VwGH vom 20.05.2015, 2012/10/0188
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl, die Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Dr. Rigler als Richterinnen und Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Beschwerde der A B in Linz, vertreten durch Mag.rer.soc.oec. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom , Zl. VwSen-560170/2/Re/CA, betreffend Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes und Wohnbedarfes (weitere Partei: Oberösterreichische Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Das Land Oberösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.126,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies der belangte Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (UVS) den Antrag der Beschwerdeführerin auf Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes ab.
Begründend führte der UVS aus, dass die Beschwerdeführerin aus einer mit Freiheitsentzug verbundenen vorbeugenden Maßnahme unter den Weisungen, einen Wohnsitz in einer betreuten Wohnungseinrichtung zu nehmen, die bestehende Psychotherapie fortzusetzen sowie monatliche Kontrollen der Medikamenteneinnahme an der forensischen Ambulanz durchzuführen, bedingt entlassen worden sei. Laut dem Entlassungsschreiben des Landesgerichtes Linz vom würden gemäß § 179a StVG die mit der Unterbringung und Betreuung in der Nachsorgeeinrichtung verbundenen Kosten vom Bund getragen. Die Probezeit der bedingten Entlassung sei mit fünf Jahren bestimmt, die gerichtlich festgelegte Betreuungsdauer sei von der "p.m.p. GmbH - Projekt N."
(Anonymisierung durch den Verwaltungsgerichtshof( bis "festgelegt" worden. Die Beschwerdeführerin sei seit Untermieterin einer Wohnung der "p.m.p. GmbH - Projekt N.", vertraglich sei der Mietvertrag an Betreuungsvereinbarungen mit der "p.m.p. GmbH" gebunden. Die Beschwerdeführerin verfüge über keinerlei Einkommen, beziehe aber Pflegegeld der Stufe 2 sowie erhöhte Familienbeihilfe. Die Kosten für die Betreuung der "p.m.p. GmbH" und jene der Leistungen der forensischen Ambulanz würden vom Bund übernommen. Der Mietaufwand müsse von der Beschwerdeführerin selbst bestritten werden.
Gemäß § 7 des Gesetzes über die bedarfsorientierte Mindestsicherung in Oberösterreich (Oö. BMSG) setze die Leistung der bedarfsorientierten Mindestsicherung die Bereitschaft der hilfsbedürftigen Person voraus, in angemessener, ihr möglicher und zumutbarer Weise zur Abwendung, Milderung bzw. Überwindung der sozialen Notlage beizutragen. Ein solcher Beitrag bestehe insbesondere in der Verfolgung von Ansprüchen gegen Dritte.
Gemäß § 179a Abs. 2 Strafvollzugsgesetz (StVG) habe der Bund die Kosten der Behandlung oder des Aufenthaltes ganz oder teilweise zu übernehmen, sofern einem bedingt Entlassenen eine Weisung erteilt worden sei, sich einer Entwöhnungsbehandlung, einer psychotherapeutischen oder einer medizinischen Behandlung zu unterziehen oder in einer sozialtherapeutischen Wohneinrichtung Aufenthalt zu nehmen.
Die Beschwerdeführerin sei ihrer Bemühungspflicht im Sinne des § 7 Oö. BMSG nicht nachgekommen, weil sie insbesondere die gemäß § 179a Abs. 2 StVG auf Grund ihrer bedingten Entlassung gegenüber dem Bund bestehenden Ansprüche - insbesondere hinsichtlich der Mietkosten - nicht verfolgt habe. Auch hätte sie eine "Mitversicherung in der Krankenversicherung der Eltern" beantragen müssen. Der Antrag der Beschwerdeführerin sei daher abzuweisen gewesen.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht wird.
Der belangte UVS legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Vorauszuschicken ist, dass gemäß dem letzten Satz des § 79 Abs. 11 VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 in den mit Ablauf des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren - soweit (wie für den vorliegenden "Altfall") durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist - die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden sind.
