VwGH vom 27.11.2012, 2012/10/0134

VwGH vom 27.11.2012, 2012/10/0134

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner sowie die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Beschwerde des JH in S (Belgien), vertreten durch die Dr. Holzmann Rechtsanwalts GmbH in 6020 Innsbruck, Bürgerstraße 17, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom , Zl. uvs-2012/21/1659-1, betreffend Zurückweisung einer Berufung i. A. des Tiroler Schischulgesetzes 1995, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Reutte (Erstbehörde) vom wurde über den Beschwerdeführer wegen einer Übertretung von § 4a iVm § 57 Abs. 1 Tiroler Schischulgesetz 1995 eine Geldstrafe von EUR 1.000,-- verhängt.

Mit dem angefochtenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom wurde die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm §§ 24, 51, 51c und 51e VStG wegen Verspätung "als unzulässig zurückgewiesen".

Die belangte Behörde legte dieser Entscheidung die - in der Beschwerde nicht bestrittenen - Feststellungen zugrunde, das erstinstanzliche Straferkenntnis sei dem Beschwerdeführer am zugestellt worden. Dieser habe dagegen am die Berufung mittels Telefax eingebracht und zugleich ein Mail der Erstbehörde vom vorgelegt, in welchem ausgesprochen werde, dass die Frist zur Einbringung einer Berufung gegen das erstinstanzliche Straferkenntnis "bis verlängert" werde.

Rechtlich führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die gesetzlich angeordnete Berufungsfrist von zwei Wochen habe durch das angeführte Mail der Erstbehörde nicht verlängert werden können. § 61 Abs. 3 AVG stelle auf in Bescheiden enthaltene falsche Rechtsmittelbelehrungen ab, nicht aber auf einfache Mitteilungen per Mail wie im vorliegenden Fall.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und auf die Erstattung einer Gegenschrift verzichtet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

1. Die Beschwerde bringt zunächst vor, der Beschwerdeführer habe in einem Telefonat mit der Erstbehörde am "dezidiert Berufung eingelegt"; mündliche Berufungen seien zulässig.

Dieses Vorbringen erweist sich schon deshalb als unbeachtlich, weil der Beschwerdeführer Derartiges im Verwaltungsstrafverfahren noch nicht behauptet hat (§ 41 Abs. 1 erster Satz VwGG).

2. Im Weiteren bringt die Beschwerde vor, durch das Mail der Erstbehörde sei die Berufungsfrist wirksam erstreckt worden, und beruft sich dabei auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 998/62 (= VwSlg. 6065 A).

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.

2.1. Gemäß § 33 Abs. 4 AVG können durch Gesetz oder Verordnung festgesetzte Fristen, wenn nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist, nicht geändert werden. Eine derartige Ausnahmebestimmung stellt § 61 Abs. 3 AVG dar, wonach - wenn in dem Bescheid eine längere als die gesetzliche Frist angegeben ist -

das innerhalb der angegebenen Frist eingebrachte Rechtsmittel als rechtzeitig gilt.

Somit sind gesetzliche Fristen im Allgemeinen unveränderlich und können von der Behörde - auch auf Antrag der Partei - nicht erstreckt werden. Dieser Grundsatz der Maßgeblichkeit des Gesetzes wird gemäß § 61 Abs. 3 AVG im Interesse der Partei dann durchbrochen, wenn im Bescheid eine längere als die gesetzliche Frist für ein ordentliches Rechtsmittel angegeben ist; darin kommt der Grundsatz von Treu und Glauben zum Ausdruck (so beispielsweise das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/20/0435, mwN; vgl. die weiteren Nachweise aus der hg. Rechtsprechung bei Hengstschläger/Leeb , AVG § 33 Rz 11 und § 61 Rz 22).

Die Vorschrift des § 61 Abs. 3 AVG vermittelt einer an sich nicht normativen, lediglich eine Mitteilung darstellenden Auskunft über die Rechtslage eine normative Bedeutung hinsichtlich der Rechtsmittelfrist ( Hengstschläger/Leeb , AVG § 61 Rz 3).

In dem in der Beschwerde ins Treffen geführten Erkenntnis vom , VwSlg. 6065 A, hat der Gerichtshof allerdings eine anlässlich einer Niederschrift nach Zustellung eines Straferkenntnisses vorgenommene "von der Behörde erster Instanz gewährte Verlängerung der Berufungsfrist (…) im Sinne des § 61 Abs. 3 AVG" beurteilt, weshalb die innerhalb der verlängerten Frist eingebrachte Berufung rechtzeitig sei.

Jenem Erkenntnis lag somit der Fall einer anlässlich der Aufnahme einer Niederschrift mit der Partei normativ ausgedrückten Verlängerung der Berufungsfrist durch die Behörde zugrunde, welcher vom Verwaltungsgerichtshof die Wirkung der Verlängerung der Rechtsmittelfrist beigemessen wurde.

2.2. Nichts anderes kann im vorliegenden Fall gelten:

Würde man zwar bloßen falschen Auskünften über die Rechtslage unter der Voraussetzung, dass diese "in dem Bescheid" (§ 61 Abs. 3 AVG) vorkommen, die Wirkung einer Verlängerung der Rechtsmittelfrist zumessen, nicht aber einer ausdrücklichen normativen Verlängerung der Berufungsfrist durch die Erstbehörde in Schriftform gegenüber einer nicht anwaltlich vertretenen Partei wie im vorliegenden Fall (vgl. dem gegenüber das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/05/0247, betreffend eine - behauptete - formlos mündlich erteilte Verlängerung der Berufungsfrist), läge darin ein dem Gesetzgeber nicht zu unterstellender Wertungswiderspruch.

Die von der Erstbehörde - wenn auch entgegen § 33 Abs. 4 AVG -

in Schriftform normativ zum Ausdruck gebrachte Verlängerung der Berufungsfrist "bis " ist daher rechtlich beachtlich, weshalb die belangte Behörde die am eingebrachte Berufung des Beschwerdeführers zu Unrecht als verspätet zurückgewiesen hat.

3. Ausgehend davon war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

4. Ein Ausspruch über Aufwandersatz unterbleibt mangels darauf gerichteten Antrags (§ 59 Abs. 1 VwGG).

Wien, am