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VwGH vom 23.01.2018, Ra 2017/05/0210

VwGH vom 23.01.2018, Ra 2017/05/0210

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz sowie die Hofrätinnen Dr. Pollak und Mag. Rehak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Artmann, über die Revision des Mag. G S in W, vertreten durch die Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH & Co KG in 1010 Wien, Schubertring 6, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom , Zl. VGW-111/026/10987/2016-14, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:

Magistrat der Stadt Wien; mitbeteiligte Partei: A GesmbH in W, vertreten durch die Nemetz & Nemetz Rechtsanwalts-KG in 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 29; weitere Partei: Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Eingabe vom (eingelangt am ) beantragte die mitbeteiligte Partei die Erteilung der Baubewilligung für einen Dachgeschoßaus- und -zubau am Haus R-Gasse 28.

2 Der Revisionswerber, der Miteigentümer der gegenüber gelegenen Liegenschaft R-Gasse 27 ist, erhob mit Schreiben vom Einwendungen, in denen er im Wesentlichen ausführte, nach dem Bebauungsplan dürfe der höchste Punkt des Daches maximal 4,50 m über der tatsächlich errichteten Gebäudehöhe liegen. Die Höhe des Bestandsgebäudes betrage 19,64 m, der höchste Punkt des Daches dürfe demnach maximal bei 24,14 m liegen. Gemäß der Planung liege dieser Punkt auf 24,44 m, somit 30 cm über dem zulässigen höchsten Punkt des Daches. Außerdem gelte für die Bauliegenschaft die Bauklasse III (maximale Gebäudehöhe 16 m). Der Bestand liege mit 19,64 m bereits 3,34 m über dieser Festlegung. Nach der gegenständlichen Planung werde diese (Bestands-) Gebäudehöhe nochmals um weitere 30 cm überschritten, sodass sie dann 3,64 m über der maximal zulässigen Gebäudehöhe liege.

3 Bei der mündlichen Bauverhandlung am verwies der Revisionswerber auf seine schriftlich eingebrachten Einwendungen vom .

4 Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom wurde die beantragte Baubewilligung erteilt. Das Bauvorhaben wurde spruchgemäß dahingehend beschrieben, dass nach Abtragung der bestehenden Dachkonstruktion und Neuherstellung derselben unter 45 Grad im Dachgeschoß zwei neue Wohnungen eingebaut würden. Straßenseitig und hofseitig würden Dachgauben hergestellt und Dachflächenfenster eingebaut. Hofseitig würden zwei Terrassen, zugehörig zu den Wohnungen Nummer 17 und Nummer 18, hergestellt. Weiters werde im Bereich der Stiegenspindel ein Aufzugsschacht vom Kellergeschoß bis in das Dachgeschoß errichtet. Im Erdgeschoß und im dritten Stock würden teilweise durch Abbruch und Errichtung von Trenn- und Scheidewänden Raumwidmungen, Raumeinteilungen sowie die Verbindung der Räume zueinander geringfügig abgeändert. Im Kellergeschoß würden ein Kinderwagenabstellraum sowie die erforderlichen Abstellräume für die Wohneinheiten Nummer 17 und Nummer 18 geschaffen.

5 Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Einwand betreffend die Überschreitung der maximal zulässigen Gebäudehöhe um 30 cm sowie die Überschreitung des zulässigen höchsten Punkt des Daches um 30 cm werde als unbegründet abgewiesen, da gemäß Art. V Abs. 5 der Bauordnung für Wien (BO) die Dachhaut von zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Bauordnungsnovelle LGBl. Nr. 33/2004 bereits bestehenden Gebäuden zur Anbringung einer Wärmedämmung, zur Herstellung einer Hinterlüftungsebene oder einer Kombination dieser Maßnahmen um nicht mehr als 30 cm über die bestehende Gebäudehöhe und den obersten Gebäudeabschluss angehoben werden dürfe.

6 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde vor dem Verwaltungsgericht Wien.

