zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VwGH vom 29.01.2018, Ra 2017/04/0094

VwGH vom 29.01.2018, Ra 2017/04/0094

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler und die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Mayr, die Hofrätin Mag. Hainz-Sator und den Hofrat Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Tiefenböck, über die Revision der revisionswerbenden Parteien 1. P S 2. C S,

3. S GmbH, alle in H, alle vertreten durch Dr. Gunther Huber, Rechtsanwalt in 4050 Traun, Heinrich-Gruber-Straße 1, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom , Zl. LVwG-850551/27/Re - 850553/2, betreffend gewerbliche Betriebsanlage (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Linz-Land, mitbeteiligte Partei: B GmbH in H, vertreten durch die Saxinger, Chalupsky & Partner Rechtsanwälte GmbH in 4020 Linz, Böhmerwaldstraße 14), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den Revisionswerbern Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Angefochtenes Erkenntnis

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde (der Sache nach) der mitbeteiligten Partei die Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer gewerblichen Betriebsanlage (Lager- und Logistik-Betriebsanlage) erteilt (I.) und die Revision nicht zugelassen (II.).

2 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, die wesentlichen Anlagenteile seien eine Halle mit Büro für die Be- und Entladung von Gütern und Verwaltungstätigkeiten.

3 Die Revisionswerber hätten vorgebracht, diese Halle würde in einem Abstand zu der benachbarten Gärtnerei der Revisionswerber errichtet werden, der insbesondere in den Wintermonaten einen Schattenwurf auf das näher gelegene Glashaus verursache und so die dort stattfindende Überwinterung von Pflanzen wesentlich beeinträchtige.

4 Das (im Erkenntnis wiedergegebene) durch die Revisionswerber mit der Beschwerde beigebrachte Gutachten eines Sachverständigen für Baumpflege, Gartengestaltung und Friedhofsgärtnerei kommt zum Ergebnis, dass bei der zu erwartenden Verschattung der Gewächshäuser zur Überwinterung von Kübelpflanzen mit einer erheblichen Beeinträchtigung dieses Geschäftszweiges zu rechnen sei (höherer Energiebedarf der Gewächshäuser durch verringerte Sonneneinstrahlung, Aufstellung von weniger Pflanzen, Schwächung der Pflanzen und damit höherer Aufwand bei der Krankheits- und Schädlingsbekämpfung, Veränderung des Habitus der Pflanzen, schlechtere Qualität der ausgelieferten Pflanzen, Schädigung des Rufs des Betriebes, Steigerung der Kosten durch vermehrten Energieeinsatz und erhöhten Pflegeaufwand).

5 In einem (im Erkenntnis wiedergegebenen) durch die mitbeteiligte Partei beigebrachten Gutachten eines näher bezeichneten Ingenieurbüros für Biologie wurde eine Schattenwurfberechnung durchgeführt. Darin wird festgehalten, dass der Schatten der geplanten Lagerhalle die Stehwand des Gewächshauses treffe und diese zum meteorologischen Winteranfang um 13:13 Uhr und zum meteorologischen Winterende um 15:14 Uhr jeweils bis Sonnenuntergang beschatte.

6 Das (ebenso im Erkenntnis wiedergegebene) durch die Revisionswerber nach Durchführung der mündlichen Verhandlung vorgelegte Gutachten eines Sachverständigen (u.a.) für die Wertermittlung von Zierhölzern und die Bewertung von Schäden an oder durch Pflanzen kommt zum Ergebnis, dass die Verminderung der für optimale Kulturzwecke zur Verfügung stehenden Fläche, erforderliche Investitionen und die Verminderung eines vermietbaren Pflanzenbestandes an eine Wirtschaftlichkeitsgrenze führten, welche die Existenz des Betriebs an die Unwirtschaftlichkeit heranführe (Minderung des Einkommens um 30% bzw. teure Investitionen und erhöhte Heizkosten sowie Gestehungskosten, um den Überwinterungs- und Dekorationspflanzen wieder ideale Lichtbedingungen zu ermöglichen).

