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VwGH 11.08.2015, 2012/10/0197

VwGH 11.08.2015, 2012/10/0197

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
NatSchG Tir 2005 §1 Abs1 litc;
NatSchG Tir 2005 §29 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
RS 1
Bei dem Hinweis auf die allgemeinen Folgen einer Verringerung der vom Wasser eines Fließgewässers benetzten Fläche angesichts des Fehlens konkreter, auf die qualitativen und quantitativen Aspekte des Einzelfalles bezogener Darlegungen, denen sowohl Art als auch Ausmaß der angenommenen Beeinträchtigungen nachvollziehbar entnommen werden kann, handelt es sich nicht um eine Begründung, die die Annahme einer Beeinträchtigung des Naturhaushaltes bzw. des Artenreichtums und der Lebensräume der heimischen Tier- und Pflanzenwelt tragen könnte (vgl. E , 2008/10/0003). Ebensowenig werden diesen Anforderungen die Feststellungen der belBeh zu den "Auswirkungen auf den Naturhaushalt" gerecht, welche sich darauf beschränken, dass durch den Wasserentzug stark in die "natürliche Hydrologie eines natürlichen bis naturnahen Gewässerabschnittes" und durch die Errichtung des Fassungsbauwerkes stark in die "natürliche Morphologie des Gewässers" eingegriffen werde.
Normen
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
NatSchG Tir 2005 §1 Abs1;
NatSchG Tir 2005 §29 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
RS 2
An der Erhöhung des Anteils der Stromerzeugung aus erneuerbarer Energie und der Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung und Wirtschaft mit kostengünstiger, qualitativer hochwertiger Energie besteht ebenso wie an den positiven Auswirkungen für den Klimaschutz ein langfristiges öffentliches Interesse. Der Umstand, dass es sich um ein kleineres Kraftwerk mit entsprechend geringerer Energieerzeugung handelt, führt für sich allein nicht zur Verneinung dieses langfristigen öffentlichen Interesses. Vielmehr kann je nachdem, inwieweit eine Maßnahme nach den Umständen des Einzelfalles geeignet ist, zur Erreichung der genannten Ziele beizutragen, dem Interesse an ihrer Verwirklichung Vorrang gegenüber den Interessen des Naturschutzes zukommen. Entscheidend ist dabei, welche Bedeutung die Verwirklichung der konkret beantragten Maßnahme für die genannten öffentlichen Interessen hat (wobei insbesondere die projektgemäß produzierte Strommenge maßgeblich ist) und wie gravierend die damit verbundenen Auswirkungen auf die naturschutzgesetzlich geschützten Rechtsgüter sind (vgl. E , 2010/10/0182).

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Beschwerde der S Wasserkraft GmbH in G, vertreten durch Ing. Dr. Joachim Stock, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Sillgasse 12, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom , Zl. U- 13.919/87, betreffend Versagung einer naturschutzrechtlichen Bewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird im Umfang seines Spruchpunktes I. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Tirol hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Bereits mit Bescheid vom wies die belangte Behörde einen Antrag der beschwerdeführenden Partei auf Erteilung der naturschutzrechtlichen Bewilligung für die Errichtung und den Betrieb der Wasserkraftanlage "Fotscherbach" (u.a.) gemäß § 7 Abs. 1 lit. a, b und c, Abs. 2 lit. a Z. 1 und 2 und § 29 Abs. 8 Tiroler Naturschutzgesetz 2005 (TNSchG) ab.