7 Das Verwaltungsgericht holte das bautechnische Gutachten des Dipl. Ing. L. vom ein. Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, für die Bauliegenschaft sei nach dem geltenden Bebauungsplan die Bauklasse III festgelegt, in der die Gebäudehöhe maximal 16 m betragen dürfe. Die bestehende Gebäudehöhe sei in den Einreichplänen mit 19,64 m, somit 3,64 m über der bauklassenmäßig zulässigen Gebäudehöhe, ausgewiesen. Ausgehend von der bestehenden Gebäudehöhe solle eine neue Dachkonstruktion unter einem Winkel von 45 Grad errichtet werden. Die 30 cm, die für die Anbringung einer Wärmedämmung gemäß Art. V Abs. 5 BO zulässig seien, sollten ausgenützt werden. Die neue Gebäudehöhe betrage somit, wie im Plan angegeben, 19,94 m. Der höchste Punkt des Daches liege, entsprechend den Bestimmungen des Bebauungsplanes, um 4,5 m über der tatsächlich errichteten Gebäudehöhe. Durch die neue, steilere Dachkonstruktion komme es zu keiner Aufstockung. Es werde lediglich der höchste Punkt des Daches erhöht. Da die Anhebung der Gebäudehöhe durch die neue Dachkonstruktion mit der entsprechenden Wärmedämmung den Bestimmungen des Art. V Abs. 5 BO entspreche, sei keine Bewilligung von Abweichungen von Vorschriften des Bebauungsplans gemäß § 69 BO erforderlich. Durch die Erhöhung der bestehenden Gebäudehöhe um 30 cm werde der Revisionswerber in den gesetzlichen Bestimmungen für die Belichtung nicht beeinträchtigt.

8 Zu diesem Gutachten gab der Revisionswerber mit Schreiben vom eine Stellungnahme ab. Dieser legte er die gutachterliche Stellungnahme des Dipl. Ing. G vom bei. Darin führte dieser im Wesentlichen aus, die Baumaßnahmen seien Art. V Abs. 5 BO nicht zugänglich. Es handle sich, wie im Gutachten des Dipl. Ing. L vom ausgeführt, nicht um die Errichtung einer zusätzlichen Wärmedämmung in der bestehenden Konstruktion. Nur in diesem Fall wäre die Erhöhung der Gebäudehöhe um maximal 30 cm (über die zulässige Widmungshöhe) zulässig. Konkret solle aber das bestehende Dach des Bestandsgebäudes entfernt und stattdessen eine ganz neue Dachkonstruktion errichtet werden. Es liege somit aus fachlicher Sicht eindeutig ein Fall des Art. V Abs. 6 BO vor. Dabei dürfe die bestehende Gebäudehöhe durch derartige Bauführungen nicht überschritten werden.

9 In der Folge gab Dipl. Ing. L eine Stellungnahme vom ab. Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, es sei unbestritten, dass das Gebäude bereits im Bestand höher sei, als es der Bebauungsplan vorsehe. Durch das Bauvorhaben solle die bestehende Gebäudehöhe um 30 cm erhöht werden. Durch bloßes Ansteilen der Dachneigung dürfe die bestehende Gebäudehöhe nicht überschritten werden. Gemäß Art. V Abs. 6 BO dürfe jedoch Art. V Abs. 5 BO zusätzlich angewendet werden, sodass eine neue Dachkonstruktion errichtet werden könne und zusätzlich eine Wärmedämmung auf dem neuen Dach angebracht werden dürfe. Dass Art. V Abs. 5 und 6 BO gemeinsam angewendet werden dürften, ergebe sich einerseits aus dem Gesetzestext und werde andererseits von namhaften Baurechtsexperten so gesehen (wurde näher ausgeführt).

10 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde die Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet abgewiesen.

11 Begründend wurde nach Wiedergabe des Verfahrensgeschehens und von Rechtsvorschriften im Wesentlichen ausgeführt, für die Bauliegenschaft seien die Widmung gemischtes Baugebiet, Bauklasse III, und die geschlossene Bauweise mit einer Trakttiefe von 12 m bis zur inneren Baufluchtlinie und dahinter die gärtnerische Ausgestaltung festgesetzt. Weiters dürfe bei den zur Errichtung gelangenden Gebäuden der höchste Punkt des Daches maximal 4,5 m über der tatsächlich errichteten Gebäudehöhe liegen.

12 Nach dem Bauvorhaben solle im Wesentlichen die gesamte vorhandene Dachkonstruktion abgetragen und ein neues, unter 45 Grad geneigtes Dach mit ordnungsgemäßer Wärmedämmung errichtet werden. Straßen- und hofseitig sollten Dachgauben und Dachflächenfenster angeordnet werden. Nach Aufstellung von Trenn- und Scheidewänden sollten im neu errichteten Dachgeschoß zwei Wohnungen mit hofseitig situierten Terrassen geschaffen werden. Weiters werde in die Spindel des bestehenden Treppenhauses ein Aufzugsschacht eingebaut.

