VwGH vom 25.04.2014, 2012/10/0060
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Rigler und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Beschwerde des F R in M, vertreten durch Ing. Dr. Erich Janovsky, Mag. Dr. Paula Stecher und Dr. Günther Maleczek, Rechtsanwälte in 6130 Schwaz, Burggasse 8, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom , Zl. IIIa1-F-10.144/1, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Forstrechtsangelegenheit, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Kufstein vom wurde der Beschwerdeführer gemäß § 172 Abs. 6 ForstG zur Entfernung von Materialaufschüttung und abgelagertem Baumaterial sowie zur Wiederaufforstung einer näher genannten Waldfläche verpflichtet.
Die dagegen vom Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom erhobene Berufung wurde mit dem angefochtenen Bescheid als verspätet zurückgewiesen.
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der erstinstanzliche Bescheid sei am gemäß § 17 Abs. 1 Zustellgesetz (ZustG) durch Hinterlegung zugestellt worden. Die Verständigung über die Hinterlegung sei gemäß § 17 Abs. 2 ZustG in den Briefkasten der Abgabestelle eingelegt worden. Gemäß § 17 Abs. 3 leg. cit. sei die Zustellung daher am erfolgt und habe die zweiwöchige Rechtmittelfrist am um 24:00 Uhr geendet. Die auf digitalem Weg am um 17:34 Uhr bei der erstinstanzlichen Behörde eingebrachte Berufung erweise sich als verspätet.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, den angefochtenen Bescheid aufzuheben und die Kosten des Verfahrens zuzusprechen.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
1. § 17 Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982 idF BGBl. Nr. I 111/2010 (ZustG) lautet:
" Hinterlegung
§ 17. (1) Kann das Dokument an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Dokument im Falle der Zustellung durch den Zustelldienst bei seiner zuständigen Geschäftsstelle, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.
(2) Von der Hinterlegung ist der Empfänger schriftlich zu verständigen. Die Verständigung ist in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (Briefkasten, Hausbrieffach oder Briefeinwurf) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus- , Gartentüre) anzubringen. Sie hat den Ort der Hinterlegung zu bezeichnen, den Beginn und die Dauer der Abholfrist anzugeben sowie auf die Wirkung der Hinterlegung hinzuweisen.
(3) Das hinterlegte Dokument ist mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Dokument erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Dokumente gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte.
(4) Die im Wege der Hinterlegung vorgenommene Zustellung ist auch dann gültig, wenn die im Abs. 2 genannte Verständigung beschädigt oder entfernt wurde."
2. Der Beschwerdeführer bringt im Wesentlichen vor, er sei nachweislich (laut der der Beschwerde beigelegten Kopien der Flugzeiten-Bestätigungen) vom 11. bis ortsabwesend, nämlich in Spanien, gewesen. Er sei zwar am (Freitag den) an die Abgabestelle zurückgekehrt, jedoch sei die Postfiliale Maurach (bei der erstinstanzliche Bescheid hinterlegt wurde) erst wieder am Montag den geöffnet gewesen, weshalb dieser Tag als erster Tag seiner möglichen Kenntnisnahme vom erstinstanzlichen Bescheid in Betracht komme. Die am eingebrachte Berufung sei daher als rechtzeitig anzusehen.
3. Die Beschwerde ist begründet:
3.1. Nach ständiger hg. Judikatur hat die Behörde vor Zurückweisung eines Rechtsmittels als verspätet entweder von Amts wegen zu prüfen, ob ein Zustellmangel unterlaufen ist - wenn Umstände auf einen solchen hinweisen -, oder dem Rechtsmittelwerber die Verspätung seines Rechtsmittels vorzuhalten. Unterlässt die Behörde dies, kann der Rechtsmittelwerber ohne Verstoß gegen das Neuerungsverbot den Zustellmangel in seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof geltend machen. Geht die Behörde somit von der Feststellung der Versäumung der Rechtsmittelfrist aus, ohne dem Rechtsmittelwerber dies vorgehalten zu haben, hat sie das Risiko einer Bescheidaufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften zu tragen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/05/0102, mwN).
Nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten hat die belangte Behörde dem Beschwerdeführer vor Erlassung des angefochtenen Bescheides ihre Annahme der Versäumung der Berufungsfrist nicht vorgehalten.
3.2. Im Übrigen bringt der Beschwerdeführer vor, dass er zum Zeitpunkt der Hinterlegung am (an dem laut Hinterlegungsverständigung erstmalig ab 15:30 Uhr die Abholung des Schriftstücks bei der Postfiliale Maurach möglich war) nicht an der Abgabestelle anwesend gewesen, sondern - innerhalb der Abholfrist - am dorthin zurückgekehrt sei und erst am den erstinstanzlichen Bescheid habe beheben können.
Die durch den dritten Satz des § 17 Abs. 3 ZustG normierte Zustellwirkung der Hinterlegung wird nicht durch Abwesenheit von der Abgabestelle schlechthin, sondern nur durch eine solche Abwesenheit von der Abwesenheit ausgeschlossen, die bewirkt, dass der Empfänger wegen seiner Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte.
"Rechtzeitig" im Sinne dieser Bestimmung ist dahin zu verstehen, dass dem Empfänger noch jener Zeitraum für ein Rechtsmittel zur Verfügung stand, der ihm auch im Falle einer vom Gesetz tolerierten Ersatzzustellung üblicherweise zur Verfügung gestanden wäre. Wenn daher der Empfänger durch den Zustellvorgang nicht erst später die Möglichkeit erlangt hat, in den Besitz der Sendung zu kommen, als dies bei einem großen Teil der Bevölkerung infolge ihrer Berufstätigkeit der Fall gewesen wäre, so muss die Zustellung durch Hinterlegung als ordnungsgemäß angesehen werden (vgl. dazu ausführlich das hg. Erkenntnis vom , Zl. 91/16/0091; vgl. daran anknüpfend auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/05/0078). In anderen Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes wurde darauf abgestellt, ob der Partei nach den Verhältnissen des Einzelfalles noch ein angemessener Zeitraum für die Einbringung des Rechtsmittels verblieb (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2000/02/0027, und vom , Zl. 2001/03/0284).
In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wurde beispielsweise noch keine unzulässige Verkürzung der Rechtsmittelfrist bei einer Rückkehr einen Tag nach dem Beginn der Abholfrist (vgl. etwa den hg. Beschluss vom , Zlen. 97/13/0104, 0168, mwN, und auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 99/06/0049) und bei einer Behebung drei Tage nach der Hinterlegung (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 99/17/0303) sowie bei einer verbleibenden Dauer zur Ausführung des Rechtsmittels von zehn Tagen angenommen (vgl. die schon erwähnten Erkenntnisse vom , Zl. 2000/02/0027, und vom , Zl. 2001/03/0284).
Ist einer Partei die Behebung eines Schriftstückes - wie im vorliegenden Fall - hingegen erst sieben Tage nach dem Beginn der Abholfrist möglich, kann jedenfalls nicht mehr gesagt werden, die Partei habe noch "rechtzeitig" im Sinne des § 17 Abs. 3 ZustG vom Zustellvorgang Kenntnis erlangt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/07/0101).
Ausgehend von der in der Beschwerde vorgebrachten Ortsabwesenheit des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Hinterlegung sowie des erstmöglichen Zeitpunkts der Behebung des erstinstanzlichen Bescheides (am ) wäre im vorliegenden Fall die Zustellung nach § 17 Abs. 3 vierter Satz zweiter Halbsatz erst am wirksam geworden. Die Einbringung der Berufung am wäre demnach rechtzeitig erfolgt.
Damit hat sich die belangte Behörde - mangels Einräumung von Parteiengehör - im angefochtenen Bescheid nicht auseinandergesetzt.
4. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit b und c VwGG (in der hier gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 noch maßgeblichen Fassung, die bis zum Ablauf des 31. Dezembers 2013 in Geltung stand) aufzuheben.
5. Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455 (vgl. § 3 Z. 1 VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014).
Wien, am