VwGH vom 27.02.2013, 2010/05/0216
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Waldstätten sowie Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Kalanj, über die Beschwerde der R C in St. Pölten, vertreten durch die Thum Weinreich Schwarz Fuchsbauer Rechtsanwälte OG in 3100 St. Pölten, Josefstraße 13, gegen den Bescheid des Stadtsenats der Stadt St. Pölten vom , Zl. 00/03//4/82-2010/Mag.Rie./MS, betreffend einen Bauauftrag (weitere Partei: Niederösterreichische Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat der Stadt St. Pölten Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin des verfahrensgegenständlichen Grundstücks in St. Pölten sowie des darauf erbauten Gebäudes samt dem gegenständlichen "Holzzubau".
Bei einem Ortsaugenschein eines Organwalters der Baupolizei des Magistrates der Stadt St. Pölten am wurde auf dem Grundstück des Beschwerdeführerin ein konsenslos errichteter Holzzubau zu ihrem Gebäude festgestellt, der bis zur nördlichen (seitlichen) Grundgrenze reichte. Der Verbau weise an der nachbarlichen Grundgrenze ein Fenster auf. Er sei ebenerdig ausgeführt und weise an der höchsten Stelle eine Höhe von 2,50 m auf. Die konstruktive Ausführung bestehe aus Holzstehern mit dazwischen angebrachter Holzverschalung (Nut- und Feder-Bretter). Die Eindeckung bestehe aus verzinktem Blech, welches auf einer Holzschalung aufgebracht sei. Der geschaffene Raum werde als Lagerraum für diverse Baugeräte (Handgeräte) verwendet. Eine elektrische Versorgung und sanitäre Installationen seien nicht vorhanden.
Am brachte die Beschwerdeführerin ein Baugesuch zur Bewilligung (nicht des bestehenden Zubaues, sondern) eines (neuen, anderen) Zubaues in Massivbauweise ein. Das Gesuch wurde mit Bescheid des Magistrates der Stadt St. Pölten, Baupolizei, vom abgewiesen, weil aufgrund der im Bebauungsplan festgelegten gekuppelten Bauweise der nördliche Bauwich (um den es hier gehe) von jeglicher Bebauung frei zu halten sei. Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Berufung, die mit Bescheid der auch nun belangten Behörde vom als unbegründet abgewiesen wurde; die Berufungsbehörde schloss sich hinsichtlich der Frage der Unzulässigkeit des Vorhabens der Beurteilung der Behörde erster Instanz an.
Mit Bescheid des Magistrats vom wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 35 Abs. 2 der Niederösterreichischen Bauordnung 1996 (kurz: BO) aufgetragen, den konsenslos errichteten Zubau in Holzbauweise, welcher sich zwischen dem Wohnhaus und der nördlichen Grundstücksgrenze befindet, bis spätestens abzubrechen.
Begründend hielt die erstinstanzliche Behörde fest, dass mit Bescheid vom das Ansuchen um nachträgliche Baubewilligung für den konsenslos errichteten Holzzubau rechtskräftig abgewiesen worden sei. Zu der nach § 35 Abs. 2 BO maßgeblichen Unzulässigkeit des Bauwerkes führte sie aus, dass gemäß dem Regulierungsplan des Gemeinderates der Landeshauptstadt St. Pölten vom , der gemäß § 77 Abs. 3 BO weiterhin als vereinfachter Bebauungsplan gelte, für das Baugrundstück eine offene bzw. gekuppelte Bauweise verordnet sei. Da das bestehende Haus auf dem Baugrundstück südlich bereits an der gemeinsamen Grundgrenze an das Haus auf dem (südlichen) Nachbargrundstück angebaut sei, sei gemäß der verordneten Bebauungsweise und § 70 Abs. 1 Z 2 und 4 BO der Bauwich auf der nördlichen Seite einzuhalten, weshalb der konsenslos errichtete, in diesem Bauwich situierte Zubau der verordneten Bebauungsweise widerspreche.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG den erstinstanzlichen Bescheid in der Weise abgeändert, als der letzte Satz wie folgt zu lauten habe:
"Die Abbrucharbeiten sind bis spätestens 2 Monate nach Rechtskraft dieser Entscheidung abzuschließen und ist dies der Baubehörde schriftlich mitzuteilen".
Darüber hinaus hat sie die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unbegründet abgewiesen.
