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VwGH vom 28.02.2008, 2007/21/0391

VwGH vom 28.02.2008, 2007/21/0391

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde der A, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Mag. Dr. Roland Kier, Univ.-Prof. Dr. Richard Soyer und Dr. Alexia Stuefer, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Kärntner Ring 6, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom , Zl. Senat-FR-07-1051, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine aus Grosny stammende russische Staatsbürgerin und Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe, reiste am gemeinsam mit ihrer Mutter nach Österreich ein und stellte am selben Tag (unter Vorlage diverser Dokumente) bei der Erstaufnahmestelle-Ost in Traiskirchen einen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz. Bei der danach durchgeführten Erstbefragung erwähnte die Beschwerdeführerin (u.a.) einen in Ybbs/Donau wohnhaften Bruder. Sie gab auch an, auf ihrer Flucht am nach Polen gelangt zu sein, wo sie um Asyl angesucht habe. Am seien sie und ihre Mutter (gegen Zahlung von EUR 500,-- mit Hilfe eines Schleppers in einem LKW versteckt) nach Österreich weitergereist.

Unmittelbar nach dieser Befragung wurde die Beschwerdeführerin in der Erstaufnahmestelle-Ost gemäß § 39 Abs. 3 Z 4 FPG festgenommen und vor der Bezirkshauptmannschaft Baden niederschriftlich befragt. Dabei gab die Beschwerdeführerin an, sie habe von Anfang an beabsichtigt, nach Österreich zu flüchten, weil hier ihr Bruder als Asylwerber lebe. Dieser könne ihr und der Mutter helfen. Sie hätten nicht nach Polen gewollt, aber es habe nur die Möglichkeit gegeben, über dieses Land zu reisen. Sie hätten aber nicht vorgehabt, dort zu bleiben. Nach Polen würden die Beschwerdeführerin und ihre Mutter nicht zurück wollen, weil sie dort niemanden hätten. Gegen die beabsichtigte Schubhaftverhängung spreche nach Ansicht der Beschwerdeführerin, dass ihre Mutter krank sei; sie habe "ein Herzleiden und schlechte Nerven". Auf die Frage, ob die Beschwerdeführerin Medikamente oder eine ärztliche Behandlung benötige, erklärte sie, psychologische Hilfe zu benötigen.

Mit dem gemäß § 57 Abs. 1 AVG erlassenen Bescheid vom ordnete die Bezirkshauptmannschaft Baden sodann gegen die Beschwerdeführerin zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung nach § 10 AsylG 2005 und zur Sicherung der Abschiebung die Schubhaft an. Als (wesentliche) Rechtsgrundlage wurde § 76 Abs. 2 Z 4 FPG angeführt.

Mit Schreiben vom wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG 2005 mitgeteilt, dass das Bundesasylamt beabsichtige, ihren Antrag auf internationalen Schutz nach § 5 AsylG 2005 (wegen Zuständigkeit eines anderen Staates) zurückzuweisen, und dass seit "Dublin-Konsultationen" mit Polen geführt würden. Unter einem wurde darauf hingewiesen, dass diese Mitteilung (gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005) als Einleitung des Ausweisungsverfahrens gelte. Am langte die Zustimmung Polens zur Übernahme der Beschwerdeführerin zwecks Durchführung des Asylverfahrens ein.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom wies der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (die belangte Behörde) die am erhobene Schubhaftbeschwerde der Beschwerdeführerin gemäß § 83 FPG als unbegründet ab. Gemäß § 83 Abs. 4 erster Satz FPG stellte die belangte Behörde fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen.