Die maßgeblichen Rechtsvorschriften lauten:
Landesgesetz, mit dem das Gesetz über die bedarfsorientierte
Mindestsicherung in Oberösterreich (Oö. Mindestsicherungsgesetz - Oö. BMSG) erlassen wird
"§ 7
Bemühungspflicht
(1) Die Leistung bedarfsorientierter Mindestsicherung setzt die Bereitschaft der hilfebedürftigen Person voraus, in angemessener, ihr möglicher und zumutbarer Weise zur Abwendung, Milderung bzw. Überwindung der sozialen Notlage beizutragen. Eine Bemühung ist jedenfalls dann nicht angemessen, wenn sie offenbar aussichtslos wäre.
(2) Als Beitrag der hilfebedürftigen Person im Sinn des Abs. 1 gelten insbesondere:
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1. | der Einsatz der eigenen Mittel nach Maßgabe der §§ 8 bis 10; |
2. | der Einsatz der Arbeitskraft nach Maßgabe des § 11; |
3. | die Verfolgung von Ansprüchen gegen Dritte, bei deren Erfüllung die Leistung bedarfsorientierter Mindestsicherung nicht oder nicht in diesem Ausmaß erforderlich wäre sowie |
4. | die Umsetzung ihr von einem Träger bedarfsorientierter Mindestsicherung oder einer Behörde nach diesem Landesgesetz aufgetragener Maßnahmen zur Abwendung, Milderung bzw. Überwindung der sozialen Notlage. |
(3) Sofern Ansprüche gemäß Abs. 2 Z 3 nicht ausreichend verfolgt werden, ist - unbeschadet des § 8 Abs. 4 - die unmittelbar erforderliche Bedarfsdeckung sicherzustellen."
Bundesgesetz vom über den Vollzug der Freiheitsstrafen und der mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahmen (Strafvollzugsgesetz - StVG)
"Ärztliche Nachbetreuung
§ 179a. (1) Einem Rechtsbrecher, der bedingt entlassen wird, kann die Weisung, sich weiterhin einer Entwöhnungsbehandlung, einer psychotherapeutischen oder einer medizinischen Behandlung zu unterziehen (§ 51 Abs. 3 StGB) oder in einer sozialtherapeutischen Wohneinrichtung Aufenthalt zu nehmen (§ 51 Abs. 2 StGB), auch mit der Maßgabe erteilt werden, dass die Behandlung oder die sozialtherapeutische Betreuung für den Verurteilten unentgeltlich durch eine Forensische Ambulanz, durch eine sozialtherapeutische Wohneinrichtung, durch einen Psychotherapeuten oder durch einen Arzt durchgeführt wird, die oder der sich zur Durchführung solcher Behandlungen und Betreuungen dem Bundesministerium für Justiz gegenüber verpflichtet hat. Die Durchführung einer solchen Behandlung oder Betreuung schließt erforderlichenfalls unbeschadet des § 3 des Ärztegesetzes 1998, BGBl. Nr. 169 (Anm.: richtig: BGBl. I Nr. 169), ihre Unterstützung durch andere hiefür geeignete Personen ein, die sich hiezu in gleicher Weise verpflichtet haben.
(2) Ist einem bedingt Entlassenen sonst die Weisung erteilt worden, sich einer Entwöhnungsbehandlung, einer psychotherapeutischen oder einer medizinischen Behandlung zu unterziehen oder in einer sozialtherapeutischen Wohneinrichtung Aufenthalt zu nehmen, hat der Verurteilte nicht Anspruch auf entsprechende Leistungen aus einer Krankenversicherung und würde durch die Verpflichtung zur Zahlung der Behandlungskosten sein Fortkommen erschwert, so hat die Kosten der Behandlung oder des Aufenthaltes ganz oder teilweise der Bund zu übernehmen. Der Höhe nach übernimmt der Bund die Kosten jedoch grundsätzlich nur bis zu dem Ausmaß, in dem die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter für die Kosten aufkommen könnte, wenn der Entlassene in der Krankenversicherung öffentlich Bediensteter versichert wäre; einen Behandlungsbeitrag (§ 63 Abs. 4 des Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetzes, BGBl. Nr. 200/1967) hat der Rechtsbrecher nicht zu erbringen. Die Entscheidung über die Übernahme der Kosten steht dem für die Erteilung der Weisung zuständigen Gericht zu und soll nach Möglichkeit zumindest dem Grunde nach bereits bei der Entscheidung über die bedingte Entlassung in geeigneter Form berücksichtigt werden.
