VwGH vom 21.10.2010, 2008/01/0028

VwGH vom 21.10.2010, 2008/01/0028

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Jäger, über die Beschwerde des S A E, geboren 1977, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom , Zl. Senat-FR-05-3006, betreffend hier Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird im Spruchpunkt 1. sowie hinsichtlich des Ausspruches über den Kostenersatz wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Der Beschwerdeführer wurde am im Zuge einer Verkehrskontrolle durch Sicherheitswacheorgane der Polizeiinspektion H. angehalten. Im Fahrzeug wurden zwei Kennzeichentafeln sowie neuwertige Kleidungsstücke und zwei Handtaschen gefunden, über deren Herkunft der Beschwerdeführer keine Angaben machte. Er wurde daher wegen des Verdachtes der Begehung von gerichtlich strafbaren Handlungen (laut Haftbericht wegen §§ 127, 130 sowie 223 StGB) unter Berufung auf die Strafprozessordnung 1975 (StPO) um 11.40 Uhr festgenommen und bis zu der mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten am darauffolgenden Tag um 15.55 Uhr gemäß § 34b Abs. 1 Z. 2 Asylgesetz 1997 erfolgten Verhängung der Schubhaft in vorläufige Verwahrung genommen. Die Schubhaft wurde bis zum aufrecht erhalten.

Mit Beschwerde vom an die belangte Behörde beantragte der Beschwerdeführer die Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Anhaltung ab , 11.40 Uhr, bis zur Inschubhaftnahme am , 15.55 Uhr. Weiters beantragte er, die Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides und seiner Anhaltung in Schubhaft sowie weiters festzustellen, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorlägen.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom wies die belangte Behörde die Beschwerde gegen die vom 6. bis zum dauernde Anhaltung gemäß § 66 Abs. 4 AVG mangels Vorliegens eines anfechtbaren Aktes unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt als unzulässig zurück (Spruchpunkt 1.); die Schubhaftbeschwerde wurde gemäß § 83 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt 2.).

In der Begründung zu Spruchpunkt 1. führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass gemäß § 22 Abs. 3 Sicherheitspolizeigesetz (SPG) die Sicherheitsbehörden nach einem gefährlichen Angriff, unbeschadet ihrer Aufgabe nach der StPO, die maßgebenden Umstände, einschließlich der Identität des dafür Verantwortlichen, zu klären hätten, soweit dies zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich sei. Sobald ein bestimmter Mensch der strafbaren Handlung verdächtig sei, würden ausschließlich die Bestimmungen der StPO gelten. Akte von Verwaltungsorganen, die im Dienste der Strafjustiz gesetzt würden, könnten nicht dem Bereich der Hoheitsverwaltung zugeordnet werden. Demgemäß seien die in Vollziehung der StPO von Verwaltungsorganen vorgenommenen Akte funktionell der Gerichtsbarkeit zuzuordnen und die Beschwerde daher mangels Vorliegens eines Aktes unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zurückzuweisen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die gegenständliche Beschwerde, in der - soweit sie dessen Spruchpunkt 1. betrifft - die Rechtswidrigkeit der Anhaltung des Beschwerdeführers behauptet und die Unzulässigkeit der Zurückweisung der dagegen erhobenen Maßnahmenbeschwerde durch die belangte Behörde geltend gemacht wird. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

Vorausgeschickt wird, dass die Beschwerde, soweit sie sich gegen Spruchpunkt 2. des angefochtenen Bescheides richtet, bereits mit dem hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/21/0268, erledigt wurde.

Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die im gegenständlichen Fall maßgebliche Rechtslage nach der Strafprozessordnung 1975, BGBl. Nr. 631 in der Fassung BGBl. I Nr. 164/2004 (StPO), bzw. des Sicherheitspolizeigesetzes, BGBl. Nr. 566/1991 in der Fassung BGBl. I Nr. 151/2004.

