VwGH vom 06.10.2011, 2010/06/0006

VwGH vom 06.10.2011, 2010/06/0006

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten, Dr. Bayjones und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, über die Beschwerde des A G in H, vertreten durch Seirer Weichselbraun Rechtsanwälte in 9900 Lienz, Tirolerstraße 30/II, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom , Zl. Ve1-8-1/268-15, betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 AVG und Zurückweisung einer Vorstellung (mitbeteiligte Parteien: 1. H I in H, 2. Gemeinde H), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Dem verfahrensgegenständlichen Baubewilligungsverfahren liegt das Bauansuchen des Erstmitbeteiligten vom zugrunde, mit dem der Erstmitbeteiligte die Änderung des Dachprofiles sowie den Ausbau des Dachgeschoßes und eines Teiles des Obergeschoßes beim bestehenden Wohnhaus auf dem Grundstück Nr. 72, KG. P., begehrte. Die ursprünglich mit einem früheren Bauansuchen aus dem Jahre 2003 geplante Garage samt zwei Stellplätzen und angebautem Holzlager waren nicht mehr Gegenstand des Ansuchens.

Der Beschwerdeführer hat dagegen vor der mündlichen Verhandlung am schriftlich Einwendungen, insbesondere gegen die Gebäudeerhöhung, erhoben.

Der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde erteilte dem angeführten Ansuchen mit Bescheid vom die baubehördliche Bewilligung unter Auflagen.

Der Gemeindevorstand der mitbeteiligten Gemeinde wies die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers mit Bescheid vom als unbegründet ab.

Dieser Bescheid wurde dem Vertreter des Beschwerdeführers am zugestellt.

Aus dem Akt ergibt sich weiters, dass die Ehegattin des Erstmitbeteiligten am diese Vorstellung des Beschwerdeführers (datiert mit ) der mitbeteiligen Gemeinde vorlegte und beim Gemeindeamt eine Kopie dieses Schriftsatzes zurückließ.

Die belangte Behörde teilte in der Folge mit Schreiben vom dem Beschwerdeführer mit, dass die erhobene Vorstellung in dem vorliegenden Baubewilligungsverfahren verspätet sei und forderte den Beschwerdeführer zu einer allfälligen Stellungnahme dazu auf. Dieses Schreiben wurde dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers am zugestellt.

Mit dem am bei der belangten Behörde eingelangten Schreiben des Beschwerdeführers (vom , das an die mitbeteiligte Gemeinde als Einbringungsbehörde gemäß § 71 Abs. 4 AVG i.V.m § 120 Abs. 2 Tiroler Gemeindeordnung 2001 - TGO, LGBl. Nr. 36/2001 weitergeleitet wurde und dort am einlangte) nahm dieser zu dem Vorhalt der Verspätung der Vorstellung Stellung und beantragte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Vorstellungsfrist. Der Beschwerdeführer bestätigte, dass der verfahrensgegenständliche Berufungsbescheid am zugestellt und die Frist zur rechtzeitigen Erhebung der Vorstellung versäumt worden sei. Zu den Gründen der Fristversäumung wurde ausgeführt, dass vom Sekretariat des Rechtsvertreters der als letzter Tag für die Erhebung der Vorstellung vermerkt und wie üblich zwei Tage vorher eine Erinnerungsvermerk verfasst worden sei. Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers habe dann am , wie dies der Vorstellung entnommen werden könne, die Vorstellung samt Antrag an die belangte Behörde verfasst. Am sei dieser Schriftsatz vom Rechtsvertreter des Beschwerdeführers durchgesehen und unterfertigt worden und von der zuständigen Sekretärin T. F. zur Übersendung an das Gemeindeamt H vorbereitet worden und zwar dahingehend, dass die Kuvertierung und die Ausfertigung des Einschreibzettels vorbereitet worden sei. Dies sei vom Rechtsvertreter des Beschwerdeführers kontrolliert worden. Nach der Kontrolle sei dieses Kuvert samt Aufgabeschein in dem in der Kanzlei auf einem Rollcontainer hiefür vorgesehenen Ablagefach abgelegt worden, von wo die Sekretärin C. V. die Briefe regelmäßig am Abend entnehme und auf die Post trage.

