VwGH 24.07.2013, 2012/10/0144
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | 31992L0043 FFH-RL Anh1 Pkt91E0 idF 32006L0105; 31992L0043 FFH-RL Art2 Abs3 idF 32006L0105; EURallg; NatSchG Tir 1975 §3 litb; NatSchG Tir 2005 §14 Abs11; NatSchG Tir 2005 §14 Abs3 lita; NatSchG Tir 2005 §14 Abs3 litb; NatSchG Tir 2005 §14 Abs3; NatSchG Tir 2005 §3 Abs1; |
RS 1 | Wurden Wälder im Anhang I der Habitat-Richtlinie als unter Punkt 91EO genannter Lebensraumtyp "Alnion incanae" bei der Namhaftmachung des Gebiets zur Aufnahme in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung im betreffenden Standarddatenbogen als Erhaltungsziel aufgenommen, so sind ungeachtet des Umstandes, dass eine Verordnung über die Erhaltungsziele gemäß § 14 Abs. 3 lit. a Tir NatSchG 2005 bisher nicht erlassen wurde, daher gemäß § 14 Abs. 11 legcit die Bestimmungen für Natura 2000-Gebiete mit der Maßgabe anzuwenden, dass an die Stelle der festgelegten Erhaltungsziele (ua) der Schutz dieses in den Standarddatenblättern enthaltenen Lebensraumes tritt. Nach § 14 Abs. 3 Tir NatSchG 2005 gelten - entsprechend Art. 2 Abs. 3 der Habitat-Richtlinie, wonach die auf Grund dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen ua den Anforderungen von Gesellschaft und Kultur Rechnung tragen - Maßnahmen der üblichen land- und forstwirtschaftlichen Nutzung nur dann als Beeinträchtigung des günstigen Erhaltungszustandes, wenn sich dies aus Bewirtschaftungsplänen (bzw. Vereinbarungen im Rahmen des Vertragsnaturschutzes) ergibt. Ein Bewirtschaftungsplan gemäß § 14 Abs. 3 lit. b bzw. eine Vereinbarung im Rahmen des Vertragsnaturschutzes, wonach die Ausübung der Weide im gegenständlichen Gebiet an sich unzulässig ist, besteht nicht. Ob eine Beweidung nach dem Tir NatSchG 2005 eine Beeinträchtigung des günstigen Erhaltungszustandes darstellen kann, hängt daher davon ab, ob es sich bei dieser Beweidung in der Art, wie sie konkret durchgeführt wurde, um eine "Maßnahme der üblichen land- und forstwirtschaftlichen Nutzung" handelt. Die Umwandlung von Weide- oder Ackerland in Wald oder umgekehrt fällt jedenfalls nicht unter Maßnahmen der üblichen land- und forstwirtschaftlichen Nutzung iSd § 3 Abs 1 Tir NatSchG 2005 (vgl. § 3 lit. b des Tir NatSchG 1975, welche Bestimmung eine inhaltsgleiche Definition enthielt). |
Normen | ForstG 1975 §37; NatSchG Tir 2005 §14 Abs3; NatSchG Tir 2005 §3 Abs1; |
RS 2 | Für die Frage, ob eine "übliche land- und forstwirtschaftliche Nutzung" vorliegt, ist der rechtliche Rahmen zu beachten, in dem eine Waldweide ausgeübt werden darf. Dieser wird in § 37 ForstG 1975 festgelegt. |
Norm | NatSchG Tir 2005 §14 Abs9; |
RS 3 | Bei der Erlassung von Maßnahmen gemäß § 14 Abs. 9 Tir NatSchG 2005 ist keine Interessenabwägung erforderlich. Einen Wertungswiderspruch vermag der VwGH darin nicht zu erblicken, dass der Gesetzgeber für die Bewilligung von Projekten in Natura 2000- Gebieten eine Interessenabwägung vorgesehen hat, eine solche Abwägung bei der Erlassung von Maßnahmen zur Verhinderung bzw. Beseitigung von Schäden durch dem Gesetz nicht entsprechende Handlungen jedoch nicht vorzunehmen ist. |
Norm | NatSchG Tir 2005 §14 Abs9; |
RS 4 | Als "Veranlasser" iSd § 14 Abs 9 Tir NatSchG 2005 ist jeder anzusehen, der aktiv zur Ausführung beigetragen hat (vgl. E , 2009/10/0214). |
Norm | NatSchG Tir 2005 §14 Abs9; |
RS 5 | Nach § 14 Abs. 9 Tir NatSchG 2005 ist ausschließlich maßgeblich, wer die beeinträchtigende Handlung veranlasst hat, wobei es auf ein Verschulden nicht ankommt. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Beschwerde
