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VwGH 17.04.2012, 2010/05/0026

VwGH 17.04.2012, 2010/05/0026

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssatz


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Normen
AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs4;
BauO Wr §126 Abs1;
BauO Wr §126;
VwGG §42 Abs2 Z1;
RS 1
Ungeachtet des Umstandes, dass im Verfahren nach § 126 Wr BauO die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht zwingend vorgesehen ist (im Beschwerdefall wurde eine solche bereits durchgeführt), ist nicht erkennbar, weshalb hinsichtlich der Frage, ob die Voraussetzungen gemäß § 126 Abs. 1 Wr BauO überhaupt vorliegen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen ist. Es handelt sich hier um Rechtsfragen, zu deren Beurteilung die Berufungsbehörde ergänzende Feststellungen auf Grund eines einzuholenden Sachverständigengutachtens für erforderlich erachtet hat. Entgegen der Auffassung der Berufungsbehörde ist jedoch die Notwendigkeit von Verfahrensergänzungen durch Einholung von Sachverständigengutachten allein kein Grund, aus dem die (neuerliche) Durchführung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint (Hinweis E vom , 92/06/0120, mwN). Gleiches gilt für Ermittlungen zu einem allfälligen Baubewilligungsverfahren.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail sowie den Hofrat Dr. Enzenhofer und die Hofrätin Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Kalanj, über die Beschwerde der Dr. RM in R, vertreten durch Dr. Martin Alt, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 6-8, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom , Zl. BOB-626/09, betreffend eine Duldungsverpflichtung (mitbeteiligte Partei: OW in Wien; weitere Partei: Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe vom ersuchte die Beschwerdeführerin um Benützung des im Eigentum der mitbeteiligten Partei stehenden Nachbargrundes im Zusammenhang mit der Vornahme von Verputzarbeiten an der Fassade ihres Hauses. Es seien alle Abweichungen des Hauses von den Bebauungsbestimmungen beseitigt worden; insbesondere könne für das Verputzen der abgestemmten Feuermauer eine Benutzung des Nachbargrundes bewilligt werden. Ob das Haus in seinem neuen Zustand den erteilten Bewilligungen im Wesentlichen entspreche oder die erfolgten Projektmodifikationen (geringfügige Erhöhung der Geländeanschüttungen an den nordseitigen Ecken und um minus/plus 40 cm abgeändertes Breite/Länge Verhältnis des Hauses) einer Bewilligung bedürften, müsse neuerlich ermittelt werden. Das nunmehr bewilligungsfähige Gebäude sei zulässig, weshalb die Fassadenarbeiten notwendig iSd Wiener Bauordnung seien.

Am führte der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 37, in dieser Angelegenheit eine mündliche Verhandlung durch.

Mit Bescheid vom verpflichtete der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 37, den Mitbeteiligten als Eigentümer der Nachbarliegenschaft, die Benützung seines Grundes und des darüber befindlichen Luftraumes durch die Gerüstaufstellung und zur Anbringung eines Feuermauerverputzes am Gebäude der Beschwerdeführerin zu dulden, und legte den Umfang der Duldung näher fest.

Begründend führte die Baubehörde im Wesentlichen aus, dass die oberirdischen Gebäudeteile der Feuermauer, welche über die Grundgrenze ragten, abgestemmt worden seien und somit die Grundgrenze für die den Duldungsauftrag betreffenden Teile der Feuermauer eingehalten sei. Belegt werde dies durch ein Messprotokoll des staatlich befugten Ingenieurkonsulenten für Vermessungswesen Dipl.-Ing. Dr. H. Der Tatbestand einer zumindest bewilligungsfähigen Maßnahme sei somit gegeben. Weiters würden die beantragten Maßnahmen der Herstellung eines Feuermauerverputzes als unbedingt notwendig erachtet, weil diese nur "der Sicherung des Eindringens von Feuchtigkeit in das Ziegelmauerwerk" dienten, wozu auf ein Gutachten des bautechnischen Sachverständigen Dipl.- Ing. (FH) Sch. verwiesen werde. Durch dieses schlüssige und nachvollziehbare Gutachten sei der Schaden am Mauerwerk bei Fehlen des Verputzes nachgewiesen, weshalb die Behörde zur Ansicht gelange, dass es sich bei dem Duldungsauftrag zur Anbringung eines Feuermauerverputzes lediglich um Sicherungsmaßnahmen handle, um weitere Schäden abzuwenden, und die daher auch als "notwendig" angesehen werden könnten.

Dieser Bescheid wurde auf Grund der vom Mitbeteiligten dagegen eingebrachten Berufung von der belangten Behörde mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz zurückverwiesen.

Begründend führte die belangte Behörde nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens und der anzuwendenden Rechtsvorschriften im Wesentlichen aus, dass in dem von der Beschwerdeführerin vorgelegten Plan "Lagekontrolle Feuermauer" des Dipl.-Ing. Dr. H. zahlreiche Koten eingezeichnet seien und sich keiner der darin ausgewiesenen Messpunkte auf Nachbargrund befinde. Im obersten Viertel der Feuermauer befinde sich kein einziger Messpunkt. Das Vorbringen des Mitbeteiligten, nach Anbringen des Verputzes würde die Grundstücksgrenze überschritten werden, könne ohne weitere Ermittlungen nicht von der Hand gewiesen werden, zumal der betreffende Plan an mehreren Punkten Koten ausweise, die mit "0,00" bezeichnet seien und somit bereits unmittelbar an der Grundgrenze lägen. Nach Ansicht der belangten Behörde sei sohin nicht hinreichend geklärt, ob die Feuermauer, wie sie nach Durchführung der Maßnahmen, deren Duldung verfügt worden sei, vorhanden sein werde, über die Grenze der Liegenschaft der Beschwerdeführerin hinausrage.