13 Der Revisionswerber bringe im Wesentlichen in der Beschwerde vor, dass er aufgrund der Überschreitung der Gebäudehöhe um zumindest 30 cm in seinen subjektiv-öffentlichen Nachbarrechten beeinträchtigt werde, und er mache den ihm gemäß § 134a BO eingeräumten Immissionsschutz (insbesondere betreffend Licht) geltend. Weiters beanstande er, dass die Behörde die Rechtslage verkannt habe, da richtigerweise Art. V Abs. 6 BO anzuwenden sei und nicht Art. V Abs. 5 BO.

14 Wenn der Beschwerdeführer geltend mache, dass die zusätzliche Überschreitung der bestehenden Gebäudehöhe, die die nach dem geltenden Flächenwidmungs- und Bebauungsplan höchstzulässige Gebäudehöhe von 16 m ohnehin bereits überschreite, um 30 cm nach Art. V Abs. 6 BO nicht zulässig sei, sei diese Rechtsansicht nicht zutreffend. Mit der Bauordnungsnovelle 2014, LGBl. Nr. 25, habe der Landesgesetzgeber darauf abgezielt, eine Erleichterung für Dachgeschoßausbauten zu bewirken, damit ohne Schaffung von zusätzlicher Infrastruktur mehr Wohnraum für die "anwachsende" Bevölkerung bereitgestellt werde. Wenn der Revisionswerber im Zusammenhang mit der Überschreitung der Gebäudehöhe auch den Immissionsschutz insbesondere betreffend Licht geltend mache, könne mangels konkreter Aussagen nicht nachvollzogen werden, durch welche Immissionen der Revisionswerber beeinträchtigt sein solle. Die Gewährleistung bzw. Beibehaltung eines bestimmten Lichteinfalles sei kein Nachbarrecht. Für die Wohnung des Revisionswerbers Top Nr. 38 (im Dachgeschoß des Hauses R-Gasse 27), die in seinem Wohnungseigentum stehe, sei auch nach der geplanten geringfügigen Anhebung der Gebäudehöhe der gesetzliche Lichteinfall zur Gänze gegeben. Von der beantragten mündlichen Verhandlung habe abgesehen werden können (wurde näher ausgeführt).

15 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision mit dem Antrag, es wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

16 Die mitbeteiligte Partei und die belangte Behörde haben Revisionsbeantwortungen erstattet jeweils mit dem Antrag, die Revision kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

17 Die Revision ist in Anbetracht der Frage der Rechtmäßigkeit der gegenständlichen Baumaßnahmen auf Grund des Art. V Abs. 5 bzw. 6 BO zulässig.

18 In der Revision wird im Wesentlichen ausgeführt, es handle sich um den Fall der Erweiterung des Dachraumes zur Errichtung von Wohnungen, sodass Art. V Abs. 6 BO und nicht Art. V Abs. 5 BO zur Anwendung komme. Nach Art. V Abs. 5 BO dürfe das Dach nicht abgetragen oder angehoben werden, sondern lediglich die Dachhaut. Zweck der baulichen Maßnahme dürfe ausschließlich die Herstellung einer Hinterlüftungsebene oder einer Wärmedämmung sein. Die Errichtung eines neuen Daches, das 30 cm höher sei, sei unzulässig. Das Bauvorhaben sei in der derzeitigen Form unzulässig, und es werde der Immissionsschutz des Revisionswerbers verletzt. Außerdem wäre vor dem Verwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durchzuführen gewesen (wurde näher ausgeführt).

19 Art. V Abs. 5 und 6 BO in der Fassung der Bauordnungsnovelle 2014, LGBl. Nr. 25, lauten:

"(5) An zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Bauordnungsnovelle LGB1. für Wien Nr. 33/2004 bereits bestehenden Gebäuden dürfen Wärmedämmungen bis 20 cm über Fluchtlinien und in Abstandsflächen sowie in Abstände gemäß § 79 Abs. 5 vorragen. Die Dachhaut dieser Gebäude darf zur Anbringung einer Wärmedämmung, zur Herstellung einer Hinterlüftungsebene oder einer Kombination dieser Maßnahmen angehoben werden, wobei dadurch weder die bestehende Gebäudehöhe noch der oberste Gebäudeabschluss um mehr als 30 cm überschritten werden darf.