des J V, 2. des J J, 3. der H L 4. des F U, 5. des N G,
des R G und 7. des G G, alle in V, alle vertreten durch Mag. Ferdinand Kalchschmid, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Andreas-Hofer-Straße 2-4, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom , Zl. U-14.550/8, betreffend naturschutzbehördlicher Auftrag, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführer haben dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom hat die Tiroler Landesregierung den Beschwerdeführern gemäß § 14 Abs. 9 Tiroler Naturschutzgesetz 2005 - TNSchG 2005, LGBl. Nr. 26, untersagt, auf bestimmt bezeichneten Grundstücken die Weide auszuüben und Maßnahmen der Verbesserung der Weidefläche (und somit Verschlechterung des Auwaldes), wie z.B. Abrechen, Entfernen von Laubgehölzen, Keimlingen, Jungwuchs oder Stockschlägen, durchzuführen, bis der Grauerlenjungwuchs eine Höhe von 1,5 m erreicht habe, jedoch zumindest bis zum . Weiters wurden die Beschwerdeführer verpflichtet, für denselben Zeitraum die auf der einen integrierenden Bestandteil des Bescheides bildenden Lageplan eingezeichnete Fläche im Ausmaß von 1,36 ha mit einem Weidezaun vor Beweidung zu schützen.
Zur Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass am eine Begehung der Grauerlenwälder im Naturschutz- und Natura 2000-Gebiet Valsertal nach einem Schadensereignis infolge außergewöhnlich starker Schneefälle stattgefunden habe. Der naturkundefachliche Amtssachverständige habe in seinem Gutachten vom dazu ausgeführt, dass die begangene Fläche eine für das Naturschutzgebiet prägende Biotopeinheit darstelle. Bei den gegenständlichen Grauerlen-Auwaldflächen handle es sich nämlich um weit über ihren Schutzstatus gemäß § 8 TNSchG 2005 hinaus bedeutsame Strukturen, die von grundlegender Bedeutung für die Ausweisung dieses Gebietes als Natura 2000-Gebiet gewesen seien. Leider sei die begangene Fläche über Jahre hinweg durch die Bewirtschafter so behandelt worden, dass auf Grund der Beweidung (Verbiss und Vertritt) sowie zusätzliche Maßnahmen (Holznutzungen, Abrechen der Flächen im Frühjahr und somit nachhaltige Entfernung der Erlenkeimlinge, etc.) nahezu flächendeckend ausreichender Jungwuchs fehle. Die Grauerlenbestände seien daher bereits vor Eintritt des Schadensereignisses im September 2011 so überaltert gewesen, dass dringender Handlungsbedarf bestanden habe. Die unterschiedlichen vorgeschlagenen Maßnahmen zur Rettung des Auwaldes seien daran gescheitert, dass die Bewirtschafter ihre Mitarbeit verweigert hätten. Überdies sei nach dem Schadensereignis im September 2011 im Zuge der Aufräumungsarbeiten so großzügig ausgeholzt worden, dass großflächige Bestandslücken entstanden seien. Dabei seien viele mehrstämmige Erlenbäume gänzlich entfernt worden, was durch den aufgetretenen Schaden nicht gerechtfertigt werden könne. Die wenigen jüngeren Stockausschläge seien derart massiv verbissen gewesen, dass eine nachhaltige Verjüngung unter den derzeitigen Voraussetzungen aus fachlicher Sicht unmöglich erscheine. Die Bewirtschafter hätten auf Nachfrage mitgeteilt, dass die betreffende Grauerlenau stark beweidet und zudem im Frühjahr vor der Beweidung zur Gänze abgerecht werde. Unter diesen Voraussetzungen würden Keimlinge und Stockausschläge dauerhaft zurückgehalten. Da die belassenen Erlenstämme auf Grund ihres Alters und der verschlechterten Bestandsituation in ihrer Überlebensfähigkeit und Bestandsdauer stark eingeschränkt seien, erscheine ein dauerhafter Weiterbestand des Grauerlenwald-Streifens ohne zusätzliche Pflegemaßnahmen aus naturschutzfachlicher Sicht ausgeschlossen.
