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VwGH vom 26.06.2018, Ra 2017/05/0043

VwGH vom 26.06.2018, Ra 2017/05/0043

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und den Hofrat Dr. Moritz sowie die Hofrätin Mag. Rehak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Artmann, über die Revision des Gemeinderates der Marktgemeinde M, vertreten durch die bpv Hügel Rechtsanwälte GmbH und Rechtsanwalt DDr. Christian F. Schneider, beide in 1220 Wien, ARES - Tower, Donau-City-Straße 11, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom , Zl. LVwG-AB-14-4082, betreffend eine Bauangelegenheit (weitere Partei: Niederösterreichische Landesregierung; mitbeteiligte Parteien: 1. H B und 2. F B, beide in M, beide vertreten durch Dr. Wolfgang Miller, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Feldgasse 10/9), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Kostenersatzbegehren der revisionswerbenden Partei und der mitbeteiligten Parteien werden abgewiesen.

Begründung

1 Zur Vorgeschichte wird auf die Erkenntnisse , und , sowie auch auf die Beschlüsse , und , Ra 2015/05/0092, verwiesen. Festzuhalten ist daraus Folgendes:

2 Im gegenständlichen Fall geht es um ein Bauvorhaben der MG und des GG im Bauland-Wohngebiet, betreffend die Errichtung eines Mehrfamilienwohnhauses für sechs Wohnungen, wobei in der Tiefgarage zwölf Kfz-Stellplätze geplant sind. Die Tiefgarage ist von der öffentlichen Verkehrsfläche H-Straße über eine Rampe an der Südseite des Baugrundstückes erreichbar. An der H-Straße seitlich benachbart ist die Liegenschaft der HB und des FB. Deren Wohngebäude grenzt unmittelbar an die Grundstücksgrenze an. Die geplante Einfahrt zur Tiefgarage liegt unmittelbar an dieser Grundgrenze.

3 Aufgrund einer Beschwerde der HB und des FB wurde mit dem Erkenntnis , der Vorstellungsbescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom in der gegenständlichen Baubewilligungssache wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufgehoben. Grund für die Aufhebung war der Umstand, dass auch dann, wenn auf der Rampe keine Fahrgeschwindigkeit von 30 km/h erreicht werden kann, dennoch darauf einzugehen ist, welche Immissionen bei einer geringeren Geschwindigkeit gegeben sind bzw. weshalb diese allenfalls in die Gesamtbetrachtung nicht einzubeziehen sind. Vor dem Hintergrund des § 48 NÖ Bauordnung 1996 (NÖ BO 1996) wäre vom Sachverständigen auch auf Emissionen bei geringeren Geschwindigkeiten als 30 km/h unter Berücksichtigung der Steigungsverhältnisse (neben dem eingehausten auch für den freien Bereich) einzugehen gewesen. Außerdem war das medizinische Gutachten nicht ausreichend. Aufbauend auf das Gutachten des technischen Sachverständigen sei nämlich die gerade noch zumutbare Immissionsgrenze von einem medizinischen Sachverständigen zu bestimmen. Ein solches Beurteilungsmaß habe der medizinische Sachverständige nicht nachvollziehbar dargelegt. Es liege keine hinreichend nachvollziehbar begründete medizinische Aussage zu den Immissionen im Sinne des § 48 NÖ BO 1996 vor.

4 In der Folge dieses Erkenntnisses wurde mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich der in der gegenständlichen Bauangelegenheit ergangene Bescheid des Gemeinderates der Marktgemeinde M vom gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an den Gemeinderat der Marktgemeinde M zurückverwiesen. Eine ordentliche Revision wurde für nicht zulässig erklärt.

5 Begründend wurde zunächst darauf hingewiesen, dass die Zuständigkeit zur Weiterführung der mit Ablauf des bei der Aufsichtsbehörde anhängigen Verfahren über Vorstellungen gemäß Art. 151 Abs. 51 Z 8 B-VG auf das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich übergegangen sei. Die Vorstellung gelte nunmehr als Beschwerde vor dem Landesverwaltungsgericht.

6 Unter Verweis auf die Aufhebungsgründe im Erkenntnis , hielt das Verwaltungsgericht fest, hinsichtlich der Schlussfolgerungen der beiden angesprochenen Sachverständigen liege somit ein Begründungsmangel vor. Die Baubehörde habe im Ergebnis das Ermittlungsverfahren mangelhaft durchgeführt und wesentliche Ermittlungen unterlassen. Diese unvollständige Sachverhaltsermittlung habe die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und die Zurückverweisung der Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides zur Folge.

7 Untermauert werde dies durch das Wesen der Verwaltungsgerichte als zur Kontrolle der Rechtmäßigkeit, nicht jedoch zur Führung der Verwaltung berufene Einrichtungen. Damit sei es nämlich, nicht zuletzt auch unter dem Gesichtspunkt der Gewaltentrennung, unvereinbar, dass es sich beim Verwaltungsgericht um jene Behörde handle, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt, wenn auch nur in einem Teilaspekt, ermittle und einer Beurteilung unterziehe. Den Verwaltungsbehörden komme es zu, den gesamten für die Entscheidung relevanten Sachverhalt zu ermitteln. Dieses System würde unterlaufen, wenn es zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor das Verwaltungsgericht käme und die Einrichtung der entscheidenden Behörden auf Gemeindeebene damit zur bloßen Formsache würde.

