VwGH vom 07.02.2008, 2007/21/0394
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des H, vertreten durch Maga. Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Kirchengasse 19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom , Zl. Fr-884/05, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein bis zum befristetes Aufenthaltsverbot.
Zur Begründung verwies sie darauf, dass die Behörde erster Instanz das Aufenthaltsverbot auf § 86 Abs. 1 iVm § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z 9 FPG mit der Begründung gestützt habe, dass der Beschwerdeführer am mit einer österreichischen Staatsangehörigen eine sogenannte Scheinehe geschlossen hätte. Die belangte Behörde könne jedoch das Eingehen einer Scheinehe "nicht einwandfrei" feststellen. Der (erstmals) am eingereiste Beschwerdeführer habe am einen Asylantrag eingebracht und am die Ehe geschlossen. Er habe daraufhin seinen Asylantrag zurückgezogen und eine Niederlassungsbewilligung erhalten. Die Ehe sei mit Beschluss vom gemäß § 55a Ehegesetz geschieden worden.
Der Beschwerdeführer sei mit Urteil vom wegen gewerbsmäßigen Betruges nach den §§ 146, 148 erster Fall StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Demnach habe er in näher genannten Fällen Bedienstete von Versandhäusern zur Lieferung von Waren verleitet. Durch diese Verurteilung sei der "Sondertatbestand" des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG verwirklicht. Es bestehe die Gefahr, dass der Beschwerdeführer auch weiterhin eine Gefahr für fremdes Vermögen bilde, zumal die strafbare Handlung gewerbsmäßig verübt worden sei. Der Beschwerdeführer sei (nach einer ersten Abschiebung am auf Grund eines früheren Aufenthaltsverbotes) am rechtmäßig (wieder) eingereist und halte sich seither rechtmäßig im Bundesgebiet auf.
Sein am geborener Sohn sei bei seiner geschiedenen Frau, zu der er seit Oktober 2006 keinen Kontakt mehr habe und er leiste auch keinen Unterhalt. Der Beschwerdeführer sei die überwiegende Zeit seines Aufenthaltes in Österreich einer Beschäftigung nachgegangen und stehe auch derzeit in einem aufrechten Beschäftigungsverhältnis. Demnach sei mit dem Aufenthaltsverbot ein Eingriff in sein Privat- und Familienleben verbunden, welches jedoch zum Schutz der öffentlichen Ordnung, zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen und zum Schutz der Rechte Dritter zulässig und dringend geboten sei.
Letztlich sah sich die belangte Behörde außer Stande, das ihr eingeräumte Ermessen zu Gunsten des Beschwerdeführers auszuüben.
Die gegen diesen Bescheid an den Verfassungsgerichtshof gerichtete Beschwerde trat dieser nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss vom , B 1330/07-9, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab, der über die ergänzte Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:
Entgegen der Beschwerdeansicht kann sich der Beschwerdeführer nicht auf den Beschluss des - durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten - Assoziationsrates vom , Nr. 1/80, über die Entwicklung der Assoziation (ARB) berufen. In Frage käme eine Berechtigung aus dessen Art. 6 Abs. 1. Dieser lautet:
"(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, in diesem Mitgliedstaat
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- | nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt; | |||||||||
- | nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung - vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben; | |||||||||
- | nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis." | |||||||||
Der Beschwerdeführer bringt vor, dass er im Bundesgebiet seit unselbständig erwerbstätig gewesen sei und zwar vom bis , vom bis , vom bis , vom bis , vom bis , und vom bis zur erneuten Inschubhaftnahme am , jeweils bei verschiedenen Arbeitgebern. Demnach war der Beschwerdeführer bei keinem Arbeitgeber mehr als ein Jahr im Sinn des Art. 6 Abs. 1 erster Fall ordnungsgemäß beschäftigt. Das Recht, ohne Verlust der assoziationsrechtlichen Ansprüche den Arbeitgeber freiwillig zu wechseln, entsteht jedoch erst nach einer dreijährigen Beschäftigungszeit (zweiter Fall), weshalb bei einem Wechsel des Arbeitgebers die einjährige Anwartschaftsdauer von neuem zu laufen beginnt (Akyürek, Das Assoziationsabkommen EWG-Türkei (2005), 72 unter Hinweis auf Rechtsprechung des EuGH). Soweit der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang auf das , "Güzeli", verweist, unterliegt er einem Missverständnis. In dem genannten Urteil hat nämlich der EuGH geprüft, ob dem türkischen Staatsangehörigen deshalb Rechte aus dem ARB zukommen, weil er zuletzt bereits mehr als ein Jahr bei einem zweiten Arbeitgeber beschäftigt war. Er hat aber auch bekräftigt, dass sich ein türkischer Arbeitnehmer (im Grundsätzlichen) nicht auf den 1. Fall des Art. 6 Abs. 1 ARB berufen könne, wenn er eine Beschäftigung bei einem zweiten Arbeitgeber ausübt (Rnr. 34). Demnach ist den Beschwerdeausführungen zum ARB und daraus abgeleitet zum Gemeinschaftsrecht der Boden entzogen und es kann auch die Zuständigkeit der belangten Behörde nach § 9 Abs. 1 Z 2 FPG nicht in Zweifel gezogen werden. | ||||||||||
Dennoch ist der angefochtene Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Als bestimmte Tatsache im Sinn des § 60 Abs. 1 FPG hat nämlich nach § 60 Abs. 2 Z 1 (insbesondere) zu gelten, wenn ein Fremder | ||||||||||
"von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist". | ||||||||||
Der dritte Fall des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG ist somit nur dann erfüllt, wenn eine bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verhängt wurde. Vorliegend wurde der Beschwerdeführer zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von (genau) sechs Monaten verurteilt. Die belangte Behörde irrte somit, wenn sie den Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 (dritter Fall) FPG als erfüllt angesehen und darauf eine Gefährlichkeitsprognose nach § 60 Abs. 1 FPG erstellt hat. Es kann zwar ein Aufenthaltsverbot auch nur auf § 60 Abs. 1 FPG ohne Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 60 Abs. 2 FPG gegründet werden. Abgesehen davon, dass die belangte Behörde jedoch das Aufenthaltsverbot ausdrücklich auf den verfehlt als verwirklicht angenommenen Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG gestützt hat, wäre es in der vorliegenden Konstellation auch nicht zulässig gewesen, das Aufenthaltsverbot lediglich mit § 60 Abs. 1 FPG zu begründen (vgl. das zur inhaltsgleichen Bestimmung des § 36 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 ergangene und Beispielsfälle aufzeigende hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/21/0248, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird). | ||||||||||
Der angefochtene Bescheid war somit wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben. | ||||||||||
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. | ||||||||||
Wien, am |
Fundstelle(n):
KAAAE-72239