Der Sachverständige habe die nunmehr vorgeschriebenen Maßnahmen für notwendig erachtet, um Verschlechterungen für den als Erhaltungsziel für das Natura 2000-Gebiet nach Brüssel gemeldeten Gebirgsauwald entgegenzutreten.
Weiters führte die belangte Behörde aus, dass die gegenständlichen Auwaldflächen unter der Kennzeichnung "91EO" - Alnion incanae - im Standarddatenbogen zum Natura 2000- Gebiet Valsertal als Erhaltungsziel aufgenommen worden seien. Dieser Lebensraumtyp sei im Anhang I der Habitat-Richtlinie als prioritärer Lebensraum angeführt.
Wie der naturkundefachliche Sachverständige ausgeführt habe, seien die betroffenen Flächen unabhängig vom Schadensereignis im September 2011 über Jahre hinweg durch die Bewirtschafter so behandelt worden, dass es zu einer Überalterung der Grauerlenbestände und damit zu einer Verschlechterung dieses für die Ausweisung als Natura 2000-Gebiet relevanten Lebensraumes gekommen sei. Dieses Gutachten sei schlüssig, nachvollziehbar und mit den Denkgesetzen im Einklang. Es könne durch die nicht auf gleicher fachlicher Ebene liegende bloße Behauptung der Beschwerdeführer, wonach nur beschädigte Stämme entfernt worden seien und eine intensive Beweidung nicht stattgefunden habe, nicht entkräftet werden.
Auch aus Sicht der belangten Behörde seien die zur Verschlechterung des Gebietes führenden Handlungen primär den Weideausübenden zuzurechnen. Nicht primär das Schadensereignis vom September 2011, sondern die Art der Beweidung und der Maßnahmen zur Verbesserung der Weidefläche in den Jahren davor hätten zu einer Verschlechterung dieses Lebensraumes im Natura 2000-Gebiet geführt.
Dass es sich bei den Beschwerdeführern um die Weideausübenden handle, ergebe sich aus dem Akt der Behörde erster Instanz und werde nicht bestritten. Ebensowenig würden die Beschwerdeführer bestreiten, die genannten Maßnahmen durchgeführt zu haben. Es werde lediglich bestritten, dass die Maßnahmen zu einer Verschlechterung geführt hätten. Diese Ausführungen könnten - wie dargestellt - das naturkundefachliche Gutachten nicht entkräften.
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Folgende Bestimmungen sind hier maßgeblich:
Tiroler Naturschutzgesetz 2005 - TNSchG 2005, LGBl. Nr. 26,
zuletzt geändert durch LGBl. Nr. 110/2011:
"§ 3
Begriffsbestimmungen
(1) Maßnahme der üblichen land- und forstwirtschaftlichen Nutzung ist jede Tätigkeit zur Hervorbringung und Gewinnung land- und forstwirtschaftlicher Erzeugnisse mit Hilfe der Naturkräfte unter Anwendung der nach dem jeweiligen Stand der Technik, der Betriebswirtschaft und der Biologie gebräuchlichen Verfahren. Zum jeweiligen Stand der Technik gehört insbesondere auch die Verwendung von Kraftfahrzeugen, Luftfahrzeugen und sonstigen Arbeitsgeräten, die aufgrund ihrer Bauart und Ausrüstung für diese Verwendung bestimmt sind.
…
§ 14
Sonderbestimmungen für Natura 2000-Gebiete
(1) Diese Bestimmungen dienen der Errichtung und dem Schutz des zusammenhängenden europäischen ökologischen Netzes 'Natura 2000', insbesondere dem Schutz der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung und der Europäischen Vogelschutzgebiete. Die zu treffenden Maßnahmen haben den Fortbestand oder erforderlichenfalls die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes der natürlichen Lebensraumtypen und Habitate der Arten in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet zu gewährleisten.