Zudem merkte die belangte Behörde an, dass nicht geklärt erscheine, ob sich der betreffende Gebäudeteil tatsächlich als genehmigungsfähig darstelle, zumal der Plan eine Überschreitung der Grundstücksgrenze durch die Auftragung des Verputzes indiziere. Im Hinblick darauf, dass die Messpunkte auf dem Plan das obere Viertel der Feuermauer nicht abdecken würden, könne der Behauptung des Mitbeteiligten, Teile der Feuermauer würden (auch ohne Verputz) über die Grundgrenze ragen, nicht entgegengetreten werden. Die isolierte Betrachtung der Feuermauer als bewilligungsfähiger Gebäudeteil bleibe insofern unklar, als aus dem Akteninhalt nicht hervorgehe, dass die übrigen Abweichungen vom Konsens beseitigt worden wären. Ebenso sei dem Akt nicht zu entnehmen, ob die Beschwerdeführerin um Erteilung einer (nachträglichen) Baubewilligung angesucht habe. Eine rechtskräftige Baubewilligung würde jedoch eine taugliche Grundlage für eine Duldungsverpflichtung zur Durchführung von Arbeiten, die der Realisierung des bewilligten Projektes dienten, darstellen und würde es sich dabei um "zulässige Maßnahmen" iSd BO handeln, die "notwendig" iSd § 126 Abs. 1 BO sein könnten.

Da nach der Aktenlage erforderliche Ermittlungen zur Feststellung, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 126 Abs. 1 BO vorlägen, unterblieben seien, sei es "unvermeidlich, im fortgesetzten Verfahren nachvollziehbare Feststellungen darüber zu treffen, ob die geplanten Arbeiten zulässige Maßnahmen" darstellten. Da "diese Verfahrensergänzungen sinnvollerweise nur im Rahmen einer Ortsaugenscheinsverhandlung" unter Beiziehung der Beschwerdeführerin, des Mitbeteiligten sowie der entsprechenden Amtssachverständigen getroffen werden könnten, habe sich die belangte Behörde zu dem spruchgemäßen Vorgehen veranlasst gesehen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die Beschwerdeführerin bestreitet u.a. das Vorliegen der Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 AVG und bringt dazu vor, dass die belangte Behörde als Berufungsinstanz selbst eine mündliche Verhandlung unter Beiziehung eines Amtssachverständigen durchführen könne und sie nicht dargelegt habe, welche objektiven Gründen dies verhindert hätten. Zudem wäre es der belangten Behörde zumutbar gewesen, sich selbst von den von ihr aufgeworfenen Tatsachenfragen, welche alle bereits in dem die Liegenschaft der Beschwerdeführerin betreffenden Bauakt enthalten seien, durch eine Anfrage an die Baubehörde Kenntnis zu verschaffen. Die belangte Behörde habe zudem das von ihr geübte Ermessen nicht überzeugend begründet. Sie habe sich nicht mit der Frage auseinander gesetzt, ob sie die ihrer Meinung nach fehlenden Sachverhaltselemente selber erheben und die notwendigen Feststellungen treffen könne.

Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann zwar die Berufungsbehörde, sofern der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz verweisen. Gemäß Abs. 4 der zitierten Gesetzesstelle hat die Berufungsbehörde jedoch außer dem im Abs. 2 erwähnten Fall, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

Die Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens berechtigt die Berufungsbehörde gemäß § 66 Abs. 2 AVG nur dann zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides, wenn sich dieser Mangel nicht anders als mit Durchführung einer mündlichen Verhandlung beheben lässt. In allen anderen Fällen hat die Berufungsbehörde immer in der Sache selbst zu entscheiden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat somit die Berufungsbehörde zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unvermeidlich erscheint (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/05/0019, mwN).

Ungeachtet des Umstandes, dass im Verfahren nach § 126 BO die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht zwingend vorgesehen ist, wurde im Beschwerdefall eine solche bereits durchgeführt. Darüber hinaus ist nicht erkennbar, weshalb hinsichtlich der Frage, ob die Voraussetzungen gemäß § 126 Abs. 1 BO überhaupt vorliegen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen ist. Es handelt sich hier um Rechtsfragen, zu deren Beurteilung die Behörde ergänzende Feststellungen auf Grund eines einzuholenden Sachverständigengutachtens für erforderlich erachtet hat. Entgegen der Auffassung der belangten Behörde ist jedoch die Notwendigkeit von Verfahrensergänzungen durch Einholung von Sachverständigengutachten allein kein Grund, aus dem die (neuerliche) Durchführung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 92/06/0120, mwN). Gleiches gilt für Ermittlungen zu einem allfälligen Baubewilligungsverfahren der Beschwerdeführerin.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am

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Normen
AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs4;
BauO Wr §126 Abs1;
BauO Wr §126;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Schlagworte
Verfahrensbestimmungen
Inhalt der Berufungsentscheidung Anspruch auf meritorische
Erledigung (siehe auch Beschränkungen der Abänderungsbefugnis
Beschränkung durch die Sache Besondere Rechtsprobleme
Verfahrensrechtliche Entscheidung der Vorinstanz)
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2012:2010050026.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
BAAAE-72229