Offensichtlich sei dann aber dieses Schreiben vom Rollcontainer heruntergefallen, weil es am nach dem Wochenende (höchst wahrscheinlich von der Reinigungskraft gefunden) auf dem Schreibtisch von C. V. gelegen sei. C. V. habe daher das Schreiben am eingeschrieben zur Post gebracht, ohne dass sie es sachlich habe zuordnen können. Dies dürfte darauf zurückzuführen gewesen sein, dass im Fenster des Kuverts durch Verrutschen des Schreibens der Name des Erstmitbeteiligten, des Bauwerbers H. I., samt Adresse ersichtlich geworden sei. Dieser Sachverhalt habe sich erst auf Grund des Schreibens der belangten Behörde vom und nach Rücksprache des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers mit seinem Sekretariat gezeigt.

Es könne im vorliegenden Fall nur von einem minderen Grad des Versehens des Rechtsvertreters, dem das Versehen zuzurechnen sei, ausgegangen werden. Der Rechtsvertreter habe seine Mitarbeiterinnen - wie beschrieben - ausreichend komtrolliert. Das Hinabfallen eines eingeschriebenen Schreibens aus einem extra hiefür vorgesehenen Ablagekorb in eine Spalte zwischen Schreibtisch und Rollcontainer stelle auch für eine sorgfältige Sektretärin wie T. F., die seit vielen Jahren in verschiedenen Rechtsanwaltskanzleien tätig gewesen sei, einen minderen Grad des Versehens dar. Auch der weiteren Sekretärin C. V. habe dieser Umstand nicht auffallen können, da sie nicht die Sachbearbeiterin des gegenständlichen Aktes gewesen sei. Zum Beweis des gegenständlichen Vorbringens wurde eine Bestätigung der T. F. beigelegt. Erst mit Zustellung des Schreibens der Behörde vom (am ) habe dieser Sachverhalt aufgeklärt werden können und daher sei die Frist zur Erhebung des Wiedereinsetzungsantrages gewahrt.

Diesem Antrag liegt das in Frage stehende Fenster-Kuvert mit dem Poststempel bei. Es hat eine Größe DIN A4, auch die in Frage stehende Vorstellung ist auf Papier in einer Größe von DIN A4 geschrieben.

Die belangte Behörde hat mit dem angefochtenen Bescheid unter Spruchpunkt I. den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung der Vorstellung gegen den Bescheid des Gemeindevorstandes der mitbeteiligten Gemeinde vom als unbegründet abgewiesen und in Spruchpunkt II. die Vorstellung als verspätet zurückgewiesen.

Sie führte dazu im Wesentlichen aus, dass sich eine Partei nur das Verschulden des bevollmächtigten Vertreters, nicht aber ein Verschulden eines "Boten" zurechnen lassen müsse. Ein minderer Grad des Versehens im Sinne des § 71 Abs. 1 Z 1 AVG sei nach ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB zu verstehen, die dann vorliege, wenn ein Fehler unterlaufen sei, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begehe. Es dürfe sohin nicht auffallend sorglos gehandelt worden sein. Bei der Beurteilung, ob ein sorgfältiges Vorgehen vorliege, sei insbesondere an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige Personen. Dies gelte nicht nur für das eigene Handeln, sondern auch hinsichtlich der Tätigkeit der Mitarbeiter. Der rechtskundige Vertreter der Partei habe gegenüber der ihm als Hilfsapparat zur Verfügung stehenden Kanzlei alle Vorsorgen zu treffen, die notwendig seien, um die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben zu gewährleisten, die ihm aus dem Bevollmächtigungsverhältnis oblägen. Die berufsgebotenen Vorkehrungen beträfen vor allem die Organisation des Kanzleibetriebes und die wirksame Überwachung der Angestellten in Bezug auf die Einhaltung der Fristen. Das Verschulden eines Bediensteten sei aber nur dann dem rechtskundigen Parteienvertreter und damit der Partei zuzurechnen, wenn der Vertreter die ihm zumutbare und nach der Sachlage gebotene Kontrolle der Tätigkeit der Mitarbeiter unterlassen habe und damit seiner Überwachungspflicht nicht nachgekommen sei. Nur das Verschulden eines geeigneten und vom rechtskundigen Parteienvertreter ordentlich überwachten Mitarbeiters stelle einen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund dar.

Ausgehend vom Vorbringen des Beschwerdeführers sei im vorliegenden Fall zu beurteilen, ob im gegenständlichen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand glaubhaft gemacht worden sei, dass der rechtskundige Vertreter der Partei gegenüber der ihm als Hilfsapparat zur Verfügung stehenden Kanzlei alle Vorsorgen getroffen habe, die notwendig seien, um die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben zu gewährleisten, welche ihm aus dem Bevollmächtigungsverhältnis auferlegt seien. Das Verschulden eines Bediensteten sei dem rechtskundigen Parteienvertreter und damit der Partei dann zuzurechnen, wenn der Vertreter die ihm zumutbare und nach der Sachlage gebotene Kontrolle der Tätigkeit der Mitarbeiter unterlassen habe und damit seiner Überwachungspflicht nicht nachgekommen sei.

