VwGH vom 01.08.2017, Ra 2017/06/0041
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, die Hofrätinnen Dr. Bayjones, Mag.a Merl und Mag. Rehak sowie Hofrat Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schreiber, über die Revision 1. der A W und 2. des R W, beide in S und beide vertreten durch Dr. Klaus Rainer, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Kaiserfeldgasse 22, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Salzburg vom , 405- 3/89/1/16-2017, betreffend einen Beseitigungsauftrag (mitbeteiligte Parteien: 1. G S und 2. Ing. R S, beide vertreten durch Dr. Sonja Moser, Rechtsanwältin in 5020 Salzburg, Mühlbacherhofweg 4/11; belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Gemeindevertretung der Gemeinde St. Gilgen am Wolfgangsee, vertreten durch Dr. Gerhard Lebitsch, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Rudolfskai 48; weitere Partei: Salzburger Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Gemeinde St. Gilgen am Wolfgangsee hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Zur Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom , Ra 2016/06/0015 (betreffend das auch hier gegenständliche Bauauftragsverfahren), und die darin genannten Vorerkenntnisse sowie den hg. Beschluss vom , Ra 2016/06/0014 (im Verfahren betreffend eine Änderung der Baubewilligung für das gegenständliche Bauwerk), verwiesen.
2 Den mitbeteiligten Parteien (bauwerbenden Parteien) wurde mit Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde S (Baubehörde erster Instanz) vom (im Folgenden kurz: Baubewilligung 2007) die Bewilligung für die Errichtung eines Wohnhauses auf dem Grundstück Nr. X, KG S., erteilt.
3 Mit Eingabe vom beantragten die bauwerbenden Parteien eine Änderung der Baubewilligung 2007. Mit dem erstinstanzlichen Bescheid vom wurde den bauwerbenden Parteien die Baubewilligung erteilt (im Folgenden: Änderungsgenehmigung 2010). Eine von den revisionswerbenden Parteien erhobene Berufung wurde von dem mit zuständig gewordenen Landesverwaltungsgericht Salzburg (LVwG) mit Beschluss vom als unzulässig zurückgewiesen, weil den revisionswerbenden Parteien als Eigentümer eines südwestlich des Baugrundstückes gelegenen Grundstückes hinsichtlich der bewilligten Änderungen keine subjektiven Rechte zukämen. Die von den revisionswerbenden Parteien dagegen erhobene außerordentliche Revision wurde mit hg. Beschluss vom , Ra 2016/06/0014, zurückgewiesen.
4 Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind die Anträge der revisionswerbenden Parteien als Eigentümer des südwestlich des Bauvorhabens gelegenen Grundstückes Nr. X, KG S., vom , , , , und auf Erlassung baupolizeilicher Aufträge gemäß § 16 Baupolizeigesetz (BauPolG). Diese Anträge wurden mit Bescheid der Gemeindevertretung der Gemeinde S vom als im Rahmen eines Devolutionsverfahrens zuständig gewordene Behörde abgewiesen. Die von den revisionswerbenden Parteien eingebrachte Vorstellung (die ab als Beschwerde zu werten war und im Folgenden als solche bezeichnet wird) wurde vom LVwG mit Erkenntnis vom als unbegründet abgewiesen. Dieses Erkenntnis wurde mit hg. Erkenntnis vom , Ra 2014/06/0033, aufgehoben, weil das LVwG in rechtswidriger Weise keine mündliche Verhandlung durchgeführt hatte.
Im fortgesetzten Verfahren (nach Aufhebung des Erkenntnisses des LVwG vom durch das hg. Erkenntnis Ra 2014/06/0033) wies das LVwG die Beschwerde der revisionswerbenden Parteien mit Erkenntnis vom neuerlich als unbegründet ab. Dieses Erkenntnis wurde auf Grund einer außerordentlichen Revision der revisionswerbenden Parteien mit hg. Erkenntnis vom , Ra 2016/06/0015, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Darin führte der Verwaltungsgerichtshof wörtlich aus:
"20 Da das Wohnhaus der bauwerbenden Parteien unbestritten mit einem Eingangsniveau von 611,11 m ü. A. zur Ausführung gelangte, wurde es nicht in Übereinstimmung mit der Baubewilligung 2007 ausgeführt.
