VwGH vom 08.09.2010, 2008/01/0345
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung
verbunden):
2008/01/0347
2008/01/0346
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Jäger, über die Beschwerde 1. der MP (geboren 1971), 2. des MP (geboren 1990) und 3. des EP (geboren 1993), alle in W, alle vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Maria-Theresia-Straße 9, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates jeweils vom , 1.) Zl. 315.014-1/4E-V/14/07, 2.) Zl. 315.015-1/4E-V/14/07 und 3.) Zl. 315.016-1/3E-V/14/07, betreffend § 3 Asylgesetz 2005 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der erstangefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, der zweit- und drittangefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 3.319,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige von Serbien, gehören der Volksgruppe der Roma an und stellten am einen Antrag auf internationalen Schutz.
Diesen Antrag begründeten die Beschwerdeführer im Wesentlichen damit, dass die Erstbeschwerdeführerin sowie die Zweit- und Drittbeschwerdeführer, die minderjährigen Söhne der Erstbeschwerdeführerin, in Serbien als Angehörige der Volksgruppe der Roma durch die serbische Mehrheitsbevölkerung tagtäglich "malträtiert" worden seien. So seien der Zweit- und der Drittbeschwerdeführer bereits zusammengeschlagen worden.
2. Mit Bescheiden des Bundesasylamtes (BAA) jeweils vom wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 idF BGBl. I Nr. 100 (AsylG 2005) abgewiesen und den Beschwerdeführern der Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Weiters wurde mit diesen Bescheiden den Beschwerdeführern gemäß § 8 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihnen eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum erteilt (Spruchpunkt III.).
Begründend führte das BAA zur Erteilung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an die Erstbeschwerdeführerin im Wesentlichen aus, auf Grund vorliegender ärztlicher Gutachten vom und vom , welche das Erfordernis medikamentöser Behandlung der psychischen Erkrankung der Erstbeschwerdeführerin aufzeigten, sei auf Grund der erhöhten psychosozialen Belastung im Falle der Abschiebung nach Serbien mit einer Zunahme der Krankheitssymptome zu rechnen. Laut ärztlicher Stellungnahme vom werde zumindest ein zweijähriger Rückfallschutz auf Grund der psychischen Erschöpfung unter Anwendung von Psychotherapie empfohlen. Der Zustand der Erstbeschwerdeführerin könnte sich bei einer Außerlandesschaffung aus ärztlicher Sicht signifikant verschlimmern. Die Krankheit der Erstbeschwerdeführerin sei zwar nicht per se lebensbedrohlich, bedürfe aber im Entscheidungszeitpunkt einer Behandlung, um ihr eine psychische Stabilisierung und eine Therapie zu ermöglichen. Daher bestünden derzeit Gründe für die Annahme der Gefahr einer unmenschlichen Behandlung der Erstbeschwerdeführerin in Serbien im Falle der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung.
Die Gewährung subsidiären Schutzes an den Zweit- bzw. Drittbeschwerdeführer begründete das BAA im Wesentlichen mit der Schutzgewährung an die Erstbeschwerdeführerin.
3. Mit den vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheiden wurden die jeweils gegen Spruchpunkt I. der Bescheide des BAA vom gerichteten Berufungen der Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen.
Begründend führte die belangte Behörde im Hinblick auf die Erstbeschwerdeführerin im Wesentlichen aus, diese habe im Rahmen der am vor der belangten Behörde abgehaltenen Berufungsverhandlung die Gelegenheit gehabt, ihre Fluchtmotive neuerlich darzulegen. Nach Wiedergabe des Vorbringens der Erstbeschwerdeführerin bei dieser Verhandlung trifft die belangte Behörde sodann Feststellungen zur Lage in Serbien einschließlich Feststellungen zur Lage der Minderheiten und insbesondere der Volksgruppe der Roma in Serbien. Nicht festgestellt wurde, dass die Erstbeschwerdeführerin in ihrem Herkunftsstaat aus asylrelevanten Gründen Ziel von konkret gegen ihre Person gerichteten Verfolgungshandlungen war.
Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, das Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin insbesondere zu den von ihr vorgebrachten Verfolgungshandlungen sei vage, weitschweifig und wenig konkret. Es sei der Erstbeschwerdeführerin nicht möglich gewesen, genaue Datumsangaben vorzubringen, wobei auch ihr geringer Bildungsgrad und ihr Alter mit zu berücksichtigen gewesen seien. Es wäre aber bei ihrem sozio-kulturellen Hintergrund zu erwarten gewesen, dass sie sich das Datum zumindest eines schweren Eingriffes in ihre zu schützende persönliche Sphäre merke und auch sonst konkrete und detaillierte Angaben zu allfälligen Übergriffen auf ihre Person machen hätte können. Als Person habe die Erstbeschwerdeführerin auf den zur Entscheidung berufenen Verhandlungsleiter nicht einen grundsätzlich unglaubwürdigen Eindruck gemacht. Sie habe durch die von ihr geschilderten Erlebnisse beeindruckt gewirkt, sei aber nicht in der Lage gewesen, auf die ihr passierten Übergriffe detailliert einzugehen. Sie habe den Eindruck hinterlassen, durch ihr vages Vorbringen nur auf allgemeine Übergriffe auf die Minderheit der Roma zu verweisen. Konkret gegen sie gerichtete Übergriffe habe sie trotz mehrfacher Fragen durch den Verhandlungsleiter nicht vorbringen können. Auch habe die Erstbeschwerdeführerin bei den Einvernahmen vor dem BAA stets nur auf verbale Attacken und Beschimpfungen ihrer Person bzw. einen tätlichen Angriff auf den Drittbeschwerdeführer verwiesen und die Frage, ob es ein direkt gegen ihre Person gerichtetes Auslöseereignis gegeben habe, stets verneint. Erst vor der belangten Behörde habe sie behauptet, auch selbst in den Jahren 1991 bis 1995 geschlagen worden zu sein. Jedes Mal, wenn sie auf die Straße gegangen sei, sei sie geschlagen oder getreten worden. Des Öfteren habe sie Angriffe bei der Polizei gemeldet, dort hätte man sie allerdings neuerlich beschimpft und gesagt "hinaus, hinaus ...". Der Erstbeschwerdeführerin sei es mit ihrem Vorbringen daher nicht gelungen, auch nur ansatzweise ihre persönliche Betroffenheit im Zusammenhang mit den ins Treffen geführten tragischen Ereignissen glaubhaft zu machen. Auch sei darauf hinzuweisen, dass die von der Erstbeschwerdeführerin behaupteten Vorfälle von ihrer Eingriffsintensität nicht das erforderliche Mindestmaß an Unzumutbarkeit erreichten.
Darüber hinaus wäre es der Erstbeschwerdeführerin im Falle strafrechtlich relevanter Übergriffe auf ihre Person möglich gewesen, sich an die lokalen sicherheitspolizeilichen Einrichtungen zu wenden. Letztlich sei darauf hinzuweisen, dass nach eigener Aussage der Erstbeschwerdeführerin einige nahe Verwandte, konkret Eltern und zwei Brüder, in ihrem Herkunftsstaat ohne relevante Probleme absolut unbehelligt lebten.
4. Gegen diese Bescheide richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der unter anderem vorgebracht wird, das im Verfahren hervorgekommene und durch ärztliche Gutachten bestätigte Krankheitsbild der Erstbeschwerdeführerin sei ein sehr starkes Indiz dafür, dass es in ihrem Herkunftsstaat lang andauernde Übergriffe gegeben haben müsse, welche den nunmehr bei ihr bestehenden psychischen Ausnahmezustand herbeigeführt hätten. Bei lebensnaher Betrachtung sei auf Grund des gesundheitlichen Zustandes der Erstbeschwerdeführerin sehr wohl davon auszugehen, dass sie auch und in regelmäßigen Abständen massiven körperlichen Übergriffen ausgesetzt gewesen sei. In ihrem Zusammenwirken würden auch mehrere minderschwere Eingriffe eine asylrelevante Intensität erreichen.
5. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die Beschwerde zeigt zutreffend einen zur Aufhebung des erstangefochtenen Bescheides führenden Verfahrensmangel auf:
2. Laut den vorgelegten Verwaltungsakten wurde die Erstbeschwerdeführerin am fachärztlich untersucht. Dabei wurde in der fachärztlichen Stellungnahme bei den "Biographischen Angaben" im Rahmen der Eigenanamnese fußend auf einem näher bezeichneten Diagnosegespräch (unter anderem) festgehalten, die Erstbeschwerdeführerin sei seit 1990 zunehmend körperlich misshandelt und sexuell belästigt worden und schutzlos. Weiters wird darin ausgeführt, die diagnostizierte (und näher bezeichnete) psychische Gesundheitsstörung sei durch sexuelle und körperliche Misshandlungen sowie Diskriminierung hervorgerufen worden. Darauf aufbauend wurde der vom BAA für die Gewährung subsidiären Schutzes maßgebliche Schluss gezogen, dass eine Überstellung/Abschiebung aus ärztlicher Sicht in frühestens zwei Jahren möglich sei, um der Erstbeschwerdeführerin ausreichende Zeit für Entlastung und auf Grund der psychischen Erschöpfung zu geben. Weiters findet sich in den Verwaltungsakten ein fachärztlicher Befundbericht vom , in dem als Ursachen der diagnostizierten Gesundheitsstörung unter anderem die Eigenschaft der Erstbeschwerdeführerin als "Randgruppenmitglied" angeführt sind.
In ihrer Berufung verwies die Erstbeschwerdeführerin auf diese ihre psychische Gesundheitsstörung und brachte vor, sie habe auf Grund dieser große Furcht vor mündlichen Vernehmungen und dadurch erklärten sich auch die "Ungenauigkeiten" bei ihrer Einvernahme vor dem BAA.
In der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde brachte die Erstbeschwerdeführerin (unter anderem) vor, sie habe "ständig einen Druck im Kopf, Kopfschmerzen", zu den Fluchtgründen brachte sie unter anderem vor "wenn ich jetzt darüber sprechen muss, was ich alles früher erlebt habe, ist mein Kopf, mein Hirn völlig blockiert". Weiters brachte sie vor, sie habe "wirklich Kopfschmerzen", aber sie werde ihr "Bestes tun und alles erzählen".
3.1. Beweiswürdigend stützte die belangte Behörde ihre Feststellung, die Erstbeschwerdeführerin sei in ihrem Herkunftsstaat nicht aus asylrelevanten Gründen Ziel von konkret gegen ihre Person gerichteten Verfolgungshandlungen gewesen, zentral auf den Eindruck, den der Verhandlungsleiter bei der mündlichen Verhandlung von der Erstbeschwerdeführerin gewonnen hatte und weiters auf fehlendes konkretes Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin. Dabei berücksichtigte die belangte Behörde jedoch nicht, dass bei der Erstbeschwerdeführerin eine - in erster Instanz zur Gewährung subsidiären Schutzes führende - psychische Gesundheitsstörung diagnostiziert wurde und die Erstbeschwerdeführerin auf ihre diesbezüglichen Schwierigkeiten bei Einvernahmen - wie oben dargestellt - sowohl in der Berufung als auch bei der mündlichen Verhandlung selbst hingewiesen hat (vgl. zur Notwendigkeit der Berücksichtigung psychischer Erkrankungen das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/01/0355, mwN).
