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VwGH vom 19.10.2011, 2008/01/0778

VwGH vom 19.10.2011, 2008/01/0778

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Crnja, über die Beschwerde der Bundesministerin für Inneres in 1014 Wien, Herrengasse 7, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom , Zl. MA 35/IV-S 1202/06, betreffend Staatsbürgerschaft (mitbeteiligte Partei: X in Y), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen. Ein Aufwandersatz findet nicht statt.

Begründung

Der mitbeteiligten Partei wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom gemäß § 11a Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen.

Mit Schreiben vom beantragte die Amtsbeschwerdeführerin bei der belangten Behörde die Wiederaufnahme des Staatsbürgerschaftsverfahrens. Die mitbeteiligte Partei sei im September 2006 in Dänemark aufgrund eines Suchtmitteldeliktes erkennungsdienstlich behandelt worden sei. Dabei sei zweifelsfrei festgestellt worden, dass die mitbeteiligte Partei - unter der Identität B.K. - bereits im Jahr 2000 in Österreich wegen Verstoßes gegen das Suchtmittelgesetz erkennungsdienstlich behandelt worden sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Wiederaufnahmeantrag nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens ab. Begründend führte sie zusammengefasst aus, die mitbeteiligte Partei sei laut Aktenlage seit im Bundesgebiet aufhältig und seit mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet. Über die mitbeteiligte Partei sei unter der Identität "B.K., geboren am " mit Wirksamkeit vom ein bis befristetes Aufenthaltsverbot verhängt worden. Dies habe im Zeitpunkt der Verleihung der Staatsbürgerschaft jedoch keine maßgebliche Unterbrechung des Hauptwohnsitzes bewirkt, weil die Gründe für die Erlassung des Aufenthaltsverbots - nämlich im Wesentlichen die Mittellosigkeit der mitbeteiligten Partei - bereits am (dem Beginn eines durchgehenden Beschäftigungsverhältnisses der mitbeteiligten Partei) weggefallen seien, daher keine Unterbrechung des Hauptwohnsitzes gemäß § 15 Abs. 1 lit. a StbG vorliege und die erwähnten Gründe keine negativen Auswirkungen mehr auf die Verleihung der Staatsbürgerschaft im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes gehabt hätten.

Weiters sei die mitbeteiligte Partei - ebenso unter der Identität B.K. - durch ein am in Rechtskraft erwachsenes Urteil des Jugendgerichtshofes Wien wegen Verstoßes gegen das Suchtmittelgesetz zu einer (bedingten) Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden; zu Grunde liegende Tathandlung sei gewesen, dass die mitbeteiligte Partei einer anderen Person eine Kugel Kokain mit ca. 0,5 g verkauft habe. Diese Verurteilung sei nach der Aktenlage fünf Jahre nach Eintritt der Rechtskraft - und sohin im Zeitpunkt der Verleihung der Staatsbürgerschaft - bereits getilgt gewesen, weshalb sie kein Einbürgerungshindernis gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 StbG darstellen habe können. Es habe auch kein Hinweis auf das Vorliegen eines Verleihungshindernisses nach Maßgabe des § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG bestanden.

Nach der Aktenlage sei die von der belangten Behörde der Verleihung der Staatsbürgerschaft zu Grunde gelegte Identität der mitbeteiligten Partei die richtige und seien die von der mitbeteiligten Partei sonst gebrauchten Alias-Identitäten falsch.

Am sei die mitbeteiligte Partei wegen eines Suchtmitteldeliktes in Dänemark festgenommen und in weiterer Folge am zu einer Freiheitsstrafe von 60 Tagen verurteilt worden. Diese Umstände seien demnach nach der Staatsbürgerschaftsverleihung eingetreten und könnten daher schon aus diesem Grund keinen Wiederaufnahmegrund darstellen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich vorliegende Amtsbeschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid aufzuheben und die Kosten des Beschwerdeverfahrens zuzuerkennen. Die belangte Behörde habe im Staatsbürgerschaftsverfahren die Alias-Identitäten der mitbeteiligten Partei, dessen Aufenthaltsverbot sowie die Freiheitsstrafe von sechs Monaten nicht beachtet; nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes seien zur Beurteilung der Zuverlässigkeit eines Einbürgerungswerbers auch getilgte Vorstrafen zu berücksichtigen. Nach Maßgabe der "vorliegenden Unterlagen" wäre - insbesondere im Hinblick auf § 10 Abs. 1 Z. 2 und Z. 6 StbG - ein anderes Ergebnis des Staatsbürgerschaftsverfahrens denkbar gewesen.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Amtsbeschwerde als unbegründet abzuweisen und die gesetzlichen Kosten zuzusprechen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 10 StbG in der im Hinblick auf den wiederaufzunehmenden Bescheid maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 124/1998 (StbG aF) lautet auszugsweise:

"Verleihung

§ 10. (1) Die Staatsbürgerschaft kann einem Fremden verliehen werden, wenn

2. er nicht durch ein inländisches oder ausländisches Gericht wegen einer oder mehrerer Vorsatztaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten verurteilt worden ist, …

6. er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet;

(2) Eine gemäß Abs. 1 Z 2 oder 3 maßgebliche Verurteilung liegt nicht vor, wenn sie in Strafregisterauskünfte an die Behörde nicht aufgenommen werden darf. Eine gemäß Abs. 1 Z 2 oder 3 maßgebliche Verurteilung liegt vor, wenn sie wegen einer Jugendstraftat erfolgt.

…"

§ 15 StbG aF lautet auszugsweise:

"§ 15. (1) Der Lauf der Wohnsitzfristen nach § 10 Abs. 1 Z 1 und Abs. 4, § 11a Z 4 lit. a … wird unterbrochen durch

a) ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot;

(2) Eine Unterbrechung des Fristenlaufes gemäß Abs. 1 lit. a ist nicht zu beachten, wenn das Aufenthaltsverbot deshalb aufgehoben wurde, weil sich seine Erlassung in der Folge als unbegründet erwiesen hat."

Gemäß § 35 StbG in der gegenständlich maßgeblichen Fassung der Staatsbürgerschaftsrechts-Novelle 2005, BGBl. I Nr. 37/2006, hat die Entziehung der Staatsbürgerschaft (§§ 33 und 34) oder die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG von Amts wegen oder auf Antrag des Bundesministers für Inneres zu erfolgen. Der Bundesminister für Inneres hat in dem auf seinen Antrag einzuleitenden Verfahren Parteistellung.

Gemäß § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes liegt das "Erschleichen" eines Bescheides vor, wenn dieser in der Art zustande gekommen ist, dass bei der Behörde von der Partei objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht gemacht wurden und diese Angaben dann dem Bescheid zu Grunde gelegt worden sind, wobei die Verschweigung wesentlicher Umstände dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen ist. Dabei muss die Behörde auf die Angaben der Partei angewiesen sein und eine solche Lage bestehen, dass ihr nicht zugemutet werden kann, von Amts wegen noch weitere, der Feststellung der Richtigkeit der Angaben dienliche Erhebungen zu pflegen. Wenn es die Behörde verabsäumt, von den ihr im Rahmen der Sachverhaltsermittlung ohne besondere Schwierigkeiten offen stehenden Möglichkeiten Gebrauch zu machen, schließt dieser Mangel es aus, auch objektiv unrichtige Parteiangaben als ein Erschleichen des Bescheides im Sinn des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG zu werten. Zusammengefasst müssen daher drei Voraussetzungen vorliegen:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
-
objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung,
-
ein Kausalitätszusammenhang zwischen der unrichtigen Angabe der Partei und dem Entscheidungswillen der Behörde und
-
Irreführungsabsicht der Partei, nämlich eine Behauptung wider besseres Wissen in der Absicht, daraus einen Vorteil zu erlangen (vgl. zu all dem zuletzt das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/01/0777, mwN).
Nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten gab die mitbeteiligte Partei - unter ihrer richtigen Identität L.S. - vor Verleihung der Staatsbürgerschaft am niederschriftlich gegenüber der belangten Behörde u.a. an:
" … Ich bin nicht gerichtlich verurteilt. … Gegen mich besteht kein Aufenthaltsverbot und ist auch kein Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung (Ausweisung, Aufenthaltsverbot) anhängig …"
1.
Soweit sich das Beschwerdevorbringen erkennbar auf die Annahme stützt, der Wiederaufnahmegrund der Erschleichung sei dadurch erfüllt, dass die mitbeteiligte Partei vor der belangten Behörde die im Verleihungszeitpunkt - unstrittig - getilgte, rechtskräftige Verurteilung vom bzw. ihre früheren Alias-Identitäten nicht angegeben habe, ist dem Folgendes entgegenzuhalten:

1.1. In Bezug auf die Bestimmung des § 10 Abs. 1 Z. 2 StbG aF liegt - worauf die belangte Behörde im Ergebnis zu Recht hinweist -

ein Wiederaufnahmegrund schon deshalb nicht vor, weil die erwähnte Verurteilung der mitbeteiligten Partei infolge Tilgung gemäß Abs. 2 leg. cit. kein Verleihungshindernis darstellte.

1.2. Im Hinblick auf § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG ist der Amtsbeschwerdeführerin zwar zuzugestehen, dass grundsätzlich auch getilgte Vorstrafen zur Beurteilung der Zuverlässigkeit eines Einbürgerungswerbers nach dieser Bestimmung berücksichtigt werden dürfen (vgl. dazu die bei Fessler/Keller/Pommerening-Schober/Szymanski , Staatsbürgerschaftsrecht, 6. Aufl. (2006) S. 79, angeführte hg. Judikatur); sie übersieht jedoch, dass nach der im Beschwerdefall maßgeblichen Rechtslage nach dem Tilgungsgesetz eine Verpflichtung der mitbeteiligten Partei, die Verurteilung vom Mai 2000 gegenüber der belangten Behörde anzugeben, nicht bestand und demzufolge ihre Aussage vom , "nicht gerichtlich verurteilt" zu sein, irrelevant ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/01/0967, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird).

1.3. Das Verschweigen von früher verwendeten Alias-Identitäten eines Verleihungswerbers kann im Hinblick auf die nach § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG vorzunehmende Beurteilung seines Gesamtverhaltens (vgl. zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/01/0028, mwN) grundsätzlich von Bedeutung sein. Fallbezogen - nämlich angesichts des Umstandes, dass die von der mitbeteiligten Partei unter der Alias-Identität B.K. erfolgte Verurteilung im Verleihungszeitpunkt bereits getilgt war und ab dem Jahr 2000 (bis zur Verleihung der Staatsbürgerschaft) die Verwendung von Alias-Identitäten durch die mitbeteiligte Partei nicht mehr aktenkundig ist - legt die Amtsbeschwerde jedoch nicht dar, worin diesbezüglich ein Verschweigen wesentlicher Umstände mit Irreführungsabsicht erblickt werden kann.

2. Durch den (bloßen) Hinweis auf das über die mitbeteiligte Partei im Jahr 1999 verhängte Aufenthaltsverbot vermag die Amtsbeschwerde das Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes schon insofern nicht darzutun, als den Erwägungen im angefochtenen Bescheid, wonach die Gründe für die Erlassung dieses Aufenthaltsverbots bereits vor Fristablauf weggefallen seien, daher keine Unterbrechung des (Haupt)Wohnsitzes anzunehmen sei und diese Gründe keine negativen Auswirkungen auf die Verleihung der Staatsbürgerschaft gehabt hätten (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 98/01/0011 und , Zl. 2001/01/0352, jeweils mit Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom ,

B 434/94 = VfSlg. 14.393) - nicht entgegen getreten wird.

3. Die Verurteilung der mitbeteiligten Partei zu einer Freiheitsstrafe in Dänemark (im November 2006) bzw. die dieser Verurteilung zu Grunde liegende Straftat (vom September 2006) lagen nach dem Zeitpunkt der Verleihung der Staatsbürgerschaft und konnten - wie die belangte Behörde zutreffend ausführt - deshalb keinen Wiederaufnahmetatbestand erfüllen.

4. Die Amtsbeschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

5. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die Bestimmung des § 47 Abs. 4 VwGG, wonach im Falle einer Amtsbeschwerde nach Art. 131 Abs. 1 Z. 2 B-VG kein Aufwandersatz stattfindet.

Wien, am