2. Dieser Bescheid wurde mit hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/10/0003, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Dies begründete der Verwaltungsgerichtshof - gerafft wiedergegeben - damit, dass der Bescheid vom auf der Annahme beruhe, die Verwirklichung des Kraftwerkvorhabens hätte Beeinträchtigungen der Schutzgüter "Lebensgemeinschaften heimischer Tiere und Pflanzen", des Naturhaushaltes sowie des Landschaftsbildes und des Erholungswertes zur Folge. Nach der ständigen hg. Rechtsprechung setze die gesetzmäßige Beurteilung des damit offenbar in den Blick genommenen Tatbestandsmerkmales "Artenreichtum der heimischen Tier- und Pflanzenwelt und deren natürlicher Lebensräume" iSd § 1 Abs. 1 lit. c TNSchG nachvollziehbare, auf die Lebensbedingungen konkreter Tiere und Pflanzen bezugnehmende, naturwissenschaftliche, auf die qualitativen und quantitativen Aspekte des konkreten Falles, auf die Art der beantragten Maßnahme und die von dieser ausgehenden Auswirkungen auf die geschützten Güter Bedacht nehmende Feststellungen voraus.

Entsprechende Feststellungen fehlten allerdings im Bescheid vom zur Gänze.

In diesem Zusammenhang wurde u.a. Folgendes dargelegt:

"Der Verwaltungsgerichtshof hat schon mehrfach ausgesprochen, dass es sich beim Hinweis auf die allgemeinen Folgen einer Verringerung der vom Wasser eines Fließgewässers benetzten Fläche angesichts des Fehlens konkreter, auf die qualitativen und quantitativen Aspekte des Einzelfalles bezogener Darlegungen, denen sowohl Art als auch Ausmaß der angenommenen Beeinträchtigungen nachvollziehbar entnommen werden kann, nicht um eine Begründung handelt, die die Annahme einer Beeinträchtigung des Naturhaushaltes bzw. des Artenreichtums und der Lebensräume der heimischen Tier- und Pflanzenwelt tragen könnte (...)."

Im Weiteren führte der Verwaltungsgerichtshof aus, auch die Annahme der belangten Behörde, es käme infolge des "Wasserentzuges" zu einer Beeinträchtigung des Landschaftsbildes und des Erholungswertes, weil dieser Wasserentzug die Naturnähe und damit die Vielfalt, Eigenart und Schönheit der Bachstrecke in einem erheblichen Ausmaß abmindere und dadurch ein hochrangiges Landschaftselement zu einem Restwasserabfluss abgewertet werde, stelle keine Darlegung dar, der nachvollziehbar entnommen werden könnte, inwiefern die Errichtung der Wasserkraftanlage die das Bild der Landschaft prägenden Elemente optisch verändern würde.

Die Beeinträchtigung des Erholungswertes durch das beantragte Projekt begründe die belangte Behörde wiederum lediglich mit der "Beeinträchtigung des Landschaftsbildes und des damit verbundenen Erholungswertes". Schon deshalb entspreche auch die Annahme einer Beeinträchtigung des Erholungswertes nicht dem Gesetz. Da insgesamt die Annahme der belangten Behörde, durch das Vorhaben der beschwerdeführenden Partei würden Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 TNSchG beeinträchtigt, nicht auf einen mängelfreien Verfahren beruhe und die aufgezeigten Verfahrensmängel auch relevant seien, sei der Bescheid vom infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben gewesen.

3. Mit dem durch die vorliegende Beschwerde allein bekämpften Spruchpunkt I. des nunmehr angefochtenen Bescheides vom wurde der beschwerdeführenden Partei wiederum die naturschutzrechtliche Bewilligung für die Errichtung und den Betrieb der Wasserkraftanlage "Fotscherbach" gemäß § 7 Abs. 1 lit. a, b und c, Abs. 2 lit. a Z. 1 und 2 und § 29 Abs. 8 TNSchG 2005 versagt.

Die belangte Behörde ging dabei von einer Bewilligungspflicht des beantragten Vorhabens nach § 7 Abs. 1 lit. a, b und c und Abs. 2 lit. a Z. 1 und 2 TNSchG aus, weshalb der gegenständliche Bewilligungsantrag gemäß § 29 Abs. 2 TNSchG zu beurteilen sei.

