VwGH vom 07.02.2008, 2007/21/0446
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des R, vertreten durch Solicitor Edward W. Daigneault in 1070 Wien, Hernalser Gürtel 47/4, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom , Zl. Senat-FR-07-3038, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, der davor bereits in der Slowakei Asyl beantragt hatte, stellte nach seiner Einreise nach Österreich am unter dem Namen Koba K., geboren am , russischer Staatsbürger und Angehöriger der osetischen Volksgruppe, einen Asylantrag. Nach der Aktenlage wurde das hierüber geführte Verfahren, nachdem den slowakischen Behörden der Selbsteintritt Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-Verordnung mitgeteilt worden war, für zulässig erklärt und dem Beschwerdeführer am eine Aufenthaltsberechtigungskarte ausgehändigt. Das Asylverfahren wurde dann am gemäß § 30 Abs. 3 des Asylgesetzes 1997 - AsylG mangels bekannter Abgabestelle des Beschwerdeführers eingestellt.
Der Beschwerdeführer wurde am in Gmünd nach einem illegalen Grenzübertritt aus der Tschechischen Republik, wo er sich seinen Angaben zufolge während des letzten Jahres als Asylwerber (zuletzt) mit einem von den tschechischen Polizeibehörden ausgestellten, vom bis gültigen "Visum" aufgehalten habe, festgenommen und niederschriftlich befragt. Nunmehr gab er seine Identität mit Romani C., geboren am , georgischer Staatsbürger und Angehöriger der Volksgruppe der Roma, an.
Mit Bescheid vom ordnete die Bezirkshauptmannschaft Gmünd (BH) gegen den Beschwerdeführer "zur Sicherung des Verfahrens: Zurückschiebung/Abschiebung (Dublinbezug)" die Schubhaft an. Als (wesentliche) Rechtsgrundlage nannte die BH § 76 Abs. 1, 2 und 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG.
Nach Wiedergabe der genannten Bestimmung traf die BH Feststellungen zum Aufenthalt des Beschwerdeführers in der Tschechischen Republik als Asylwerber und zu seiner nunmehrigen illegalen Einreise. Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft führte die BH aus, der Beschwerdeführer halte sich in Österreich nicht rechtmäßig auf. Weiters habe in Erfahrung gebracht werden können, dass der Beschwerdeführer wegen Diebstahlsverdachtes in der Personenfahndung des Bundesministeriums für Inneres zur Aufenthaltsermittlung ausgeschrieben sei und im kriminalpolizeilichen Aktenindex Eintragungen wegen des Verdachtes des Diebstahls bzw. der Entwendung zu finden seien. Die BH komme daher "im Rahmen der freien Beweiswürdigung" zum Schluss, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährde und daher seine Anhaltung in Schubhaft, "das einzige taugliche Mittel" sei, um den Beschwerdeführer "von der Begehung weiterer Straftaten in Österreich bis zur Außerlandesbringung abzuhalten". Die Verhängung der Schubhaft sei auch deshalb erforderlich, weil "erfahrungsgemäß Fremde, gegen die ein fremdenpolizeiliches Verfahren anhängig ist, trachten, sich diesem Verfahren zu entziehen". Um "das Verfahren:
Zurückschiebung/Abschiebung (Dublinbezug)" zu sichern, sei daher die Schubhaft zu verhängen.
Aus den Eintragungen im Asylwerberinformationssystem (AIS) ergibt sich, dass das Asylverfahren am fortgesetzt wurde. Nach einer ergänzenden Befragung des Beschwerdeführers am erging noch am selben Tag ein den Asylantrag abweisender Bescheid des Bundesasylamtes. Unter einem wurde die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Georgien festgestellt und seine Ausweisung nach Georgien verfügt. Die dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Berufung ist noch nicht erledigt.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom wies der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (die belangte Behörde) eine am erhobene Schubhaftbeschwerde des Beschwerdeführers gemäß § 83 FPG als unbegründet ab.
