VwGH vom 18.11.2010, 2008/01/0648
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Jäger, über die Beschwerde des QZ in W, geboren 1987, vertreten durch Dr. Lennart Binder, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 260.926/0/2E-XI/34/05, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Volksrepublik China, reiste seinen Angaben zufolge am in das Bundesgebiet ein und stellte am einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Als Geburtsdatum gab er den an.
Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt wurde dem Beschwerdeführer vorgehalten, "bei Kontakt mit den Behörden" das Geburtsjahr 1981 angegeben zu haben. Der Beschwerdeführer gab dazu an, dass es im Jänner 2003 bei der Polizei zu einem Missverständnis gekommen und das Geburtsjahr 1981 einer anderen Person auf ihn übertragen worden sei. Der zur Einvernahme zugezogene Dolmetscher führte aus, dass er den Beschwerdeführer "mit absoluter Sicherheit" als volljährig einschätze. Der beigezogene Rechtsberater stimmte dieser Auffassung zu und lehnte die (weitere) Vertretung des Beschwerdeführers als gesetzlicher Vertreter ab.
Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, im März/April 2000 China mit seinen Eltern verlassen zu haben. Er glaube, dass sein Vater China verlassen habe, da dieser mit irgendjemandem eine Auseinandersetzung gehabt bzw. sich die Feindschaft naher Angehöriger von Regierungsbeamten oder Polizeifunktionären zugezogen habe. Er selbst habe in China keine Probleme.
Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 (AsylG) ab, stellte gemäß § 8 Abs. 1 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die VR China zulässig sei, und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG "aus dem österreichischen Bundesgebiet" aus.
Im Kopf dieses Bescheides wurde als Geburtsdatum des Beschwerdeführers der "" angeführt. Demgegenüber stellte das Bundesasylamt in der Begründung fest, dass der Beschwerdeführer jedenfalls volljährig sei. Beweiswürdigend wurde dazu ausgeführt, dass alleine auf Grund des äußeren Erscheinungsbildes davon auszugehen gewesen sei, dass der Beschwerdeführer nicht - wie behauptet - 1987 geboren sei. Bestätigt werde dies sowohl durch den Dolmetscher, der als Sachverständiger für China tätig sei, als auch durch den Rechtsberater, der aus Eigenem die Vertretung zurückgelegt habe. Ferner habe der Beschwerdeführer im Zuge einer Amtshandlung der Bundespolizeidirektion Wien angegeben, 1981 geboren worden zu sein.
In der Sache führte das Bundesasylamt aus, dass die Angaben des Beschwerdeführers zur Bedrohungssituation "wahrheitswidrig" seien und der Beschwerdeführer lediglich ein "Konstrukt" präsentiert habe.
Dieser Bescheid des Bundesasylamtes wurde sowohl dem Beschwerdeführer persönlich als auch dem Magistrat der Stadt Wien (als gesetzlichem Vertreter des Beschwerdeführers) zugestellt. Dagegen erhoben sowohl der Beschwerdeführer als auch der Magistrat der Stadt Wien jeweils fristgerecht Berufung.
Mit dem angefochtenen Bescheid, in dessen Kopf das Geburtsdatum des Beschwerdeführers mit "" angeführt wurde, wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 7 AsylG ab, stellte gemäß § 8 Abs. 1 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die VR China zulässig sei und wies ihn gemäß § 8 Abs. 2 AsylG "aus dem österreichischen Bundesgebiet in die VR China" aus.
Begründend schloss sich die belangte Behörde nach zusammengefasster Darstellung des Fluchtvorbringens und des Verfahrensganges den Feststellungen und der Beweiswürdigung im erstinstanzlichen Bescheid an und erhob diese zum Bescheidinhalt. Zur Frage des Alters des Beschwerdeführers führte die belangte Behörde lediglich aus, dass - wie vom Bundesasylamt angenommen - von dessen Volljährigkeit während des erstinstanzlichen Verfahrens auszugehen sei; letztlich könne dies jedoch "dahingestellt bleiben", weil der erstinstanzliche Bescheid sowohl dem Beschwerdeführer als auch der gesetzlichen Vertretung zugestellt und in weiterer Folge von beiden Adressaten jeweils Berufung erhoben worden sei. Die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides sei somit "jedenfalls rechtmäßig erfolgt".
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:
1.1. Gemäß § 24a Abs. 8 Asylgesetz 1997 (in der hier maßgeblichen Fassung der AsylG-Novelle 2003, BGBl. I Nr. 101; AsylG) gilt der Asylantrag als zugelassen, wenn das Bundesasylamt nicht binnen zwanzig Tagen nach Einbringung des Antrages entscheidet, dass der Asylantrag als unzulässig gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, es sei denn, es werden Konsultationen nach der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom ("Dublin-VO") geführt.