Mit Blick auf § 29 Abs. 2 Z. 1 TNSchG (Beeinträchtigung von Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 TNSchG) traf die belangte Behörde im Wesentlichen - gestützt auf Gutachten einer naturkundefachlichen Amtssachverständigen - die folgenden Feststellungen zu den Auswirkungen des beantragten Projektes:

Was die "Auswirkungen auf Arten" anlange, so seien von der Errichtung des Fassungsbauwerkes und der Druckrohrleitung Exemplare einer bestimmten Orchideengattung sowie Torfmoose "betroffen". Im Rahmen der limnologischen Erhebung sei "als gefährdetste Art die Kieselalge Gomphonema ventricosum identifiziert" worden. Durch die Baumaßnahmen und/oder durch den Betrieb der Anlage seien damit "Einzelindividuen geschützter oder gefährdeter Arten betroffen". Auf Basis der Dotierwasservorschreibung werde nicht davon ausgegangen, dass ganze Teilpopulationen oder Populationen geschützter oder gefährdeter Arten negativ vom Vorhaben berührt würden. Die "Eingriffserheblichkeit auf Arten" sei für das gegenständliche Projekt "insgesamt als hoch einzustufen".

Betreffend die "Auswirkungen auf Lebensräume" führte die belangte Behörde aus, vom beantragten Projekt seien "kleinflächig geschützte Vegetationseinheiten (Auwälder mit Alnus glutinosa und Fraxinus exlsior) und der gefährdete Lebensraum 'gestreckter Gebirgsbach' betroffen". Relevant für die Einstufung der Beeinträchtigung der Lebensräume im gegenständlichen Fall sei vor allem "der als gefährdet eingestufte Biotoptyp 'gestreckter Gebirgsbach'". Durch den ganzjährigen Wasserentzug im Ausmaß von 31 % bis 60 % der natürlichen Wasserführung werde "in einem relevanten Ausmaß in die natürliche Hydrologie des Gewässerabschnittes eingegriffen".

Gewässerspezifische Parameter des Fließgewässerbiotops würden verändert. Mittels Dotierversuchen sei festgestellt worden, dass die benetzte Breite mit abnehmender Wasserführung reduziert werde, sich die Fließgeschwindigkeit verringere, die Wassertiefe abnehme und damit der geschützte Lebensraum verändert und verkleinert werde. Bei bestimmten Abflusssituationen in Kombination mit der Wasserentnahme sei zu erwarten, dass ein Seitenarm des Fotscherbaches nicht mehr dotiert werde und periodisch als aquatischer Lebensraum ausfalle.

Durch die Errichtung des Fassungsbauwerkes und der Fischtreppe werde darüber hinaus eine Teilfläche (ca. 500 m2) des gefährdeten Lebensraumes "gestreckter Gebirgsbach" inklusive seiner geschützten Uferböschungen verbaut und "morphologisch stark verändert".

Durch die geplanten Maßnahmen sei das "Ausmaß des Eingriffes (Eingriffsintensität) auf den gefährdeten Biotoptyp 'gestreckter Gebirgsbach' als hoch einzustufen (Flächenverlust, Verbauung, nachhaltige Beeinträchtigung)". "In Verknüpfung mit der Sensibilität des Lebensraumes (gefährdeter Lebensraum)" ergebe sich eine "hohe Eingriffserheblichkeit/Belastung auf das Schutzgut 'Lebensräume' durch das Vorhaben".

Was die "Auswirkungen auf den Naturhaushalt" betreffe, so weise ein 2290 m langer Gewässerabschnitt noch einen "natürlichen bis naturnahen Naturhaushalt" auf. Durch den geschilderten Wasserentzug werde "stark in die natürliche Hydrologie des Gewässerabschnittes eingegriffen", weil ein bisheriger Ausnahmezustand während fünf Monaten zur Regel werde und damit durch die geplante Wasserentnahme eine "deutliche Abweichung von den natürlichen Verhältnissen" gegeben sei. Außerdem werde örtlich durch die Errichtung des Fassungsbauwerkes auch "stark in die natürliche Morphologie des Gewässers eingegriffen".