(2) Die Landesregierung hat den das Land Tirol betreffenden Teil der Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung nach Art. 4 Abs. 2 der Habitat-Richtlinie und die nach Art. 4 Abs. 1 oder 2 der Vogelschutz-Richtlinie erklärten oder als solche anerkannten Europäischen Vogelschutzgebiete zusammen mit einer planlichen Darstellung, aus der die Zuordnung der Grundstücke oder Teile davon zu den besonderen Schutzgebieten ersichtlich ist, im Landesgesetzblatt zu verlautbaren ('Natura 2000-Gebiete').
(3) Die Landesregierung hat für Natura 2000-Gebiete durch
Verordnung
a) die jeweiligen Erhaltungsziele, insbesondere den
Schutz oder die Wiederherstellung prioritärer natürlicher
Lebensraumtypen und/oder prioritärer Arten und
b) erforderlichenfalls, unbeschadet der sonstigen
Bestimmungen dieses Gesetzes,
1. die zur Erreichung eines günstigen Erhaltungszustandes notwendigen Regelungen und
2. die notwendigen Erhaltungsmaßnahmen (Bewirtschaftungspläne) festzulegen, die den ökologischen Erfordernissen der
natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und der Arten nach Anhang II der Habitat-Richtlinie und der im Anhang I und im Art. 4 Abs. 2 der Vogelschutz-Richtlinie genannten Arten entsprechen. Maßnahmen der üblichen land- und forstwirtschaftlichen Nutzung gelten insoweit nicht als Beeinträchtigung des günstigen Erhaltungszustandes, als in Bewirtschaftungsplänen nichts anderes bestimmt wird. Die Erlassung eines Bewirtschaftungsplanes durch Verordnung ist nicht erforderlich, wenn die notwendigen Erhaltungsmaßnahmen im Rahmen des Vertragsnaturschutzes nach § 4 Abs. 1 oder auf andere geeignete Weise festgelegt werden können.
…
(9) Eingriffe, Nutzungen und sonstige Handlungen, die zu einer Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und Habitate der Arten der Natura 2000-Gebiete führen können, sind zu unterlassen. Ebenso sind Störungen jener Arten, die die Grundlage für die Ausweisung eines Gebietes als Natura 2000-Gebiet bilden, zu unterlassen, sofern sie sich auf die Ziele der Habitat-Richtlinie erheblich auswirken können. Die Bezirksverwaltungsbehörde hat Handlungen, die zu einer derartigen Verschlechterung oder Störung führen können oder bereits geführt haben, mit Bescheid zu untersagen. Im letzteren Fall hat sie demjenigen, der dies veranlasst hat, oder, wenn dieser nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand festgestellt werden kann, dem Grundeigentümer oder dem sonst über das Grundstück Verfügungsberechtigten mit Bescheid die zur Wiederherstellung des früheren Zustandes erforderlichen Maßnahmen auf seine Kosten aufzutragen; ist die Wiederherstellung des früheren Zustandes nicht möglich oder kann der frühere Zustand nicht oder nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand festgestellt werden, so ist dieser zu verpflichten, den geschaffenen Zustand auf seine Kosten so zu ändern, dass den Interessen nach den §§ 1 Abs. 1 und 14 Abs. 1 bestmöglich entsprochen wird.
(10) Die Landesregierung hat den Erhaltungszustand der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen zu überwachen und zu dokumentieren. Die prioritären natürlichen Lebensraumtypen, die prioritären Arten und die Arten nach Anhang I der Vogelschutz-Richtlinie sind dabei besonders zu berücksichtigen.
(11) Die auf Natura 2000-Gebiete anzuwendenden Bestimmungen dieses Gesetzes gelten bis zur Festlegung der Erhaltungsziele nach Abs. 3 lit. a für die nach Abs. 2 verlautbarten Natura 2000- Gebiete und sinngemäß für jene Gebiete, die von der Landesregierung der Europäischen Kommission zur Aufnahme in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung namhaft gemacht wurden, mit der Maßgabe, dass an die Stelle der Erhaltungsziele der Schutz der in den Standarddatenblättern enthaltenen Lebensräume und der wild lebenden Pflanzen- und Tierarten bzw. Vögel tritt. Die Bezeichnung der der Europäischen Kommission namhaft gemachten Gebiete ist zusammen mit einer planlichen Darstellung, aus der die Zuordnung der Grundstücke oder Teile davon zu den vorgeschlagenen Gebieten ersichtlich ist, im Boten für Tirol zu verlautbaren. Die Standarddatenblätter sind im Internet auf der Homepage des Landes Tirol zu veröffentlichen."
Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen idF der Richtlinie 2006/105/EG des Rates vom (Habitat-Richtlinie):
"Artikel 2
(1) Diese Richtlinie hat zum Ziel, zur Sicherung der Artenvielfalt durch die Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten, für das der Vertrag Geltung hat, beizutragen.
(2) Die aufgrund dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen zielen darauf ab, einen günstigen Erhaltungszustand der natürlichen Lebensräume und wildlebenden Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse zu bewahren oder wiederherzustellen.
(3) Die aufgrund dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen tragen den Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur sowie den regionalen und örtlichen Besonderheiten Rechnung.
…
Artikel 3
(1) Es wird ein kohärentes europäisches ökologisches Netz besonderer Schutzgebiete mit der Bezeichnung 'Natura 2000' errichtet. Dieses Netz besteht aus Gebieten, die die natürlichen Lebensraumtypen des Anhangs I sowie die Habitate der Arten des Anhang II umfassen, und muss den Fortbestand oder gegebenenfalls die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes dieser natürlichen Lebensraumtypen und Habitate der Arten in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet gewährleisten.
Das Netz 'Natura 2000' umfasst auch die von den Mitgliedstaaten aufgrund der Richtlinie 79/409/EWG ausgewiesenen besonderen Schutzgebiete.
(2) Jeder Staat trägt im Verhältnis der in seinem Hoheitsgebiet vorhandenen in Absatz 1 genannten natürlichen Lebensraumtypen und Habitate der Arten zur Errichtung von Natura 2000 bei. Zu diesem Zweck weist er nach den Bestimmungen des Artikels 4 Gebiete als besondere Schutzgebiete aus, wobei er den in Absatz 1 genannten Zielen Rechnung trägt.
(3) Die Mitgliedstaaten werden sich, wo sie dies für erforderlich halten, bemühen, die ökologische Kohärenz von Natura 2000 durch die Erhaltung und gegebenenfalls die Schaffung der in Artikel 10 genannten Landschaftselemente, die von ausschlaggebender Bedeutung für wildlebende Tiere und Pflanzen sind, zu verbessern.
…
Artikel 6
(1) Für die besonderen Schutzgebiete legen die Mitgliedstaaten die nötigen Erhaltungsmaßnahmen fest, die gegebenenfalls geeignete, eigens für die Gebiete aufgestellte oder in andere Entwicklungspläne integrierte Bewirtschaftungspläne und geeignete Maßnahmen rechtlicher, administrativer oder vertraglicher Art umfassen, die den ökologischen Erfordernissen der natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und der Arten nach Anhang II entsprechen, die in diesen Gebieten vorkommen.
(2) Die Mitgliedstaaten treffen die geeigneten Maßnahmen, um in den besonderen Schutzgebieten die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten sowie Störungen von Arten, für die die Gebiete ausgewiesen worden sind, zu vermeiden, sofern solche Störungen sich im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken könnten.
…
Artikel 24
Diese Richtlinie ist an die Mitgliedstaaten gerichtet.
…
ANHANG I
Natürliche Lebensraumtypen von gemeinschaftlichem Interesse,
für deren Erhaltung besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden
müssen.
…
9. WÄLDER
…
91. Wälder des gemäßigten Europas
…
91E0 Auen-Wälder mit Alnus glutinosa und Fraxinus excelsior
(Alno-Padion, Alnion incanae, Salicion albae)
…"
Verordnung der Tiroler Landesregierung vom über die Erklärung eines Teiles des Valsertales in der Gemeinde Vals zum Naturschutzgebiet (Naturschutzgebiet Valsertal), LGBl. Nr. 4/2001:
"§ 1
(1) Das in der Anlage dargestellte, grün umrandete Gebiet des Valsertales im Gebiet der Gemeinde Vals wird wegen der besonderen Vielfalt der Pflanzenwelt und wegen des Vorkommens seltener oder von der Ausrottung bedrohter Pflanzen- und Tierarten zum Naturschutzgebiet erklärt (Naturschutzgebiet Valsertal).