Im Wiedereinsetzungsantrag werde zwar ausgeführt, dass das Ende der Vorstellungsfrist entsprechend vorgemerkt worden sei und der bevollmächtigte Vertreter das Schriftstück sowie die Vorbereitung der Übersendung (Kuvertierung und die Ausfertigung des "Einschreibzettels") noch innerhalb der Frist kontrolliert habe. Wie und wie oft das fristgerechte Zur-Post-Bringen der Schriftstücke im Kanzleibetrieb allerdings konkret kontrolliert worden sei, sei nicht dargetan worden. Zur erfolgreichen Darlegung eines erforderlichen Kontrollsystems sei es aber notwendig aufzuzeigen, welche Maßnahmen im Einzelnen von den jeweiligen Personen im Rahmen des Kontrollsystems zu ergreifen seien, um durchzusetzen, dass jeder in dieses Kontrollsystem eingebundene Mitarbeiter seine Aufgaben tatsächlich befolge und welche Maßnahmen schließlich der an der Spitze der Unternehmenshierarchie stehende Anordnungsbefugte vorgesehen habe, um das Funktionieren des Kontrollsystems insgesamt zu gewährleisten. Das Fehlen eines wirksamen Kontrollsystems begründe ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden an der Fristversäumung (Hinweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 2005/17/0200).

Im Antrag sei das Bestehen und die konkrete Ausgestaltung eines entsprechend wirksamen Kontrollsystems des Kanzleibetriebes betreffend die fristgerechte Übergabe der Schriftstücke an die Post zur Versendung nicht dargetan worden, sodass der in § 71 Abs. 1 AVG vorgesehenen Glaubhaftmachung nicht entsprochen worden sei.

Zudem sei auf Grund der Art der Adressierung und der Verwendung eines Fensterkuverts diese Vorstellung nicht an die mitbeteiligte Gemeinde, sondern an den Bauwerber zugestellt worden. Die Nichteinrechnung des Postenlaufes gemäß § 33 Abs. 3 AVG werde nur dann ausgelöst, wenn das Schriftstück an die zuständige Behörde richtig adressiert sei, d.h. mit der zutreffenden Anschrift der zuständigen Behörde versehen sei. Es handle sich dann nicht mehr um ein richtig adressiertes Schriftstück, wenn die Adressierung unklar und mehrdeutig sei. Die Vorbereitung der Übersendung (Kuvertierung und die Ausfertigung des "Einschreibzettels") sei vom Rechtsvertreter kontrolliert worden. Da der Parteienvertreter den gesamten Schriftsatz mit der erforderlichen Sorgfalt zu überprüfen habe, bevor er ihn unterschreibe, hätte er bei entsprechender Durchsicht des Schriftstückes erkennen müssen, dass auf Grund der Situierung der Empfängeradresse auf dem Schriftstück bei Verwendung eines Fensterkuverts die Gefahr bestanden habe, dass das Schriftstück allenfalls nicht an den richtigen Empfänger zugestellt werde, was auch gegenständlich erfolgt sei. Selbst bei einer Postaufgabe der Vorstellung am letzten Tag der Frist wäre daher die Begünstigung des Postlaufes gemäß § 33 Abs. 3 AVG im Lichte der höchstgerichtlichen Rechtsprechung nicht zum Tragen gekommen.

Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG (Glaubhaftmachung eines entsprechenden Kontrollsystems, kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens) seien im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

In der dagegen erhobenen Beschwerde wird Rechtswidrigkeit des Inhaltes, in eventu Rechtswidrigkeit wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften (Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes in einem wesentlichen Punkt) geltend gemacht.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift samt Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 71 Abs. 1 bis 4 AVG, BGBl. Nr. 51/1991 idF BGBl. I Nr. 158/1998, betreffend die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sieht Folgendes vor:

"Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

§ 71. (1) Gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn:

1. die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, oder

2. die Partei die Rechtsmittelfrist versäumt hat, weil der Bescheid keine Rechtsmittelbelehrung, keine Rechtsmittelfrist oder fälschlich die Angabe enthält, daß kein Rechtsmittel zulässig ist.

(2) Der Antrag auf Wiedereinsetzung muß binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden.

(3) Im Fall der Versäumung einer Frist hat die Partei die versäumte Handlung gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachzuholen.