Daher sei die "Eingriffsintensität in den Naturhaushalt als mittelstark (Änderung der Hydrologie, Morphologie bleibt unverändert) bzw. lokal als stark" (im Bereich des Fassungsbauwerkes werde auch die Morphologie verändert) einzustufen.

Zu den "Auswirkungen auf das Landschaftsbild" stellte die belangte Behörde fest, neben großflächigen natürlichen Landschaftselementen wie dem strukturreichen Gewässerlauf, variablen Uferböschungen, aufsteigenden Berghängen unterschiedlichster Neigung, ausgedehnten Waldflächen und unterschiedlichen Vegetationseinheiten bestehe (schon derzeit) eine "Abminderung der Landschaft durch den linksufrig verlaufenden Schotterweg und lokal durch 3 Brücken zur Querung des Baches durch Forstwege".

Durch die Reduktion der natürlichen Wasserführung um 31 % bis 60 % bei Mittelwasserführung und die Errichtung der Wasserfassung sei ein "hoher Eingriff in die Parameter 'Ursprung der Elemente' gegeben". Das Erscheinungsbild des Gewässers werde durch die Reduktion der Wassermenge verändert, was sich etwa in der Reduktion der benetzten Breite und im Weißwasseranteil wiederspiegle.

Nachhaltige bauliche Eingriffe seien lokal im Bereich des Fassungsbauwerkes gegeben. Die strukturreiche, morphologisch bislang unbeeinträchtigte Gewässerstrecke werde hier auf einer Länge von ca. 50 m komplett umgestaltet, um die Bauwerke Tiroler Wehr, Fischaufstiegshilfe, Entsander, Ufer- und Sohlsicherungen in das Gewässerbett und die Uferbereiche einbringen zu können. Dieser Landschaftsteil werde durch die Substitution einer morphologisch unbeeinträchtigten Gewässerstrecke durch eine verbaute Gewässerstrecke mit technischen Bauwerken "stark verändert".

Der Eingriff in die "Einzigartigkeit" werde als mittel gewertet, weil lokale, kleinräumige Eingriffe in besondere Strukturen (z.B. periodisches Trockenfallen eines Seitenarmes) erwartet würden. Der Eingriff in den Parameter "Repräsentativität" werde als mittel eingestuft, weil trotz Umsetzung des Vorhabens die typischen Landschaftselemente überwiegend erhalten blieben. Hinsichtlich der "Einsehbarkeit" sei, weil diese durch umgrenzende Waldhänge in dem engen Talabschnitt begrenzt sei, überwiegend eine "Nahwirkung der Eingriffe (Restwasserstrecke, Fassungsbauwerk) auf die Landschaft" festzustellen.

Schließlich führte die belangte Behörde zu den "Auswirkungen auf den Erholungswert" aus, dass hier die Eingriffsintensität mit jener hinsichtlich der Landschaft korreliere; sie sei als hoch einzustufen, weil "insbesondere durch die Restwasserführung ein flächiger und ausgedehnter Eingriff auf prägende, für den Erholungswert der Landschaft wesentliche Elemente gegeben" sei. (Dazu verwies die belangte Behörde auf die Ausführungen zur Beurteilung der Belastung des Landschaftsbildes.) Lokal werde darüber hinaus der Erholungswert durch das Entnahmebauwerk mit den erforderlichen Ufer- und Sohlsicherungen, welches in einem natürlichen Gewässerabschnitt errichtet werde, beeinträchtigt.

Von diesen Feststellungen ausgehend hielt die belangte Behörde dafür, dass das beantragte Projekt - auch unter Berücksichtigung von durch die beschwerdeführende Partei darin angebotenen näher beschriebenen Ausgleichsmaßnahmen - Interessen des Naturschutzes beeinträchtige, sodass in die Interessenabwägung nach § 29 Abs. 2 Z. 2 TNSchG einzutreten sei.

