Suchen Hilfe
VwGH vom 23.04.2013, 2012/09/0162

VwGH vom 23.04.2013, 2012/09/0162

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler, Dr. Doblinger und Mag. Feiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pichler, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Dr. Margit Kaufmann, Rechtsanwältin in 1080 Wien, Florianigasse 7/6, gegen den Bescheid des Dienstrechtssenates der Stadt Wien vom , Zl. DS-D - 449/2012, betreffend Disziplinarstrafe der Entlassung nach der Dienstordnung 1994 (weitere Partei: Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zur Vorgeschichte verweist der Verwaltungsgerichtshof zwecks Vermeidung von Wiederholungen auf das im gegenständlichen Fall ergangene Erkenntnis vom , Zl. 2012/09/0031, mit dem der die Entlassung des Beschwerdeführers aussprechende Bescheid der belangten Behörde vom wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben worden war.

Mit dem nunmehr angefochtenen (Ersatz )Bescheid vom wurde die Berufung des Beschwerdeführers vom neuerlich abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Als Beilage zur Gegenschrift hat sie die Organisations- und Dienstvorschrift der MA 70, gültig ab (in der Folge: Dienstvorschrift), das Sanitätergesetz, BGBl. I Nr. 30/2002 - SanG, die Stellenbeschreibung von Notfallsanitätern (ohne und mit Lenkberechtigung) und den Regeldienstplan der MA 70 ("Aktualisierung" ) vorgelegt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.) Einleitend ist in Erinnerung zu rufen, dass die tragende Begründung eines aufhebenden Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes für die belangte Behörde bindend ist.

2.) In der Dienstvorschrift, Punkt I.2. (1) und (2) ist als primäre Aufgabe der MA 70 der "Rettungsdienst im Sinne des § 1 Wiener Rettungs- und Krankentransportgesetz" genannt.

Nach § 9 Abs. 1 SanG umfasst der Tätigkeitsbereich des Rettungssanitäters u.a. die selbständige und eigenverantwortliche Versorgung und Betreuung kranker, verletzter und sonstiger hilfsbedürftiger Personen … vor und währen des Transports (Z. 1) und die Übernahme sowie die Übergabe der Patienten oder der betreuten Person im Zusammenhang mit einem Transport (Z. 2). § 10 Abs. 1 SanG verweist auf die in § 9 Abs. 1 genannten Tätigkeiten und führt zusätzliche Tätigkeiten an.

Das Wiener Rettungs- und Krankentransportgesetz - WRKG nennt in seinem § 1 als Aufgaben eines Rettungsdienstes u.a.:

"1. Personen, die eine erhebliche Gesundheitsstörung oder erhebliche Verletzung erlitten haben, erste Hilfe zu leisten, sie transportfähig zu machen und sie erforderlichenfalls unter sachgerechter Betreuung mit geeigneten Transportmitteln in eine Krankenanstalt zu befördern oder ärztlicher Hilfe zuzuführen;

..."

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid nicht ausgeführt, von welchen Vorschriften, die den Dienst der Notfallsanitäter der MA 70 näher regeln, sie ausgegangen ist.

Der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, dass die von der belangten Behörde in ihrer Begründung genannte "Aufgabe eines Notfallsanitäters", die darin bestehe, Verletzte einer fachgerechten Erstversorgung zuzuführen, auf § 1 Abs. 1 WRKG iVm § 9 Abs. 1 Z. 1 und 2 und § 10 Abs. 1 Z. 1 SanG iVm der Dienstvorschrift beruht. Die Beförderung eines Verletzten in eine Krankenanstalt bzw. die Zuführung zu ärztlicher Hilfe ist damit eine Dienstpflicht des Notfallsanitäters.

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dem Patienten gegenüber die spruchgemäß angelasteten Drohungen ausgesprochen, die Faustschläge gesetzt zu haben, sowie dass der Patient ihm gegenüber nicht gewalttätig geworden ist.

Es macht einen erheblichen Unterschied in der Schwere einer Dienstpflichtverletzung, ob ein Beamter eine solche im Glauben und in der Absicht begeht, dadurch seine dienstlichen Aufgaben erfüllen zu können, oder ob es sich um eine reine Aggressionshandlung handelt.

Die belangte Behörde hat im Spruch des angefochtenen Bescheides u.a. dem Beschwerdeführer vorgeworfen, dem Patienten, der nicht aus dem Rettungstransportwagen aussteigen habe wollen und sich an der Trage festgehalten habe, von hinten das T-Shirt hochgezogen und einen Faustschlag auf den Rücken verpasst zu haben, und den auf der Spitalsliege liegenden Patienten, als dieser von der Liege habe steigen wollen, unsanft auf die Trage gedrückt und ihn einen Faustschlag gegen den Hals versetzt zu haben.

Sie hat dies in der Begründung teils verstärkt (s.S. 12:

"... weigerte sich der Patient zunächst, aus dem Rettungswagen

auszusteigen, und versuchte später mehrmals, von der Liege aufzustehen. Dieses Verhalten lässt darauf schließen, dass der Patient bloß verhindern wollte, ins Krankenhaus gebracht zu werden, und einfach 'weg wollte'. Das renitente bzw. 'ungute' Verhalten des Patienten bestand darin, dass dieser anfangs herumgeschrien und mit der Faust auf die Seitenwand des Rettungswagens gehämmert hat sowie während der Fahrt unruhig war und um sich geschlagen hat").

