VwGH vom 20.11.2008, 2007/21/0386
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des A, vertreten durch die Achammer, Mennel, Welte, Achammer und Kaufmann Rechtsanwälte GmbH in 6800 Feldkirch, Schlossgraben 10, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg vom , Zl. UVS-410a-014/E2-2007, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den am geborenen Beschwerdeführer, einen seit seiner Geburt in Österreich aufhältigen türkischen Staatsangehörigen, "gemäß § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 iVm §§ 63 und 66 sowie § 86 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG" ein auf zwölf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.
In ihrer Begründung stellte die belangte Behörde fest, der Beschwerdeführer sei ab dem in Österreich beschäftigt, ab dem arbeitslos gewesen. Seine im Bundesgebiet lebenden Eltern und Geschwister seien österreichische Staatsbürger.
Der Beschwerdeführer sei mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 1 und 84 Abs. 2 Z. 2 StGB - in Anwendung des § 5 JGG sowie des § 37 StGB - zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen verurteilt worden. Er habe am in D in Verabredung mit mehreren Mittätern einem Anderen durch Versetzen zahlreicher Schläge gegen den Kopf, das Gesicht und den Körper näher beschriebene Verletzung im Bereich des Gesichtes, des rechten Oberarmes und der Halswirbelsäule zugefügt.
Mit weiterem rechtskräftigen Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom sei der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der versuchten Begünstigung nach § 15 und § 299 Abs. 1 StGB sowie des Vergehens nach § 27 Abs. 1 SMG zu einer Geldstrafe von 160 Tagessätzen verurteilt worden. Er habe am in L einen Anderen durch eine (inhaltlich dargestellte) Falschaussage absichtlich einer Strafverfolgung ganz oder zum Teil zu entziehen versucht sowie den bestehenden Vorschriften zuwider zwischen 1999 und Ende Februar 2004 Cannabiskraut sowie von Mitte 2002 bis Heroin erworben, besessen und konsumiert.
Mit Urteil des deutschen Amtsgerichtes Neuwied vom sei der Beschwerdeführer zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt worden, weil er am eine nicht geringe Menge von Betäubungsmitteln (insbesondere 97,9 g Kokain) eingeführt habe.
Nachdem der Beschwerdeführer mit weiterem Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom wegen einer am begangenen gefährlichen Drohung (mit einer Verletzung am Körper) zu einer Geldstrafe von 240 Tagessätzen verurteilt worden sei, habe dieses Gericht über ihn am wegen des Verbrechens nach § 28 Abs. 2, zweiter und dritter Fall SMG, teilweise in der Form der Beitragstäterschaft nach § 12, dritter Fall StGB, sowie wegen der Vergehen nach § 27 Abs. 1, erster, zweiter und sechster Fall SMG - unter Bedachtnahme auf die vorgenannte Entscheidung - eine zusätzliche Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verhängt. Der Beschwerdeführer habe von Anfang 2004 bis Oktober 2004 rund 125 g Heroin von der Schweiz nach Vorarlberg aus- und eingeführt sowie verschiedene weitere Suchtgifte erworben, besessen und anderen Personen überlassen.
Schließlich sei der Beschwerdeführer mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom wegen Verbrechens nach § 28 Abs. 2, zweiter und dritter Fall SMG sowie der Vergehen nach § 27 Abs. 1, erster, zweiter und sechster Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt worden. Er habe zwischen Jänner und Oktober 2006 gemeinsam mit Mittätern insgesamt rund 180 g Heroin im Zuge regelmäßiger Schmuggelfahrten von der Schweiz nach Vorarlberg aus- und eingeführt. Zwischen Jänner 2006 und Jänner 2007 habe er Heroin (aus Inlandsbezügen) konsumiert sowie geringe Mengen Heroin an einen Drogenkonsumenten zum Konsum übergeben.
Die diesen Verurteilungen zu Grunde liegenden Taten - so führte die belangte Behörde nach Wiedergabe des § 86 Abs. 1 FPG aus - dokumentierten insgesamt deutlich, dass der Beschwerdeführer eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Aus § 61 Z. 4 FPG sei für ihn nichts zu gewinnen, weil er zu einer unbedingten mehr als zweijährigen Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt worden sei.