Zwar sei ein "grundsätzliches öffentliches Interesse an der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen sowie an der Sicherstellung der Stromversorgung" zu attestieren. An der Errichtung des geplanten Kraftwerkes "Fotscherbach" bestehe allerdings kein langfristiges öffentliches Interesse im Sinn des § 29 Abs. 2 Z. 2 TNSchG; insbesondere habe die beschwerdeführende Partei nicht dargetan, dass eine "durchgehende Versorgung der in Betracht kommenden Bevölkerung mit elektrischer Energie ohne Verwirklichung des Kraftwerkprojektes konkret gefährdet wäre", weil sie andernfalls nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand gewährleistet werden könnte.

Aus diesen Gründen versagte die belangte Behörde die beantragte Bewilligung nach § 29 Abs. 8 TNSchG.

4. Dagegen richtete sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Vorauszuschicken ist, dass auf den vorliegenden, mit Ablauf des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdefall gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen des VwGG anzuwenden sind.

2. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des TNSchG, LGB1. Nr. 26/2005 idF LGBl. Nr. 94/2012, lauten wie folgt:

"§ 1

Allgemeine Grundsätze

(1) Dieses Gesetz hat zum Ziel, die Natur als Lebensgrundlage des Menschen so zu erhalten und zu pflegen, dass

a)

ihre Vielfalt, Eigenart und Schönheit,

b)

ihr Erholungswert,

c)

der Artenreichtum der heimischen Tier- und Pflanzenwelt und deren natürliche Lebensräume und

d) ein möglichst unbeeinträchtigter und leistungsfähiger Naturhaushalt

bewahrt und nachhaltig gesichert oder wiederhergestellt werden. Die Erhaltung und die Pflege der Natur erstrecken sich auf alle ihre Erscheinungsformen, insbesondere auch auf die Landschaft, und zwar unabhängig davon, ob sie sich in ihrem ursprünglichen Zustand befindet (Naturlandschaft) oder durch den Menschen gestaltet wurde (Kulturlandschaft). Der ökologisch orientierten und der die Kulturlandschaft erhaltenden land- und forstwirtschaftlichen Nutzung kommt dabei besondere Bedeutung zu. Die Natur darf nur so weit in Anspruch genommen werden, dass ihr Wert auch für die nachfolgenden Generationen erhalten bleibt.

(...)

§ 7

Schutz der Gewässer

(1) Außerhalb geschlossener Ortschaften bedürfen im Bereich von fließenden natürlichen Gewässern und von stehenden Gewässern mit einer Wasserfläche von mehr als 2.000 m2 folgende Vorhaben einer naturschutzrechtlichen Bewilligung:

a)

das Ausbaggern;

b)

die Errichtung, Aufstellung und Anbringung von Anlagen;

c)

die Ableitung oder Entnahme von Wasser zum Betrieb von Stromerzeugungsanlagen;

d) die Änderung von Anlagen nach lit. b und c, sofern die Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 berührt werden.

(2) Außerhalb geschlossener Ortschaften bedürfen im Bereich

a) der Uferböschung von fließenden natürlichen Gewässern und eines fünf Meter breiten, von der Uferböschungskrone landeinwärts zu messenden Geländestreifens und

b) eines 500 Meter breiten, vom Ufer stehender Gewässer mit einer Wasserfläche von mehr als 2.000 m2 landeinwärts zu messenden Geländestreifens

1. die Errichtung, Aufstellung und Anbringung von Anlagen sowie die Änderung von Anlagen, sofern die Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 berührt werden, und

2. Geländeabtragungen und Geländeaufschüttungen außerhalb eingefriedeter bebauter Grundstücke

einer naturschutzrechtlichen Bewilligung.

(...)

§ 29

Naturschutzrechtliche Bewilligungen, aufsichtsbehördliche

Genehmigungen

(1) Eine naturschutzrechtliche Bewilligung ist, soweit in den Abs. 2 und 3 nichts anderes bestimmt ist, zu erteilen,

a) wenn das Vorhaben, für das die Bewilligung beantragt wird, die Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 nicht beeinträchtigt oder

b) wenn andere öffentliche Interessen an der Erteilung der Bewilligung die Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 überwiegen.

