VwGH vom 06.09.2011, 2010/05/0127
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail sowie den Hofrat Dr. Enzenhofer und die Hofrätin Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Kalanj, über die Beschwerde 1. des Dr. JW, Rechtsanwalt in W, und 2. der NM in W, vertreten durch den Erstbeschwerdeführer, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom , Zl. BOB-6/10, betreffend einen Auftrag zur nachträglichen Kanaleinmündung (weitere Partei: Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die beschwerdeführenden Parteien haben der Bundeshauptstadt Wien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Anlässlich einer vom Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 30, am durchgeführten Erhebung wurde festgestellt, dass eine näher bezeichnete Liegenschaft in W. nicht an das öffentliche Kanalnetz angeschlossen sei.
Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am und am erteilte der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 37, mit Bescheid vom den beschwerdeführenden Parteien als Eigentümer der Baulichkeit auf der näher bezeichneten Liegenschaft in W. gemäß § 2 Abs. 1 des Gesetzes über Kanalanlagen und Einmündungsgebühren (KEG) den Auftrag, binnen einer Frist von zwölf Monaten alle Abwässer unterhalb der Verkehrsfläche in den Straßenkanal zu leiten und innerhalb eines Monats nach hergestellter Einmündung die Senkgrube und die Sickergrube zu beseitigen.
In ihrer gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachten die beschwerdeführenden Parteien im Wesentlichen vor, dass der Tatbestand der Ableitung von "Abwässern" hinsichtlich der Schmutzwässer nicht erfüllt sei. Da die Liegenschaft und die darauf befindliche Baulichkeit nicht benützt würden, entstünden gar keine Schmutzwässer, weshalb weder die Umwelt beeinträchtigt werde noch diesbezüglich überhaupt eine Entsorgung stattfinde. Darüber hinaus seien die Ausnahmebestimmungen des § 2 Abs. 3 KEG erfüllt. Es handle sich um eine kleine Holzhütte mit einer kleinen Dachrinne, das Abrinnen des Regenwassers könne keinesfalls öffentliche Interessen gefährden. Infolge der Nichtbenützung gebe es gar kein Schmutzwasser, weshalb auch keine öffentlichen Interessen beeinträchtigt würden und der Kanalbetrieb durch die Anwendung der Ausnahmebestimmung nicht gestört werde. Nach dem Vorbringen der beschwerdeführenden Parteien und den Ergebnissen des Augenscheins hätte die Behörde feststellen müssen, dass die Liegenschaft gar nicht genutzt werde und es sich bei der Baulichkeit um eine kleine Holzhütte handle. Abschließend beantragten die beschwerdeführenden Parteien, den Bescheid aufzuheben, in eventu dem Antrag auf Ausnahme von der Verpflichtung zur Ableitung von Regenwässern und zur Ableitung von Schmutzwässern stattzugeben.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der beschwerdeführenden Parteien als unbegründet ab und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dem Akteninhalt lasse sich entnehmen, dass der gegenständliche Bauplatz vom Straßenkanal ohne Verbindung über eine andere Liegenschaft nicht mehr als 30 Meter entfernt sei. In ihrer Berufung hätten die beschwerdeführenden Parteien das Vorliegen dieser vom Gesetz geforderten materiellen Voraussetzungen nicht bestritten. Zudem hätten sie nicht behauptet, dass der aufgetragene Kanalanschluss technisch nicht möglich wäre und lasse sich dies auch dem Akteninhalt nicht entnehmen. Wenn, wie im vorliegenden Fall, die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 KEG erfüllt seien, lasse das Gesetz der Behörde keine Alternative offen, weshalb der Auftrag zur Kanaleinmündung zu erteilen sei. Die Erfüllungsfrist sei in der Berufung unbeanstandet geblieben und könne nicht als unangemessen betrachtet werden.