Die belangte Behörde traf zusammengefasste Feststellungen zum bisherigen Verfahrensgang und gab den Inhalt der Schubhaftbeschwerde kursorisch wieder. Nach Zitierung der maßgeblichen Rechtsvorschriften vertrat sie die Auffassung, im Zeitpunkt der Erlassung des Mandatsbescheides der Bezirkshauptmannschaft Baden seien die Voraussetzungen nach § 76 Abs. 2 Z 4 FPG im Hinblick auf den "Eurodac-Treffer" und die Angaben der Beschwerdeführerin über die Asylantragstellung in Polen vorgelegen. In der weiteren Begründung befasste sich die belangte Behörde mit der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft. In diesem Zusammenhang führte sie aus, es sei zu beachten, dass die Beschwerdeführerin illegal unter Zuhilfenahme eines Schleppers, für den ein Betrag von EUR 500,-- aufgewendet worden sei, in das Bundesgebiet eingereist sei. Dieser Betrag stelle im Herkunftsland der Beschwerdeführerin eine "nicht unbeträchtliche Summe" dar, woraus der "unbedingte Wille" der Beschwerdeführerin, in Österreich zu verbleiben, zu erkennen sei. Wenn auch der mangelnde Ausreisewille nicht als Grundlage für die Anordnung der Schubhaft angesehen werden könne, so sei im Zusammenhang mit dem nicht unbeträchtlichen Vermögenseinsatz auch zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerin bei ihren Befragungen dezidiert erklärt habe, auf keinen Fall nach Polen zurück zu wollen. Zur Mittellosigkeit bzw. dem Anspruch auf Grundversorgung während laufenden Asylverfahrens sei auszuführen, dass die Beschwerdeführerin mit rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens ohne Aussicht auf eine legale Arbeitsmöglichkeit jedenfalls mittellos sei. Eine familiäre Bindung zu ihrem Bruder bestehe nicht, weil die Beschwerdeführerin ihren Angaben zufolge nicht mit ihm vor dessen Ausreise im Jahr 2005, sondern mit ihrem Ehemann im gemeinsamen Haushalt gelebt habe. Wegen der dokumentierten Absicht der Beschwerdeführerin, in Österreich bleiben zu wollen, und angesichts der illegalen Einreise, der Mittellosigkeit und der fehlenden Reisedokumente sei die Annahme gerechtfertigt, die Beschwerdeführerin werde sich behördlichen Maßnahmen durch Untertauchen entziehen. Durch die Anwendung gelinderer Mittel (Anordnung, an einem bestimmten Ort Unterkunft zu nehmen, oder regelmäßige Meldung bei den Sicherheitsbehörden) könne - so die belangte Behörde abschließend - nicht sichergestellt werden, dass die Beschwerdeführerin im Falle des beabsichtigten Vollzuges einer Ausweisung für eine Abschiebung auffindbar wäre.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

§ 76 Abs. 2 FPG lautet:

"(2) Die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde kann über einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung anordnen, wenn

1. gegen ihn eine durchsetzbare - wenn auch nicht rechtskräftige - Ausweisung (§ 10 AsylG 2005) erlassen wurde;

2. gegen ihn nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde;

3. gegen ihn vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Ausweisung (§§ 53 oder 54) oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot (§ 60) verhängt worden ist oder

4. auf Grund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung und der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass der Antrag des Fremden auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung zurückgewiesen werden wird."

Die belangte Behörde hat bei Prüfung des Schubhaftgrundes nicht ausreichend berücksichtigt, dass ungeachtet des Vorliegens eines Tatbestandes nach § 76 Abs. 2 FPG (hier: zunächst Z 4, dann Z 2) die Schubhaftnahme eines Asylwerbers nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn besondere Umstände vorliegen, die (schon) in diesem Asylverfahrensstadium ein Untertauchen des betreffenden Fremden befürchten lassen (vgl. zum Ganzen ausführlich das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0043, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird). Dass die Beschwerdeführerin schlepperunterstützt und illegal eingereist ist, um in Österreich wegen der behaupteten Verfolgung in ihrem Heimatland einen Antrag auf internationalen Schutz einzubringen, und über keine "Reisedokumente" verfügt, stellt aber - entgegen der Meinung der belangten Behörde und jener der Bezirkshauptmannschaft Baden, die diese Aspekte ebenfalls in den Vordergrund gerückt hatte - keinen besonderen Umstand dar, der in nachvollziehbarer Weise den Schluss zuließe, die Beschwerdeführerin werde sich dem Asylverfahren durch Untertauchen entziehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/21/0239). Das wird auch in der Beschwerde zutreffend aufgezeigt.