…
§ 2
Im Naturschutzgebiet sind verboten:
…
§ 3
(1) Nach § 20 Abs. 3 des Tiroler Naturschutzgesetzes 1997 sind von den im § 2 festgesetzten Verboten Maßnahmen der üblichen land- und forstwirtschaftlichen Nutzung sowie die Jagd und Fischerei insoweit ausgenommen, als dadurch der Schutzzweck nicht beeinträchtigt wird.
(2) Als Maßnahmen der üblichen land- und forstwirtschaftlichen Nutzung, die den Schutzzweck beeinträchtigen können, gelten:
die Vornahme von Neuaufforstungen und
die Verwendung von Giftstoffen in solcher Weise, dass dadurch der Tier- oder Pflanzenbestand beeinträchtigt oder gefährdet werden kann.
…"
Die Beschwerdeführer gestehen ausdrücklich zu, dass sich die gegenständlichen Grundflächen im als Natura 2000-Gebiet ausgewiesenen Naturschutzgebiet Valsertal befinden. Sie bringen jedoch vor, es ergebe sich weder aus der Verordnung betreffend die Erklärung des Gebietes zum Naturschutzgebiet noch aus der Verordnung betreffend die Verlautbarung als Natura 2000-Gebiet, dass die gegenständlichen Grauerlenwälder für die Ausweisung maßgeblich gewesen seien. Verordnungen gemäß § 14 Abs. 3 TNSchG 2005 über die jeweiligen Erhaltungsziele und die zur Erreichung eines günstigen Erhaltungszustandes notwendigen Regelungen sowie die notwendigen Erhaltungsmaßnahmen (Bewirtschaftungspläne) seien nicht erlassen worden. Die seit Generationen ausgeübte Weide stelle eine übliche landwirtschaftliche Nutzung dar, die gemäß § 14 Abs. 3 TNSchG 2005 mangels anderer Bestimmungen in einem Bewirtschaftungsplan nicht als Beeinträchtigung des günstigen Erhaltungszustandes gelte. Die Ansicht der belangten Behörde, dass die Beeinträchtigung des Grauerlenwaldes auf eine intensive Weidenutzung zurückzuführen sei, sei nicht nachvollziehbar. Es fehlten Feststellungen zur Intensität und Üblichkeit der Weidenutzung.
Dazu ist auszuführen, dass die gegenständlichen Grauerlenwälder nach den insoweit nicht bestrittenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid als im Anhang I der Habitat-Richtlinie unter Punkt 91EO genannter Lebensraumtyp "Alnion incanae" bei der Namhaftmachung des Gebiets zur Aufnahme in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung im betreffenden Standarddatenbogen als Erhaltungsziel aufgenommen wurden. Ungeachtet des Umstandes, dass eine Verordnung über die Erhaltungsziele gemäß § 14 Abs. 3 lit. a TNSchG 2005 bisher nicht erlassen wurde, sind daher gemäß § 14 Abs. 11 leg. cit. die Bestimmungen für Natura 2000-Gebiete mit der Maßgabe anzuwenden, dass an die Stelle der festgelegten Erhaltungsziele (u.a.) der Schutz dieses in den Standarddatenblättern enthaltenen Lebensraumes tritt.
Nach § 14 Abs. 3 TNSchG 2005 gelten - entsprechend Art. 2 Abs. 3 der Habitat-Richtlinie, wonach die auf Grund dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen u.a. den Anforderungen von Gesellschaft und Kultur Rechnung tragen - Maßnahmen der üblichen land- und forstwirtschaftlichen Nutzung nur dann als Beeinträchtigung des günstigen Erhaltungszustandes, wenn sich dies aus Bewirtschaftungsplänen (bzw. Vereinbarungen im Rahmen des Vertragsnaturschutzes) ergibt. Ein Bewirtschaftungsplan gemäß § 14 Abs. 3 lit. b bzw. eine Vereinbarung im Rahmen des Vertragsnaturschutzes, wonach die Ausübung der Weide im gegenständlichen Gebiet an sich unzulässig ist, besteht unstrittig nicht. Ob die gegenständliche Beweidung nach dem TNSchG 2005 eine Beeinträchtigung des günstigen Erhaltungszustandes darstellen kann, hängt daher davon ab, ob es sich bei der gegenständlichen Beweidung in der Art, wie sie konkret durchgeführt wurde, um eine "Maßnahme der üblichen land- und forstwirtschaftlichen Nutzung" handelt.