(6) Bei zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Bauordnungsnovelle 2014 bereits bestehenden Gebäuden sind, soweit städtebauliche Rücksichten nicht entgegenstehen, Bauführungen zur Schaffung oder Erweiterung eines Dachraumes für die Errichtung von Wohnungen durch Erhöhung der Dachneigung bis zum Erreichen des Gebäudeumrisses gemäß § 81 Abs. 4 auch dann zulässig, wenn dadurch die zulässige Gebäudehöhe, Bestimmungen des Bebauungsplanes über die gärtnerische Ausgestaltung der Grundfläche oder Baufluchtlinien nicht eingehalten werden; die bestehende Gebäudehöhe darf durch solche Bauführungen unbeschadet des Abs. 5 nicht überschritten werden."

20 Die Erläuternden Bemerkungen zu diesen Bestimmungen, BlgLT 9/2014, 5, lauten:

"Bei Flachdächern dürfen Dämmstoffplatten nur einlagig verlegt werden, da sich ansonsten Wasserfilme zwischen den Platten bilden, die eine - wenn auch geringe - Wasseraufnahme der Dämmstoffe nach sich ziehen. Die geeigneten Dämmplatten werden derzeit (nur) bis zu einer Stärke von 20 cm hergestellt. Unter Berücksichtigung der konstruktiven Möglichkeiten erscheint die Begrenzung mit 30 cm sinnvoll, um die bestmögliche Dachsanierung zu ermöglichen.

Eine Hinterlüftungsebene zwischen Dachhaut und Unterdach sorgt für eine ungehinderte Belüftung (während der Heizperiode kalte, trockene Außenluft), sodass eine Durchfeuchtung der Wärmedämmung, die in weiterer Folge zu erheblichen Bauschäden (z.B. Schimmelbildung, Vernässung, Tragfähigkeitsverlust bei Holzbauteilen) führen kann, vermieden wird. Darüber hinaus bietet eine Hinterlüftungsebene auch Schutz vor ‚Überwärmung' im Sommer. In der Regel werden zur Herstellung einer Hinterlüftungsebene Kanthölzer verwendet (Breite ca. 8 cm, Höhe ca. 5 bis 8 cm). Daher sollte unter Berücksichtigung der konstruktiven Möglichkeiten eine maximal zulässige Anhebung der Dachhaut um 30 cm ausreichen, um diese technische Verbesserung mit gleichzeitiger Verbesserung des Wärmeschutzes realisieren zu können.

Durch den neuen Abs. 6 werden Dachgeschoßausbauten für Wohnzwecke, soweit diese mit einer ‚Ansteilung' (‚Aufklappung') des bestehenden Daches - auch eines Flachdaches - verbunden sind, erleichtert."

21 Die Bauordnungsnovelle 2004, LGBl. Nr. 33, ist gemäß ihrem Art. III Abs. 1 mit in Kraft getreten.

22 Die Bauordnungsnovelle 2014, LGBl. Nr. 25, ist gemäß ihrem Art. III Abs. 3 im Hinblick auf Art. V Abs. 5 und 6 BO mit in Kraft getreten.

23 § 62a BO in der Fassung LGBl. Nr. 25/2014 lautet

auszugsweise:

"Bewilligungsfreie Bauvorhaben

§ 62a (1) Bei folgenden Bauführungen ist weder eine Baubewilligung noch eine Bauanzeige erforderlich:

...

31. die nachträgliche Anbringung einer Wärmedämmung an nicht gegliederten Fassaden und auf Dächern sowie die nachträgliche Herstellung einer Hinterlüftungsebene einschließlich der mit diesen Maßnahmen verbundenen Anhebung der Dachhaut bis höchstens 30 cm bei rechtmäßig bestehenden Gebäuden außerhalb von Schutzzonen und Gebieten mit Bausperre;

...

(7) Werden Anlagen nach Abs. 1 im Zusammenhang mit bewilligungs- oder anzeigepflichtigen Bauvorhaben in Bauplänen dargestellt, erstreckt sich die für diese Pläne erwirkte Baubewilligung oder Bauanzeige nicht auf sie.