21 Zu prüfen ist daher, ob eine Abstandsverletzung im Sinne des § 16 Abs. 6 BauPolG durch die tatsächlich erfolgte, von der Baubewilligung 2007 abweichende Ausführung, wonach das Gebäude etwas höher gesetzt wurde als im Projekt vorgesehen, vorliegt, weil § 16 Abs. 6 BauPolG auf die ‚Ausführung' abstellt und auch nur das tatsächlich errichtete Bauwerk die revisionswerbenden Parteien beschweren kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/06/0136).
22 Das angefochtene Erkenntnis enthält keine eindeutigen Feststellungen, ob das Kellergeschoss des Gebäudes unter Zugrundelegung eines Eingangsniveaus von 611,11 m ü. A. als oberirdisch zu beurteilen ist.
Die weitere Begründung des LVwG, ‚(b)ei Berücksichtigung des dargestellten Geländes des Planverfassers ist das Kellergeschoss als unterirdisch gemäß § 56 Abs. 5 ROG 2009 zu bewerten. Für die rechtliche Beurteilung ist infolge der rechtskräftigen Baubewilligung, der die Einreichunterlagen zugrunde gelegen sind, dieses Gelände bei der Berechnung heranzuziehen. Der Amtssachverständige bestätigte in diesem Zusammenhang die Richtigkeit der Berechnung, wonach es sich beim untersten Geschoss um ein unterirdisches Geschoss handelt' ist ohne nähere Darstellung der Ausführungen des Amtssachverständigen nicht nachvollziehbar; dem angefochtenen Erkenntnis zufolge wurden der Baubewilligung 2007 eben nicht die Einreichunterlagen, sondern das höhere Eingangsniveau von 611,14 m ü. A. zugrunde gelegt.
23 Mit dem Beschwerdevorbringen, das gegenständliche Bauvorhaben überschreite die südwestliche Baugrenzlinie, setzte sich das LVwG überhaupt nicht auseinander.
24 Es kann somit nicht abschließend beurteilt werden, ob die revisionswerbenden Parteien durch die tatsächliche Ausführung des Bauvorhabens in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten auf Einhaltung der Abstandsbestimmungen im Sinn des § 16 Abs. 6 BauPolG verletzt werden. Das angefochtene Erkenntnis erweist sich als derart mangelhaft begründet, dass eine nachprüfende (inhaltliche) Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nicht möglich ist. Die Revision zeigt zutreffend auf, dass das LVwG bei Unterbleiben der aufgezeigten Begründungsmängel und Verfahrensfehler zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können.
25 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben."
5 In dem (nach Aufhebung des Erkenntnisses des LVwG vom durch das hg. Erkenntnis Ra 2016/06/0015) fortgesetzten Verfahren stellte das LVwG - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - im angefochtenen Erkenntnis folgenden Sachverhalt fest:
Die Einreichplanung, die der Baubewilligung 2007 zugrunde gelegen sei, lege eine Höhenkote von 611,00 m ü. A. fest. Tatsächlich sei das Einfamilienhaus der mitbeteiligten Parteien mit einer Höhenkote von 611,11 m ü. A. zur Ausführung gelangt. Mit Schreiben vom hätten die mitbeteiligten Parteien "unter Vorlage eines Einreichplans (datiert vom ) in Entsprechung der tatsächlichen Errichtung die Änderung der erteilten Baubewilligung wegen geringfügiger Abweichungen beantragt, (unter anderem) wurde in der Einreichplanung für das Eingangsniveau die Höhenkote 611,11 festgelegt." Im Rahmen der Verhandlung habe der bautechnische Sachverständige eine Beurteilung abgegeben, wonach unter anderem das Vorstehen der Dachkonstruktion über die gedachte Linie von 45 Grad zu keiner wesentlichen Veränderung des Erscheinungsbildes geführt habe; alle Bestimmungen, die subjektiv-öffentliche Rechte begründeten, würden eingehalten. Die Einreichplanung vom - so das LVwG weiter - sei nach Maßgabe des Bescheides vom genehmigt worden. Darin sei das Eingangsniveau des Bauvorhabens mit 611,11 m ü. A, angegeben und somit dem tatsächlich Errichteten angepasst worden.