Die belangte Behörde hat zwar im Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. dazu das Erkenntnis vom , Zl. 2005/21/0301) erkannt, dass die fehlende Ausreisewilligkeit für sich allein die Schubhaftverhängung nicht rechtfertigen könne. Vielmehr ist in einem zweiten Schritt einzelfallbezogen zu prüfen, ob auch ein konkretes Sicherungserfordernis gegeben ist. Ungeachtet dessen knüpfte die belangte Behörde ihre Annahme eines Sicherungsbedarfes vor allem auch an den "unbedingten Willen" der Beschwerdeführerin, in Österreich bleiben zu wollen, ohne konkrete Anhaltspunkte dafür aufzuzeigen, die mangelnde Ausreisewilligkeit sei derart ausgeprägt, dass die Beschwerdeführerin bereits in diesem (frühen) Stadium des Asylverfahrens in Erwartung einer Zurückweisung ihres Asylantrages und einer Abschiebung nach Polen in die Illegalität untertauchen und für die Behörden nicht mehr erreichbar sein werde. Für eine solche Befürchtung müssten vielmehr (v.a. aus dem bisherigen Verhalten des Fremden ableitbare) spezifische Hinweise bestehen, wobei jedoch in diesem Zusammenhang neuerlich auf die vom Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , B 292/04, VfSlg. 17.288, zum Ausdruck gebrachte Auffassung zu verweisen ist, der Umstand, dass ein Asylwerber bereits in einem anderen Land die Gewährung von Asyl beantragt habe, rechtfertige für sich nicht den Schluss, dass er unrechtmäßig in einen anderen Staat weiterziehen und sich so dem Verfahren entziehen werde. Dem hat sich der Verwaltungsgerichtshof schon wiederholt angeschlossen (vgl. etwa das bereits erwähnte Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0043) und das gilt sinngemäß auch für die Annahme eines Untertauchens innerhalb Österreichs. Einmal mehr ist daher klarzustellen, dass die Verhängung der Schubhaft auch in "Dublin-Fällen" nicht zu einer "Standardmaßnahme" gegen Asylwerber werden darf (vgl. in diesem Sinn in Anknüpfung an die Ausführungen im Erkenntnis Zl. 2007/21/0043 das ebenfalls schon zitierte Erkenntnis vom , Zl. 2006/21/0239).

In der vorliegenden Konstellation wäre vielmehr maßgeblich darauf Bedacht zu nehmen gewesen, dass die Beschwerdeführerin sofort nach ihrer Einreise von sich aus Kontakt mit den Behörden aufnahm und einen Antrag auf internationalen Schutz stellte, dabei richtige Angaben zu ihrem Fluchtweg und zu ihrer Asylantragstellung in Polen machte und sich auch ihre (mit mehreren Urkunden bescheinigte) Identitätsangaben nicht als unrichtig erwiesen haben. Vor diesem Hintergrund fehlten konkrete Anhaltspunkte für die Annahme, die Beschwerdeführerin werde sich dem weiteren Asylverfahren entziehen und für die Behörden nicht erreichbar sein. Soweit schließlich - sowohl von der Bezirkshauptmannschaft Baden als auch von der belangten Behörde - auch die Mittellosigkeit der Beschwerdeführerin als maßgeblich für die Annahme eines Sicherungsbedarfs angesehen wurde, handelt es sich dabei - wie neuerlich klarzustellen ist - aber in Bezug auf Asylwerber, die Anspruch auf Grundversorgung haben, um kein tragfähiges Argument. Auch das releviert die Beschwerde zu Recht. Die Heranziehung des Gesichtspunktes, der Fremde sei mittellos bzw. in Österreich nicht ausreichend integriert, ist vielmehr bei Asylwerbern in der Situation der Beschwerdeführerin verfehlt; der Frage der Integration kommt primär im (hier nicht gegebenen) Anwendungsbereich des § 76 Abs. 1 FPG Bedeutung zu (vgl. zuletzt das Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0402).

Weiters rügt die Beschwerde auch zutreffend, die belangte Behörde sei - ungeachtet eines entsprechenden Vorbringens in der Schubhaftbeschwerde - nicht darauf eingegangen, dass die gemeinsam mit der Beschwerdeführerin geflüchtete Mutter aufgrund ihrer Herzkrankheit nach der Entlassung aus der Schubhaft in der Erstaufnahmestelle-Ost in Traiskirchen untergebracht und betreuungsbedürftig sei. Dem wäre aber jedenfalls insofern Bedeutung zugekommen, als eine derartige Betreuungsbedürftigkeit die Mobilität auch der Beschwerdeführerin einschränken und damit die Gefahr eines Untertauchens in die Illegalität vermindern könnte.

Schließlich bleibt die belangte Behörde - einen Sicherungsbedarf unterstellt - aber auch eine nachvollziehbare Begründung dafür schuldig, weshalb die von ihr erwähnten gelinderen Mittel fallbezogen nicht in Betracht gekommen wären.

Da die belangte Behörde nach dem Gesagten (auch) die Rechtslage verkannte, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Von der Durchführung der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 6 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am