8 Außerdem seien sowohl die Gemeindebehörden als auch die Parteien des Verfahrens im Gegensatz zum Verwaltungsgericht mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut und in der Regel ständig vor Ort. Im gegenständlichen Fall seien auch bereits verwertbare Vorarbeiten und Untersuchungen durch die Sachverständigen erfolgt. Demnach ließen sich die erforderlichen Ermittlungsschritte (konkret vor allem die notwendigen Ergänzungen des Sachverständigengutachten) durch die Gemeindebehörden nicht nur schneller, sondern auch für die Parteien (im Hinblick auf Kommissionsgebühren) und für die Behörde (in Form von Ansprüchen nach dem Gebührenanspruchsgesetz) kostengünstiger durchführen als dies im verwaltungsgerichtlichen Verfahren der Fall wäre (Verweis auf ). Dies sei auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass die von der Gemeinde beigezogenen nichtamtlichen Sachverständigen mit der Materie bereits vertraut seien und eine zeitintensive Einarbeitung in die umfangreichen Unterlagen entfalle.

9 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Revision mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

10 Die mitbeteiligten Parteien erstatteten eine als "Revisionsbeantwortung" bezeichnete Eingabe.

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

12 Die Revision ist in Anbetracht der Frage der Rechtmäßigkeit der Aufhebung des vor dem Verwaltungsgericht bekämpften Bescheides und der Zurückverweisung dieser Angelegenheit an den Gemeinderat der Marktgemeinde M zulässig.

13 In der Revision wird im Wesentlichen ausgeführt, wie bereits im Erkenntnis , klargestellt worden sei, sei die Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung dürfe nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung im Sinne des § 28 Abs. 3 VwGVG seien im vorliegenden Fall nicht erfüllt, da es sich nur um eine Ergänzung des technischen Sachverständigengutachtens und eine Verbesserung des medizinischen Sachverständigengutachtens handle.

14 Außerdem sei der revisionswerbenden Partei kein Parteiengehör eingeräumt worden. Sie hätte diesfalls vorgebracht, dass die Baubewilligung bereits abgelaufen gewesen sei und das Verfahren wegen Klaglosstellung der Nachbarn einzustellen gewesen wäre (wurde näher ausgeführt). Der bekämpfte Beschluss würde auch der revisionswerbenden Partei die Rechtsauffassung überbinden, dass das gegenständliche Bauverfahren durch Ergänzung der Gutachten fortzuführen sei, womit der revisionswerbenden Partei die Möglichkeit abgeschnitten wäre, dass sie selbst das Bauverfahren infolge Verstreichens der Baubeginnsfrist einstellt, wenn sich die diesbezüglichen Anhaltspunkte bestätigen sollten (wurde näher ausgeführt).

15 § 28 VwGVG, BGBl I Nr. 33/2013, lautet auszugsweise:

"4. Abschnitt

Erkenntnisse und BeschlüsseErkenntnisse

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

  1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

  2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das

  3. Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

(4) Hat die Behörde bei ihrer Entscheidung Ermessen zu üben, hat das Verwaltungsgericht, wenn es nicht gemäß Abs. 2 in der Sache selbst zu entscheiden hat und wenn die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen ist, den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

(5) Hebt das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid auf, sind die Behörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

..."

16 In Bezug auf die angesprochene Frage der Zulässigkeit einer kassatorischen Entscheidung durch das Verwaltungsgericht ist auf das Erkenntnis , zu verweisen. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich dort mit dieser Frage auseinandergesetzt und dargelegt, dass ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht durch die Verwaltungsgerichte gesetzlich festgelegt ist. Die nach § 28 VwGVG von der meritorischen Entscheidungspflicht verbleibenden Ausnahmen sind strikt auf den ihnen gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken. Auf die Begründung dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen.

17 Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann somit nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, können die Zurückverweisung nicht rechtfertigen, wenn brauchbare, allenfalls in der Verhandlung zu ergänzende Ermittlungsergebnisse vorliegen. Auch die Notwendigkeit der Einholung eines (weiteren) Gutachtens oder die allenfalls erforderliche Durchführung von Vernehmungen rechtfertigt im Allgemeinen nicht die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und die Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (vgl. , mwN).

18 Im vorliegenden Fall kann schon im Hinblick darauf, dass sich entsprechende Sachverständigenäußerungen bereits im Akt befinden, keine Rede davon sein, dass die Verwaltungsbehörden jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen, lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hätten. Es ist nicht ersichtlich, dass die schon vorliegenden Ermittlungsergebnisse völlig unbrauchbar wären. Die Ergänzungsbedürftigkeit eines Gutachtens oder die Notwendigkeit der Einholung eines (weiteren) Gutachtens rechtfertigt, wie bereits dargelegt, eine Aufhebung des angefochtenen Bescheides und eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG nicht. Auch ist nicht erkennbar, dass der Gemeinderat die weiteren Ermittlungen nicht durchgeführt hätte, damit diese durch das Verwaltungsgericht vorgenommen würden.

19 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Bemerkt wird, dass die von der Revision angesprochene Frage einer allfälligen Klaglosstellung im fortgesetzten Verfahren vom Verwaltungsgericht zu prüfen sein wird.

20 Das Kostenbegehren der revisionswerbenden Partei war im Hinblick darauf, dass die Rechtsträgerin der revisionswerbenden Partei (Marktgemeinde M) ident ist mit der gemäß § 47 Abs. 5 VwGG zur Zahlung verpflichteten Rechtsträgerin, abzuweisen (vgl. ).

Die mitbeteiligten Parteien haben sich in ihrer als "Revisionsbeantwortung" bezeichneten Äußerung den Revisionsausführungen angeschlossen, weshalb ein Kostenersatz ausscheidet (vgl. , mwN).

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017050043.L00

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