Gemäß § 25 Abs. 2 AsylG wird der Rechtsberater in der Erstaufnahmestelle mit der Einleitung des Zulassungsverfahrens zum gesetzlichen Vertreter eines (unbegleiteten) Minderjährigen und bleibt es solange, bis der Minderjährige nach Zulassung des Verfahrens einer Betreuungsstelle zugewiesen wird. Erst mit diesem Zeitpunkt geht die gesetzliche Vertretung auf den für diese Betreuungsstelle örtlich zuständigen Jugendwohlfahrtsträger über (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2004/01/0460, und vom , Zl. 2006/01/0123, jeweils mit Hinweisen auf die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes je vom , B 1290/04 und B 1477/04). "Betreuungsstelle" ist gemäß § 37b Abs. 2 AsylG jede außerhalb der Erstaufnahmestelle gelegene Unterbringung, in der die Versorgung der Grundbedürfnisse eines Asylwerbers faktisch gesichert ist.
1.2. Die Entscheidung des Bundesasylamtes über seinen am gestellten Asylantrag wurde dem Beschwerdeführer am und dem Magistrat der Stadt Wien am zugestellt; die in § 24a Abs. 8 AsylG normierte 20-Tages-Frist war demnach jedenfalls abgelaufen und das Asylverfahren ex lege zugelassen.
1.3. Im erwähnten Erkenntnis vom hat der Verwaltungsgerichtshof präzisiert, dass die in § 25 Abs. 2 AsylG vorgesehene Zuweisung an eine Betreuungsstelle einerseits eine - wenn auch eine nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht formgebundene - Entscheidung der Asylbehörde erfordert und andererseits - nicht zuletzt aus Gründen der Rechtssicherheit wegen des an die Zuweisung gebundenen Überganges der gesetzlichen Vertretungsmacht vom Rechtsberater in der Erstaufnahmestelle auf den örtlich zuständigen Jugendwohlfahrtsträger - in den Akten der Asylbehörde entsprechend dokumentiert sein muss.
Dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall gegeben wären, kann weder dem angefochtenen Bescheid, noch den Verwaltungsakten entnommen werden. Nach der Aktenlage war der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Stellung seines Asylantrages bereits seit mehreren Monaten in einem - näher bezeichneten - Heim der Caritas in Wien wohnhaft. Ob es sich bei diesem Quartier um eine Betreuungsstelle im Sinne des § 37b Abs. 2 AsylG handelte und bejahendenfalls wann die Asylbehörde die Entscheidung über die Unterbringung des Beschwerdeführers in dieser Unterkunft getroffen hat, ist nicht zu erkennen.
1.4. Ausgehend davon konnte aber entgegen der Ansicht der belangten Behörde die Frage der Volljährigkeit des Beschwerdeführers nicht "dahingestellt bleiben", da im Falle seiner Minderjährigkeit die Klärung der Frage, ob er einer Betreuungsstelle zugewiesen wurde, notwendig gewesen wäre, um die gesetzliche Vertretungsmacht abschließend zu beurteilen. Ist nämlich - im Falle der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers - eine Zuweisung des Beschwerdeführers an eine Betreuungsstelle nicht erfolgt, wäre weiterhin der Rechtsberater in der Erstaufnahmestelle dessen gesetzlicher Vertreter gewesen und hätte die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides an den Magistrat der Stadt Wien nicht wirksam erfolgen können, weshalb der Bescheid rechtlich nicht existent geworden wäre. In diesem Fall wäre die belangte Behörde aber nicht zu einer meritorischen Entscheidung berechtigt, sondern zur Zurückweisung der Berufung gehalten gewesen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2005/01/0415 und vom , Zl. 2006/20/0268).
2.1. Insoweit der Begründung des angefochtenen Bescheides - entgegen dem im Kopf angeführten Geburtsdatum "" - zu entnehmen ist, dass die belangte Behörde ohnedies von der Volljährigkeit des Beschwerdeführers und somit von der Rechtswirksamkeit der an diesen persönlich erfolgten Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides ausgegangen ist, ist dem entgegen zu halten, dass nicht erkennbar ist, auf welche Erwägungen die belangte Behörde diese Annahme stützt.
2.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Frage der Altersfeststellung in seinem Erkenntnis vom , Zl. 2005/01/0463, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, unter Darstellung der bisherigen Rechtsprechung ausführlich Stellung genommen. Demnach ist eine Alterseinschätzung, welche sich allein auf das äußere Erscheinungsbild des Beschwerdeführers stützt, nicht geeignet, die in Bezug auf das Alter des Asylwerbers getroffenen Feststellungen schlüssig zu begründen, sondern muss sich diese auf "weitere, nachvollziehbar dargestellte Umstände" stützen; im Regelfall bedarf die Überprüfbarkeit einer Alterseinschätzung einer Untersuchung und Beurteilung durch geeignete (zumeist wohl medizinische) Sachverständige (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/20/0268).
Diesen Erfordernissen hat die belangte Behörde - genauso wie das Bundesasylamt - im vorliegenden Fall nicht entsprochen.
3. Da somit einerseits die Auffassung der belangten Behörde, die Frage der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers sei nicht verfahrensrelevant, auf einer verfehlten Rechtsansicht beruht und andererseits die Annahme, der Beschwerdeführer sei entgegen seinen Angaben bereits volljährig, im angefochtenen Bescheid keine tragfähige Grundlage hat, lässt sich nicht abschließend beurteilen, ob die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides an den Beschwerdeführer persönlich wirksam erfolgen konnte und die belangte Behörde zu einer meritorischen Entscheidung der Berufung berechtigt war (vgl. das zitierte hg. Erkenntnis vom , mwN).
4. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
5. Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am