7 Das Verwaltungsgericht führte aus, es sei zu prüfen, ob durch die Beschattung (durch die zu genehmigende Betriebsanlage) die sinnvolle Nutzung der Sache wesentlich beeinträchtigt werde oder überhaupt nicht mehr möglich sei. Die Zusammenführung der im Verfahren vorgelegten Gutachten ergebe, dass durch die projektierte Halle der mitbeteiligten Partei eine Schattenbildung im Wesentlichen auf die Stehwand des der Betriebsanlage nähergelegenen Glashauses insbesondere in den Wintermonaten zu erwarten sei. Die konkrete Schattenbildung sei in den Gutachten dargelegt worden.

8 In diesem Gutachten werde eine völlige Substanzvernichtung bzw. eine Unmöglichkeit einer sinnvollen Nutzung der Sache nicht ausdrücklich behauptet bzw. nachgewiesen. Vielmehr ziele das Vorbringen der Revisionswerber auf die Wirtschaftlichkeit des Gärtnereibetriebes ab, indem behauptet werde, dass die tägliche Verkürzung der direkten Sonneneinstrahlung den Betrieb an die Unwirtschaftlichkeit heranführe. Nach dem von den Revisionswerbern vorgelegten Gutachten werde die Dauer der direkten Sonneneinstrahlung um ca. zweieinhalb Stunden verringert, was zu einer wesentlichen Beeinträchtigung führe. Der in diesem Gutachten daraus abgeleitete erhöhte Energiebedarf, der erhöhte Aufwand bei der Krankheits- und Schädlingsbekämpfung und eine mögliche verringerte Zahl der überwinterten Kübelpflanzen könnten zwar eine Wertminderung in Bezug auf die derzeitige Nutzung darstellen, jedoch ausschließlich in wirtschaftlicher Hinsicht und nicht dahingehend, dass die sinnvolle Nutzung des Grundstückes vollständig verunmöglicht werde. Das Glasdach des Gewächshauses sei nach wie vor mit 50% so gut wie unbeeinflusst direkt der Sonneneinstrahlung ausgesetzt. Auch habe der von den Revisionswerbern herangezogene Sachverständige festgestellt, dass die fehlende Lichtmenge mit künstlichen Lichtquellen ausgeglichen werden könne. Das Verwaltungsgericht komme daher zum Ergebnis, dass eine Beeinträchtigung des westlichen Gewächshauses durch die Schattenbildung der projektierten Lagerhalle insbesondere in den Wintermonaten gegeben sein werde. Maßnahmen (wie zusätzliche Heizung, Pflege und Schädlingsbekämpfung, Düngung und Beleuchtung) würden jedoch einen weiteren Betrieb der Gärtnerei der Revisionswerber jedenfalls ermöglichen, insbesondere einen weiteren Betrieb des Gewächshauses zur Überwinterung von Kübelpflanzen. Auch sei zur sinnvollen und wirtschaftlichen Gesamtnutzung des Grundstückes nicht nur der Winterbetrieb, sondern auch der Betrieb in den üblichen Jahreszeiten zu zählen. Die Verringerung der Anzahl der aufstellbaren Pflanzen sei aus näher bezeichneten Gründen für das Verwaltungsgericht nicht zweifelsfrei nachvollziehbar. Aus diesen Gründen sei die im Gutachten des Sachverständigen (u.a.) für die Wertermittlung von Zierhölzern und die Bewertung von Schäden an oder durch Pflanzen festgehaltene 30%ige Minderung des Einkommens der Revisionswerber nicht nachvollziehbar und unschlüssig.

