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VwGH vom 09.11.2010, 2007/21/0549

VwGH vom 09.11.2010, 2007/21/0549

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des B, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hahngasse 25/5, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom , Zl. Senat-FR-07-3040, betreffend Schubhaft (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde eine vom Beschwerdeführer, einem Staatsangehörigen von Belarus, eingebrachte Schubhaftbeschwerde gemäß § 83 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) kostenpflichtig als unbegründet ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am unrechtmäßig von Belarus kommend in das Bundesgebiet eingereist. Er sei nicht imstande, nähere Angaben zu machen, über welche Länder seine Reise erfolgt sei.

Am sei der Beschwerdeführer gemeinsam mit zwei anderen männlichen Personen in Gmünd von Polizisten betreten und festgenommen worden. Im Zuge der Anhaltung habe er einen Asylantrag gestellt. Zu seiner Identität habe er ausgeführt, am geboren zu sein. Dies erscheine jedoch nicht als gesichert. Auf Grund des äußeren Erscheinungsbildes des Beschwerdeführers bestehe berechtigter Grund zur Annahme, dass sein Lebensalter etwa 20 bis 25 Jahre betrage. Dies werde auch durch die Angaben eines weiteren weißrussischen Staatsangehörigen, der seinen Angaben zufolge der beste Freund des Beschwerdeführers sei, erhärtet. Dieser Mann habe anfänglich ebenfalls Daten angegeben, denen zufolge er minderjährig wäre. Tatsächlich sei dieser jedoch nach seinem danach erfolgten Zugeständnis volljährig. Da dieser Mann im Erscheinungsbild im Wesentlichen demjenigen des Beschwerdeführers entspreche, erscheine auch in Bezug auf den Beschwerdeführer die Annahme gerechtfertigt, dass er lediglich als Schutzbehauptung angegeben habe, er sei minderjährig, um einer Schubhaft zu entgehen.

Der Reiseweg des Beschwerdeführers habe über Polen und Tschechien geführt. Es sei daher ein "Dublinbezug zu diesen Staaten" gegeben.

Da das Vorbringen des Beschwerdeführers, er sei jugendlichen Alters, unglaubwürdig sei und der Beschwerdeführer im Inland weder beruflich noch sozial in irgendeiner Weise verankert sei, bestehe die begründete Annahme, dass er, sollte er auf freiem Fuß belassen werden, im Bundesgebiet untertauchen und sich dem Zugriff der Behörden entziehen werde. Es stelle daher die Schubhaft das einzig taugliche Sicherungsmittel für die "zu setzenden fremdenpolizeilichen Maßnahmen" dar.

Von der Abhaltung einer Verhandlung - so die belangte Behörde abschließend - habe abgesehen werden können, weil der Sachverhalt anhand der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde ausreichend geklärt erscheine.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Die Beschwerde legt ihr Schwergewicht auf die Bekämpfung der Annahme der belangten Behörde, der Beschwerdeführer sei volljährig und bestreitet in diesem Zusammenhang sowohl das Vorliegen des Tatbestandes nach § 76 Abs. 2 Z 4 FPG als auch die Rechtmäßigkeit der Abstandnahme von der Anordnung eines gelinderen Mittels.

Zunächst ist festzuhalten, dass die belangte Behörde, soweit sie darauf abstellte, der Beschwerdeführer sei sozial und beruflich nicht in Österreich integriert und dies könne den Sicherungsbedarf begründen, die Rechtslage verkannte. Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Anhaltung in Schubhaft in sogenannten "Dublinfällen" wiederholt festgehalten, dass es sich dabei in Bezug auf (wie der Beschwerdeführer) noch nicht lange in Österreich aufhältige Asylwerber, die Anspruch auf Grundversorgung haben, um keine tragfähigen Argumente für das Bestehen eines Sicherungsbedarfes handelt. Die Heranziehung des Gesichtspunktes, der Fremde sei in Österreich nicht ausreichend integriert, ist vielmehr bei Asylwerbern in der Situation des Beschwerdeführers verfehlt. Der Frage, der Integration kommt primär im Anwendungsbereich des § 76 Abs. 1 FPG Bedeutung zu. Des Weiteren hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung zu den Voraussetzungen der Anhaltung in Schubhaft nach § 76 Abs. 2 Z 4 FPG ausgesprochen, dass ungeachtet des Vorliegens des Tatbestandes nach dieser Bestimmung die Anhaltung eines Asylwerbers in Schubhaft nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn besondere Umstände vorliegen, die schon in diesem frühen Asylverfahrensstadium ein Untertauchen des betreffenden Fremden befürchten lassen. Für eine solche Befürchtung müssen - vor allem aus dem bisherigen Verhalten des Fremden ableitbare - spezifische Hinweise bestehen (vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/21/0341, mwN).

Im Ergebnis sah die belangte Behörde einen solchen Hinweise in den Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Lebensalter, die sie als unrichtig qualifizierte.

Die diesbezüglichen Ausführungen erweisen sich allerdings als unschlüssig. Die belangte Behörde stellte darauf ab, dass auf Grund des äußeren Erscheinungsbildes des Beschwerdeführers berechtigter Grund zur Annahme bestünde, sein Lebensalter liege bei etwa 20 bis 25 Jahren. Dem angefochtenen Bescheid ist aber überhaupt nicht zu entnehmen, von welchem äußeren Erscheinungsbild die belangte Behörde bei ihrer Beurteilung ausgegangen ist. Zudem hat sie auch keine Verhandlung durchgeführt, um den Beschwerdeführer in Augenschein zu nehmen.

Die nähere Klärung des Lebensalters des Beschwerdeführers ist aber - wie der Beschwerdeführer bereits auch in der Schubhaftbeschwerde ausgeführt hat - deswegen notwendig, weil nach Art. 6 zweiter Satz Dublin-Verordnung im Fall eines unbegleiteten Minderjährigen, wenn keine Familienangehörigen in einem Mitgliedstaat anwesend sind, jener Mitgliedstaat für die Behandlung des Asylbegehrens zuständig ist, in dem der Minderjährige seinen Asylantrag gestellt hat (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0278). Da im gesamten Verwaltungsakt kein Hinweis dafür vorhanden ist, der Beschwerdeführer hätte in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union einen Asylantrag gestellt, könnte somit im Fall der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers nicht davon ausgegangen werden, es werde infolge Unzuständigkeit Österreichs zur Zurückweisung des in Österreich gestellten Antrages auf internationalen Schutz (und damit verbunden zu einer Ausweisung) kommen. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer schon in der Schubhaftbeschwerde vorgebracht hat, er werde selbst im Asylverfahren als Minderjähriger behandelt.

Letztendlich könnte, wenn der Beschwerdeführer zu seinem Alter die Wahrheit gesagt haben sollte, nach dem oben Gesagten aber auch nicht davon ausgegangen werden, es sei die Annahme eines Sicherungsbedarf gerechtfertigt.

Auf Grund dieser Umstände erweist es sich aber sohin als rechtswidrig, dass die belangte Behörde von einem auf Grund der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärten Sachverhalt ausging, zumal hinsichtlich des - sich als entscheidungswesentlich darstellenden - Lebensalters des Beschwerdeführers widerstreitende sachverhaltsbezogene Vorbringen der im Verfahren vor der belangten Behörde beteiligten Parteien vorlagen.

Der angefochtene Bescheid war sohin wegen - vorrangig wahrzunehmender - Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Wien, am

Fundstelle(n):
FAAAE-72501