"Jener Teil des Kellers, der dem Grundstück der revisionswerbenden Parteien zugewandt ist, befindet sich zur Gänze unter dem angrenzenden natürlichen Gelände, dies gilt sowohl bei einer Betrachtung der Baubewilligung 2007 (Eingangsniveau 611,00 m ü. A.) als auch der Änderungsgenehmigung 2010 (Eingangsniveau 611,11 m ü. A). Der unterirdische Bauteil des Kellergeschosses in der Hangseite hält den erforderlichen 2-Meter-Abstand zur Bauplatzgrenze im Süd-Westen ein. Dieser tieferliegende Kellerbereich wurde auch in der Planung unter dem gewachsenen Gelände eingezeichnet.
Oberhalb dieses Kellerteils wurde eine Stützkonstruktion angebracht, diese soll die Aufschüttung oberhalb der Kellerdecke zurückhalten, der obere Teil stellt eine verblechte Holz-/Prefa-Alu-Konstruktion mit Dämmung dar. Es handelt sich hierbei um keine Außenmauer des Kellers bzw. um keine Verbindung zum Keller."
Die Baugrenzlinie von 6 m werde gemäß dem Vermessungsergebnis des Geometers F vom zur südwestlichen Bauplatzgrenze nicht überbaut.
6 Beweiswürdigend führte das LVwG aus, den schlüssigen, vollständigen und nachvollziehbaren Angaben des Amtssachverständigen E zufolge sei die Baugrenzlinie mit dem fertiggestellten Bau nicht überbaut worden und die tatsächliche Ausführung des Baus stimme mit der Baubewilligung sowie der Änderungsbewilligung überein. Der Amtssachverständige habe anhand der Pläne nachvollziehbar ausgeführt, dass der Kellerteil, der dem Grundstück der revisionswerbenden Parteien zugewandt sei, zur Gänze unterhalb des natürlichen Geländes zu liegen komme (dies sowohl bei Betrachtung der Baubewilligung 2007 als auch der Änderungsgenehmigung 2010). Auch aus den Messungen des Geometers F gehe hervor, dass die Baugrenzlinie eingehalten werde, zumal diese nicht mit oberirdischen Bauteilen überbaut worden sei.
7 In seiner rechtlichen Beurteilung führte das LVwG - soweit dies für das vorliegende verwaltungsgerichtliche Verfahren noch relevant ist - aus, gemäß § 16 Abs. 6 BauPolG komme es darauf an, welche Abstände rechtskräftig bewilligt seien und welche Abstände tatsächlich vorlägen. Fallbezogen seien die Einreichunterlagen aus dem Jahr 2007 mit Bescheid vom ebenso genehmigt worden wie die Einreichplanung vom . "Die rechtskräftige Änderungsgenehmigung ist im Zusammenhalt mit dem ursprünglichen Baukonsens zu sehen, wobei aus der zugrunde liegenden Einreichplanung deutlich (zwei Vermerke) hervorgeht, dass für das Eingangsniveau eine Höhenkote von 611,11 festgelegt ist, welche gleichzeitig als Nullebene ausgewiesen ist und damit für die Gebäudehöhe maßgeblich ist." Das Projekt sei mit diesem - erst nachträglich bewilligten - Eingangsniveau zur Ausführung gelangt; darüber hinaus seien keine baulichen Maßnahmen gesetzt worden, weshalb mangels einer bescheidwidrigen bzw. einer nicht bewilligten Ausführung auch keine Abstandsverletzung im Sinn des § 16 Abs. 6 BauPolG gegeben sein könne und daher auch keine baubehördlichen Maßnahmen gemäß Abs. 1 bis 4 auf Antrag des betroffenen Nachbarn zu setzen gewesen seien (Hinweis auf Giese, Salzburger Baurecht, Rz 43 zu § 16 BauPolG).