(2) Eine naturschutzrechtliche Bewilligung

a) für die Errichtung von Anlagen in Gletscherschigebieten nach § 5 Abs. 1 lit. d Z 3 (§ 6 lit. c), eine über die Instandhaltung oder Instandsetzung hinausgehende Änderung einer bestehenden Anlage im Bereich der Gletscher, ihrer Einzugsgebiete und ihrer im Nahbereich gelegenen Moränen (§ 6 lit. f), für Vorhaben nach den §§ 7 Abs. 1 und 2, 8, 9, 27 Abs. 3 und 28 Abs. 3,

b) für Vorhaben, für die in Verordnungen nach den §§ 10 Abs. 1 oder 11 Abs. 1 eine Bewilligungspflicht festgesetzt ist,

c) für Ausnahmen von den in Verordnungen nach den §§ 13 Abs. 1, 21 Abs. 1 und 27 Abs. 4 festgesetzten Verboten darf nur erteilt werden,

1. wenn das Vorhaben, für das die Bewilligung beantragt wird, die Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 nicht beeinträchtigt oder

2. wenn andere langfristige öffentliche Interessen an der Erteilung der Bewilligung die Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 überwiegen. In Naturschutzgebieten darf außerdem ein erheblicher, unwiederbringlicher Verlust der betreffenden Schutzgüter nicht zu erwarten sein.

(...)

(8) Eine Bewilligung ist zu versagen, wenn eine Voraussetzung für ihre Erteilung nicht vorliegt.

(...)"

3. Die behördliche Annahme, dass das beantragte Vorhaben nach § 7 TNSchG bewilligungspflichtig ist, wird von der beschwerdeführenden Partei nicht bekämpft; gegen diese Annahme bestehen auch keine Bedenken des Gerichtshofes.

Davon ausgehend hat die belangte Behörde den Antrag zutreffend nach § 29 Abs. 2 TNSchG 2005 beurteilt.

4. Die Beschwerde führt (u.a.) die hg. Rechtsprechung zu den Anforderungen an eine gesetzmäßige Begründung von aufgrund einer Interessenabwägung nach § 29 Abs. 2 TNSchG ergangenen Bescheiden ins Treffen (Hinweis u.a. auf das Vorerkenntnis zur Zl. 2008/10/0003, weiters auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/10/0062) und bringt dazu im Wesentlichen vor, diesen Anforderungen würden die von der belangten Behörde getroffenen "Feststellungen aus naturkundefachlicher Sicht" in keiner Weise gerecht, weil sie (was die Beschwerde näher ausführt) pauschal und zu wenig konkret blieben.

5. Bereits dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.

Im Verfahren über eine Bewilligung gemäß § 29 Abs. 2 TNSchG 2005 ist in einem ersten Schritt zu prüfen, welches Gewicht der Beeinträchtigung der Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 TNSchG 2005 - Vielfalt, Eigenart und Schönheit der Natur, Erholungswert, Artenreichtum der heimischen Tier und Pflanzenwelt und deren natürliche Lebensräume, möglichst unbeeinträchtigter und leistungsfähiger Naturhaushalt - durch das Vorhaben zukommt. Dem sind die langfristigen öffentlichen Interessen, denen die Verwirklichung des Vorhabens dienen soll, gegenüber zu stellen. Den Anforderungen an eine gesetzmäßige Begründung entspricht ein aufgrund dieser Interessenabwägung ergangener Bescheid nur dann, wenn er in qualitativer und quantitativer Hinsicht nachvollziehbare Feststellungen über jene Tatsachen enthält, von denen Art und Ausmaß der verletzten Interessen im Sinn des § 1 Abs. 1 TNSchG 2005 abhängt, über jene Auswirkungen des Vorhabens, in denen eine Verletzung dieser Interessen zu erblicken ist, und über jene Tatsachen, die das langfristige öffentliche Interesse ausmachen, dessen Verwirklichung die beantragte Maßnahme dienen soll (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2012/10/0233, sowie vom , Zl. 2010/10/0182, jeweils mwN, weiters das Vorerkenntnis zur Zl. 2008/10/0003).

