VwGH vom 28.10.2015, 2012/10/0206
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl, die Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer als Richterinnen und Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Beschwerde der S Z in B, vertreten durch Dr. Gerda Mahler-Hutter, Rechtsanwältin in 2560 Berndorf, Hernsteiner Straße 2/1/3, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom , Zl. GS5- SH-30684/001-2011, betreffend Mindestsicherung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Land Niederösterreich Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden vom , Zl. BNG-S-11301/001, betreffend ihren Antrag auf Leistungen zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes und Wohnbedarfes ab.
Zur Begründung führte die belangte Behörde nach Darstellung des Verfahrensganges und der maßgeblichen Rechtsvorschriften im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin sei alleinerziehend mit Kindern im Alter von 6 und 8 Jahren. Sie sei beim Arbeitsmarktservice (in der Folge: AMS) Baden als Arbeit suchend für eine Teilzeitarbeitsstelle als Assistentin der Geschäftsleitung für 16 Wochenstunden vorgemerkt. Die Beschwerdeführerin sei von einem Vertreter der erstinstanzlichen Behörde darüber informiert worden, dass ihr Antrag auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung abgelehnt werden müsse, wenn sie sich beim AMS nicht für 40 Wochenstunden als Arbeit suchend melde.
In der Folge habe die Beschwerdeführerin weder die geforderte Betreuungsvereinbarung des AMS über 40 Wochenstunden vorgelegt, noch Gründe bekannt gegeben, weshalb eine Betreuungsvereinbarung des AMS über 40 Wochenstunden nicht beigebracht werden könne bzw. weshalb die Suche einer Arbeitsstelle für 40 Wochenstunden nicht möglich sei. Die Beschwerdeführerin habe somit ihre Mitwirkungspflicht verletzt und die erstinstanzliche Behörde habe sohin den Antrag auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung zu Recht abgewiesen.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom , B 657/12-3, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG abtrat.
In der nach Aufforderung durch den Verwaltungsgerichtshof ergänzten Beschwerde vom werden Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.
2. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
2.1. Vorauszuschicken ist, dass gemäß dem letzten Satz des § 79 Abs. 11 VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 in den mit Ablauf des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren - soweit (wie für den vorliegenden "Altfall") durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist - die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden sind.
Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Niederösterreichischen Mindestsicherungsgesetzes - NÖ MSG, LGBl. Nr. 9205, lauten auszugsweise:
"§ 7
Einsatz der Arbeitskraft
(1) Arbeitsfähige Personen, die zur Aufnahme und Ausübung einer Beschäftigung berechtigt sind, müssen bereit sein, ihre Arbeitskraft für eine zumutbare Beschäftigung einzusetzen. Dabei ist hinsichtlich der Arbeitsfähigkeit sowie der Zumutbarkeit einer Beschäftigung grundsätzlich von denselben Kriterien wie bei der Notstandshilfe (bzw. bei Bezug von Arbeitslosengeld von den bei diesem vorgesehenen Kriterien) auszugehen.
...
(4) Eine Beschäftigung ist zumutbar, wenn sie den körperlichen Fähigkeiten der Hilfe suchenden Person angemessen ist, ihre Gesundheit und Sittlichkeit nicht gefährdet, angemessen entlohnt ist, in einem nicht von Streik oder Aussperrung betroffenen Betrieb erfolgen soll, in angemessener Zeit erreichbar ist oder eine entsprechende Unterkunft am Arbeitsort zur Verfügung steht sowie gesetzliche Betreuungsverpflichtungen eingehalten werden können. Als angemessene Entlohnung gilt grundsätzlich eine zumindest den jeweils anzuwendenden Normen der kollektiven Rechtsgestaltung entsprechende Entlohnung. Die zumutbare tägliche Wegzeit für Hin- und Rückweg beträgt jedenfalls eineinhalb Stunden und bei einer Vollzeitbeschäftigung jedenfalls zwei Stunden. Wesentlich darüber liegende Wegzeiten sind nur unter besonderen Umständen, insbesondere wenn am Wohnort lebende Personen üblicher Weise eine längere Wegzeit zum Arbeitsplatz zurückzulegen haben oder besonders günstige Arbeitsbedingungen geboten werden, zumutbar.
(5) Bei der Beurteilung der Abs. 1 bis 4 ist auf die persönliche und familiäre Situation der Hilfe suchenden Person Rücksicht zu nehmen. Der Einsatz der Arbeitskraft darf insbesondere nicht verlangt werden bei Personen, die
...
2. Betreuungspflichten gegenüber Kindern haben, welche das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet haben, und keiner Beschäftigung nachgehen können, weil keine geeigneten Betreuungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen;
...
§ 17
Informationspflicht der Behörde
Mitwirkungspflichten der Hilfe suchenden Person
(1) Die Behörde hat die Hilfe suchende Person (ihr gesetzlicher oder bevollmächtigter Vertreter bzw. ihr Sachwalter, zu dessen Wirkungsbereich die Antragstellung auf Gewährung oder die Empfangnahme von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung gehört) über die Rechtslage entsprechend zu informieren, so weit dies zur Erreichung der Ziele und nach den Grundsätzen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung des Landes notwendig ist.