Da sich der Beschwerdeführer seit der Geburt in Österreich aufhalte, hier die Schule besucht habe und bei verschiedenen Arbeitgebern beschäftigt gewesen sei, er rechtmäßig Aufenthalt genommen habe und auch seine Eltern und Geschwister hier lebten, bewirke das Aufenthaltsverbot einen Eingriff in seine persönlichen Interessen iSd § 66 Abs. 1 FPG. Die Maßnahme sei jedoch dringend geboten, weil er durch die dargestellten wiederholten gravierenden Fehlverhalten zahlreiche der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Rechtsgüter erheblich beeinträchtigt habe. Dem daraus abzuleitenden öffentlichen Interesse, insbesondere an der Unterbindung der Suchtgiftkriminalität, komme somit größeres Gewicht zu als den für einen Verbleib in Österreich sprechenden persönlichen Interessen des Beschwerdeführers.
Auf Grund der Schwere des Gesamtfehlverhaltens, insbesondere der wiederholten Rückfälle im Bereich der Suchtmittelkriminalität, sei die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes für die Dauer von zwölf Jahren erforderlich, um den erwähnten Schutzinteressen bestmöglich entsprechen zu können. Die Antragstellung des Beschwerdeführers nach § 39 SMG ändere hieran nichts (wird näher ausgeführt).
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom , B 1810/07-4, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
Über die im vorliegenden Verfahren ergänzte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
§ 86 Abs. 1 FPG lautet auszugsweise wie folgt:
"Sonderbestimmungen für den Entzug der Aufenthaltsberechtigung und für verfahrensfreie Maßnahmen
§ 86. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes ihren Hauptwohnsitz ununterbrochen seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. ..."
Die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen türkischen Staatsangehörigen, dem - wie im Beschwerdefall unstrittig - die Rechte nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG - Türkei (kurz ARB) zukommen und der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen seit zehn Jahren im Bundesgebiet hat, ist nur bei Vorliegen der Voraussetzungen nach dem fünften Satz der zitierten Bestimmung zulässig. Das hat die belangte Behörde verkannt und hat das schon ursprünglich (von der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn) primär auf § 60 Abs. 1 FPG gestützte Aufenthaltsverbot - ungeachtet der Wiedergabe auch des § 86 Abs. 1 FPG in der Begründung - insoweit bestätigt und bei ihrer Gefährdungsprognose nicht auf den Maßstab des fünften Satzes dieser Norm abgestellt.
Im angefochtenen Bescheid findet sich zwar auch die - sich offenbar auf den vierten Satz des § 86 Abs. 1 FPG beziehende - Wendung, das Verhalten des Beschwerdeführers stelle eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Doch ist damit schon deshalb nichts gewonnen, weil auch dadurch zum Ausdruck gebracht wird, dass die belangte Behörde das den strafgerichtlichen Verurteilungen zu Grunde liegende Verhalten des Beschwerdeführers unter dem Gesichtspunkt einer für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes erforderlichen (negativen) Zukunftsprognose nicht am - gegenüber den Voraussetzungen nach § 86 Abs. 1 vierter Satz FPG - deutlich strengeren Maßstab des § 86 Abs. 1 fünfter Satz FPG ("... davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde") gemessen hat.
Schon deshalb hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet (vgl. zum Ganzen etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2007/21/0215, und vom , Zl. 2007/21/0214, jeweils mwN).
Ergänzend ist anzumerken, dass die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes für die Dauer von zwölf Jahren im § 63 Abs. 1 FPG keine Grundlage hat: Nach dieser Bestimmung kann ein Aufenthaltsverbot oder ein Rückkehrverbot in den Fällen des § 60 Abs. 2 Z. 1, 5 und 12 bis 14 unbefristet und sonst für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Daraus folgt, dass - abgesehen von Fällen einer unbefristeten Erlassung - das Höchstmaß der Gültigkeitsdauer eines Aufenthaltsverbotes auf zehn Jahre beschränkt sein soll (so ausdrücklich die Regierungsvorlage zum Fremdengesetz 1992, 692 BlgNR XVIII. GP 38, auf die der Gesetzgeber des Fremdengesetzes 1997 und des FPG verweist; vgl. auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0215).
Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, worin die Mehrbegehren auf gesonderten Zuspruch von Umsatzsteuer und von "PG für VfGH-Beschwerde" keine Deckung finden.
Wien, am