VwGH vom 18.02.2011, 2008/01/0426
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung
verbunden):
2008/01/0427
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Jäger, über die Beschwerden 1. des K M (geboren 1969) und 2. der S M (geboren 1976), beide in W, beide vertreten durch Mag. Josef Phillip Bischof, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Währinger Straße 26/1/3, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates jeweils vom , Zlen. 234.205/7/14E-II/04/06 (1.) und 303.869-C1/8E-II/04/2006 (2.), jeweils betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.286,40, zusammen somit EUR 2.572,80, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführer sind Ehegatten; beide sind Staatsangehörige von Serbien aus Novi Pasar und Angehörige der Volksgruppe der Bosniaken. Der Erstbeschwerdeführer brachte beim Bundesasylamt am einen Asylantrag ein, die Zweitbeschwerdeführerin am .
Mit dem erstangefochtenen Bescheid wurde die Berufung des Erstbeschwerdeführers gegen die erstinstanzliche Abweisung seines Asylantrages gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 AsylG seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Serbien als zulässig festgestellt (Spruchpunkt II.) und der Erstbeschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Serbien ausgewiesen (Spruchpunkt III.).
Mit dem zweitangefochtenen Bescheid wurde die Berufung der Zweitbeschwerdeführerin gegen die erstinstanzliche Abweisung ihres Asylantrages gemäß § 7 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Serbien als zulässig festgestellt (Spruchpunkt II.) und die Zweitbeschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Serbien ausgewiesen (Spruchpunkt III.).
Zur Begründung führte die belangte Behörde in den angefochtenen Bescheiden gleichlautend aus, das Bundesasylamt habe die Angaben der Beschwerdeführer als "grundsätzlich unwahr" bzw. "völlig unwahr" erachtet. In den Berufungen hätten die Beschwerdeführer "versucht, der Beweiswürdigung des Bundesasylamtes entgegenzutreten". Die belangte Behörde habe im Verfahren der Beschwerdeführer ein gemeinsames "Gutachten eines landeskundlichen Sachverständigen" eingeholt. Dieses Gutachten habe den nachfolgend wörtlich wiedergegebenen Wortlaut. Zu diesem Gutachten sei im Rahmen des gewährten Parteiengehörs keine Stellungnahme der Beschwerdeführer eingelangt.
In rechtlicher Hinsicht wurde ausgeführt, auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen seien keine relevanten Gefährdungen zu befürchten. Durch Amnestiegesetze von 1996 und 2001 seien die strafrechtlichen Konsequenzen für den Erstbeschwerdeführer wegen seiner Weigerung, den Einberufungsbefehlen 1991 bzw. 1998 Folge zu leisten, gänzlich ausgeräumt. Auch bezüglich seiner Aktivitäten für die politische Partei SDA könne eine Gefahr für Leib und Leben "mit übergroßer Wahrscheinlichkeit" ausgeschlossen werden; ebenso seine Gefährdung aus ethnischen Gründen wegen Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Bosniaken. Sämtliche Gefährdungen der Zweitbeschwerdeführerin "als Reflex der Gefährdung ihres Gatten bzw. gleichartig mit ihm entbehren der realen Grundlage". Ihre eigenständige Gefährdung durch Nachbarn als Angehörige eines Deserteurs "erscheine mehr als unwahrscheinlich".
Beide Beschwerdeführer würden im Falle ihrer Rückkehr in ihre Herkunftsregion nicht in eine existentielle Notlage geraten.
Zur Ausweisung wurde ausgeführt, dieser sei der Erstbeschwerdeführer mit dem Hinweis seiner "angeblich 15jährigen Integration", die Zweitbeschwerdeführerin mit dem Hinweis auf ihre "langjährige Integration" entgegengetreten. Die vom Erstbeschwerdeführer behauptete Integration könne schon auf Grund des mit einem Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom gegen ihn bis gültig verhängten Aufenthaltsverbotes nicht angenommen werden. Die Zweitbeschwerdeführerin sei in das Bundesgebiet erst 1998 eingereist; in diesem Jahr sei das Aufenthaltsverbot gegen den Erstbeschwerdeführer verhängt worden. Der Zweitbeschwerdeführerin habe von Anfang an klar sein müssen, dass sie ihren Aufenthalt im Bundesgebiet nicht auf eine legale Grundlage stütze.