Jener Kellerteil, der dem Grundstück der revisionswerbenden Parteien zugewandt sei, sei gemäß den Sachverhaltsfeststellungen sowohl nach den Einreichunterlagen 2007 als auch nach der Änderungsgenehmigung 2010 als unterirdisch im Sinn des § 56 Abs. 5 Salzburger Raumordnungsgesetz 2009 (ROG) zu werten. Ein Überbauen der Baugrenzlinien sei jedoch gemäß § 55 Abs. 3 leg. cit. nur hinsichtlich oberirdischer Bauten untersagt. Dieser Kellerteil halte auch den im § 25 Abs. 5 Bebauungsgrundlagengesetz (BGG) normierten 2-Meter-Abstand zur Grenze des Bauplatzes ein. Selbst wenn man von einem bewilligten Eingangsniveau von 611,00 m ü. A. und damit von einer konsenswidrigen Ausführung ausginge, wäre zunächst § 25 Abs. 2 BGG zu berücksichtigen, wonach die weiteren Bestimmungen hinsichtlich der Lage im Bauplatz nur dann anzuwenden wären, wenn nicht durch den Bebauungsplan Bebauungsgrundlagen hinsichtlich der Lage im Bauplatz vorgesehen wären. Im vorliegenden Fall seien im Bebauungsplan unter anderem die Anzahl der Geschoße und die Baugrenzlinien, welche gemäß § 55 Abs. 3 ROG durch oberirdische Bauten nicht überschritten werden dürften, festgelegt. Aus den Bestimmungen über die Anzahl der Geschoße könne nur dann ein subjektiv-öffentliches Recht der Nachbarn abgeleitet werden, wenn die Gebäudehöhe durch die Bestimmungen über die zulässige Geschoßzahl bestimmt werde. Der Nachbar habe ein subjektivöffentliches Recht auf Einhaltung der durch die Anzahl der Geschoße festgelegten Gebäudehöhe an der ihm zugewandten Seite (Hinweis auf die hg. Erkenntnisse vom , 2008/05/0173, und vom , 94/05/0044).
Diese subjektiv-öffentlichen Rechte seien jedoch anders zu beurteilen als jenes, das im § 16 Abs. 6 BauPolG normiert werde. Diese Bestimmung ziele im Fall einer bescheidwidrigen oder nicht bewilligten Ausführung ausschließlich auf eine Verletzung der Abstände zu der Grenze des Bauplatzes oder zu anderen Bauten ab. Es bleibe daher Nachbarn verwehrt, allenfalls im Rahmen des Bewilligungsverfahrens verabsäumte Einwendungen im Wege des Beseitigungsverfahrens "nachzuholen". Eine Verletzung durch einen allenfalls dreigeschossigen Bau, der in dieser Form zwar nicht bewilligungsfähig gewesen wäre, könne daher bei Einhaltung der Abstände nicht mit Erfolg auf § 16 Abs. 6 BauPolG gestützt werden.
Abschließend begründete das LVwG, aus welchem Grund seiner Ansicht nach die Außenstiege im Gartenbereich nicht bewilligungspflichtig sei.
Eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für nicht zulässig erklärt.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, in der beantragt wurde, das angefochtene Erkenntnis des LVwG "in gänzlicher Stattgebung der erstatteten Anträge vom , , , , , und abzuändern oder das Erkenntnis aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an die Unterbehörde zurückverweisen."
9 Die mitbeteiligten Parteien sowie die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht erstatteten Revisionsbeantwortungen und beantragten die Ab- bzw. Zurückweisung der Revision; die mitbeteiligten Parteien beantragten, in eventu eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
10 In ihrer Zulässigkeitsbegründung rügt die Revision unter anderem die Verletzung der Bindungswirkung im Hinblick auf das hg. Erkenntnis Ra 2016/06/0015; die darin erteilten Aufträge seien nicht erfüllt und der entscheidungswesentliche Sachverhalt unvollständig erfasst worden. Die subjektiv-öffentlichen Rechte der revisionswerbenden Parteien seien überdies unrichtig beurteilt worden.
11 Die Revision erweist sich als zulässig, sie ist aus folgenden Gründen auch berechtigt:
12 §§ 16 und 25 Salzburger Baupolizeigesetz 1997 - BauPolG, LGBl. Nr. 40/1997, in der hier anzuwendenden Fassung LGBl. Nr. 1/2016, lauten auszugsweise:
"Folgen der bescheidwidrigen oder nicht bewilligten
Ausführung baulicher Maßnahmen
§ 16
(1) ...