In ihrer Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass bereits mit rechtskräftiger Versagung der Baugenehmigung für das konsenslos errichtete und hier abzubrechende Bauwerk die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung eines Abbruchauftrages gemäß § 35 Abs. 2 Z 3 BO erfüllt seien. Weiters ergebe sich die verordnete Bebauungsweise eindeutig aus dem Regulierungsplan aus dem Jahr 1936, wonach eine offene bzw. gekuppelte Bebauungsweise für das Baugrundstück verordnet worden sei. Mit dieser Verbauungsweise sei dem Grundstückseigentümer grundsätzlich die Wahlmöglichkeit eingeräumt worden, das Grundstück offen oder gekuppelt zu bebauen. Diese Wahlmöglichkeit werde in dem Moment konsumiert, in dem man eine der beiden Bauweisen verwirklicht habe. Definitionsgemäß schließe die gekuppelte Bebauungsweise die offene aus, weil ein beidseitiger Bauwich nicht mehr möglich sei. Im gegenständlichen Fall sei die gekuppelte Bauweise gewählt worden, weshalb gemäß § 70 Abs. 1 Z 2 Niederösterreichische Bauordnung 1996 auf der anderen als der gemeinsamen seitlichen Grundstücksgrenze ein Bauwich einzuhalten sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtwidrigkeit des Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in welcher die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die Beschwerdeführerin bringt vor, es sei von der Behörde nicht dargelegt worden, ob auf dem gegenständlichen Grundstück eine offene oder eine gekuppelte Bebauungsweise verordnet sei. Der Hinweis, dass sich die Beschwerdeführerin durch die tatsächliche Bebauung automatisch für eine Bauweise entschieden habe, rechtfertige nicht die Ansicht, dass dadurch automatisch eine der beiden Bebauungsweisen gegeben sei. Was die Anwendung des § 54 BO betreffe, so sei darauf zu verweisen, dass sich im Bereich des verfahrensgegenständlichen Grundstücks in der Natur verschiedene Bebauungsformen fänden. In unmittelbarer Nähe befänden sich Liegenschaftsbebauungen, die der gegenständlichen (tatsächlichen) Bebauung entsprächen, weshalb hier eine ungleiche Behandlung stattfinde, die jeglicher Anwendung eines Gleichheitsgrundsatzes widerspreche. Weiters sei die Behörde bereits bei Erstellung des Baubewilligungsbescheids von vollkommen falschen Tatsachen ausgegangen und es werde die Anwendbarkeit des § 77 BO bestritten.
Auf Grund der zeitlichen Lagerung des Verwaltungsverfahrens sind insbesondere folgende Bestimmungen der Niederösterreichischen Bauordnung 1996 in der Fassung vor der Novelle LGBl. Nr. 8200-17 (im Folgenden: BO) maßgeblich (zT auszugsweise zitiert):
"§ 35
Sicherungsmaßnahmen und Abbruchauftrag
(1) …
(2) Die Baubehörde hat den Abbruch eines Bauwerks anzuordnen, wenn
Tabelle in neuem Fenster öffnen
1. | … |
3. | für das Bauwerk keine Baubewilligung (§ 23) oder Anzeige (§ 15) vorliegt und |
( das Bauwerk unzulässig ist (§ 15 Abs. 3 und § 23 Abs. 1) oder ( der Eigentümer den für die fehlende Bewilligung | |
erforderlichen Antrag oder die Anzeige nicht innerhalb der von der Baubehörde bestimmten Frist ab der Zustellung der Aufforderung hiezu eingebracht hat. | |
(…)" | |
Nach § 23 Abs. 1 iVm § 20 Abs. 1 Z. 3 BO ist ein Baugesuch | |
dann abzuweisen, wenn das Vorhaben im Widerspruch zum Bebauungsplan steht. | |
"§ 51 | |
Bauwerke im Bauwich |
(1) …
(3) Bei der gekuppelten und der einseitig offenen Bebauungsweise muss der seitliche Bauwich, bei der offenen Bebauungsweise und der freien Anordnung von Gebäuden ein seitlicher Bauwich von Nebengebäuden freigehalten werden.
…
§ 54
Bauwerke im ungeregelten Baulandbereich
Ein Neu- oder Zubau eines Bauwerkes ist unzulässig , wenn für ein als Bauland gewidmetes Grundstück kein Bebauungsplan gilt oder dieser keine Festlegung der Bebauungsweise oder -höhe enthält und das neue oder abgeänderte Bauwerk (…)
( in seiner Anordnung (…) von den an allgemein zugänglichen Orten zugleich mit ihm sichtbaren Bauwerken auffallend abweicht oder
( den Lichteinfall unter 45 Grad auf Hauptfenster zulässiger Gebäude auf den Nachbargrundstücken beeinträchtigen würde.
…
§ 70
Regelung der Bebauung
(1) Die Bebauungsweise regelt die Anordnung der Gebäude auf dem Grundstück. Sie kann unter anderem auf eine der folgenden Arten festgelegt werden:
1. geschlossene Bebauungsweise
die Gebäude sind von seitlicher zu seitlicher Grundstücksgrenze (…) zu bauen. …
2. gekuppelte Bebauungsweise
die Gebäude auf zwei Bauplätzen sind an der gemeinsamen seitlichen Grundstücksgrenze aneinander anzubauen und an den anderen seitlichen Grundstücksgrenzen ist ein Bauwich einzuhalten; …
…
4. offene Bebauungsweise
an beiden Seiten ist ein Bauwich einzuhalten; …
…
Die Bebauungsweise darf wahlweise als offene oder gekuppelte festgelegt werden. Der Bauwerber darf ein Wahlrecht zwischen offener und gekuppelter Bebauungsweise nur unter Bedachtnahme auf die bereits bestehenden und bewilligten Gebäude ausüben, sofern das Wahlrecht nicht schon durch frühere Bauvorhaben verbraucht ist.