(2) Die Hilfe suchende Person (ihr gesetzlicher oder bevollmächtigter Vertreter bzw. ihr Sachwalter, zu dessen Wirkungsbereich die Antragstellung auf Gewährung oder die Empfangnahme von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung gehört) ist verpflichtet, an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes im Rahmen der ihr von der Behörde erteilten Aufträge mitzuwirken. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht sind die zur Durchführung des Verfahrens unerlässlichen Angaben zu machen und Auskünfte zu erteilen sowie die dafür erforderlichen Urkunden, Unterlagen und Nachweise beizubringen. Weiters hat sich die Hilfe suchende Person auch den für die Entscheidungsfindung unerlässlichen Untersuchungen (etwa Untersuchung der Arbeitsfähigkeit) zu unterziehen."
§ 7 und § 9 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 (AlVG), BGBl. Nr. 609/1977 idF BGBl. I Nr. 17/2012, lauten:
"Abschnitt 1
Arbeitslosengeld
Voraussetzungen des Anspruches
§ 7. (1) Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, wer
1. der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht,
...
(2) Der Arbeitsvermittlung steht zur Verfügung, wer eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf (Abs. 3) und arbeitsfähig (§ 8), arbeitswillig (§ 9) und arbeitslos (§ 12) ist.
(3) Eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf eine Person,
1. die sich zur Aufnahme und Ausübung einer auf dem Arbeitsmarkt üblicherweise angebotenen, den gesetzlichen und kollektivvertraglichen Vorschriften entsprechenden zumutbaren versicherungspflichtigen Beschäftigung bereithält,
...
Arbeitswilligkeit
§ 9. (1) Arbeitswillig ist, wer bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle oder einen vom Arbeitsmarktservice beauftragten, die Arbeitsvermittlung im Einklang mit den Vorschriften der §§ 2 bis 7 des Arbeitsmarktförderungsgesetzes (AMFG), BGBl. Nr. 31/1969, durchführenden Dienstleister vermittelte zumutbare Beschäftigung in einem Arbeitsverhältnis als Dienstnehmer im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG anzunehmen, sich zum Zwecke beruflicher Ausbildung nach- oder umschulen zu lassen, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen, von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch zu machen und von sich aus alle gebotenen Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung zu unternehmen, soweit dies entsprechend den persönlichen Fähigkeiten zumutbar ist.
(2) Eine Beschäftigung ist zumutbar, wenn ... gesetzliche Betreuungsverpflichtungen eingehalten werden können.
..."
2.2. Der angefochtene Bescheid gründet - zusammengefasst - auf der Auffassung, die Beschwerdeführerin habe ihre Mitwirkungspflicht im Verfahren dadurch verletzt, dass sie weder die geforderte Betreuungsvereinbarung des AMS über 40 Wochenstunden vorgelegt, noch Gründe bekannt gegeben habe, weshalb eine Betreuungsvereinbarung des AMS über 40 Wochenstunden nicht beigebracht werden könne bzw. weshalb die "Suche einer Arbeitsstelle für 40 Wochenstunden" nicht möglich sei.
Die Beschwerdeführerin bringt dagegen - zusammengefasst - vor, dass sie als Alleinerzieherin einer Vollzeitbeschäftigung im Ausmaß von 40 Stunden wegen der Verpflichtung zur Pflege und Erziehung ihrer beiden minderjährigen Kinder nicht nachgehen könne. § 7 Abs. 5 NÖ MSG enthalte lediglich eine demonstrative Aufzählung und führe der Umstand, dass ihre Kinder das dort angeführte Alter bereits überschritten hätten, nicht zum Verlust des Rechtsanspruches gemäß § 2 Abs. 5 leg. cit. Da die belangte Behörde die Nichtvorlage einer Betreuungsvereinbarung über eine Vollzeitbeschäftigung als Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht gewertet habe, beruhe der angefochtene Bescheid auf einer unrichtigen Auslegung der Verwaltungsvorschriften. Auch habe die belangte Behörde das ihr eingeräumte Ermessen falsch ausgeübt, da sie lediglich auf das Ausmaß der Arbeitswochenstunden abgestellt habe, nicht jedoch auf die Sorge- bzw. Betreuungspflichten der Beschwerdeführerin, ihrer monatlichen Ausgaben und die Möglichkeiten einer anderweitigen Kinderbetreuung.