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sei "gemäß § 67d Abs. 1 AVG nicht erforderlich" gewesen.
Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden.
Die belangte Behörde legte die Akten der Verwaltungsverfahren vor und beantragte, die Beschwerden als unbegründet abzuweisen und den gesetzlichen Kostenersatz zuzusprechen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass die Voraussetzung eines aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärten Sachverhaltes gemäß Art. II Abs. 2 Z. 43a EGVG, der eine Berufungsverhandlung entbehrlich macht, dann nicht erfüllt ist, wenn die erstinstanzliche Beweiswürdigung in der Berufung substantiiert bekämpft wird oder der Berufungsbehörde ergänzungsbedürftig oder in entscheidenden Punkten nicht richtig erscheint, wenn rechtlich relevante und zulässige Neuerungen vorgetragen werden oder wenn die Berufungsbehörde ihre Entscheidung auf zusätzliche Ermittlungsergebnisse stützen will (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 2008/19/0216, 0217, mwN).
In den gegenständlichen Fällen nahm die belangte Behörde begründungslos von einer Berufungsverhandlung Abstand. Sie hielt in den angefochtenen Bescheiden fest, die Erstbehörde habe das Vorbringen der Beschwerdeführer als unglaubwürdig beurteilt und die Beschwerdeführer seien der erstinstanzlichen Beweiswürdigung in ihren Berufungen entgegengetreten. Die belangte Behörde holte ein gemeinsames "Gutachten eines landeskundlichen Sachverständigen" ein.
Die Voraussetzungen eines aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärten Sachverhaltes waren daher nicht erfüllt. Die belangte Behörde wäre deshalb verpflichtet gewesen, eine Berufungsverhandlung abzuhalten.
Nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 AVG sind in der Begründung des Berufungsbescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muss in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2002/20/0017, mwN).
Diesen Anforderungen wird der angefochtene Bescheid schon deshalb nicht gerecht, weil die belangte Behörde keinen Sachverhalt feststellte. Die bloße Wiedergabe des Wortlautes eines "Gutachtens" lässt nicht erkennen, inwieweit die belangte Behörde das Vorbringen der Beschwerdeführer (hypothetisch oder auch als richtig) ihren Entscheidungen zu Grunde legen wollte und in welchem Umfang sie die Vorbringen der Beschwerdeführer für unglaubwürdig gehalten hat. Dazu können nur Vermutungen angestellt werden, zumal den angefochtenen Bescheiden eine konkrete Würdigung von Beweisergebnissen nicht zu entnehmen ist. Eine Würdigung des wiedergegebene "Gutachtens" nahm die belangte Behörde nicht vor. Dass die Beschwerdeführer zu dem "Gutachten" nicht Stellung nahmen, machte konkrete Feststellungen und eine in den Bescheiden schlüssig zu begründende Beweiswürdigung nicht entbehrlich (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/20/0550). Eine nähere Auseinandersetzung mit dem sogenannten "Gutachten des landeskundlichen Sachverständigen" wäre geboten gewesen, enthält dieses doch weder einen Befund noch sind Grundlagen oder Quellen zu erkennen, auf die der Sachverständige seine Einschätzungen stützte (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/20/0620).
Das Fehlen einer den gesetzlichen Erfordernissen entsprechenden Bescheidbegründung hindert die Partei an einer wirksamen Verfolgung ihrer Rechte und den Verwaltungsgerichtshof an der Kontrolle der inhaltlichen Richtigkeit der getroffenen Entscheidung.
Die angefochtenen Bescheide leiden somit an relevanten Begründungsmängeln, was die Beschwerden zu Recht geltend machen. Sie waren daher schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am
Fundstelle(n):
IAAAE-72714