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VwGH vom 24.09.2019, Ra 2017/06/0093

VwGH vom 24.09.2019, Ra 2017/06/0093

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie Senatspräsidentin Dr. Bayjones und Mag. Rehak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision der E L in S, vertreten durch Dr. Andreas Kolar in 6020 Innsbruck, Stafflerstraße 2, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom , LVwG-2016/43/1722-4, betreffend Aussetzung eines Verfahrens gemäß § 38 AVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:

Bezirkshauptmannschaft Kufstein; mitbeteiligte Partei: Dr. N D in H, vertreten durch Mag. Stefan Gamsjäger in 6020 Innsbruck, Burggraben 6), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Das Land Tirol hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin ist Eigentümerin des Gst. Nr. X KG S., welches unmittelbar an das Gst. Nr. Y KG S. des Mitbeteiligten angrenzt. Sie ist auf Grund der Bescheide des Bürgermeisters der Gemeinde S. vom und vom zum Anschluss an die öffentliche Abwasserbeseitigungsanlage der Gemeinde S. für das Objekt X sowie zur Auflassung der Hauskläranlage für dieses Objekt verpflichtet. Ein privater Abwasserkanal, der (zumindest auch) die auf dem Gst. Nr. X KG S. der Revisionswerberin entstehenden Abwässer entsorgt, verläuft durch das Gst. Nr. Y KG S. des Mitbeteiligten und noch weitere Grundstücke bis zum öffentlichen Kanal. Der private Abwasserkanal wurde Ende der 1980er Jahre, jedenfalls vor dem Erwerb des Gst. Nr. Y KG S. durch den Mitbeteiligten, errichtet. Das Bestehen dieses Kanals auf dem Grundstück des Mitbeteiligten ist nicht verbüchert.

2 Mit Klage auf Feststellung, Beseitigung, Unterlassung und Zahlung vom beim Landesgericht Innsbruck (LG) zur Zahl 6 Cg 133/15t begehrte der Mitbeteiligte als Kläger (u.a.) die Feststellung, dass zu Gunsten der Revisionswerberin (Beklagte) als Eigentümerin des Gst. Nr. X KG S. und ihrer Rechtsnachfolger im Eigentum dieses Grundstücks "eine Dienstbarkeit oder ein sonstiges Recht, Versorgungs- und/oder Entsorgungsleitungen jeglicher Art samt damit zusammenhängenden Anlagen oder Leitungen auf dem Gst. Nr. Y ... zu verlegen, zu

führen oder in Stand zu halten ... nicht besteht."

Dieses Verfahren wurde über Antrag der Revisionswerberin mit Zustimmung des Mitbeteiligten mit Beschluss des LG vom bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verwaltungsverfahrens (siehe Rz 3) unterbrochen.

3 Mit Eingabe vom beantragte die Revisionswerberin bei der Bezirkshauptmannschaft K. (BH) die Einräumung eines Zwangsrechts nach dem Tiroler Kanalisationsgesetz 2000 (TiKG 2000) zur Errichtung, Unterhaltung sowie Nutzung der Zuleitung zur öffentlichen Kanalisationsanlage der Gemeinde S. zugunsten (u.a.) ihres Gst. Nr. X KG S. auf dem Gst. Nr. Y KG S. des Mitbeteiligten. Diesen Antrag wies die BH mit Bescheid vom als unzulässig zurück. Die Revisionswerberin erhob dagegen Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Tirol (LVwG).

4 Mit dem angefochtenen Beschluss setzte das LVwG sein Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung des beim LG zu 6 Cg 133/15t behängenden Verfahrens aus. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass gegen diesen Beschluss eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig sei.

Zur Begründung führte das LVwG nach Wiedergabe des in Rz 1 dargestellten Sachverhaltes aus, die BH habe den Antrag der Revisionswerberin auf Einleitung eines Enteignungsverfahrens nach § 12 Abs. 6 TiKG 2000 spruchgemäß zwar als unzulässig zurückgewiesen, nach der Begründung allerdings abgewiesen, weil die Voraussetzungen für eine Enteignung nicht vorlägen (wird näher ausgeführt). In Bezug auf den Spruch liege daher ein bloßes Vergreifen im Ausdruck vor. Sache des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens sei demnach die Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer abweisenden Entscheidung.

Im Revisionsfall bestehe (unbestritten) bereits ein Anschlusskanal für die Liegenschaft der Revisionswerberin, welcher durch das Grundstück des Mitbeteiligten verlaufe. Seitens des LVwG habe nicht festgestellt werden können, dass dieser Anschlusskanal widerrechtlich errichtet bzw. benützt worden sei. Im Lichte der (näher dargestellten) verfassungsrechtlichen Vorgaben könne ein derart gravierender Eingriff in die Eigentumsrechte des Mitbeteiligten, wie ihn eine Enteignung mit sich bringe, nicht gerechtfertigt werden, wenn der Zweck der Enteignung faktisch bereits verwirklicht sei und die Rechtmäßigkeit der Errichtung bzw. Nutzung dieses Abwasserkanals nicht eindeutig verneint werden könne. Dass es diese Möglichkeit gebe, lasse sich auch dem Gesetzestext nicht entnehmen.