9 Das Verwaltungsgericht komme daher insgesamt zum Ergebnis, dass durch die Errichtung und den Betrieb der geplanten Halle weder die Substanz bedrohende oder vernichtende Auswirkungen noch die Nutzung des Eigentums der Revisionswerber unmöglich machende Auswirkungen zu erwarten seien. Eine sinnvolle weitere Nutzung des Gartenbaubetriebs werde weder wesentlich beeinträchtigt noch unmöglich.

10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

11 Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung. Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht sah von einer Revisionsbeantwortung ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zur Zulässigkeit

12 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das Verwaltungsgericht habe das angefochtene Erkenntnis mit einem eine grundsätzliche Rechtsfrage aufwerfenden Verfahrensmangel belastet, weil es die angenommene Unschlüssigkeit der im Gutachten der Revisionswerber getroffenen Berechnung einer 30%igen Minderung des Einkommens der Revisionswerber tragend zur Begründung gemacht habe, ohne diesen Sachverhalt mit den Parteien zu erörtern bzw. das Gutachten diesbezüglich ergänzen zu lassen. Der Verfahrensmangel sei relevant, weil die geschätzte 30%ige Einkommensminderung eine wesentliche Beeinträchtigung einer bestimmungsmäßigen gärtnereiwirtschaftlichen Nutzung bestätigt hätte.

13 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet. Rechtsprechung zur Eigentumsgefährdung (§ 74 Abs. 2 Z 1 GewO 1994)

14 Gewerbliche Betriebsanlagen dürfen gemäß § 74 Abs. 2 Z 1 GewO 1994 nur mit Genehmigung der Behörde errichtet oder betrieben werden, wenn sie wegen der Verwendung von Maschinen und Geräten, wegen ihrer Betriebsweise, wegen ihrer Ausstattung oder sonst geeignet sind, (unter anderem) das Eigentum oder sonstige dingliche Rechte der Nachbarn zu gefährden.

15 Gemäß § 75 Abs. 1 GewO 1994 ist unter einer Gefährdung des Eigentums im Sinne des § 74 Abs. 2 Z 1 die Möglichkeit einer bloßen Minderung des Verkehrswertes des Eigentums nicht zu verstehen.

16 Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Judikatur die Auffassung, dass der Nachbar im gewerberechtlichen Betriebsanlagengenehmigungsverfahren nur den Schutz seines Eigentums vor der Vernichtung der Substanz, aber nicht jede Minderung des Verkehrswertes seines Eigentums geltend machen kann. Einer solchen Vernichtung der Substanz ist allerdings der Verlust deren Verwertbarkeit gleichzuhalten, der bereits dann anzunehmen ist, wenn die nach der Verkehrsauffassung übliche bestimmungsgemäße Sachnutzung oder Verwertung ausgeschlossen ist. Wendet sich daher der Nachbar gegen die zur Bewilligung beantragte Anlage aus dem Grund der Eigentumsgefährdung, so hat er durch ein konkretes Vorbringen nicht bloß darzutun, dass durch die begehrte Genehmigung sein Eigentum berührt wird, sondern auch, dass dieses über eine bloße Minderung des Verkehrswertes hinaus in seiner Substanz bedroht ist, wozu auch der Verlust der Verwertbarkeit im dargelegten Sinn zählt (vgl. , mwN).

17 Eine Gefährdung dinglicher Rechte iS des § 74 Abs. 2 Z. 1 leg. cit. ist nur dann gegeben, wenn deren sinnvolle Nutzung wesentlich beeinträchtigt oder überhaupt nicht mehr möglich ist (, mwN).

18 Eine Gefährdung des Eigentums und damit eine Gefährdung dinglicher Rechte iSd § 74 Abs. 2 Z 1 GewO 1994 besteht nur dann, wenn diese in ihrer Substanz bedroht werden, indem ihre bestimmungsgemäße Nutzung auf Dauer unmöglich gemacht wird. Die bloße Minderung der Vermietbarkeit stellt keine Eigentumsgefährdung iSd § 74 Abs. 2 Z 1 GewO 1994 dar (vgl. , mwN).