Dem Berufungsvorbringen hielt die belangte Behörde entgegen, dass den Bezug habenden gesetzlichen Vorschriften ein etwaiger Ausnahmetatbestand für nicht genutzte Baulichkeiten nicht zu entnehmen sei und die Verpflichtung zur Herstellung des Kanalanschlusses so lange aufrecht bleibe, solange das Gebäude tatsächlich bestehe. Die Verpflichtung zum Kanalanschluss leite sich vom konsensmäßigen Bestehen des Gebäudes ab und sei vom tatsächlichen Anfall von Abwässern unabhängig gegeben. Solange ein aufrechter Baukonsens bestehe, könne das Gebäude im Einklang mit den baurechtlichen Bestimmungen jederzeit genutzt werden, woraus sich jedoch auch die Möglichkeit ergebe, dass Abwässer anfielen. Unter Hinweis auf die hg. Judikatur führte die belangte Behörde weiters aus, dass die Kanalanschlussverpflichtung selbst dann nicht untergehe, wenn eine Abbruchbewilligung für das die Verpflichtung auslösende Gebäude erwirkt worden sei, weil kein Zwang bestehe, von einer solchen baubehördlichen Bewilligung auch Gebrauch zu machen. Über den in der Berufung gestellten Antrag auf Erteilung einer Ausnahme von der Kanalanschlusspflicht gemäß § 2 Abs. 3 KEG sei von der Baubehörde erster Instanz abzusprechen.
Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Mit Beschluss vom , B 745/10-3, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG ab.
In ihrer ergänzten Beschwerde machen die beschwerdeführenden Parteien Rechtswidrigkeit des Inhaltes, in eventu Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die beschwerdeführenden Parteien bringen vor, dass die Ausnahmebestimmungen des § 2 Abs. 3 KEG aus in der Beschwerde näher dargestellten Gründen zur Anwendung gelangen würden. Der Erstbeschwerdeführer habe daher in der mündlichen Verhandlung am beantragt, von der Anschlussverpflichtung nach § 2 KEG abzusehen. Die belangte Behörde habe verkannt, dass die Voraussetzungen für die Anwendung der Ausnahmebestimmung des § 2 Abs. 3 KEG vorlägen, weshalb der angefochtene Bescheid inhaltlich rechtswidrig sei. Weiters sei der Sachverhalt in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig geblieben. Hätte die belangte Behörde den Sachverhalt vollständig ermittelt, hätte sie zu dem Ergebnis kommen müssen, dass durch das Abrinnen des Regenwassers keine öffentlichen Interessen gefährdet werden würden und dass der Ausnahme von der Verpflichtung zur Ableitung von Schmutzwässern ebenfalls keine öffentlichen Interessen entgegenstünden, zumal keine Schmutzwässer abfließen würden. Weiters machen die beschwerdeführenden Parteien mangelhafte Begründung des angefochtenen Bescheides geltend, weil die belangte Behörde ihr Vorbringen nicht hinreichend gewürdigt, sondern sich vielmehr auf unzulässige Verallgemeinerungen gestützt habe.
§ 2 KEG lautet auszugsweise:
"Verpflichtung zur Einleitung
(1) Sofern der Bebauungsplan nicht anderes festlegt, müssen von Baulichkeiten auf Bauplätzen oder Baulosen alle Abwässer (§ 1 Abs. 2) unterhalb der Verkehrsflächen in den Kanal geleitet werden, wenn der Bauplatz oder das Baulos von einem bei der Bauführung bereits bestehenden Straßenkanal ohne Verbindung über eine andere Liegenschaft nicht mehr als 30 m entfernt ist; bei Baulosen gelten Flächen, die im Gartensiedlungsgebiet liegen, nicht als andere Liegenschaft und werden in das Maß von 30 m nicht eingerechnet. Dieselbe Verpflichtung zur Einmündung tritt ein, wenn der Straßenkanal nach Errichtung der Baulichkeit hergestellt wird. Ist nur ein Schmutzwasserkanal vorhanden, so besteht die Verpflichtung zur Einmündung nur hinsichtlich der Schmutzwässer, ist nur ein Regenwasserkanal vorhanden, so besteht diese Verpflichtung nur hinsichtlich der Regenwässer. Sobald die Verpflichtung zur Einmündung erfüllt ist, sind die bisherigen Anlagen zur Ableitung der Schmutz- oder Regenwässer zu beseitigen.