(6) Wird durch eine bescheidwidrige oder nicht bewilligte Ausführung einer baulichen Maßnahme gegen eine Bestimmung betreffend Abstände zu der Grenze des Bauplatzes oder zu anderen Bauten verstoßen, so steht dem hiedurch in seinen subjektivöffentlichen Rechten verletzten Nachbarn das Recht der Antragstellung auf behördliche Maßnahmen nach Abs. 1 bis 4 zu. Dies gilt nicht, wenn die bauliche Anlage 20 oder mehr Jahre ab Vollendung der baulichen Maßnahme, bei Bauten ab Aufnahme der auch nur teilweisen Benützung besteht. Der Antrag hat solche Gründe zu enthalten, die einen Verstoß gegen Abstandsbestimmungen als wahrscheinlich erkennen lassen.
(7) ...
§ 25
(1) ...
(5) Unterirdische Bauten und unterirdische Teile von Bauten müssen von der Grenze des Bauplatzes einen Abstand von mindestens 2 m haben. Ein kleinerer Abstand oder ein Anbau an die Grenze des Bauplatzes kann bewilligt werden, wenn der Bau infolge einer schon bestehenden Bebauung oder wegen der Oberflächengestaltung oder Grundbeschaffenheit des Bauplatzes nicht an anderer Stelle errichtet werden kann. Wenn es die Oberflächengestaltung oder die Grundbeschaffenheit des Bauplatzes erfordert, kann auch ein größerer Abstand vorgeschrieben werden.
(6) ..."
Die §§ 55 Abs. 3 und 56 Abs. 5 Salzburger Raumordnungsgesetz 2009, LGBl. Nr. 30/2009, in der hier anzuwendenden Fassung LGBl. Nr. 9/2016, lauten:
"§ 55
(1) ...
(3) Baugrenzlinien sind Linien gegenüber anderen Flächen als Verkehrsflächen, die durch oberirdische Bauten nicht überschritten werden dürfen.
(4) ...
Bauliche Ausnutzbarkeit der Grundflächen
§ 56
(1) Die bauliche Ausnutzbarkeit der Grundflächen kann durch die Festlegung einer Grundflächenzahl, einer Baumassenanzahl oder einer Geschoßflächenzahl festgelegt werden.
...
(5) Als oberirdisch gilt ein Geschoß, das über mindestens die Hälfte seiner Fläche mehr als 1 m über das angrenzende natürliche Gelände oder bei Geländeabtragung über das neugeschaffene Niveau hinausragt.
(6) ..."
Gemäß § 63 Abs. 1 VwGG sind dann, wenn der Verwaltungsgerichtshof einer Revision stattgab, die Verwaltungsgerichte und die Verwaltungsbehörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtzustand herzustellen.
13 Bei der Erlassung der Folgeentscheidung gemäß § 63 Abs. 1 VwGG sind die Verwaltungsbehörden bzw. Verwaltungsgerichte somit an die vom VwGH in seinem aufhebenden Erkenntnis geäußerte, für die Aufhebung tragende Rechtsanschauung gebunden; eine Ausnahme bildet der Fall einer wesentlichen Änderung der Sach- und Rechtslage (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Ro 2016/06/0014).
14 Das LVwG ging in dem angefochtenen Erkenntnis davon aus, dass sich der Sachverhalt, den der Verwaltungsgerichtshof seinem Erkenntnis Ra 2016/06/0015 zu Grunde gelegt hatte, durch die Änderungsgenehmigung 2010 insofern geändert hätte, als durch diese Änderungsgenehmigung das Eingangsniveau des Objektes nunmehr mit 611,11 m ü. A. festgelegt worden wäre.
