VwGH vom 20.09.2005, 2005/05/0016
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Kail, Dr. Pallitsch, Dr. Waldstätten und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gubesch, über die Beschwerde
1. des Stefan Bayerl und 2. der Gabriele Bayerl, beide in 3100 St. Pölten, beide vertreten durch Dr. Herbert Gradl, Rechtsanwalt in 3100 St. Pölten, Domgasse 2, gegen den Bescheid des Stadtsenats der Landeshauptstadt St. Pölten vom , GZ 00/37/9d/34-2004/Mag.De./cp, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Bauangelegenheit (mitbeteiligte Partei: Volksbank NÖ Mitte reg. GenmbH, Brunnengasse 5, 3100 St. Pölten), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Die Landeshauptstadt St. Pölten hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid des Magistrats der Landeshauptstadt St. Pölten vom wurde der Bauwerberin V reg.GenmbH die Baugenehmigung für die Ausführung einer Heizungs-, Lüftungs- und Klimatechnik und für die Errichtung eines Werbepylons beim Wohn- und Geschäftshaus St. Pölten, Schuhmeierstraße 13, erteilt.
Die Beschwerdeführer sind Nachbarn. Ihnen wurde dieser Bescheid nach einem Zustellversuch am jeweils durch Hinterlegung beim Postamt 3106 St. Pölten zugestellt. Laut Vermerk am Rückschein sei die Sendung bereits am Tag des Zustellversuchs am am Postamt 3106 St. Pölten zur Abholung bereitgelegen.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als verspätet zurück. Die zweiwöchige Berufungsfrist habe am , dem Tag der Zustellung, zu laufen begonnen und am geendet. Die erst am eingebrachte Berufung sei daher verspätet.
Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom , B 1358/04, ab und trat die Beschwerde antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
Mit ihrer Beschwerde legten die Beschwerdeführer Ablichtungen der an sie ergangenen Verständigungen über die Hinterlegung des Bescheides vom vor; nach diesen Verständigungen vom sei der Beginn der Abholfrist mit "ab morgen (nächster Werktag)" festgelegt worden. Die Beschwerdeführer erachten sich dadurch in ihren Rechten verletzt, dass die belangte Behörde ihr Rechtsmittel als verspätet zurückgewiesen und keiner inhaltlichen Überprüfung unterzogen habe. Die Sendung sei gemäß der am hinterlassenen Verständigung des Zustellers über den erfolgten Zustellversuch erstmals am zur Abholung bereitgelegen, weshalb die Berufungsfrist erst am geendet habe.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift. Sie sei im Zeitpunkt ihrer Entscheidung über die vom Zusteller hinterlassenen Verständigungen an die beschwerdeführenden Parteien, die bezüglich des Datums der ersten Abholmöglichkeit nicht mit den Rückscheinen übereinstimmten, nicht in Kenntnis gewesen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 63 Abs. 5 AVG beträgt die Berufungsfrist zwei Wochen. Sie beginnt für jede Partei mit der an sie erfolgten Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Bescheides.
Strittig ist hier allein, ob die fristauslösende Zustellung am 2. oder am erfolgte. Die diesbezüglichen Absätze
(1) bis (3) des § 17 ZustG lauten:
"(1) Kann die Sendung an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, dass sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Schriftstück im Falle der Zustellung durch die Post beim zuständigen Postamt, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in der selben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.
(2) Von der Hinterlegung ist der Empfänger schriftlich zu verständigen. Die Verständigung ist in den für die Abgabestelle bestimmten Briefkasten (Briefeinwurf, Hausbrieffach) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus-, Gartentüre) anzubringen. Sie hat den Ort der Hinterlegung zu bezeichnen, den Beginn und die Dauer der Abholfrist anzugeben sowie auf die Wirkung der Hinterlegung hinzuweisen.