2.3. Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aber nicht auf:
Gemäß § 7 Abs. 1 NÖ MSG haben arbeitsfähige Personen, die zur Aufnahme und Ausübung einer Beschäftigung berechtigt sind, bereit zu sein, ihre Arbeitskraft für eine zumutbare Beschäftigung einzusetzen. Dabei ist hinsichtlich der Arbeitsfähigkeit sowie der Zumutbarkeit einer Beschäftigung grundsätzlich von denselben Kriterien wie bei der Notstandshilfe bzw. bei Bezug von Arbeitslosengeld auszugehen. Gemäß § 7 AlVG hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, somit, wer eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf sowie arbeitsfähig, arbeitswillig und arbeitslos ist. Hinsichtlich des dabei zu berücksichtigenden Kriteriums der zumutbaren Beschäftigung stellt sich dabei u.a. die Frage der Einhaltung von gesetzlichen Betreuungsverpflichtungen gegenüber unterhaltsberechtigten Familienangehörigen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich mit dieser Frage bereits auseinander gesetzt. Er kam dabei zum Schluss, dass Eltern zur Obsorge für ihre minderjährigen Kinder rechtlich verpflichtet sind. Die Erfüllung dieser Pflicht ist bei Fehlen einer anderweitigen Aufsichtsperson für den obsorgepflichtigen alleinerziehenden Elternteil rechtlich und faktisch unausweichlich. Sie steht der Aufnahme einer Beschäftigung insoweit von vornherein entgegen und ist daher nicht in Hinblick auf die Arbeitswilligkeit im Sinne des § 9 AlVG, sondern in Hinblick auf die Verfügbarkeit im Sinne des § 7 Abs. 3 Z 1 AlVG zu prüfen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/08/0007, mwN). Unter Verweis auf die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage betreffend § 7 Abs. 5 AlVG (620 BlgNR XXI. GP, S. 74) kam der Verwaltungsgerichtshof dabei zur Auffassung, dass die bzw. der Arbeitslose der Arbeitsvermittlung nur insoweit zur Verfügung steht, als das Kind, für welches sie bzw. er obsorgepflichtig ist, von einer anderen geeigneten Person oder in einer geeigneten Einrichtung betreut wird (vgl. dazu auch Müller , Zum Begriff der "Zumutbarkeit der Beschäftigung" in der Arbeitslosenversicherung (bis zum Arbeitsmarktreformgesetz 2004), DRdA 2/2006, S. 87 ff).
Diese Grundsätze sind durch den Verweis von § 7 NÖ MSG auf die Kriterien für den Bezug von Arbeitslosengeld sinngemäß anzuwenden.
Die belangte Behörde stellte im angefochtenen Bescheid fest, dass die Beschwerdeführerin laut Betreuungsvereinbarung alleinerziehend mit zwei Kindern im Alter von 6 und 8 Jahren und beim Arbeitsmarktservice (AMS) Baden für 16 Stunden pro Woche als Arbeit suchend gemeldet sei.
Die Beschwerdeführerin habe im erstinstanzlichen Verfahren erklärt, nicht mehr als 16 Stunden pro Woche arbeiten zu wollen und zu können. Zum Vorhalt, dass für den Fall der Nichtvorlage der geforderten Betreuungsvereinbarung des AMS über 40 Wochenstunden der Antrag auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung abgewiesen werden würde, habe die Beschwerdeführerin weder Stellung genommen, noch die entsprechende Betreuungsvereinbarung vorgelegt.
Die Beschwerdeführerin hat aber auch weder in ihrer Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid, noch in der vorliegenden Beschwerde im Einzelnen dargelegt, aus welchen Gründen in ihrem Fall eine Betreuung ihrer Kinder am Nachmittag etwa in einem Hort nicht möglich ist und daher eine persönliche Betreuung durch sie von Nöten ist. Der Hinweis auf ihre Situation als alleinerziehende Mutter - ohne jegliches konkrete Vorbringen zu den Möglichkeiten bzw. dem Fehlen einer anderweitigen Kinderbetreuung - reicht insoweit nicht aus. Der belangten Behörde kann daher nicht entgegen getreten werden, wenn sie eine Verletzung der Mitwirkungspflicht angenommen hat.
Des Weiteren führt die Beschwerdeführerin ins Treffen, dass in einem ihrer Auffassung nach gleichgelagerten Fall einer Antragstellerin Leistungen aus der Bedarfsorientierten Mindestsicherung gewährt worden seien, und leitet daraus u.a. die Verletzung von verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten ab. Hierzu ist zunächst auf das vorangegangene verfassungsgerichtliche Verfahren zu verweisen, in welchem der Beschwerde mangelnde Aussicht auf Erfolg attestiert wurde. Dazu kommt, dass die belangte Behörde bei Handhabung der Bestimmungen über die Bedarfsorientierte Mindestsicherung jeden Einzelfall für sich selbst zu beurteilen hat, insbesondere im Konkreten die Frage, ob eine anderweitige Möglichkeit der Kinderbetreuung vorliegt oder nicht. Für die Beschwerdeführerin ist daher aus dem Umstand, dass es einen aus ihrer Sicht ähnlichen Fall gibt, nichts zu gewinnen.
3. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG iVm der (auf "Altfälle" gemäß § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. I Nr. 8/2014, weiter anzuwendenden) VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
HAAAE-72963