..."

24 § 81 BO in der Fassung LGBl. Nr. 25/2014 lautet auszugsweise:

Gebäudehöhe und Gebäudeumrisse; Bemessung

§ 81. (1) Bei Gebäuden an der Baulinie, Straßenfluchtlinie oder Verkehrsfluchtlinie gilt bis zu einer Gebäudetiefe von 15 m als Gebäudehöhe der lotrechte Abstand von der festgesetzten Höhenlage der Verkehrsfläche bis zur obersten Schnittlinie der zulässigen Außenwandfläche der Straßenfront ohne Berücksichtigung vorspringender Gebäudeteile wie Gesimse, Erker und dergleichen mit der Oberfläche des Daches; nichtraumbildende Gebäudeteile und raumbildende Dachaufbauten gemäß Abs. 6 bleiben

dabei außer Betracht. ... Der oberste Abschluss des Daches darf

keinesfalls höher als 7,5 m über der zulässigen Gebäudehöhe liegen, sofern der Bebauungsplan nicht anderes bestimmt.

...

(4) Durch das Gebäude darf jener Umriss nicht überschritten werden, der sich daraus ergibt, dass in dem nach Abs. 1 bis 3 für die Bemessung der Gebäudehöhe maßgeblichen oberen Anschluss der Gebäudefront ein Winkel von 45 Grad , im Gartensiedlungsgebiet von 25 Grad , von der Waagrechten gegen das Gebäudeinnere ansteigend, angesetzt wird. Dies gilt auch für den Fall, dass im Bebauungsplan eine besondere Bestimmung über die Höhe der Dächer festgesetzt ist. Ist im Bebauungsplan eine besondere Bestimmung über die Neigung der Dächer festgesetzt, ist der dieser Festsetzung entsprechende Winkel für die Bildung des Gebäudeumrisses maßgebend.

...

(6) Der nach den Abs. 1 bis 5 zulässige Gebäudeumriss darf durch einzelne, nicht raumbildende Gebäudeteile untergeordneten Ausmaßes überschritten werden; mit raumbildenden Dachaufbauten darf der Gebäudeumriss nur durch Dachgauben sowie im unbedingt notwendigen Ausmaß durch Aufzugsschächte und Treppenhäuser überschritten werden. ...

(7) Der zulässige Gebäudeumriß darf auch durch Verglasungen untergeordneten Ausmaßes überschritten werden."

25 § 134 BO in der Fassung LGBl. Nr. 25/2009 lautet

auszugsweise:

"Parteien

§ 134.

...

(3) Im Baubewilligungsverfahren und im Verfahren zur Bewilligung von Abweichungen von Vorschriften des Bebauungsplanes sind außer dem Antragsteller (Bauwerber) die Eigentümer (Miteigentümer) der Liegenschaften Parteien. Personen, denen ein Baurecht zusteht, sind wie Eigentümer der Liegenschaften zu behandeln. Die Eigentümer (Miteigentümer) benachbarter Liegenschaften sind dann Parteien, wenn der geplante Bau und dessen Widmung ihre im § 134a erschöpfend festgelegten subjektivöffentlichen Rechte berührt und sie spätestens, unbeschadet Abs. 4, bei der mündlichen Verhandlung Einwendungen im Sinne des § 134a gegen die geplante Bauführung erheben; das Recht auf Akteneinsicht (§ 17 AVG) steht Nachbarn bereits ab Einreichung des Bauvorhabens bei der Behörde zu. Alle sonstigen Personen, die in ihren Privatrechten oder in ihren Interessen betroffen werden, sind Beteiligte (§ 8 AVG). Benachbarte Liegenschaften sind im Bauland jene, die mit der vom Bauvorhaben betroffenen Liegenschaft eine gemeinsame Grenze haben oder bis zu einer Breite von 6 m durch Fahnen oder diesen gleichzuhaltende Grundstreifen oder eine höchstens 20 m breite öffentliche Verkehrsfläche von dieser Liegenschaft getrennt sind und im Falle einer Trennung durch eine öffentliche Verkehrsfläche der zu bebauenden Liegenschaft gegenüberliegen. ...

..."