…
§ 77
Übergangsbestimmungen
(1) …
(3) Ein nach § 5 der Bauordnung für NÖ, LGBl. Nr. 36/1883, erlassener Regulierungsplan gilt hinsichtlich der Regelung der Bebauung bis zum Inkrafttreten eines Bebauungsplans nach den §§ 68 bis 72 dieses Gesetzes als vereinfachter Bebauungsplan, unbeschadet seiner allfälligen Geltung als vereinfachter Flächenwidmungsplan nach § 30 Abs. 4 des NÖ Raumordnungsgesetzes 1976, LGBl. 8000. …"
Unstrittig ist, dass für den gegenständlichen (ebenfalls unbestritten konsensbedürftigen) Zubau kein Baukonsens besteht.
Vor Erlassung eines Abbruchauftrages ist zu prüfen, ob eine entsprechende Baubewilligung erteilt werden könnte. Dabei ist die Frage der Bewilligungsfähigkeit ausschließlich nach der Rechtslage im Zeitpunkt der Erlassung des Bauauftrages zu prüfen (siehe die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2009/05/0279, und vom , Zl. 2010/05/0182).
Entgegen der Auffassung der belangten Behörde ist aus dem Umstand, dass das Baugesuch der Beschwerdeführerin vom rechtskräftig abgewiesen wurde, für den Beschwerdefall unmittelbar nichts zu gewinnen, weil das Baugesuch vom nicht auf nachträgliche Bewilligung des nun verfahrensgegenständlichen Zubaues, sondern auf Bewilligung eines (neuen, wenngleich ähnlichen) anderen Zubaues (eines aliud) gerichtet war. Die Rechtskraft des abweislichen Bescheides entfaltet daher schon deshalb keine Bindungswirkung für die Frage, ob der hier gegenständliche, andere Zubau "unzulässig" im Sinne des § 35 Abs. 2 Z. 3 erster Fall BO ist.
Die belangte Behörde hat sich auf den Regulierungsplan aus dem Jahr 1936 gestützt. Dieser wurde auf Grundlage des § 5 der Bauordnung für Niederösterreich vom 17. Jänner 1883, LGBl. Nr. 36, am vom Gemeindetag (damalige Bezeichnung des Gemeinderates) beschlossen und am kundgemacht.
Es handelt sich daher um einen im Sinne des § 77 Abs. 3 BO hinsichtlich der Regelung der Bebauung weiterhin verbindlichen Regulierungsplan. Weshalb dies nicht zutreffen sollte, wird von der Beschwerdeführerin nicht näher begründet.
Der Regulierungsplan legt für den gegenständlichen Bereich nicht die "geschlossene Bebauung" fest, sondern vielmehr die "offene Bebauung", mit der Möglichkeit, unter bestimmten Umständen zu kuppeln. Das damalige Verständnis, was unter diesen Bebauungsweisen zu verstehen war, entspricht auch den heutigen Definitionen in § 70 BO (vgl. beispielsweise die Hinweise in Kurz-Hohenlehnsdorff, Die Bauordnung für Niederösterreich3, S 261 ff, sowie die hg. Erkenntnisse vom 22. Feber 1965, Zl. 1341/64, VwSlg 6601/A, und vom , Zl. 884/64, VwSlg 6420/A).
Da der Regulierungsplan die Bebauungsweise festlegt, ist § 54 BO jedenfalls insoweit nicht anwendbar. Ob die Bebauung in unmittelbarer Nähe des betreffenden Grundstücks der gegenständlichen (tatsächlichen) Bebauung entspricht, ist für das gegenständliche Beschwerdeverfahren daher nicht von Relevanz.
Da das bestehende Gebäude der Beschwerdeführerin an die südliche Grenze angebaut ist (von der Straße aus gesehen an die linke seitliche Grundgrenze) und das gegenständliche Bauwerk an die nördliche, wurde die Situierung des Bauwerkes zutreffend als Verletzung des einzuhaltenden seitlichen Bauwichs an der nicht bebauten seitlichen Grundstücksgrenze aufgefasst, weshalb dieses Bauwerk als unzulässig iSd § 35 Abs. 2 Z 3 BO zu beurteilen war und eine Rechtswidrigkeit des erteilten Abbruchauftrages nicht erkannt werden kann.
Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
MAAAE-72850