Die belangte Behörde traf nach Wiedergabe des bisherigen Verfahrensganges, insbesondere der Begründung des Bescheides der BH vom , Feststellungen zum Verlauf und Stand des Asylverfahrens sowie zur illegalen Einreise des Beschwerdeführers am nach seinem einjährigen Aufenthalt als Asylwerber in der Tschechischen Republik. Abgesehen von fallbezogen nicht relevanten Textteilen befasste sich die belangte Behörde in der weiteren Begründung nur mehr mit der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft. In diesem Zusammenhang verwies sie darauf, dass der Beschwerdeführer in Österreich weder familiär noch beruflich in irgendeiner Weise verankert sei und sich bereits in der Vergangenheit dem behördlichen Zugriff bzw. dem laufenden (Asyl)Verfahren entzogen habe. Auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer Alias-Identitäten verwendet habe und bereits "strafrechtlich in Erscheinung getreten" sei, stütze die Annahme, der Beschwerdeführer werde sich auf freiem Fuß belassen abermals dem Zugriff der Behörden entziehen, um die zu erwartende fremdenpolizeiliche Maßnahme zu vereiteln. Da die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft noch andauere, stelle die belangte Behörde gemäß § 83 Abs. 4 FPG auch fest, dass im Zeitpunkt der Entscheidung "aufgrund des im Rahmen des Beschwerdeverfahrens als erwiesen festgestellten Sachverhaltes" die maßgeblichen Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft vorlägen.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Nach der Übergangsbestimmung des § 75 Abs. 1 des (am in Kraft getretenen) Asylgesetzes 2005 - AsylG 2005 sind alle am anhängigen (Asyl-)Verfahren nach den Bestimmungen des (bis in Geltung gestandenen) Asylgesetzes 1997 - AsylG zu Ende zu führen. Gemäß § 75 Abs. 2 zweiter Satz AsylG 2005 ist ein nach dem Asylgesetz 1997 eingestelltes Verfahren bis zum nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 fortzusetzen und gilt als anhängiges Verfahren im Sinne des Abs. 1. Der § 44 Abs. 2 AsylG bestimmte hinsichtlich der Änderungen durch die (am in Kraft getretene) AsylG-Novelle 2003, BGBl. I Nr. 101, dass Asylanträge, die ab dem gestellt werden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 in der jeweils geltenden Fassung geführt werden.
Demzufolge ist das Verfahren über den am gestellten Asylantrag des Beschwerdeführers, das nach seiner Einstellung noch vor dem fortgesetzt wurde, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 idF der Novelle 2003 zu Ende zu führen.
Das Asylgesetz 1997 sah in der genannten Fassung die Zulässigkeit einer Schubhaft grundsätzlich nur unter den Voraussetzungen seines § 34b vor. Hingegen fanden gemäß § 21 Abs. 1 AsylG auf Fremde, die faktischen Abschiebeschutz iSd § 19 Abs. 1 AsylG genießen oder denen als Asylwerber eine Aufenthaltsberechtigungskarte ausgestellt wurde, u.a. die Bestimmungen des Fremdengesetzes 1997 - FrG über die Schubhaft keine Anwendung. In diesen asylrechtlichen "Altfällen" kommt die Verweisungsnorm des § 124 Abs. 2 FPG zum Tragen, der zufolge an die Stelle der von der Anwendung auf Asylwerber ausgenommenen Bestimmungen des FrG diejenigen des FPG treten. Somit sind die Bestimmungen des FPG über die Schubhaft auf Asylwerber, deren Verfahren nach dem Asylgesetz 1997 idF der Novelle 2003 zu Ende zu führen sind, dann nicht anwendbar, wenn sie faktischen Abschiebeschutz genießen oder ihnen eine Aufenthaltsberechtigungskarte ausgestellt wurde.
Mit diesem Ergebnis im Einklang stehen die im § 76 Abs. 2 FPG normierten Voraussetzungen für die Verhängung von Schubhaft gegen Asylwerber, die inhaltlich mehrfach ausdrücklich auf das AsylG 2005 verweisen und schon vom Begriff "Asylwerber" her (§ 1 Abs. 2 FPG iVm § 2 Z 14 AsylG 2005) nur solche nach dem AsylG 2005 ansprechen (siehe zu den im § 76 Abs 2 FPG verwendeten Formulierungen "einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat" auch § 17 Abs. 1 und 2 AsylG 2005). Während somit gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 die Bestimmung des § 34b AsylG auf "Altfälle" nach der AsylG-Novelle 2003 weiter anwendbar ist, enthält das FPG keine Norm, die seine Bestimmung über die Schubhaft (§ 76) auch auf Asylwerber, deren Verfahren nach dem Asylgesetz 1997 zu Ende zu führen sind, für anwendbar erklärt (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/21/0360, mwN).