26 § 134a BO in der Fassung LGBl. Nr. 25/2014 lautet

auszugsweise:

"Subjektiv-öffentliche Nachbarrechte

§ 134 a. (1) Subjektiv-öffentliche Nachbarrechte, deren Verletzung die Eigentümer (Miteigentümer) benachbarter Liegenschaften (§ 134 Abs. 3) im Baubewilligungsverfahren geltend machen können, werden durch folgende Bestimmungen, sofern sie ihrem Schutze dienen, begründet:

...

b) Bestimmungen über die Gebäudehöhe;

...

e) Bestimmungen, die den Schutz vor Immissionen, die sich

aus der widmungsgemäßen Benützung eines Bauwerkes ergeben können, zum Inhalt haben. Die Beeinträchtigung durch Immissionen, die sich aus der Benützung eines Bauwerkes zu Wohnzwecken, für Schulen oder Kinderbetreuungseinrichtungen oder für Stellplätze im gesetzlich vorgeschriebenen Ausmaß ergibt, kann jedoch nicht geltend gemacht werden;

..."

27 Der Revisionswerber ist als Miteigentümer der dem Baugrundstück gegenüberliegenden Liegenschaft Nachbar im Sinne des § 134 Abs. 3 BO. Unabhängig davon, wo genau seine Eigentumswohnung gelegen ist, stehen ihm daher die Nachbarrechte gemäß § 134a Abs. 1 BO zu. Er hat somit auch ein Nachbarrecht auf Einhaltung der Bestimmungen über die Gebäudehöhe gemäß § 134a Abs. 1 lit. b BO, und zwar unabhängig davon, ob auch eine Beeinträchtigung des Lichteinfalles oder eine Beeinträchtigung durch sonstige Immissionen im Sinne des § 134a Abs. 1 lit. e BO vorliegt. Hinsichtlich der Gebäudehöhe hat der Revisionswerber rechtzeitig Einwendungen erhoben. Art. V Abs. 5 und 6 BO enthalten Regelungen hinsichtlich der Gebäudehöhe im Sinne des § 134a Abs. 1 lit. b BO, und zwar Ausnahmeregelungen nur für bestimmte Gebäude. Es muss dem Nachbarn daher ein Recht zuerkannt werden, dass alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Ausnahmeregelungen des Art. V Abs. 5 und 6 BO erfüllt sind (vgl. Moritz, Bauordnung für Wien 5, 17 f; vgl. für die insofern vergleichbaren Ausnahmeregelungen des § 69 BO , mwN).

28 Die Regelungen des Art. V Abs. 5 und 6 BO sind als Ausnahmebestimmungen grundsätzlich restriktiv zu interpretieren (vgl. , mwN). Dies bedeutet zunächst, dass nach Art. V Abs. 5 zweiter Satz BO ausschließlich eine Anhebung der Dachhaut in Frage kommt.

29 Die Dachhaut ist nach Frommhold/Gareiß, Bauwörterbuch2, 69, die äußerste Schicht des Daches ohne die zur Befestigung der Dachdeckung dienenden Unterlagen (Dachlatten, Dachbretter, Dachschalung). Nach Koepf/Binding, Bildwörterbuch der Architektur4, 119, ist die Dachhaut die Dachdeckung samt Lattung oder Schalung. Unter Dachdeckung ist nach Koepf/Binding, Bildwörterbuch, 113, die den Abschluss des Steildachs bildende dichte Dachhaut zu verstehen. Dachschalung ist die auf die Sparren genagelte dichte Holzschalung zur Aufnahme des Dachdeckungsmaterials (Koepf/Binding, Bildwörterbuch, 123).

30 Das Dach insgesamt hinwiederum besteht aus dem Dachwerk (Sparren- oder Pfettendach) und der darauf ruhenden Dachhaut (Koepf/Binding, Bildwörterbuch, 112) bzw. aus Tragwerk und Dachdeckung (Dachhaut - Frommhold/Gareiß, Bauwörterbuch, 68).

31 Im vorliegenden Fall soll das bestehende Dach zur Gänze entfernt und ein neues Dach errichtet werden. Es liegt also keinesfalls eine bloße Veränderung der Dachhaut vor. Damit scheidet die Heranziehung des Art. V Abs. 5 zweiter Satz BO und folglich auch jene des Art. V Abs. 6 letzter Halbsatz BO aus, sodass auf Grund dieser Bestimmungen weder eine Erhöhung des obersten Gebäudeabschlusses noch der bestehenden Gebäudehöhe vorgenommen werden darf. Dies ist auch sachlich gerechtfertigt:

Wenn nämlich wie im vorliegenden Fall ein komplett neues Dach errichtet werden soll, dann ist davon auszugehen, dass die Bestimmungen des Bebauungsplanes und der BO über die Gebäudehöhe und die Ausbildung des Daches (§ 81 BO) uneingeschränkt eingehalten werden müssen wie bei jedem anderen neuen Dach auch.

