VwGH 24.09.2019, Ra 2017/06/0202
Entscheidungsart: Erkenntnis
Entscheidungstext
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2017/06/0203
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Senatspräsidentin Dr. Bayjones, die Hofrätinnen Mag.a Merl und Mag. Rehak sowie Hofrat Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision 1. der Mag. E E und 2. des M E, beide in N und vertreten durch Dr. Johannes Hübner und Dr. Gerhard Steiner, Rechtsanwälte in 1040 Wien, Brucknerstraße 8/3, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Burgenland vom , E GB5/09/2017.017/002, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Gemeinderat der Stadtgemeinde Neusiedl am See;
mitbeteiligte Parteien: 1. J C und 2. L C, beide in N und vertreten durch Dr. Karl-Heinz Götz und Dr. Rudolf Tobler jun., Rechtsanwälte in 7100 Neusiedl am See, Untere Hauptstraße 72; weitere Partei: Burgenländische Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Stadtgemeinde Neusiedl am See hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die mitbeteiligten Parteien (Bauwerber) sind grundbücherliche Eigentümer des als "BW" - Bauland Wohngebiet gewidmeten Grundstückes Nr. X, KG N. (Baugrundstück), auf dem sich ein (mit Bescheid vom ) als Einstellraum genehmigtes Nebengebäude befindet.
2 Die Bauwerber beantragten mit Bauansuchen vom und den aufgetragenen Ergänzungen vom und die baubehördliche Bewilligung der Nutzungsänderung eines Nebengebäudes sowie die Errichtung einer Volierenbox (insgesamt fünf Volieren) zur Haltung von durchschnittlich 80 Brieftauben auf dem Baugrundstück. 3 Die revisionswerbenden Parteien sind grundbücherliche Eigentümer der an das Baugrundstück angrenzenden Liegenschaft. In ihren Einwendungen gegen das Bauvorhaben machten sie geltend, dass dieses der geltenden Flächenwidmung Bauland Wohngebiet widerspreche und es durch die Taubenhaltung zu ortsunüblichen Emissionen auf ihr Grundstück durch Taubenkot und Geruchsbelästigung sowie zu störenden ortsunüblichen Geräuschen komme.
4 Der Bürgermeister der Stadtgemeinde N. erteilte mit Bescheid vom die baubehördliche Bewilligung zur Nutzungsänderung eines Nebengebäudes sowie Errichtung einer Volierenbox (insgesamt fünf Volieren) zur Haltung von durchschnittlich 80, maximal 85 Tauben, auf dem Baugrundstück nach Maßgabe der mit einem Genehmigungsvermerk versehenen Pläne und der Baubeschreibung sowie der im Ansuchen befindlichen Beschreibung zum Ablauf der Haltung der Tauben unter Vorschreibung von Auflagen. Die Einwendungen der revisionswerbenden Parteien, das Bauvorhaben widerspreche dem bestehenden Flächenwidmungsplan und es gingen vom Bauvorhaben ortsunübliche Emissionen aus, wurden als unbegründet abgewiesen.
5 Zur Abweisung der Einwendungen führte der Bürgermeister (zusammengefasst) aus, die Nebenanlagen seien (gemeint: in § 14 Abs. 3 lit. a Burgenländisches Raumplanungsgesetz - Bgld. RPG) nicht taxativ aufgezählt, beispielhaft würden Garagen und Gartenhäuschen genannt. Da Hundehütten nach der Judikatur als im Bauland Wohngebiet zulässig angesehen würden, erscheine es zulässig, die Baulichkeiten "Volieren und die Nutzungsänderung des Nebengebäudes" diesen gleichzusetzen. Aufgrund der im Bauland Wohngebiet zu beachtenden niedrigen Immissionsschranken seien ein schalltechnischer Messbericht eingeholt sowie eine human- und umweltmedizinische Untersuchung durchgeführt worden, denen zufolge von den Tauben keine das örtlich zumutbare Maß übersteigende Belästigung bzw. das ortsübliche Ausmaß übersteigende Beeinträchtigung der Nachbarn ausgehe. Basierend auf der Stellungnahme des Amtstierarztes werde seitens der Behörde "abgeschätzt", dass es sich vorliegend um eine - im Bauland Wohngebiet zulässige - übliche Haustierhaltung handle. Auf der Grundlage des humanmedizinischen Gutachtens und der schalltechnischen Erhebung sei das Bauvorhaben als zumutbar zu bewerten (wird näher ausgeführt). Bei der Begehung vor Ort im Zuge der Bauverhandlung hätten auch weder eine ortsunübliche Verschmutzung festgestellt noch eine Geruchsbelästigung am Grundstück der revisionswerbenden Parteien wahrgenommen werden können. Zum Einwand, es liege ein unpräziser Antrag vor, führte der Bürgermeister aus, da das Ansuchen einmal "Durchschnittlich/Im Schnitt 80 Tauben" und einmal exakt "80 Tauben" beinhaltet habe, sei die Bewilligung auf durchschnittlich 80 Tauben, maximal 84 (sic!) präzisiert und somit auf die Stellungnahme der revisionswerbenden Parteien eingegangen worden.
6 Die revisionswerbenden Parteien erhoben Berufung, die der Gemeinderat der Stadtgemeinde N. mit Bescheid vom als unbegründet abwies. Zum Berufungsvorbringen wurde (zusammengefasst) ausgeführt, die Taubenhaltung gehöre seit Jahrzehnten zum gesellschaftlichen Leben, entspreche den Gebräuchen der Wohnbevölkerung und sei auch als zum Wohngebäude zugehörend anzusehen. Bezüglich der geltend gemachten Emissionen verwies der Gemeinderat im Wesentlichen auf die eingeholten Stellungnahmen und Gutachten.