Mit der wiedergegebenen Begründung geht die belangte Behörde davon aus, dass der alkoholisierte Verletzte sich gegen die Verbringung ins Krankenhaus gewehrt hat. Denn sich wehren bedeutet auch "etwas nicht einfach hinnehmen, sondern dagegen angehen ... sich widersetzen, sich gegen etwas sträuben" (Duden online, Stand ). Dass es dazu der Fähigkeit bedürfte, "zielgerichtete" Abwehrhandlungen gegen den (die) Sanitäter zu setzen (was die belangte Behörde an anderer Stelle ihrer Begründung für die Fähigkeit, sich zu wehren, voraussetzt), ist verfehlt. Auch zielloses Herumschlagen und -treten und wiederholte Versuche, von der Krankentrage zu steigen sind geeignet, sich der Verbringung in ein Krankenhaus zu widersetzen und diese zu verhindern. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits im Vorerkenntnis auf den Umstand hingewiesen, dass der Alkoholisierte sich nach der im Akt einliegenden Krankengeschichte auch noch später (offenbar erfolgreich) der klinischen Untersuchung entzog , weil er um sich geschlagen und getreten habe.

Völlig konträr geht jedoch der Tenor der Begründung der belangten Behörde zur Schwere der Tat dahingehend, dass es sich um Attacken des Beschwerdeführers gehandelt habe. Die belangte Behörde begründet dies damit, dass wegen der eingeschränkten Diskretions- und Dispositionsfähigkeit der Alkoholisierte keine "zielgerichtete(n) Abwehrhandlungen" gegen die Angriffe des Beschwerdeführers habe setzten können, es habe keine "körperlichen Attacken" des Alkoholisierten gegen den Beschwerdeführer oder den anderen Sanitäter gegeben. In offenen Konflikt zum Spruch und den oben wieder gegebenen Begründungsteilen setzt sich die belangte Behörde mit ihrer Behauptung, dass "der Patient gerade in den Momenten des Zuschlagens durch den Beschuldigten jeweils weder ein gewalttätiges noch ein widerspenstiges Verhalten an den Tag gelegt" habe.

Die belangte Behörde ist bei ihrer rechtlichen Würdigung nicht von den dem Beschwerdeführer im Bescheidspruch vorgeworfenen Handlungen ausgegangen. Weiters verkennt sie, dass das Verhalten des Beschwerdeführers nicht darauf zu beziehen ist, ob der Alkoholisierte "zielgerichtete" Angriffe oder Abwehrhandlungen gegen den Beschwerdeführer setzte, sondern in Beziehung zu der vom Beschwerdeführer zu erfüllenden Dienstpflicht "Verbringung in ein Krankenhaus", gegen die sich der alkoholisierte Patient gewehrt hat, zu setzen ist.

Im vorliegenden Fall wurde der Patient offenbar durch die "Faustschläge" des Beschwerdeführers nicht verletzt, weil eine Verletzung weder behauptet noch in der Krankengeschichte dokumentiert ist. Diesbezüglich ist die belangte Behörde dem Auftrag des Vorerkenntnisses vom , Feststellungen zur Schwere der Taten zu treffen, welche eine Beurteilung zuließen, in welchem Maß die Anwendung der körperlichen Gewalt durch den Beschwerdeführer unverhältnismäßig war, nicht nachgekommen. Die Wucht der hier gesetzten Faustschläge wurde von der belangten Behörde nicht erhoben.

Die belangte Behörde hat auf Grund ihrer verfehlten Beurteilung des Verhaltens des alkoholisierten Patienten das Verhalten des Beschwerdeführers nicht in Beziehung zu der zu erfüllenden Dienstpflicht der "Verbringung ins Krankenhaus" gesetzt.

Außerdem unterlässt es die belangte Behörde entgegen dem Auftrag des Verwaltungsgerichtshofes im Vorerkenntnis vom weiterhin, konkrete Feststellungen zur (eventuell mangelhaften) Hilfestellung durch den zweiten Sanitäter IH ("gemeinsam" bzw. "halbherzig" sind keine konkreten Feststellungen) zu treffen. Sie hat auf Grund fehlender Feststellungen dessen Verhalten nicht in die Beurteilung des Verhaltens des Beschwerdeführers einbezogen.

Insgesamt hat die belangte Behörde damit den klaren Ergänzungsaufträgen des genannten hg. Erkenntnisses vom nicht entsprochen, sodass eine abschließende Beurteilung der Ausgangssituation (Verhalten des Patienten in Bezug auf seinen Widerstand gegen die Verbringung ins Krankenhaus, Stärke der Faustschläge sowie die konkrete Art der Hilfeleistung des H) und des Grades der Unverhältnismäßigkeit der Schläge des Beschwerdeführers zur Wertung der Schwere der Dienstpflichtverletzung im Hinblick auf die verhängte Disziplinarstrafe der Entlassung nicht möglich ist.

Der angefochtene Bescheid erweist sich daher mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
XAAAE-72385