(4) Zur Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist die Behörde berufen, bei der die versäumte Handlung vorzunehmen war oder die die versäumte Verhandlung angeordnet oder die unrichtige Rechtsmittelbelehrung erteilt hat."

Zunächst ist festzustellen, dass die belangte Behörde als Aufsichtsbehörde zuständig war, auch über den vorliegenden Wiedereinsetzungsantrag zu entscheiden (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , VwSlg. Nr. 7606, und vom , Zl. 89/05/0235; siehe dazu auch Hengstschläger/Leeb , AVG § 71 Rz 105). Die Einbringungsstelle für die Vorstellung (wie auch dem folgend für den Wiedereinsetzungsantrag, Hengstschläger/Leeb a. a.O m.w.N.) war gemäß § 120 Abs. 2 Tiroler Gemeindeordnung 2001 (TGO), LGBl. Nr. 36/2001, das Gemeindeamt.

Nach Ansicht des Beschwerdeführers habe er entsprechend glaubhaft gemacht, dass er durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis gehindert gewesen sei, die Frist einzuhalten und ihn daran kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens treffe. Es liege entgegen der Ansicht der belangten Behörde ein Fehler vor, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begehe - sohin ein minderer Grad des Versehens -, dies auch dann, wenn man von dem strengeren Maßstab für rechtskundige berufliche Parteienvertreter ausgehe. Der Parteienvertreter habe gegenüber der ihm als Hilfsapparat zur Verfügung stehenden Kanzlei alle Vorsorge getroffen, um die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben zu gewährleisten. So werde die Frist für die Erstattung eines Schriftsatzes zweifach vermerkt, vom Parteienvertreter persönlich kontrolliert, der Schriftsatz dem Parteienvertreter zur Korrektur vorgelegt und auch die vorbereitete Versendung durch Kuvertierung und Verfassung des Einschreibzettels geprüft. Es gehe über die Kontrollpflicht eines Parteienvertreters hinaus, zu prüfen, ob der von der grundsätzlich verlässlichen Sekretärin ordnungsgemäß vorbereitete Schriftsatz dann auch tatsächlich aus dem für die Post vorgesehenen Ablagefach zur Post gebracht werde. Die Post werde durch die an dem Tag jeweils zuständige Sekretärin aus dem Ablagefach genommen und zur Post gebracht. Um absolute Sicherheit über diese Vorgänge zu haben, müsste der Parteienvertreter die gesamte Post auch noch vor ihrer Entfernung aus der Kanzlei prüfen, was im Rahmen eines normalen Büroablaufes undenkbar sei. Wenn sohin ein Poststück auf dem Weg vom Ablagefach bis zum Postamt in Verstoß gerate, könne dieses Versehen des Sekretariats dem Parteienvertreter und somit der Partei ebenfalls nicht zugerechnet werden bzw. handle es sich dabei jedenfalls um einen minderen Grad des Versehens. Es liege ein typisches Verschulden eines Boten vor.

Dazu ist Folgendes auszuführen:

Unter einem minderen Grad des Versehens ist nach ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB zu verstehen, die dann vorliegt, wenn ein Fehler unterlaufen ist, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 90/06/0062). Bei der Beurteilung, ob ein sorgfältiges Vorgehen vorliegt, ist an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige Personen (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2003/10/0114). Dies gilt nicht nur für das eigene Handeln, sondern auch hinsichtlich der Tätigkeit der Mitarbeiter. Der rechtskundige Vertreter der Partei hat gegenüber der ihm als Hilfsapparat zur Verfügung stehenden Kanzlei alle Vorsorgen zu treffen, die notwendig sind, um die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben zu gewährleisten, die ihm aus dem Bevollmächtigungsverhältnis obliegen (vgl. vom , Zl. 97/05/0329). Die berufsgebotenen Vorkehrungen betreffen vor allem die Organisation des Kanzleibetriebes und die wirksame Überwachung der Angestellten in Bezug auf die Einhaltung der Fristen. Das Verschulden eines Bediensteten ist nur dann dem rechtskundigen Parteienvertreter und damit der Partei zuzurechnen, wenn der Vertreter die ihm zumutbare und nach der Sachlage gebotene Kontrolle der Tätigkeit der Mitarbeiter unterlassen hat und damit seiner Überwachungspflicht nicht nachgekommen ist. Nur das Verschulden eines geeigneten und vom rechtskundigen Parteienvertreter ordentlich überwachten Mitarbeiters stellt einen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund dar.