7 Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Landesverwaltungsgericht Burgenland (LVwG) der Beschwerde der revisionswerbenden Parteien gemäß § 28 Abs. 1 bis 3 VwGVG statt, hob den Bescheid des Gemeinderates der Stadtgemeinde N. auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an diesen zurück. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass gegen diesen Beschluss eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.
8 In seinen rechtlichen Erwägungen führte das LVwG aus, im Hinblick auf die Vereinbarkeit der beantragten Taubenhaltung mit der Flächenwidmung Bauland Wohngebiet sei aufgrund der rechtzeitig erhobenen Einwendungen und des Beschwerdevorbringens zu prüfen, ob durch das Projekt keine das örtlich zumutbare Maß übersteigende Gefährdung oder Belästigung der Nachbarn verursacht werde. Aus dem vorliegenden Ansuchen ergebe sich, dass eine Brieftaubenhaltung im Umfang von ca. 80 Brieftauben erfolgen solle. Dazu sei zunächst festzuhalten, dass die im Spruch ausgesprochene Bewilligung von "durchschnittlich 80 Tauben, maximal 85 Tauben" weder den Anforderungen an den Spruch eines Bescheides genüge, noch im Antrag der Bauwerber Deckung finde. Aus der Verbesserung des Ansuchens vom ergebe sich, dass "durchschnittlich 80 Brieftauben" gehalten würden. Für die Bewilligung von "maximal 85 Brieftauben" habe keine Rechtsgrundlage bestanden. Darüber hinaus habe der Antragsteller sein Ansuchen so zu konkretisieren, dass eindeutig sei, welche Höchstzahl an Brieftauben er zu welchen Zeitpunkten halten werde.
9 Nach Wiedergabe des § 28 VwGVG und dazu ergangener Judikatur führte das LVwG aus, vorliegend sei zunächst nicht einmal ein eindeutiger Antrag der Bauwerber vorgelegen. Die Behörde habe den ersten entscheidenden Ermittlungsschritt, den Gegenstand des Verfahrens zu klären, unterlassen. Schon aus diesem Grund seien alle weiteren Ermittlungsschritte ungeeignet gewesen. Die Behörde habe zur Geruchsbelästigung, Verschmutzung des Nachbargrundstücks sowie zum Umfang und Ablauf der Taubenhaltung jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen. Hinsichtlich Lärmimmissionen habe sie ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt, weil sie dem Sachverständigen keinen Gutachtensauftrag gegeben habe, der zu einem verwertbaren Gutachten habe führen können. Aus demselben Grund sei auch das medizinische Gutachten nicht verwertbar. Die Angelegenheit sei zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen, die die erforderlichen Ermittlungen aufgrund der örtlichen Nähe rascher durchführen könne. 10 In der vorliegenden außerordentlichen Revision beantragen die revisionswerbenden Parteien die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, in eventu die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes gemäß § 42 Abs. 4 VwGG in der Sache selbst, jeweils unter Zuspruch von Kosten.
11 Die belangte Behörde verzichtete auf die Erstattung einer Revisionsbeantwortung. Die Bauwerber haben sich am Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht beteiligt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
12 Die Revision erweist sich angesichts der Ausführungen zur Unzulässigkeit der Aufhebung und Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG als zulässig.
13 Zunächst kann zu den für kassatorische Entscheidungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG geltenden Voraussetzungen gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das hg. Erkenntnis , verwiesen werden.
Demnach ist ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte gesetzlich festgelegt. Die nach § 28 VwGVG verbleibenden Ausnahmen von der meritorischen Entscheidungspflicht sind strikt auf den ihnen gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung durch das Verwaltungsgericht an die Verwaltungsbehörde kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Auch die Notwendigkeit der Einholung eines (weiteren) Gutachtens rechtfertigt im Allgemeinen nicht die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und die Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (vgl. etwa , mwN). 14 Das LVwG stütze seine Entscheidung im Wesentlichen darauf, dass die Baubehörden eine Klarstellung des Verfahrensgegenstandes unterlassen hätten, woraus sich die Untauglichkeit der durchgeführten Ermittlungen und die mangelnde Verwertbarkeit der eingeholten Sachverständigengutachten ergäben.
15 Dazu ist festzuhalten, dass aus dem angefochtenen Beschluss nicht ersichtlich ist, aus welchem Grund das LVwG die mitbeteiligten Parteien nicht selbst auffordern konnte, den Antrag zu präzisieren. Angesichts des unklaren Antragsgegenstandes kann nicht beurteilt werden, ob die im Akt befindlichen Sachverständigengutachten geeignet sind, die Immissionsbelastung zu beurteilen. Im Übrigen rechtfertigt die Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhalts oder die allfällige Notwendigkeit der Einholung weiterer Gutachten, wie bereits dargelegt, eine Aufhebung des angefochtenen Bescheides und eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG nicht. Auch ist nicht erkennbar, dass die Baubehörden die weiteren Ermittlungen deshalb nicht durchgeführt hätten, damit diese durch das Verwaltungsgericht vorgenommen würden.
16 Nach den vorstehenden Ausführungen fehlt es daher an einer nachvollziehbaren Begründung, weshalb das LVwG dennoch vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG ausgehen konnte.
17 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
18 Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2019:RA2017060202.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
JAAAE-72825