im Hinblick auf die Frage der Notwendigkeit der gewählten Trassenführung eine Tatbestandswirkung (Hinweis E vom , 93/04/0124) zu, diese Frage stellt im Enteignungsverfahren daher keine Vorfrage dar. |
Normen | B-VG Art119 Abs5; GdO NÖ 1973 §61 Abs4; GdO NÖ 1973 §61; GdO NÖ 1973; VwGG §42 Abs2 Z1; VwGG §42 Abs3; VwRallg; |
RS 5 | Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Nö GdO 1973 über die Wirkung der Aufhebung eines gemeindebehördlichen Bescheides durch die Vorstellungsbehörde ausgesprochen, dass § 42 Abs. 3 VwGG als vergleichbare Regelung herangezogen werden kann (Hinweis E vom , 93/04/0124 mit weiteren Hinweisen auf Judikatur und Literatur). Danach wirkt auch eine Aufhebung durch die Vorstellungsbehörde wie ein aufhebendes Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes ex tunc. Dies bedeutet, dass der Rechtszustand zwischen Erlassung des Bescheides und seiner Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof bzw. durch die Vorstellungsbehörde im Nachhinein so zu betrachten ist, als ob der aufgehobene Bescheid von Anfang an nicht erlassen worden wäre. Allen Rechtsakten, die während der Geltung des dann vom Verwaltungsgerichtshof bzw. von der Vorstellungsbehörde aufgehobenen Bescheides auf dessen Basis gesetzt wurden, wurde damit im Nachhinein die Rechtsgrundlage entzogen. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Bernegger und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Kalanj, über die Beschwerde 1. der F N und 2. der Mag. H N, beide in Wien, beide vertreten durch Themmer, Toth & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Biberstraße 15, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom , Zl. RU1-GP-748/001-2004, betreffend Enteignung nach dem Nö Straßengesetz (mitbeteiligte Partei: Gemeinde R), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat den Beschwerdeführerinnen insgesamt Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die Beschwerdeführerinnen sind Miteigentümerinnen des Grundstückes Nr. 49/2, KG S.
Die mitbeteiligte Partei beantragte unter Vorlage von Plänen (u.a. Plan Nr. 11) am gemäß § 12 Nö StraßenG 1999 (im Folgenden: Nö StrG 1999 "die Bewilligung einer Erschließungsstraße für die Häuser S… 2, 9, 15 und 16".
Der Gemeinderat der mitbeteiligten Partei hatte mit Verordnung vom die u.a. im Plan Nr. 11 dargestellte Straße auf den Parzellen Nr. 89, 49/2, 29/1 und 91, KG. S., zur Gemeindestraße erklärt.
Der Bürgermeister erteilte der angeführten Erschließungsstraße mit Bescheid vom die straßenbaurechtliche Bewilligung.
Der Gemeinderat der mitbeteiligten Partei wies die dagegen erhobenen Berufungen der Beschwerdeführerinnen mit Bescheid vom ab.
Die belangte Behörde gab der dagegen erhobenen Vorstellung der Beschwerdeführerinnen mit Bescheid vom keine Folge.
Dagegen erhoben die Beschwerdeführerinnen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, auf Grund der der Vorstellungsbescheid vom mit Erkenntnis vom , Zl. 2007/05/0013, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben wurde.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom wurde das im beiliegenden Grundeinlösungsplan mit gelber Farbe gekennzeichnete, 155 m2 große Grundstück Nr. 49/2, EZ 1, KG S., für das angeführte Straßenprojekt dauerhaft und lastenfrei zu Gunsten der mitbeteiligten Partei enteignet (Spruchpunkt I) und in Spruchpunkt II eine Entschädigung festgesetzt.
Die Behandlung der dagegen zunächst beim Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde hat dieser mit Beschluss vom , B 536/07-13, abgelehnt und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG abgetreten.