Gemäß Art. 129a Abs. 1 Z. 2 B-VG und § 67a Abs. 1 Z. 2 AVG entscheiden die unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden von Personen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein, ausgenommen in Finanzstrafsachen des Bundes.

Die Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt liegt dann vor, wenn ein Verwaltungsorgan im Rahmen der Hoheitsverwaltung einseitig einen Befehl erteilt oder Zwang ausübt und dieser Akt gegen individuell bestimmte Adressaten gerichtet ist. Akte unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt sind auch dann der Behörde zuzurechnen, wenn die Behördenorgane im Dienste der Strafjustiz einschreiten und es sich nicht um eine Angelegenheit der Gerichtspolizei im engeren Sinn handelt. Darunter sind die in der StPO vorgesehenen Akte zu verstehen, bei denen eine unmittelbare Heranziehung von Sicherheitsorganen durch gerichtliche Organe möglich ist (so z. B. bei der Vollstreckung eines richterlichen Befehls zur Hausdurchsuchung - §§ 139 ff in Verbindung mit § 24 StPO, zur Verhaftung - §§ 174 ff in Verbindung mit § 24 StPO, oder im Rahmen der sog. Sitzungspolizei; dazu kommt noch die Tätigkeit von Exekutivorganen im Zug einer gerichtlichen Vollstreckung nach der Exekutionsordnung).

Im Beschwerdefall wurde die Festnahme des Beschwerdeführers deswegen durchgeführt, weil er verdächtig war, das Verbrechen des gewerbsmäßigen Diebstahles gemäß §§ 127, 130 StGB sowie das Vergehen der Urkundenfälschung gemäß § 223 StGB begangen zu haben. Das Einschreiten der Sicherheitswacheorgane erfolgte unbestritten ohne Vorliegen eines richterlichen Befehls. Vielmehr handelte es sich um ein selbstständiges Vorgehen der Sicherheitswacheorgane gemäß §§ 175 ff StPO. In einem solchen Fall steht der Sicherheitsbehörde mehr Entscheidungsspielraum zur Verfügung als bei der Durchsetzung eines richterlichen Befehls. Ein allfälliger Eingriff in subjektive Rechte erfolgt auf Grund der Willensbildung des Verwaltungsorgans und ist daher, obwohl das Einschreiten im Dienste der Strafjustiz erfolgt, der Verwaltung zuzurechnen (vgl. zu all dem beispielsweise die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 96/01/0570, und vom , Zl. 96/01/1032, jeweils mwN, sowie die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren I, 2. Aufl. (1998) E 20 zu § 67a AVG, und Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 6. Aufl. (2003) S. 946 ff, wiedergegebene hg. Rechtsprechung; vgl. auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/01/1166). Hiebei gelten gemäß § 22 Abs. 3 SPG, sobald ein bestimmter Mensch der strafbaren Handlung verdächtig ist, ausschließlich die Bestimmungen der StPO.

Die belangte Behörde ging zunächst zutreffend davon aus, dass im Beschwerdefall gemäß § 22 Abs. 3 SPG die Bestimmungen der StPO anzuwenden waren, da der Beschwerdeführer einer strafbaren Handlung verdächtig war. Sie hat in weiterer Folge jedoch verkannt, dass die ohne richterlichen Befehl erfolgte Festnahme und Anhaltung des Beschwerdeführers als ein im Dienste der Strafjustiz vorgenommener Verwaltungsakt der Staatsfunktion Verwaltung zuzurechnen war und demnach ein Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt vorlag. Die belangte Behörde wäre demnach verhalten gewesen, über die Rechtmäßigkeit des Eingriffes in der Sache abzusprechen; die Zurückweisung der Beschwerde als unzulässig erweist sich somit als rechtswidrig.

Der angefochtene Bescheid war daher im Umfang seines Spruchpunktes 1. sowie des Ausspruches über den Kostenersatz gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Über das Kostenbegehren wurde bereits mit dem erwähnten hg. Erkenntnis vom abgesprochen.

Wien, am