19 Der Nachbar kann nur den Schutz seines Eigentums vor Vernichtung der Substanz geltend machen, nicht aber eine (bloße) Minderung des Verkehrswertes. Einer solchen Vernichtung der Substanz ist der Verlust der Verwertbarkeit gleichzuhalten, der bereits dann anzunehmen ist, wenn die nach der Verkehrsauffassung übliche bestimmungsgemäße Sachnutzung oder Verwertung ausgeschlossen ist. Derartiges wird mit dem Vorbringen, ein Reitbetrieb werde durch Betriebslärm, Betriebsverkehr und die Zunahme des Verkehrs zum und vom Abbaugebiet beeinträchtigt, nicht dargetan (vgl. zur vergleichbaren Bestimmung des § 116 Abs. 3 Z 3 MinroG , 0236, mwN).

20 Mit dem Vorbringen, durch die Nutzung ein und desselben Thermalwasserkörpers durch eine projektierte Anlage sei für eine bestehende Therme eine qualitative und/oder quantitative Beeinträchtigung des Thermalwasserkörpers durch Überbeanspruchung zu erwarten, wird die Möglichkeit geltend gemacht, dass durch die begehrte Bewilligung Eigentum in seiner Substanz bedroht werde (vgl. zur vergleichbaren Bestimmung des § 116 Abs. 3 Z 3 MinroG ).

Fallbezogene Beurteilung

21 Das Verwaltungsgericht legte seiner Entscheidung die oben

dargestellte Rechtsprechung zugrunde.

22 Jedoch hat das Verwaltungsgericht das angefochtene

Erkenntnis aus folgenden Gründen mit einem Verfahrensfehler belastet:

23 Das Verwaltungsgericht stützte seine Auffassung, die nach

der Verkehrsauffassung übliche bestimmungsgemäße Sachnutzung oder Verwertung der Liegenschaft der Revisionswerber sei nicht ausgeschlossen, tragend auf die Annahme, die im Gutachten des Privatsachverständigen angenommene 30%ige Minderung des Einkommens der Revisionswerber sei unschlüssig.

24 Die Behörde wird der Anforderung, ihre Beurteilung auf ein schlüssiges und widerspruchsfreies Sachverständigengutachten zu stützen, nicht gerecht, wenn sie dann, wenn sie ein Sachverständigengutachten für nicht schlüssig erachtet, ihre fachliche Beurteilung an die Stelle der Sachverständigenbeurteilung setzt. Vielmehr ist die Behörde in einem solchen Fall gehalten, den Amtssachverständigen unter Vorhalt ihrer Überlegungen zur Ergänzung seines Gutachtens aufzufordern oder erforderlichenfalls ein weiteres Gutachten einzuholen (vgl. ).

25 Gleiches gilt für das Verwaltungsgericht (vgl. zur Heranziehung von Sachverständigengutachten durch das Verwaltungsgericht , mwN).

26 Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht für die Prüfung der Frage der Eigentumsgefährdung keinen Amtssachverständigen bestellt, sondern das Gutachten des Privatsachverständigen als unschlüssig erachtet. In der Folge wäre das Verwaltungsgericht aber gehalten gewesen, ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen bzw. seiner Entscheidung zugrundezulegen, zumal nicht ersichtlich ist, dass diese Frage ohne besonderen Sachverstand gelöst werden kann.

Ergebnis

27 Aus diesen Erwägungen war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

28 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden, weil das Verwaltungsgericht - ein Tribunal im Sinne des Art. 6 MRK und ein Gericht im Sinne des Art. 47 GRC - eine mündliche Verhandlung durchgeführt hat.

29 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017040094.L00
Schlagworte:
Gutachten Beweiswürdigung der Behörde Anforderung an ein Gutachten Gutachten Ergänzung

Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.