In den die Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof betreffenden Ausführungen machen die Beschwerdeführerinnen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die strittige Frage der Notwendigkeit der Errichtung einer Straße bereits im straßenbaurechtlichen Bewilligungsverfahren zu prüfen ist und kann im nachfolgenden Enteignungsverfahren nicht mehr neuerlich hinterfragt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/05/0193, zu § 11 Nö StrG 1999). Der Erlassung eines Straßenbaubewilligungsbescheides hat nicht die Einleitung eines Enteignungsverfahrens vorauszugehen, soll doch gerade das Enteignungsverfahren die Durchführung der straßenrechtlichen Baubewilligung garantieren, sofern sich ein Enteignungsverfahren überhaupt als notwendig erweist. Im Erkenntnis vom , Zl. 2001/05/0327, ergangen zum Oö StrG hat der Verwaltungsgerichtshof ausführlich begründet dargelegt, dass der straßenrechtliche Bewilligungsbescheid die Bedingungen festsetzt, welche bei der Ausführung der beabsichtigten Straßenbauten vom Standpunkt des öffentlichen Interesses und der mit diesem nicht in Widerspruch stehenden Interessen Dritter zu erfüllen sind. Er entfalte daher für das Enteignungsverfahren eine Bindungswirkung derart, dass die Notwendigkeit des konkreten Vorhabens im Enteignungsverfahren nur mehr sehr eingeschränkt geprüft werden dürfe. Im Enteignungsverfahren sei daher im Wesentlichen nur mehr die Frage zu prüfen, ob die Enteignung der für die Realisierung des Straßenbauvorhabens vorgesehenen Grundstücke im beantragten Umfang erforderlich sei (vgl. auch das angeführte hg. Erkenntnis vom und das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/05/0266). Dem rechtskräftigen straßenbaurechtlichen Bescheid kommt damit im Enteignungsverfahren im Hinblick auf die Frage der Notwendigkeit der gewählten Trassenführung eine Tatbestandswirkung (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 93/04/0124) zu, diese Frage stellt im Enteignungsverfahren daher keine Vorfrage dar.
Die belangte Behörde hat sich bei ihrer Entscheidung im Sinne der hg. Judikatur maßgeblich auf die im straßenbaurechtlichen Verfahren bindend geprüfte Frage der Notwendigkeit gerade des verfahrensgegenständlichen Straßenprojektes bezogen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom , Zl. 2007/05/0013, den im straßenbaurechtlichen Verfahren in letzter Instanz ergangenen Vorstellungsbescheid der belangten Behörde vom wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Nach diesem Erkenntnis war die entscheidende Frage, ob die Errichtung der Straße in der dem Projekt zu Grunde gelegten Art und Weise und im projektierten Umfang notwendig ist, von den Behörden noch nicht beantwortet, insbesondere ob die Straße in einer Breite von 6 m notwendig ist. Die belangte Behörde hat in der Folge mit Bescheid vom den straßenbaurechtlichen Berufungsbescheid vom aufgehoben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Nö GemeindeO 1973 über die Wirkung der Aufhebung eines gemeindebehördlichen Bescheides durch die Vorstellungsbehörde ausgesprochen, dass § 42 Abs. 3 VwGG als vergleichbare Regelung herangezogen werden kann (vgl. das angeführte hg. Erkenntnis vom mit weiteren Hinweisen auf Judikatur und Literatur). Danach wirkt auch eine Aufhebung durch die Vorstellungsbehörde wie ein aufhebendes Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes ex tunc. Dies bedeutet, dass der Rechtszustand zwischen Erlassung des Bescheides und seiner Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof bzw. durch die Vorstellungsbehörde im Nachhinein so zu betrachten ist, als ob der aufgehobene Bescheid von Anfang an nicht erlassen worden wäre. Allen Rechtsakten, die während der Geltung des dann vom Verwaltungsgerichtshof bzw. von der Vorstellungsbehörde aufgehobenen Bescheides auf dessen Basis gesetzt wurden, wurde damit im Nachhinein die Rechtsgrundlage entzogen.
Angewendet auf den gegenständlichen Beschwerdefall bedeutet dies, dass auf Grund der Aufhebung des rechtskräftigen straßenbaurechtlichen Berufungsbescheides des Gemeinderates der mitbeteiligten Gemeinde vom durch die Niederösterreichische Landesregierung als Vorstellungsbehörde mit Bescheid vom (mit - wie bereits erwähnt - ex tunc-Wirkung) vom Vorliegen der Notwendigkeit des konkreten Straßenprojektes im Hinblick auf eine rechtskräftig erteilte straßenbaurechtliche Bewilligung des Projektes im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht mehr ausgegangen werden kann.
Der angefochtene Bescheid leidet daher an einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit und war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG Abstand genommen werden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Das Kostenmehrbegehren betreffend Schriftsatzaufwand war im Hinblick auf den in der angeführten Verordnung vorgesehenen Pauschalbetrag abzuweisen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | B-VG Art119 Abs5; GdO NÖ 1973 §61 Abs4; GdO NÖ 1973 §61; GdO NÖ 1973; LStG NÖ 1999 §11; LStG NÖ 1999 §12; LStG NÖ 1999 §13 Abs1; LStG NÖ 1999 §13 Abs2; MRKZP 01te Art1; StGG Art5; VwGG §42 Abs2 Z1; VwGG §42 Abs3; VwRallg; |
Schlagworte | Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2011:2010060015.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
FAAAE-72981