5.1. Mit den oben (Punkt I.3.) wiedergegebenen Feststellungen zu den Auswirkungen des beantragten Vorhabens auf "Arten", "Lebensräume" und "Naturhaushalt" bezieht sich die belangte Behörde auf die in § 1 Abs. 1 TNSchG genannten Gesetzesbegriffe "Artenreichtum der heimischen Tier- und Pflanzenwelt und deren natürliche Lebensräume" (lit. c) und "möglichst unbeeinträchtigter und leistungsfähiger Naturhaushalt" (lit. d).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die gesetzmäßige Beurteilung dieser Tatbestandsmerkmale nachvollziehbare, auf die Lebensbedingungen konkreter Tiere und Pflanzen bezugnehmende, naturwissenschaftliche, auf die quantitativen und qualitativen Aspekte des konkreten Falles, auf die Art der beantragten Maßnahme und die von dieser ausgehenden Auswirkungen auf die geschützten Rechtsgüter Bedacht nehmende Feststellungen voraus (vgl. wiederum die hg. Erkenntnisse zu den Zlen. 2012/10//0233 und 2010/10/0182 sowie das Vorerkenntnis zur Zl. 2008/10/0003).

Die belangte Behörde hat allerdings keine diesen Anforderungen entsprechenden, ausreichend konkreten Feststellungen getroffen:

So ist etwa lediglich davon die Rede, von der Errichtung des Fassungsbauwerkes und der Druckrohrleitung seien Exemplare einer bestimmten Orchideengattung sowie Torfmoose "betroffen". Insgesamt fehlen auf die Lebensbedingungen konkreter Tiere oder Pflanzen bezugnehmende Feststellungen und solche zu den konkreten Auswirkungen des in Rede stehenden Vorhabens auf deren Lebensräume sowie Bestand und Entwicklung der betroffenen Tier- und Pflanzenarten - wie schon im Bescheid vom  - völlig.

Wie der Verwaltungsgerichtshof schon im Vorerkenntnis (Zl. 2008/10/0003, mwN) ausgesprochen hat, handelt es sich bei dem Hinweis auf die allgemeinen Folgen einer Verringerung der vom Wasser eines Fließgewässers benetzten Fläche angesichts des Fehlens konkreter, auf die qualitativen und quantitativen Aspekte des Einzelfalles bezogener Darlegungen, denen sowohl Art als auch Ausmaß der angenommenen Beeinträchtigungen nachvollziehbar entnommen werden kann, nicht um eine Begründung, die die Annahme einer Beeinträchtigung des Naturhaushaltes bzw. des Artenreichtums und der Lebensräume der heimischen Tier- und Pflanzenwelt tragen könnte.

Ebensowenig werden diesen Anforderungen die Feststellungen der belangten Behörde zu den "Auswirkungen auf den Naturhaushalt" gerecht, welche sich darauf beschränken, dass durch den Wasserentzug stark in die "natürliche Hydrologie eines natürlichen bis naturnahen Gewässerabschnittes" und durch die Errichtung des Fassungsbauwerkes stark in die "natürliche Morphologie des Gewässers" eingegriffen werde.

5.2. Soweit die Feststellungen des angefochtenen Bescheides zu den "Auswirkungen auf das Landschaftsbild" wiederum im Wesentlichen auf die Reduktion der Wasserführung (nämlich eine Reduktion der benetzten Breite und des Weißwasseranteils) verweisen, gilt das schon im Vorerkenntnis zur Zl. 2008/10/0003 Gesagte: Bei diesen Ausführungen wie auch den Ausführungen zur Veränderung der Landschaft an einer Gewässerstrecke von ca. 50 m durch die zu errichtenden Bauwerke handelt es sich nicht um Darlegungen, denen nachvollziehbar entnommen werden könnte, inwiefern die Errichtung der beantragten Wasserkraftanlage die das Bild der Landschaft prägenden Elemente optisch verändern würde (zu den diesbezüglichen Anforderungen an die Begründung eines unzulässigen Eingriffs in das Landschaftsbild vgl. etwa auch die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2012/10/0118 sowie vom , Zl. 2010/10/0183, jeweils mwN).