Unter derartigen Maßnahmen sind nach § 3 Abs. 1 TNSchG 2005 Tätigkeiten zu verstehen, die zur Hervorbringung und Gewinnung land- und forstwirtschaftlicher Erzeugnisse mit Hilfe der Naturkräfte unter Anwendung der nach dem jeweiligen Stand der Technik, der Betriebswirtschaft und der Biologie gebräuchlichen Verfahren dienen. Nach den Materialien zu § 3 lit. b des Tiroler Naturschutzgesetz, LGBl. Nr. 15/1975, welche Bestimmung eine inhaltsgleiche Definition enthielt, fällt die Umwandlung von Weide- oder Ackerland in Wald oder umgekehrt jedenfalls nicht darunter.
Dazu haben die Beschwerdeführer in ihrer Berufung ausgeführt, dass das gegenständliche Weiderecht im Grauerlenwald schon seit Jahrhunderten ausgeübt werde. Die Agrargemeinschaft V. hat in ihrer Stellungnahme vom , die in der Beschwerde zitiert wird, dazu ausgeführt, dass es in diesem Waldabschnitt seit jeher ein Nebeneinander zwischen land- und forstwirtschaftlicher Nutzung gebe. Trotz der Nutzung als Weidefläche habe sich der Grauerlenwald so entwickelt, wie er heute bestehe.
Für die Frage, ob eine "übliche land- und forstwirtschaftliche Nutzung" vorliegt, ist auch der rechtliche Rahmen zu beachten, in dem eine Waldweide ausgeübt werden darf. Dieser wird von § 37 Forstgesetz 1975 festgelegt, nach dessen Abs. 1 durch die Waldweide die Erhaltung des Waldes und seiner Wirkungen nicht gefährdet werden darf. Die "übliche land- und forstwirtschaftliche Nutzung" eines Waldes als Weide kann daher nur in solchen Maßnahmen bestehen, bei denen der forstliche Bewuchs und damit die Waldwirkungen erhalten bleiben.
Nach dem Gutachten des naturkundefachlichen Amtssachverständigen erfolgte die Beweidung in den letzten Jahren auf eine solche Art, dass auf Grund von Verbiss, Vertritt, Holznutzungen, Abrechen der Flächen im Frühjahr und ähnlichen Maßnahmen ein ausreichender Jungwuchs fehlt. Der Grauerlenbestand habe sich daher bereits vor dem Schadensereignis im September 2011 in einem derart schlechten Zustand befunden, dass ein dauerhafter Weiterbestand bei gleichbleibender Nutzung ausgeschlossen erscheine. Diesem Gutachten - dem die Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten sind - ist die belangte Behörde in unbedenklicher Weise gefolgt.
Somit erfolgte die Ausübung der Waldweide im vorliegenden Fall so, dass der forstliche Bewuchs nicht auf Dauer bestehen bleiben kann, weshalb es sich hiebei nach den obigen Ausführungen nicht um eine Maßnahme der üblichen land- und forstwirtschaftlichen Nutzung handelt.
Soweit die Beschwerdeführer vorbringen, sie hätten nach dem Schadensereignis nur beschädigte Bäume weggeräumt und keine überschießenden Stockentfernungen vorgenommen, vermögen sie schon deshalb keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen, weil die belangte Behörde die angeordneten Maßnahmen nicht auf die Beeinträchtigung des Grauerlenwaldes im Zuge der Aufräumarbeiten nach diesem Schadensereignis, sondern auf die Art der Beweidung in den letzten Jahren gestützt hat.
Entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeführer ist bei der Erlassung von Maßnahmen gemäß § 14 Abs. 9 TNSchG 2005 keine Interessenabwägung erforderlich. Einen Wertungswiderspruch vermag der Verwaltungsgerichtshof darin nicht zu erblicken, dass der Gesetzgeber für die Bewilligung von Projekten in Natura 2000- Gebieten eine Interessenabwägung vorgesehen hat, eine solche Abwägung bei der Erlassung von Maßnahmen zur Verhinderung bzw. Beseitigung von Schäden durch dem Gesetz nicht entsprechende Handlungen jedoch nicht vorzunehmen ist.
Gegen den Auftrag zur Errichtung eines Weidezaunes wenden sich die Beschwerdeführer mit dem Vorbringen, sie seien zwar als Mitglieder der Alpinteressentschaft N. zur Weideausübung berechtigt, es stehe aber nicht fest, dass tatsächlich sie die Schäden herbeigeführt hätten. Die Behörde habe weder die "eigentlichen Störer" noch das "individuelle Ausmaß" der Weidenutzung durch die einzelnen Beschwerdeführer erhoben.
Gemäß § 14 Abs. 9 TNSchG 2005 hat die Bezirksverwaltungsbehörde demjenigen, der die Verschlechterung oder Störung "veranlasst" hat, die zur Wiederherstellung des früheren Zustandes oder den Interessen bestmöglich entsprechenden Zustandes erforderlichen Maßnahmen auf seine Kosten aufzutragen. Als "Veranlasser" im Sinn dieser Bestimmung ist jeder anzusehen, der aktiv zur Ausführung beigetragen hat (vgl. das zur denselben Begriff enthaltenden Bestimmung des § 17 Abs. 1 TNSchG 2005 ergangene hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/10/0214). Die Beschwerdeführer haben im Verwaltungsverfahren in keiner Weise vorgebracht, dass nicht sie als Weideberechtigte, sondern jemand anderer die im Zuge der Ausübung der Weide und Pflege der Weideflächen entstandene Beeinträchtigung herbeigeführt haben könnte. Ebensowenig haben sie vorgebracht, dass und aus welchen Gründen einzelne von ihnen aufgrund des "individuellen Ausmaßes der Weidenutzung" nicht zur Verschlechterung beigetragen hätten und daher nicht als Verursacher im Sinn der dargestellten Judikatur anzusehen seien.
Weiters meinen die Beschwerdeführer, die belangte Behörde habe aktenwidrig festgestellt, dass sie die Durchführung der schädigenden Bewirtschaftungsmaßnahmen nicht bestritten hätten. Tatsächlich hätten sie schon im Verwaltungsverfahren darauf hingewiesen, sich keiner Schuld bewusst zu sein.
Dazu genügt es darauf hinzuweisen, dass nach § 14 Abs. 9 TNSchG 2005 ausschließlich maßgeblich ist, wer die beeinträchtigende Handlung veranlasst hat, wobei es auf ein Verschulden nicht ankommt.
Soweit die Beschwerdeführer meinen, der vorgeschriebene Weidezaun sei die teuerste Lösung, günstigere Lösungen wären etwa die Ausdünnung des Fichtenbestandes, eine Holzverpflockung oder die Auszäunung von nur kleineren Flächen, ist ihr Vorbringen schon deshalb nicht zielführend, weil sie damit dem naturkundefachlichen Sachverständigengutachten, wonach die vorgeschriebenen Maßnahmen zur Sicherung des Fortbestandes der gegenständlichen Grauerlenbestände erforderlich seien, nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegentreten.
Da sich die Beschwerde somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am
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Normen | 31992L0043 FFH-RL Anh1 Pkt91E0 idF 32006L0105; 31992L0043 FFH-RL Art2 Abs3 idF 32006L0105; EURallg; ForstG 1975 §37; NatSchG Tir 1975 §3 litb; NatSchG Tir 2005 §14 Abs11; NatSchG Tir 2005 §14 Abs3 lita; NatSchG Tir 2005 §14 Abs3 litb; NatSchG Tir 2005 §14 Abs3; NatSchG Tir 2005 §14 Abs9; NatSchG Tir 2005 §3 Abs1; |
Schlagworte | Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4 Gemeinschaftsrecht Richtlinie richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts EURallg4/3 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2013:2012100144.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
LAAAE-72807