Der Verwaltungsgerichtshof hat zu § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG zum Bereich der Kuvertierung und Postaufgabe von Schriftstücken eines Rechtvertreters weiters ausgesprochen, dass ein unvorhergesehenes Ereignis vorliegt, wenn einer erfahrenen und zuverlässigen Kanzleikraft nach der Unterfertigung eines fristgebunden Schriftstückes und nach Kontrolle durch den bevollmächtigten Rechtsanwalt im Zuge der Kuvertierung und Postaufgabe des Schriftstückes ein Fehler passiert. Die Kontrolle, ob eine erfahrene und zuverlässige Kanzleikraft diese rein manipulativen Tätigkeiten auch tatsächlich ausführt, ist dem Rechtsanwalt nicht zumutbar, will man seine Sorgfaltspflicht nicht überspannen (vgl. u.a. den hg. Beschluss vom , Zl. 2011/02/0113). Der Verwaltungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung auch davon aus, dass der Rechtsanwalt nur rein technische Vorgänge beim Abfertigen von Schriftstücken ohne nähere Beaufsichtigung einer verlässlichen Kanzleikraft überlassen darf, ohne die gebotene Sorgfaltspflicht (Überwachungspflicht) zu verletzen (vgl. den zitierten Beschluss vom ).

Aus der zuletzt genannten Judikatur kann aber nicht abgeleitet werden, dass auch die gebotene fristgerechte Postaufgabe insbesondere, wie im vorliegenden Fall, einer eingeschriebenen Postsendung, keiner weiteren Kontrolle durch den Parteienvertreter unterliegt. Die belangte Behörde hat vielmehr zutreffend die Ansicht vertreten, dass auch über die fristgerechte Übergabe von Briefsendungen an die Post wirksame Kontrollmaßnahmen in einer Kanzlei eines Parteienvertreters vorgesehen sein müssen. Wenn das Kontrollsystem in der Kanzlei des Parteienvertreters Vorsorge dafür getroffen hätte, dass das Vorhandensein des Aufgabescheines am Tag nach der vorgesehenen Postaufgabe in der Kanzlei entsprechend kontrolliert worden wäre, dann wäre im vorliegenden Fall dessen Nichtvorhandensein noch am , also noch innerhalb der Frist zur Erhebung der Vorstellung entdeckt worden. Im Antrag wurden diesbezügliche Kontrollmaßnahmen, insbesondere im Hinblick auf eingeschrieben aufzugebende Postsendungen, nicht dargetan.

Damit hat die belangte Behörde im Ergebnis zu Recht die Ansicht vertreten, dass vom Parteienvertreter kein entsprechendes Kontrollsystem aufgezeigt wurde. Das Verschulden der Angestellten ist daher im vorliegenden Fall dem Parteienvertreter zuzurechnen. Das Fehlen eines wirksamen Kontrollsystems stellt aber ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden an der Fristversäumung dar (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/17/0200).

Auf die weitere Problematik der unzutreffenden Adressierung auf Grund eines behaupteten Verrutschens des Schriftstückes im Kuvert war daher nicht mehr einzugehen.

Die belangte Behörde hat daher zutreffend den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Vorstellungsfrist mangels Vorliegens der dafür erforderlichen Voraussetzungen gemäß § 71 Abs. 1 AVG als unbegründet abgewiesen.

Angemerkt wird, dass im vorliegenden Fall auch nicht davon ausgegangen werden konnte, dass der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses gestellt wurde (§ 71 Abs. 2 AVG). Vom Wegfall des Hindernisses, um eine Fristversäumnis zu erkennen, ist dann auszugehen, wenn der Umstand der Fristversäumnis bei gehöriger Aufmerksamkeit erkannt werden konnte und musste (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/02/0018). Das Kontrollsystem eines Parteienvertreters muss auch vorsehen, dass eine Mitarbeiterin, die ein nicht abgesendetes Kuvert auf ihrem Schreibtisch vorfindet, das sie keinem Akt zuordnen kann, dazu jedenfalls eine entsprechende Rücksprache mit dem Parteienvertreter halten muss, bevor sie über eine solche Briefsendung weiter verfügt. Im vorliegenden Fall hätte nun die verfahrensgegenständliche Fristversäumung betreffend die in Frage stehende Vorstellungsfrist bei entsprechender Vorgangsweise dieser Mitarbeiterin des Parteienvertreters jedenfalls bereits am erkannt werden können. Die zweiwöchige Frist zur Einbringung des Wiedereinsetzungsantrages war damit am abgelaufen. Der vorliegende Antrag ist - wie dargelegt - viel später gestellt worden.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Wien, am