VwGH vom 28.04.2011, 2008/01/0617
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Jäger, über die Beschwerde der Bundesministerin für Inneres in 1014 Wien, Herrengasse 7, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom , Zl. MA 35/IV - E 266/2006, betreffend Staatsbürgerschaft (Mitbeteiligter: A E B in W), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Antrag auf Aufwandersatz wird abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit Bescheid der belangten Behörde vom wurde dem Mitbeteiligten, einem (damals) ägyptischen Staatsangehörigen, gemäß § 11a Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 in der Fassung (vor der Staatsbürgerschafts-Novelle 2005) BGBl. I Nr. 124/1998 (im Folgenden: StbG aF) die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen.
2. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der Amtsbeschwerdeführerin vom auf Wiederaufnahme des Staatsbürgerschaftsverfahrens des B gemäß § 35 StbG in der Fassung BGBl. I Nr. 4/2008 in Verbindung mit § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG abgewiesen.
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Mitbeteiligte habe am die österreichische Staatsbürgerin H geheiratet, am habe er den Antrag auf Verleihung der Staatsbürgerschaft gestellt. Im Zuge des Verleihungsverfahrens sei der Verdacht des Vorliegens einer Scheinehe von der Staatsanwaltschaft sowie von der belangten Behörde geprüft und schließlich verneint worden, weshalb dem Mitbeteiligten die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft zugesichert und nach Vorlage der Genehmigung zum Ausscheiden aus dem Staatsverband Ägyptens am verliehen worden sei.
Am habe die Botschaft von Kairo darauf hingewiesen, dass die Ehe des Mitbeteiligten mit H am (Rechtskraft: ) einvernehmlich geschieden worden sei, wobei vermerkt sei, dass die Ehe seit mindestens sechs Monaten von Tisch und Bett getrennt gewesen sei. Weiters habe der Mitbeteiligte am die ägyptische Staatsangehörige M geheiratet, mit der er bereits seit einen Sohn habe, für diesen habe der Mitbeteiligte nunmehr einen Reisepass beantragt.
Die Ex-Gattin H habe bei ihrer niederschriftlichen Einvernahme am angegeben, im Zeitpunkt der Verleihung der Staatsbürgerschaft habe der gemeinsame Wohnsitz im
23. Bezirk in Wien bestanden. Der Mitbeteiligte sei erst im August 2005 aus der Ehewohnung ausgezogen, die Ehe mit ihm sei auf Grund seines Kinderwunsches eingegangen worden.
Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens habe die belangte Behörde festgestellt, dass der Mitbeteiligte bereits am in Ägypten eine Ehe mit seiner nunmehrigen Gattin M geschlossen habe. Diese Ehe sei jedoch ohne Einhaltung der Formvorschriften geschlossen worden und somit nicht rechtsgültig zustande gekommen. Darüber hinaus seien gemäß § 17 Abs. 1 IPRG die Voraussetzungen für eine Eheschließung nach dem Recht des Staates, dem jemand angehöre, zu beurteilen. Somit müsse eine Zweitehe eines ägyptischen Staatsangehörigen mit einer ebenfalls ägyptischen Staatsangehörigen nach dem Recht seines Herkunftsstaates behandelt werden. Es sei das Personalstatut der Eheschließenden maßgebend, das Personalstatut der ersten (österreichischen) Ehepartnerin sei für die Wirksamkeit der Zweitehe unbedeutend. Auch der "ordre public" (§ 6 IPRG) komme nicht zur Anwendung, da es auf Grund der Auslandsheirat an einer hinreichenden Inlandsbeziehung fehlte. Damit wäre die Wiederaufnahme nach § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG wegen Vorliegens einer strafbaren Handlung selbst unter der Annahme einer in Ägypten gültig zustande gekommenen Ehe ausgeschlossen, zumal diese keinen strafbaren Tatbestand verwirkliche.
Die einvernehmliche Scheidung von H stelle per se keinen Grund für eine Wiederaufnahme gemäß § 69 AVG dar (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/01/0050). Es hätten sich keine weiteren Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Scheinehe ergeben. Die Aussagen von H würden sich im Wesentlichen mit dem Ergebnis der seinerzeitigen Ermittlungen decken, die der Staatsanwaltschaft Wien offenbar nicht für ein Ehenichtigkeitsverfahren gereicht hätten. Auch die Meldedaten würden sich mit den Aussagen decken. Es gebe daher keine haltbaren und beweisbaren Ergebnisse für das Nichtbestehen des Lebens im gemeinsamen Haushalt.
Es könne nicht mit der erforderlichen Sicherheit angenommen werden, dass der Mitbeteiligte die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft erschlichen habe, weshalb der Antrag auf Wiederaufnahme abzuweisen gewesen sei.
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde, mit der die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und Zuerkennung der Kosten des Beschwerdeverfahrens beantragt wurde.
4. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Mitbeteiligte erstattete ebenso eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 11a Abs. 1 Z. 1 StbG in der (im Hinblick auf den wiederaufzunehmenden Bescheid maßgeblichen) Fassung BGBl. I Nr. 124/1998 (StbG aF) ist einem Fremden unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z. 2 bis 8 und Abs. 3 leg. cit. die Staatsbürgerschaft zu verleihen, wenn sein Ehegatte Staatsbürger ist und im gemeinsamen Haushalt mit ihm lebt.
Gemäß § 35 StbG hat die Entziehung der Staatsbürgerschaft (§§ 33 und 34) oder die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG von Amts wegen oder auf Antrag des Bundesministers für Inneres zu erfolgen. Der Bundesminister für Inneres hat in dem auf seinen Antrag einzuleitenden Verfahren Parteistellung.