…
(3) Auf Antrag hat die Behörde eine Ausnahme von der Verpflichtung zur Ableitung von Regenwässern nach Abs. 1 zu bewilligen, wenn hiedurch öffentliche Interessen, insbesondere solche der Gesundheit und der körperlichen Sicherheit von Personen, nicht geschädigt werden. Einem Antrag auf Ausnahme von der Verpflichtung zur Ableitung von Schmutzwässern nach Abs. 1 ist stattzugeben, wenn die Ausnahme im Interesse eines ordnungsgemäßen Kanalbetriebes zweckmäßig erscheint oder die Verwendung der Schmutzwässer für Düngezwecke erfolgen soll und überwiegend öffentliche Interessen, insbesondere solche der Gesundheit oder körperlichen Sicherheit von Personen, nicht entgegenstehen. Die Ausnahme ist zu widerrufen, wenn Voraussetzungen für ihren Ausspruch fortgefallen sind. Die Ableitung aller Schmutz- und Regenwässer von den anliegenden Grundstücken auf Verkehrsflächen ist auch bei Ausspruch einer Ausnahme verboten.
… "
Die beschwerdeführenden Parteien berufen sich in ihrer Beschwerde ausschließlich darauf, dass die in der Ausnahmebestimmung des § 2 Abs. 3 KEG genannten Voraussetzungen vorlägen, und werfen der belangten Behörde vor, diese Bestimmung nicht zur Anwendung gebracht und ihr dazu erstattetes Vorbringen nicht berücksichtigt zu haben.
Mit diesem Vorbringen zeigen die beschwerdeführenden Parteien keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.
Sache des Berufungsverfahrens ist die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der Unterinstanz gebildet hat. Die Berufungsbehörde ist nicht berechtigt, über die solcherart bestimmte Sache des Berufungsverfahrens hinauszugehen. Entscheidet eine Behörde zweiter Instanz in einer Angelegenheit, die überhaupt noch nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens gewesen war, in Form einer erstmaligen Sachentscheidung, so fällt eine solche Entscheidung nicht in die funktionelle Zuständigkeit der Berufungsbehörde und der Berufungsbescheid ist in diesem Umfang mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit belastet (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/07/0066, mwN).
Wie sich aus dem Wortlaut des § 2 Abs. 3 KEG klar ergibt, ist eine Ausnahme von der nach Abs. 1 bestehenden Verpflichtung zur Ableitung von Abwässern nur auf Antrag zu bewilligen. Da im erstinstanzlichen Bescheid unstrittig nicht über einen solchen Antrag auf Erteilung einer Ausnahmebewilligung abgesprochen wurde, war es der belangten Behörde nach der oben dargestellten hg. Judikatur verwehrt, erstmals eine Entscheidung darüber zu treffen. Sie hat daher in Bezug auf den in der Berufung gestellten Antrag auf Ausnahmebewilligung zu Recht auf die Zuständigkeit der Erstbehörde verwiesen. Dass der Erstbeschwerdeführer bereits in der mündlichen Verhandlung am einen entsprechenden Antrag gestellt hätte, lässt sich entgegen den Beschwerdeausführungen der über diese Verhandlung aufgenommenen Niederschrift im Übrigen nicht entnehmen.
Gegenstand des Berufungsverfahrens vor der belangten Behörde war nach dem Inhalt des erstinstanzlichen Bescheidspruches somit ausschließlich die Frage, ob die in § 2 Abs. 1 KEG genannten Voraussetzungen für die Kanalanschlusspflicht vorliegen und gegebenenfalls der Auftrag zur Kanaleinmündung zu erteilen ist. Nach den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen ist der gegenständliche bebaute Bauplatz von dem Straßenkanal ohne Verbindung über eine andere Liegenschaft nicht mehr als 30 Meter entfernt. Die beschwerdeführenden Parteien treten diesen Feststellungen nicht entgegen. Ausgehend davon sind aber die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 KEG erfüllt, weshalb die belangte Behörde den Auftrag zur Kanaleinmündung zu Recht erteilt hat.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am