(3) Der Bundesminister für Justiz kann mit gemeinnützigen therapeutischen Einrichtungen oder Vereinigungen über die Höhe der nach Abs. 2 vom Bund zu übernehmenden Kosten Verträge nach bürgerlichem Recht abschließen. Die Vereinbarung von verbindlichen Pauschalbeträgen ist zulässig. Der Bundesminister für Justiz kann die Grundsätze der Pauschalierung mit Verordnung festlegen. Dabei ist insbesondere das Betreuungsangebot der gemeinnützigen therapeutischen Einrichtung oder Vereinigung zu berücksichtigen."
Der angefochtene Bescheid ist von der Auffassung getragen, die Beschwerdeführerin sei ihrer Bemühungspflicht gemäß § 7 Oö. BMSG nicht nachgekommen, weil sie ihre aus § 179a Abs. 2 StVG resultierenden Ansprüche gegenüber dem Bund, insbesondere auf Übernahme der Wohnkosten, nicht ausreichend verfolgt habe. Auch hätte sie eine "Mitversicherung in der Krankenversicherung über die Eltern" beantragen müssen, um ihre medizinische Versorgung zu gewährleisten. Dies erscheine ebenfalls angemessen, zumutbar und nicht offenbar aussichtslos.
In der dagegen erhobenen Beschwerde bringt die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, der belangte UVS verkenne, dass die Beschwerdeführerin ihre Ansprüche auf Gewährung finanzieller Unterstützung des Lebensunterhaltes gegenüber der Republik Österreich hinreichend geltend gemacht habe und verwies auf einen Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz vom , mit welchem der eingeklagte Anspruch auf Gewährung finanzieller Unterstützung des Lebensunterhaltes endgültig abgewiesen worden sei. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte der belangte UVS zur Ansicht gelangen müssen, dass die Beschwerdeführerin ihrer Bemühungspflicht gemäß § 7 Oö. BMSG nachgekommen sei und die Voraussetzungen für die Leistung bedarfsorientierter Mindestsicherung vorlägen.
Die Beschwerde ist im Ergebnis im Recht:
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass eine Verpflichtung des Bundes zur Übernahme von Kosten iSd § 179a StVG nur in einem bestimmten, hier normierten Umfang besteht. Sie umfasst nicht auch die darüber hinausgehenden Kosten des Lebensbedarfes eines bedingt Entlassenen (vgl. dazu das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , VfSlg. 17.632, und - diesem folgend - das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/10/0157).
Davon ausgehend bedürfte allerdings die Annahme, die Beschwerdeführerin habe "die aufgrund der bedingten Entlassung gegenüber dem Bund" bestehenden Ansprüche "- insbesondere die Mietkosten -" nicht verfolgt, obwohl dies zumutbar und nicht aussichtslos wäre und solcherart die sie gemäß § 7 Oö. BMSG treffende Bemühungspflicht verletzt, sachverhaltsbezogene Feststellungen, denen nachvollziehbar entnommen werden kann, dass und inwieweit der Beschwerdeführerin gemäß § 179a StVG Ansprüche gegenüber dem Bund zustehen und welche ihr möglichen und zumutbaren Schritte zur Geltendmachung bzw. Erfüllung dieser Ansprüche sie unterlassen hat. Erst auf dem Boden solcher Feststellungen kann beurteilt werden, ob der Beschwerdeführerin ein die Versagung der beantragten Hilfe rechtfertigender Verstoß gegen die Bemühungspflicht gemäß § 7 Oö. BMSG zur Last liegt. Dies gilt sinngemäß auch für die Annahme, die Beschwerdeführerin hätte "eine Mitversicherung in der Krankenversicherung über die Eltern zu beantragen" gehabt.
Indem die belangte Behörde dies verkennend die gebotenen Feststellungen unterlassen hat, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG iVm der (auf "Altfälle" gemäß § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. I Nr. 8/2014, weiter anzuwendenden) VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am