(3) Die hinterlegte Sendung ist mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem die Sendung erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Sendungen gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem die hinterlegte Sendung behoben werden könnte. "
Der erste Tag der Abholfrist ist nach dem letzten Satz des § 17 Abs. 2 ZustG vom Zusteller in der Verständigung anzugeben (hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/18/0106 unter Hinweis auf Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren I2 (1998) Anm. 20 zu § 17 Zustellgesetz). Das für diese Verständigung vorgesehene Formular 1 (ZustFormV idF BGBl. II 1999/493) sieht diesbezüglich zwei Möglichkeiten vor, aus denen vom Zusteller durch Ankreuzen ausgewählt wird:
"Das Schriftstück ist abzuholen:
O heute ab ... Uhr
O ab morgen (nächster Werktag)"
Im Beschwerdefall hat der Zusteller "ab morgen" angekreuzt, das war also der .
Gemäß § 22 Abs. 1 ZustG ist die Zustellung vom Zusteller auf dem Zustellnachweis (Zustellschein, Rückschein) zu beurkunden. Hier erfolgte der Zustellnachweis durch Verwendung des Formulars 4/2 der ZustFormV (Rückschein bei gewöhnlicher Zustellung); auf einem solchen Formular hat der Zusteller das Datum des Zustellversuchs einzutragen sowie
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1. | die Verständigung über die Hinterlegung | |||||||||
2. | die allfällige Annahmeverweigerung | |||||||||
3. | den Hinterlegungsort | |||||||||
zu beurkunden. | ||||||||||
Weiter ist der Beginn der Abholfrist anzugeben. Hier wurde das Datum eingetragen. | ||||||||||
Nach ständiger Rechtsprechung ist der vom Zusteller erstellte Zustellnachweis (Rückschein) eine öffentliche Urkunde, die den Beweis dafür erbringt, dass die Zustellung vorschriftsmäßig erfolgt ist; doch ist der Gegenbeweis gemäß § 292 Abs. 2 ZPO zulässig. Behauptet jemand, es lägen Zustellmängel vor, so hat er diese Behauptungen auch entsprechend zu begründen und Beweise dafür anzubieten, die geeignet sind, die vom Gesetz aufgestellte Vermutung zu widerlegen (vgl. Walter/Thienel aaO, E 2f. zu § 22 ZustG; zuletzt hg. Erkenntnis vom , Zl. 2002/03/0156). | ||||||||||
Wenn, wie oben ausgeführt, der Zusteller den Beginn der Abholfrist auf der Verständigung über die Hinterlegung angegeben hat, dann ist für den Beginn der Abholfrist allein diese Festlegung maßgeblich, weil mit dem Rückschein bloß der Beweis darüber erbracht wird, dass die Zustellung dem Gesetz entsprach. Die abweichende Angabe des Beginns der Abholfrist auf dem Rückschein ist ohne Belang, weil der Beginn der Abholfrist nicht auf dem Rückschein festgesetzt wird. | ||||||||||
Der Bescheid gilt gemäß § 17 Abs. 3 ZustG mit dem ersten Tag der Abholfrist als zugestellt. Da der Bescheid der Behörde erster Instanz am wirksam zugestellt wurde, endete die zweiwöchige Berufungsfrist erst am . Die Berufung der Beschwerdeführer wurde somit rechtzeitig eingebracht. | ||||||||||
Dies hätte die belangte Behörde allenfalls dadurch wahrnehmen können, dass sie den Beschwerdeführern die aus dem Rückschein erschlossene Verspätung vorgehalten hätte (siehe die Nachweise aus der hg. Judikatur bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6, E 25 zu § 63 AVG und E 45a zu § 66 Abs. 4 AVG). Durch die objektiv unrichtige Annahme einer Verspätung belastete die belangte Behörde ihren Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit des Inhalts. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben. | ||||||||||
Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Diese Pauschalhonorierung erlaubt weder einen gesonderten Ersatz der Umsatzsteuer noch einen "Streitgenossenzuschlag", weshalb das Mehrbegehren abzuweisen war. | ||||||||||
Wien, am |