Eine - im vorliegenden Fall jedoch nicht in Betracht kommende - Ausnahme besteht allerdings im Anwendungsbereich des § 75 Abs. 1 vierter Satz AsylG 2005. Diese Bestimmung normiert, § 27 AsylG 2005 (betreffend die Einleitung des Ausweisungsverfahrens) sei auf asylrechtliche "Altfälle" mit der "Maßgabe" anzuwenden, dass die Behörde zur Erlassung einer Ausweisung zuständig ist und der Sachverhalt, der zur Einleitung des Ausweisungsverfahrens führen würde, nach dem verwirklicht wurde. In solchen Fällen, in denen § 27 AsylG 2005 zur Anwendung kommt, ist davon auszugehen, dass die Asylbehörden auch zur Erlassung einer Ausweisung nach § 10 AsylG 2005 berufen sind. Wenn auch die asylrechtliche Ausweisungsentscheidung diesfalls in der Praxis häufig zwar formell auf § 8 Abs. 2 Asylgesetz 1997 gestützt wird, so handelt es sich in den genannten Fällen - wie klarzustellen ist - der Sache nach doch um eine Ausweisung im Sinne des § 10 AsylG und demnach kann das Verfahren zu deren Erlassung unter den Voraussetzungen des § 76 Abs. 2 Z 2 FPG mit Schubhaft gesichert werden (vgl. zu einer derartigen Konstellation ausführlich das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/21/0382).
Das Asylverfahren des Beschwerdeführers war (noch vor seiner Einstellung) für zulässig erklärt und dem Beschwerdeführer eine Aufenthaltsberechtigungskarte ausgestellt worden. Jedenfalls ab dem Zeitpunkt der Fortsetzung des Asylverfahrens mit kam dem Beschwerdeführer somit wieder die Stellung eines Asylwerbers zu, gegen den nach der dargestellten Rechtslage Schubhaft nur unter den Voraussetzungen des § 34b Asylgesetz 1997 verhängt werden konnte.
Auch wenn die belangte Behörde im gegenständlichen Fall durchaus zu Recht vom Vorliegen eines Sicherungsbedarfes ausgegangen ist, kann der angefochtene Bescheid somit deshalb keinen Bestand haben, weil eine nicht anwendbare Norm - § 76 FPG - zur Prüfung herangezogen und die Annahme der Rechtmäßigkeit der Schubhaft zu Unrecht darauf gestützt wurde.
Im Übrigen ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass die nur in der Begründung des angefochtenen Bescheides vorgenommene Feststellung gemäß § 83 Abs. 4 FPG zum Vorliegen der Voraussetzungen für die weitere Anhaltung im Spruch zum Ausdruck zu bringen gewesen wäre. Außerdem wäre von der belangten Behörde eindeutig klarzustellen gewesen, auf welchen Schubhaftgrund diese Annahme gestützt und welcher gesetzliche Tatbestand für verwirklicht angesehen wurde.
Der angefochtene Bescheid ist aber auch insoweit mit Rechtswidrigkeit belastet, als die Anordnung der Schubhaft durch die BH bestätigt und die Anhaltung bis zum für rechtmäßig erachtet wurde. Die BH hat nämlich in ihrer Begründung - ungeachtet des im Zeitpunkt ihrer Entscheidung bereits vorliegenden Auszugs aus dem AIS - auf das Asylverfahren des Beschwerdeführers nicht Bedacht genommen und in ihre Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht einbezogen, dass das Asylverfahren gemäß § 30 Abs. 4 erster Satz AsylG nach dem Wiederauftauchen des Beschwerdeführers (auch ohne entsprechenden Antrag) von Amts wegen fortzusetzen war. Vor diesem Hintergrund hätte die BH darzustellen gehabt, aus welchen Gründen sie trotz der alsbald zu erwartenden Fortsetzung des Asylverfahrens und der für den Beschwerdeführer damit verbundenen Wiedererlangung der Stellung als Asylwerber mit (vorläufigem) Aufenthaltsrecht die Verhängung der Schubhaft für erforderlich hielt. Im Übrigen ist auch dem Bescheid der BH nicht konkret zu entnehmen, auf welchen Schubhaftgrund die Behörde ihre Entscheidung stützte, welcher gesetzliche Tatbestand für verwirklicht angesehen wurde und welche Bedeutung sie in diesem Zusammenhang dem angesprochenen "Dublinbezug" zumaß. Schließlich kann die Schubhaft keinesfalls dazu dienen, den Beschwerdeführer - wie es die BH formulierte - "von der Begehung weiterer Straftaten in Österreich bis zur Außerlandesbringung abzuhalten"(vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/21/0039). Letztlich ist noch in Bezug auf die Begründung der BH darauf hinzuweisen, dass die Verhältnismäßigkeitsprüfung eine Beurteilung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles erfordert. Generelle Unterstellungen in der Art, dass "erfahrungsgemäß Fremde, gegen die ein fremdenpolizeiliches Verfahren anhängig ist, trachten, sich diesem Verfahren zu entziehen", sind in diesem Zusammenhang nicht tragfähig.
Da die belangte Behörde auch diese Begründungsmängel nicht wahrgenommen hat, war der angefochtene Bescheid zur Gänze wegen der prävalierenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am