Gemäß § 24 StbG darf die Wiederaufnahme eines Verleihungsverfahrens aus den im § 69 Abs. 1 Z. 2 und 3 AVG, BGBl. Nr. 51/1991, genannten Gründen nur bewilligt oder verfügt werden, wenn der Betroffene hiedurch nicht staatenlos wird.
2. Die Amtsbeschwerde bringt vor, der Mitbeteiligte habe hinsichtlich seiner ehelichen Verhältnisse einen falschen Sachverhalt vorgetäuscht. Der Versuch der Doppelehe sei rechtlich relevant, die zweite Ehe sei lediglich an einem Formmangel gescheitert und sogar aufgelöst worden. Die belangte Behörde hätte die versuchte Bigamie anders bewerten müssen, weshalb der Bescheid einem gravierenden Verfahrensfehler unterliege.
3. Zu dem im Beschwerdefall nach § 24 StbG alleine zulässigen Wiederaufnahmetatbestand des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom , Zl. 2008/01/0212, ausgesprochen, Irreführungsabsicht setze voraus, dass die Partei wider besseres Wissen gehandelt habe und dies deshalb, um einen vielleicht sonst nicht erreichbaren Vorteil zu erlangen. Ob Irreführungsabsicht vorliegt, könne nur aus den das rechtswidrige Verhalten begleitenden Umständen geschlossen werden, die von der Behörde in freier Beweiswürdigung festzustellen sind.
Der Verwaltungsgerichtshof hat auch zu prüfen, ob die Behörde im Rahmen ihrer Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/08/0256, mwN, sowie die bei Walter/Thienel , Verwaltungsverfahren2 (1998) § 45 AVG, E 264 angeführte hg. Judikatur).
Mit dem (vorliegend entscheidenden) Begriff des gemeinsamen Haushaltes nach § 11a StbG aF im Verhältnis zu § 55a Ehegesetz hat sich der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom , Zl. 2007/01/1051 (auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird) auseinandergesetzt. Danach setzt der gemeinsame Haushalt nach § 11a StbG aF das Zusammenleben der Ehegatten in einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft voraus, wobei kurzfristige Unterbrechungen dieses Zusammenlebens bei grundsätzlich aufrechtem gemeinsamen Wohnsitz und gemeinsamer Wirtschaftsführung nicht schaden. Bei der Prüfung, ob ein derartiger gemeinsamer Haushalt vorgelegen ist, macht ein Ehescheidungsbeschluss nach § 55a Ehegesetz bzw. die in diesem Zusammenhang abgegebene Erklärung, die eheliche Lebensgemeinschaft sei seit mindestens einem halben Jahr aufgelöst, Ermittlungen darüber, ob der Einbürgerungswerber mit seiner Ehegattin im gemeinsamen Haushalt lebte, nicht schlechterdings entbehrlich (vgl. auch hiezu die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2008/01/0138 bzw. Zl. 2008/01/0628, mwN).
4. Im Beschwerdefall hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid keinerlei Irreführungsabsicht erkennen können und den Antrag auf Wiederaufnahme abgewiesen. Sie hat es jedoch im Rahmen ihrer Beweiswürdigung verabsäumt, alle nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens in Betracht kommenden Umstände vollständig zu berücksichtigen:
Nach den Feststellungen im angefochtenen Bescheid hat der Mitbeteiligte (nachdem er am die österreichische Staatsangehörige H nach österreichischem Recht geheiratet hatte) am in Ägypten - wenngleich nach ägyptischem Recht ungültig - die ägyptische Staatsangehörige M geheiratet (nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten erfolgte die Eheschließung nach islamischem Recht). Mit dieser Staatsangehörigen hat er seit einen gemeinsamen Sohn. Am sei im Beisein eines Rechtsanwaltes (nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten wiederum in Ägypten) diese Ehe wieder geschieden worden.
Die belangte Behörde beschäftigte sich zwar mit der Frage des rechtmäßigen Zustandekommens der "zweiten" Ehe des Mitbeteiligten im Hinblick darauf, ob es sich um eine bigamische Ehe gehandelt habe. Sie hat es jedoch verabsäumt, diese Umstände im Hinblick auf den gemeinsamen Haushalt mit der österreichischen Staatsangehörigen H zu würdigen. In diesem Zusammenhang hat sich die belangte Behörde auch mit dem Umstand, dass der Mitbeteiligte mit der ägyptischen Staatsangehörigen M, die er nach Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft wiederum (diesmal nach österreichischem Recht) heiratete, bereits vor Verleihung einen gemeinsamen Sohn hatte, in keiner Weise auseinandergesetzt.
Die Beweiswürdigung erweist sich daher im Sinn der oben zitierten Rechtsprechung als unschlüssig.
5. Für das fortgesetzte Verfahren wird darauf hingewiesen, dass die belangte Behörde im Verfahren betreffend die Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens die Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die unionsrechtliche Stellung des Mitbeteiligten zu prüfen haben wird (vgl. das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom in der Rechtssache C-135/08, Rottman gegen Freistaat Bayern, Randnrn 54ff).
6. Da die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet hat, war dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.
7. Der Antrag der Amtsbeschwerdeführerin auf Aufwandersatz war abzuweisen, weil gemäß § 47 Abs. 4 VwGG im Fall der Amtsbeschwerde nach Art. 131 Abs. 1 Z. 2 B-VG kein Aufwandersatz stattfindet.
Wien, am