VwGH vom 14.09.2020, Ra 2017/06/0234
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie Senatspräsidentin Dr. Bayjones und Hofrätin Mag. Rehak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schreiber BA, über die Revision des Mag. (FH) R N in Z, vertreten durch Dr. Nikola Tröthan, Rechtsanwältin in 6020 Innsbruck, Maria-Theresien-Straße 29/4. OG, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom , LVwG-2016/40/2523-9, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Marktgemeinde Völs; mitbeteiligte Parteien: 1. B B, 2. DI Dr. G B und 3. DI Dr. H B, alle in V und vertreten durch Dr. Mag. Michael E. Sallinger, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Sillgasse 21/III; weitere Partei: Tiroler Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Marktgemeinde V hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von insgesamt € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol (LVwG) wurde die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde V. vom , mit dem den mitbeteiligten Parteien (Bauwerbern) die Baubewilligung für den Neubau eines Mehrfamilienwohnhauses mit drei Wohneinheiten und einer Tiefgarage auf einer näher bezeichneten Liegenschaft unter Vorschreibung von Auflagen und Bedingungen erteilt und die Einwendungen des Revisionswerbers teilweise abgewiesen, teilweise zurückgewiesen bzw. auf den Zivilrechtsweg verwiesen worden waren, als unbegründet abgewiesen. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass gegen dieses Erkenntnis eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
2Das LVwG legte seiner Entscheidung - soweit für das vorliegende Verfahren von Bedeutung - zu Grunde, dass der Revisionswerber als Eigentümer eines unmittelbar an das Baugrundstück angrenzenden Grundstückes berechtigt sei, die Nichteinhaltung der in § 26 Abs. 3 lit. a bis f Tiroler Bauordnung 2011 - TBO 2011 genannten bau- und raumordnungsrechtlichen Vorschriften geltend zu machen, soweit diese auch seinem Schutz dienten. Der Revisionswerber habe im Beschwerdeverfahren vor dem LVwG seine Parteistellung im Hinblick auf die Einhaltung der Festlegungen des Bebauungsplanes hinsichtlich der Bauhöhe und der Abstandsbestimmungen aufrechterhalten. Ausschließlich in diesem Umfang sei die Beschwerde inhaltlich zu überprüfen gewesen. Die von der Baubehörde bzw. vom LVwG beigezogenen hochbautechnischen Sachverständigen seien zum Schluss gekommen, dass kein Widerspruch zum bestehenden Bebauungsplan erkennbar sei. Die geplanten Wandhöhen entsprächen dem in Geltung stehenden Bebauungsplan. Im fraglichen Bereich sei eine eigene Festlegung (ohne Festlegung der Anzahl der Geschoße) erfolgt, somit seien sogar größere Gebäudehöhen bzw. eine größere Anzahl von oberirdischen Geschoßen zulässig. In jenen Bereichen, in denen die begehbaren Dächer geplant seien, sei die Festlegung von oberirdischen Geschoßen mit maximal zwei getroffen worden, während in jenem Bereich, in dem die „Ateliers“ geplant seien, keine Anzahl von oberirdischen Geschoßen festgelegt sei. Weiters sei festzuhalten, dass mit der geplanten Errichtung einer Dachterrasse noch keine raumbildenden Maßnahmen verbunden seien (eine Überdachung bzw. allseitige Umschließung sei nicht geplant, sodass diesbezüglich auch nicht von einem Geschoß ausgegangen werden könne). Die Vorgaben des Bebauungsplanes seien somit eingehalten.
3Festzuhalten sei, dass die gesetzlichen Abstandsbestimmungen nach § 6 Abs. 1 TBO 2011 nur subsidiär gälten, vorrangig seien die Bestimmungen im Bebauungsplan. Da der gegenständliche Bebauungsplan keine Höhenlage festlege, sei betreffend den Verlauf des derzeitigen Geländes auf die näher bezeichnete Vermessungsurkunde vom zu verweisen, welche einen Bestandteil der Einreichunterlagen und des genehmigten Projektes bilde. Ausgehend von den als vollständig zu beurteilenden Projektunterlagen sei nicht erkennbar, in welchem Bereich konkret eine Verletzung von Abstandsbestimmungen vorliegen sollte bzw. sei eine solche nach den Ausführungen beider hochbautechnischer Sachverständigen auszuschließen. Die Einwendungen des Revisionswerbers gingen daher ins Leere.
4Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom , E 891/2017-19, die Behandlung der dagegen vom Revisionswerber erhobenen Beschwerde ab und trat diese gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. In der Begründung führte der Verfassungsgerichtshof aus, dass gegen den auf Grundlage einer ausreichenden Grundlagenforschung und im Einklang mit den Vorgaben des fortgeschriebenen Örtlichen Raumordnungskonzeptes und des Flächenwidmungsplanes der Marktgemeinde V. erlassenen näher bezeichneten Bebauungsplan keine Bedenken bestünden.
5In der Zulässigkeitsbegründung der daraufhin erhobenen vorliegenden außerordentlichen Revision macht der Revisionswerber im Zusammenhang mit der geltend gemachten Nichteinhaltung der Festlegungen des Bebauungsplanes hinsichtlich der Bauhöhe geltend, das LVwG habe die Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nicht gelöst, ob ein Dachaufbau ein oberirdisches Geschoß darstelle und damit die diesbezüglichen Vorgaben des Bebauungsplanes auch tatsächlich eingehalten worden seien. Das LVwG sei zudem von näher angeführter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Qualifikation von Tiefgaragen als „oberirdisch“ abgewichen. Nach der vorliegenden Einreichplanung liege die Südfront der Tiefgarage zur Gänze über dem dortigen Gelände des Bauplatzes, dies auch im entscheidenden Abstandsbereich von 4 m zum Grundstück des Revisionswebers.
6Die mitbeteiligten Parteien erstatteten eine Revisionsbeantwortung und beantragten die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
7Die Revision ist im Hinblick darauf, dass die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses im Zusammenhang mit der Verneinung einer Abstandsverletzung durch die oberirdisch ausgeführte Tiefgarage nicht nachvollziehbar ist, zulässig.
8Das LVwG ging bei seiner Entscheidung davon aus, dass in Bezug auf die Einhaltung der Abstandsbestimmungen „vorrangig“ die Bestimmungen des Bebauungsplanes seien. Ausgehend von den Projektunterlagen und nach den Darlegungen des hochbautechnischen Amtssachverständigen sei nicht erkennbar, in welchem Bereich eine Verletzung von Abstandsbestimmungen vorliegen sollte bzw. sei eine solche auszuschließen.
9Dem hält die Revision entgegen, dass mit der geplanten Ausführung der Tiefgarage, zumindest im südlich gelegenen Einfahrtsbereich, eine entsprechende Wahrnehmbarkeit des Garagenbaus einhergehe. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Qualifizierung von Bauteilen als „oberirdisch“ bzw. „unterirdisch“ (Hinweis auf , und , 2003/05/0124) sei die vorliegende Tiefgarage eine oberirdische bauliche Anlage. Für die Beurteilung der Einhaltung der Abstandsbestimmungen sei die Höhe des Bauwerks im Bereich der gesamten Abstandsfläche (bezogen auf das dortige Niveau) entscheidend. Die Südfront der Tiefgarage liege zur Gänze über dem dortigen Gelände des Bauplatzes und überrage „wesentlich“ die Mindestabstandsfläche zur Parzelle des Revisionswerbers.
10Der Revisionswerber hat nicht nur in seinen Einwendungen im Bauverfahren, sondern auch nach seiner im angefochtenen Erkenntnis wiedergegebenen Stellungnahme in der mündlichen Verhandlung vor dem LVwG die oberirdische Ausführung der Tiefgarage und den Umstand, dass diese das Ursprungsgelände wesentlich überrage, thematisiert. Das LVwG hat sich zwar mit den Wandhöhen in jenem Bereich auseinandergesetzt, in dem begehbare Dächer, „Ateliers“ und Dachterrassen geplant sind, und ausgeführt, dass die geplanten, differenziert zu betrachtenden Bauhöhen im Einklang mit den Festlegungen des Bebauungsplanes stehen. Das angefochtene Erkenntnis enthält jedoch keine Feststellungen und rechtliche Erwägungen zur Tiefgarage, sodass eine abschließende Beurteilung, ob durch die projektierte Ausführung der Tiefgarage (insbesondere im südlich gelegenen Einfahrtsbereich) die Abstandsbestimmungen eingehalten werden, nicht möglich ist. Welche Bestimmungen des Bebauungsplanes „vorrangig“ gegenüber den gesetzlichen Abstandsbestimmungen seien, lässt das angefochtene Erkenntnis nicht erkennen und sind solche für den Verwaltungsgerichtshof nach dem Bebauungsplan, soweit dieser aus dem Akt ersichtlich ist, auch nicht zu ersehen.
11Das angefochtene Erkenntnis war daher bereits aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
12Die Kostenentscheidung beruht auf den § 47 ff VwGG, in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2020:RA2017060234.L00 |
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