32 Die belangte Behörde führt in ihrer Revisionsbeantwortung aus, der Revisionswerber gehe irrigerweise offenbar davon aus, dass eine bestehende Dachkonstruktion unter Weiterverwendung der vorhandenen Baumaterialien zur nachträglichen Anbringung einer Wärmedämmung tatsächlich (etwa mit einem Kran) und bis zu 30 cm angehoben werden könne bzw. bis zur Erhöhung der Dachneigung um bis zu 45 Grad in natura eingesteilt werden könne. Dies wäre sowohl aus bautechnischer Sicht kaum bzw. gar nicht realisierbar als auch aus ökonomischer Sicht grob unwirtschaftlich. Bauvorhaben wie der gegenständliche Dachgeschoßausbau würden in der Praxis stets durch eine Abtragung der bestehenden Dachkonstruktion und anschließende Neuerrichtung, im Regelfall mit neuen Baumaterialien, verwirklicht. Dennoch benötige die neue Dachkonstruktion auch an dem Schnittpunkt mit der senkrechten Außenwand eine Wärmedämmung, da sonst eine Kältebrücke entstünde, sodass auch aus bautechnischer Sicht eine Aufklappung nach Art. V Abs. 6 BO immer mit einer Wärmedämmung nach Art. V Abs. 5 BO verbunden werden müsse.

33 Angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlautes kann es dahingestellt bleiben, ob eine bloße Anhebung der Dachhaut kaum oder gar nicht realisierbar wäre. Der Gesetzgeber selbst nimmt an, wie § 62a Abs. 1 Z 31 BO zeigt, dass eine bloße Anhebung der Dachhaut möglich ist. Das Verwaltungsgericht geht im vorliegenden Fall angesichts dessen, dass § 62a Abs. 1 Z 31 in Verbindung mit Abs. 7 BO - wohl zutreffend, vgl. - nicht herangezogen wurde, offenbar davon aus, dass die geplanten Baumaßnahmen sich nicht in einer bloßen Anhebung der Dachhaut erschöpfen.

34 Es erübrigt sich daher auf die Frage einzugehen, ob die Regelung des § 62a Abs. 1 Z 31 BO im Hinblick auf die Nachbarrechte verfassungsrechtlich bedenklich ist, zumal aus der Sicht der Nachbarrechte eine sachliche Rechtfertigung dafür nicht ersichtlich ist, dass nur bei den dort gennannten Erweiterungen des Dachumrisses der Nachbar kein Mitspracherecht haben sollte. Es erübrigt sich bei diesem Verfahrensstand auch auf die Frage einzugehen, ob überhaupt eine sachliche Rechtfertigung für die Ausnahmetatbestände des Art. V Abs. 5 und 6 BO insoweit vorliegt, als die dort genannten Maßnahmen nicht dem Regime des § 69 BO, der generell Abweichungen von Vorschriften des Bebauungsplanes vorsieht, unterstellt sind (vgl. VfSlg. 18.100/2007).

35 Bemerkt wird, dass das Verwaltungsgericht vor dem Hintergrund der Regelungen des Art. V Abs. 5 bzw. 6 BO angesichts des auch sachverhaltsbezogenen Beschwerdevorbringens des Revisionswerbers, dass eine gänzliche Abtragung und Neuerrichtung des Daches erfolgen solle, sowie auch zur Erörterung der in diesem Zusammenhang auf Grund der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren eingeholten bzw. vorgelegten Sachverständigenäußerungen als strittig anzusehenden Rechtsfragen (vgl. , mwN) eine mündliche Verhandlung durchzuführen gehabt hätte.

36 Das angefochtene Erkenntnis war aus den dargestellten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

37 Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 518/2013 in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am

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Schlagworte:
Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv-öffentliche Rechte, Gebäudehöhe BauRallg5/1/5 Auslegung unbestimmter Begriffe VwRallg3/4

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