Wie schon der mit dem Vorerkenntnis aufgehobene Bescheid enthält auch der angefochtene Bescheid keine eigenständige Begründung für die zugrunde gelegte Annahme einer Beeinträchtigung des Erholungswertes durch das beantragte Vorhaben, sondern bezieht sich dazu wiederum lediglich auf die angenommene Beeinträchtigung des Landschaftsbildes. Schon aus den dazu gerade dargelegten Gründen entspricht der angefochtene Bescheid somit auch in der Annahme einer Beeinträchtigung des Erholungswertes nicht dem Gesetz.

6.1. Die Annahme der belangten Behörde, durch das Vorhaben des Beschwerdeführers würden Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 TNSchG 2005 beeinträchtigt, beruht somit nicht auf einem mängelfreien Verfahren. Die aufgezeigten Verfahrensmängel sind auch relevant, weil nicht auszuschließen ist, dass die belangte Behörde bei deren Vermeidung zum Ergebnis, eine Beeinträchtigung der Interessen des Naturschutzes sei durch das Vorhaben nicht zu erwarten, oder aber - bei Bejahung einer Beeinträchtigung der Interessen des Naturschutzes - zu einem anderen Ergebnis der Interessenabwägung nach § 29 Abs. 2 Z. 2 TNSchG 2005 gelangt wäre.

6.2. Sollte die belangte Behörde im fortgesetzten Verfahren neuerlich zur Ansicht kommen, dass das beantragte Projekt Naturschutzinteressen beeinträchtige, so wird sie dieser - auf in qualitativer und quantitativer Hinsicht nachvollziehbaren Feststellungen beruhenden - Beeinträchtigung die langfristigen öffentlichen Interessen an der Verwirklichung des Projekts gegenüber zu stellen haben.

In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass an der Erhöhung des Anteils der Stromerzeugung aus erneuerbarer Energie und der Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung und Wirtschaft mit kostengünstiger, qualitativer hochwertiger Energie ebenso wie an den positiven Auswirkungen für den Klimaschutz ein langfristiges öffentliches Interesse besteht. Der Umstand, dass es sich um ein kleineres Kraftwerk mit entsprechend geringerer Energieerzeugung handelt, führt für sich allein nicht zur Verneinung dieses langfristigen öffentlichen Interesses. Vielmehr kann je nachdem, inwieweit eine Maßnahme nach den Umständen des Einzelfalles geeignet ist, zur Erreichung der genannten Ziele beizutragen, dem Interesse an ihrer Verwirklichung Vorrang gegenüber den Interessen des Naturschutzes zukommen. Entscheidend ist dabei, welche Bedeutung die Verwirklichung der konkret beantragten Maßnahme für die genannten öffentlichen Interessen hat (wobei insbesondere die projektgemäß produzierte Strommenge maßgeblich ist) und wie gravierend die damit verbundenen Auswirkungen auf die naturschutzgesetzlich geschützten Rechtsgüter sind (vgl. etwa wiederum das hg. Erkenntnis zur Zl. 2010/10/0182, mwN).

7. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm § 3 Z. 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 und der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am

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Normen
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
NatSchG Tir 2005 §1 Abs1 litc;
NatSchG Tir 2005 §1 Abs1;
NatSchG Tir 2005 §29 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
Schlagworte
Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel
als wesentlicher Verfahrensmangel
Begründung Begründungsmangel
Besondere Rechtsgebiete
"zu einem anderen Bescheid"
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2015:2012100197.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
IAAAE-72954