15 Dabei übersieht das LVwG jedoch, dass die als Beschwerde zu wertende Berufung der revisionswerbenden Parteien betreffend die Änderungsgenehmigung 2010 mit Beschluss des LVwG vom zurückgewiesen wurde. In dem Verfahren betreffend den Beseitigungsauftrag, das der hg. Entscheidung Ra 2016/06/0015 zugrunde lag und mit Erkenntnis des LVwG (ebenfalls vom ) entschieden wurde, lag die Änderungsgenehmigung 2010 bereits vor. Somit trat - entgegen der vom LVwG vertretenen Rechtsansicht - gegenüber dem dem aufhebenden Erkenntnis Ra 2016/06/0015 zugrunde liegenden Sachverhalt keine Änderung der Sach- und Rechtslage ein. Das LVwG hatte daher in Bindung an die vom Verwaltungsgerichtshof dargelegte Rechtsansicht Feststellungen zu treffen, ob das Kellergeschoß des Gebäudes unter Zugrundelegung eines Eingangsniveaus von 611,11 m ü. A. als oberirdisch zu beurteilen ist (Rz 22 des Erkenntnisses Ra 2016/06/0015).
16 Das LVwG vertritt weiters offenbar die Ansicht, dass ein Nachbar die Frage, ob ein Geschoß als unterirdisch oder oberirdisch gilt, nur geltend machen kann, wenn dieses Geschoß auf der seinem Grundstück zugewandten Seite überwiegend über dem natürlichen Gelände liegt.
17 Dieser Rechtsansicht vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht zu folgen.
18 Für das verfahrensgegenständliche Baugrundstück wurde im Bebauungsplan G der Grundstufe eine maximale Bauhöhe von zwei oberirdischen Geschossen und eine Baugrenzlinie von 6 m festgelegt. Gemäß § 56 Abs. 5 ROG gilt ein Geschoß dann als oberirdisch, wenn es über mindestens die Hälfte seiner Fläche mehr als 1 m über das angrenzende natürliche Gelände oder bei Geländeabtragung über das neu geschaffene Niveau hinausragt. Unterirdische Bauten und unterirdische Teile von Bauten müssen gemäß § 25 Abs. 5 BGG - abgesehen von hier nicht relevanten Ausnahmen - von der Grenze des Bauplatzes einen Abstand von mindestens 2 m haben.
19 Es trifft zwar zu, dass Nachbarn gemäß § 16 Abs. 6 BauPolG einen Rechtsanspruch auf Erlassung entsprechender Maßnahmen nur bei Abstandsverletzungen an der ihrem Grundstück zugewandten Gebäudefront haben. Die Beurteilung der Frage, ob ein Geschoss gemäß § 56 Abs. 5 ROG als unterirdisch oder oberirdisch gilt, kann jedoch nur für das gesamte Geschoß einheitlich (und damit ohne eine Differenzierung dahingehend, gegenüber welcher Grundgrenze es oberirdisch oder unterirdisch sei), erfolgen. Zu beurteilen ist dabei, ob ein Geschoß über mindestens die Hälfte seiner (horizontalen) Fläche mehr als 1 m über das angrenzende natürliche Gelände oder das neu geschaffene Niveau hinausragt. Erweist sich ein Geschoß nach dieser Definition als oberirdisch, kann ein Nachbar auch dann die Einhaltung der Abstandsbestimmungen - fallbezogen der Baugrenzlinien - geltend machen, wenn dieses oberirdische Geschoß auf der seinem Grundstück zugewandten Seite überwiegend oder sogar zur Gänze unter dem Geländeniveau liegt.
20 Unter Zugrundelegung dieser Rechtsansicht traf das LVwG nach wie vor keine ausreichenden Feststellungen, ob das Kellergeschoß als unterirdisch oder als oberirdisch zu beurteilen ist. Es kann somit immer noch nicht beurteilt werden, ob hinsichtlich dieses Geschoßes eine Abstandsbestimmung von 2 m oder von 6 m einzuhalten ist und die revisionswerbenden Parteien diesbezüglich in subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt werden können.
21 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
22 Von der Durchführung der von den mitbeteiligten Parteien beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 6 VwGG Abstand genommen werden, zumal das LVwG zuletzt am eine öffentliche mündliche Verhandlung durchführte (vgl. die bei Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, E 4ff zu § 39 VwGG zitierte hg. Judikatur).
23 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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Schlagworte: | Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv-öffentliche Rechte, Abstandsvorschriften BauRallg5/1/1 |
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