Bei der Frage, ob der bestehende Abwasserkanal rechtmäßig bestehe und benutzt werde, handle es sich daher um eine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG. U.a. diese Frage sei Gegenstand des beim LG anhängigen Verfahrens, dessen Unterbrechung sich auf die Gerichts- und Streitanhängigkeit nicht auswirke (Hinweis auf Fasching/Konecny II/3 § 163 ZPO). Da § 38 AVG im Wege des § 17 VwGVG auch im Verfahren vor dem LVwG zur Anwendung komme, werde das vorliegende Verfahren bis zur rechtskräftigen Beendigung des angeführten Verfahrens unterbrochen. Dem im Zuge des Parteiengehörs erstatteten ergänzenden Vorbringen der Revisionswerberin, ein Enteignungsverfahren könne auch bezüglich eines bereits bestehenden Abwasserkanals durchgeführt werden, werde nicht entgegengetreten. Eine Enteignung vor Klärung der zivilrechtlichen Gegebenheiten komme jedoch aus den dargestellten schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Überlegungen zur Zulässigkeit einer Enteignung nicht in Betracht. Es sei undenkbar, bloß der Vorsicht halber - sollte im zivilgerichtlichen Verfahren zugunsten des Mitbeteiligten entschieden werden - eine Enteignung vorzunehmen. Da ein unterbrochenes Verfahren weiterhin als streitanhängig gelte, lägen die Voraussetzungen des § 38 (gemeint:) zweiter Satz AVG vor. Die von der Revisionswerberin ins Treffen geführten Argumente der Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit träten gegenüber den verfassungsrechtlichen Überlegungen in den Hintergrund. Seitens des LVwG könne nicht nachvollzogen werden, wie in dieser Fallkonstellation die Revisionswerberin dauerhaft an der Erfüllung der Anschlusspflicht gehindert werden könne.

5 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Revision.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Verwaltungsakten und einer Revisionsbeantwortung des Mitbeteiligten, in der dieser - wie die Revisionswerberin - die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und/oder Rechtswidrigkeit des Inhaltes begehrt, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

6 Die Revision ist in Bezug auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 38 zweiter Satz AVG zulässig. 7 Festzuhalten ist zunächst, dass ein gemäß § 17 VwGVG in Verbindung mit § 38 AVG ergangener Aussetzungsbeschluss keine bloß verfahrensleitende Entscheidung im Sinn des § 25a Abs. 3 VwGG ist. Er unterliegt daher auch nicht dem Revisionsausschluss nach dem ersten Satz dieser Bestimmung (vgl. etwa , mwN).

8 Im Revisionsfall wollen sowohl das LG (über Antrag der Revisionswerberin) als auch das LVwG die Entscheidung des jeweils anderen Gerichtes abwarten:

Im Zivilprozess zwischen dem Mitbeteiligten und der Revisionswerberin soll die Frage geklärt werden, ob hinsichtlich des bestehenden Abwasserkanals für die Abwässer (auch) der Revisionswerberin über das Grundstück des Mitbeteiligten eine Dienstbarkeit besteht. Im Verfahren über die Zulässigkeit der Enteignung zum Zwecke des Anschlusses einer Anlage, deren Anschlusspflicht - wie vorliegend (siehe Rz 1) - feststeht, ist (u.a.) Zulässigkeitsvoraussetzung, dass der Gegenstand der Enteignung nicht anders als durch Enteignung beschafft werden kann, insbesondere weil eine gütliche Einigung zwischen den Beteiligten nicht zustande kommt (§ 12 Abs. 2 lit. c TiKG 2000). Es ist daher der Ansicht des LVwG im Ergebnis beizutreten, dass die Frage des Bestehens/Nichtbestehens einer Dienstbarkeit mit dem umschriebenen Inhalt im zivilgerichtlichen Verfahren für die Beurteilung der Zulässigkeit der Enteignung, weil der Gegenstand der Enteignung nicht anders beschafft werden kann, eine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG ist.

9 Ist die Vorfrage bereits Gegenstand eines anhängigen Verfahrens (hier:) des zuständigen Gerichtes, kann das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage ausgesetzt werden (§ 38 zweiter Satz AVG). Das zivilgerichtliche Verfahren ist vorliegend allerdings, was dem LVwG bei seiner Beschlussfassung am bekannt war, seinerseits schon seit bis zur Entscheidung im hier vorliegenden Verwaltungsverfahren unterbrochen, wobei mit einer Fortsetzung dieses Verfahrens nicht zu rechnen ist bzw. für eine derartige Annahme keinerlei Anhaltspunkte vorliegen. Eine Aussetzung des Verwaltungsverfahrens bis zur Entscheidung im ausgesetzten zivilgerichtlichen Verfahren kommt daher nicht in Betracht (vgl. im gleichen Sinn VfSlg. 12840/1991). Dass aus zivilprozessualer Sicht die Unterbrechung eines Verfahrens an der Gerichts- und Streitanhängigkeit nichts ändert, führt zu keiner anderen Beurteilung. Die Prozesslage soll durch die Unterbrechung nicht verändert, sondern nur in jenem Stadium fixiert werden, in dem sie sich bei Eintritt der Unterbrechung befindet (Fink in Fasching/Konecny3 II 3 § 169 ZPO Rz 1).

10 Indem das LVwG dies verkannte, belastete es den angefochtenen Beschluss mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

11 Die Kostenentscheidung beruht auf den § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2017060093.L00

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