3.2. Ein weiteres Argument der Beweiswürdigung der belangten Behörde war der Umstand, dass die Erstbeschwerdeführerin gegen sie gerichtete Übergriffe in erster Instanz nicht vorgebracht habe. Dem steht nach der Aktenlage entgegen, dass die Erstbeschwerdeführerin im Zuge der ärztlichen Begutachtung am sehr wohl sexuelle und körperliche Misshandlungen vorgebracht hat. Diese im Gutachten als Ursache für die festgestellte psychische Gesundheitsstörung diagnostizierten Misshandlungen wurden von der belangten Behörde beweiswürdigend nicht berücksichtigt.
3.3. Dies ist im gegebenen Zusammenhang aber schon vor dem Hintergrund der Bestimmung des § 20 AsylG 2005 relevant. Diese Bestimmung lautet:
"Einvernahmen von Opfern bei Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung
§ 20. (1) Gründet ein Asylwerber seine Furcht vor Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) auf Eingriffe in seine sexuelle Selbstbestimmung, ist er von einem Organwalter desselben Geschlechts einzuvernehmen, es sei denn, dass er anderes verlangt. Von dem Bestehen dieser Möglichkeit ist der Asylwerber nachweislich in Kenntnis zu setzen.
(2) Für Verhandlungen vor dem unabhängigen Bundesasylsenat ist das Verlangen nach Abs. 1 spätestens zum Zeitpunkt der Berufung zu stellen. Wenn der betroffene Asylwerber dies wünscht, ist die Öffentlichkeit in diesen Fällen von der Verhandlung auszuschließen. Von dieser Möglichkeit ist er nachweislich in Kenntnis zu setzen. Im Übrigen gilt § 67e AVG."
Ausgehend davon, dass die Erstbeschwerdeführerin im Zuge der - letztlich zur Gewährung von subsidiären Schutz führenden - ärztlichen Begutachtung auch sexuelle Misshandlungen vorgebracht hat, hätte sie daher, da sie kein Verlangen nach § 20 Abs. 1 iVm Abs. 2 erster Satz AsylG 2005 gestellt hat, in der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde nicht durch einen männlichen Organwalter - wie vorliegend - einvernommen werden dürfen (vgl. ausführlich zur Notwendigkeit der Vernehmung durch eine Person desselben Geschlechts einschließlich der Beiziehung eines Dolmetschers desselben Geschlechts das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 2001/01/0402, 0403, zur Rechtslage des § 27 Abs. 3 letzter Satz Asylgesetz 1997; vgl. idS zu § 20 AsylG 2005 Feßl/Holzschuster , Asylgesetz 2005 (2006), 418f, mit Verweis auf die Materialien zu dieser Bestimmung).
3.4. Da die belangte Behörde solcherart die - zur Gewährung subsidiären Schutzes führende - ärztliche Stellungnahme vom und die daraus resultierenden Schlussfolgerungen bei ihrer Beweiswürdigung nicht berücksichtigte, kann diese Beweiswürdigung nicht als schlüssig im Sinne des Beurteilungsmaßstabes des Verwaltungsgerichtshofes angesehen werden (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/01/1286, mwN). Diese Unschlüssigkeit der Beweiswürdigung ist vorliegend auch relevant, da nach den Umständen des vorliegenden Beschwerdefalles nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei Vermeidung dieses Verfahrensfehlers zu einem anderen Bescheid gekommen wäre.
4. Anzumerken ist, dass bei Zutreffen der von der Erstbeschwerdeführerin geltend gemachten Übergriffe von diesen ausgehend näher auf die Frage der Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit des Staates einzugehen gewesen wäre (vgl. auch hiezu das zitierte hg. Erkenntnis vom ).
5. Der erstangefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
6. Dieser Umstand schlägt - im Familienverfahren nach § 34 AsylG 2005 - auf die Söhne der Erstbeschwerdeführerin, den Zweit- und Drittbeschwerdeführer durch (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 2007/01/1153, 1168 bis 1171).
Der zweit- und drittangefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 1 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
7. Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am
Fundstelle(n):
QAAAE-72678