VwGH vom 26.08.2010, 2007/21/0385
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom , Zl. VwSen-400898/4/SR/Ri, betreffend Schubhaft (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres; mitbeteiligte Partei: G, vertreten durch Rechtsanwaltsgemeinschaft Mory Schellhorn OEG in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich Straße 19), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde einer vom Mitbeteiligten am eingebrachten Schubhaftbeschwerde insoweit statt, als gemäß § 83 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) dessen Anhaltung in Schubhaft ab als rechtswidrig festgestellt wurde.
Begründend führte die belangte Behörde aus, der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina, sei am in Deutschland eingereist und habe dort insgesamt drei Asylanträge gestellt, die - zuletzt am - abgelehnt worden seien. In Deutschland habe der Mitbeteiligte zahlreiche Straftaten begangen, woraufhin er auch mehrmals rechtskräftig verurteilt worden sei. Weiters sei ihm während seines Aufenthalts in Deutschland einige Male die Abschiebung angedroht worden. Das Landratsamt Lindau habe - rechtskräftig seit - gegen den Mitbeteiligten eine Ausweisungsverfügung erlassen und eine unbefristete Einreiseverweigerung ausgesprochen. Nach einer Ausreiseaufforderung und Androhung der Abschiebung sei der Mitbeteiligte am "nach unbekannt" verzogen. Im "deutschen Melderegister" sei "Fortzug ins Ausland" vermerkt worden. Eine Abschiebung aus Deutschland habe nicht stattgefunden.
Es könne nicht festgestellt werden, in welchen Staaten sich der Beschwerdeführer bis Ende Dezember 2003 aufgehalten habe. Ende Dezember 2003 habe er in Belgien einen Asylantrag gestellt und sich dort zwei Jahre lang in "Bundesbetreuung" befunden. Es könne nicht festgestellt werden, ob der Beschwerdeführer Belgien dann verlassen habe und in seinen Herkunftsstaat zurückgekehrt sei oder er sich (in Deutschland) im Raum Lindau am Bodensee bei seiner früheren Ehefrau und seinen Kindern aufgehalten habe. Jedenfalls sei gegen ihn Anfang 2005 in Deutschland Anzeige erstattet worden. Es habe der Verdacht bestanden, dass er am in Lindau "eine Bedrohung" begangen habe. In weiterer Folge habe die Staatsanwaltschaft Kempten eine national in Deutschland gültige Ausschreibung zur Festnahme wegen des Verdachts der Nötigung veranlasst.
Seinen eigenen Angaben zufolge sei der Beschwerdeführer am unrechtmäßig in Österreich eingereist. Von welchem Staat aus die Einreise erfolgt sei oder über welche Staaten er gereist sei, lasse sich nicht feststellen. Am sei von der Bezirkhauptmannschaft Vöcklabruck nach "Auswertung der Erstbefragung" (gemeint: jener Erstbefragung, die erfolgte, nachdem der Mitbeteiligte am in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005 gestellt hatte) und "vorbildlichen behördlichen Ermittlungen" über den Mitbeteiligten die Schubhaft verhängt worden.
Am habe das Bundesasylamt mit Belgien ein Konsultationsverfahren eingeleitet und zeitgleich ein "Infoersuchen" an Deutschland gerichtet. Die negative Antwort Deutschlands vom habe zur Folge gehabt, dass mit Deutschland kein Konsultationsverfahren geführt worden sei.
Am sei die "Ablehnung Belgiens" beim Bundesasylamt eingelangt. Im Asylwerberinformationssystem (AIS) sei dies am eingetragen worden. Die Uhrzeit der Vornahme dieser Eintragung könne ebenso wenig festgestellt werden wie der Umstand, ob die - vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich - belangte Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom negativen Ausgang des Konsultationsverfahren verständigt worden sei. Dem Akt sei Derartiges nicht zu entnehmen. Jedenfalls müsse aber davon ausgegangen werden, dass der Bezirkshauptmannschaft das Ende des Konsultationsverfahrens frühestens ab dem durch Einsichtnahme in das AIS zur Kenntnis gelangen habe können.
Nach beweiswürdigenden Überlegungen führte die belangte Behörde in ihrer rechtlichen Beurteilung nach Wiedergabe der maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen aus, auf Grund des bisherigen Verhaltens des Beschwerdeführers sei ein konkreter Sicherungsbedarf gegeben. Er habe widersprüchliches Vorbringen erstattet. Es lägen falsche Zeitangaben vor. Verschwiegene Aufenthalte in Deutschland sowie die drei dort abgeführten rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren zeigten deutlich auf, dass er sich seinen Aufenthalt durch die Asylantragstellung in Österreich zu sichern suche. Auch habe die Fremdenpolizeibehörde auf Grund des Ergebnisses ihrer Ermittlungen vorerst davon ausgehen können, dass nicht Österreich, sondern Belgien für die Prüfung des vom Mitbeteiligten gestellten Antrages auf internationalen Schutz zuständig sei.
Jedoch habe Belgien im Rahmen des Konsultationsverfahrens seine Zuständigkeit abgelehnt. Mit Deutschland sei ein Konsultationsverfahren nicht geführt worden, weil dieser Staat bereits zuvor eine "negative Antwort" erteilt habe. Sohin sei mit Ende des Konsultationsverfahrens der Grund des § 76 Abs. 2 Z 4 FPG für die Anhaltung in Schubhaft weggefallen. Davon habe die vor dem unabhängigen Verwaltungssenat belangte Bezirkshauptmannschaft frühestens ab dem Kenntnis erlangen können.
Die weitere Anhaltung in Schubhaft (ab ) wäre - so die belangte Behörde in ihren rechtlichen Überlegungen weiter -
nur dann rechtmäßig gewesen, wenn die Schubhaft auf einen anderen Haftgrund hätte gestützt werden können. Die Bezirkshauptmannschaft habe § 76 Abs. 2 Z 3 FPG als weiteren Haftgrund angegeben. Eine ausführliche Begründung dafür habe sie jedoch erstmals in ihrer Gegenschrift (im Schubhaftbeschwerdeverfahren) erstattet.
Ausgehend davon, dass gegen den Beschwerdeführer in Deutschland eine Ausweisungsverfügung mit unbefristeter Einreiseverweigerung erlassen worden sei und dies grundsätzlich in Deutschland in seinen Wirkungen einem in Österreich erlassenen Aufenthaltsverbot gleichgestellt sei, führte die belangte Behörde zu diesem Schubhaftgrund sodann weiter aus, § 76 Abs. 2 Z 3 FPG habe ausschließlich ein von österreichischen Behörden verhängtes Aufenthaltsverbot im Blick. Da auch § 71 Abs. 1 FPG zur Auslegung des § 76 Abs. 2 Z 3 FPG nicht herangezogen werden könne, könne die Anhaltung in Schubhaft im vorliegenden Fall trotz des in Deutschland bestehenden Aufenthaltsverbotes nicht auf § 76 Abs. 2 Z 3 FPG gestützt werden.
Des Weiteren - so die belangte Behörde noch abschließend - könne dem "vorliegenden Sachverhalt" auch nicht entnommen werden, dass derzeit ein Ausweisungsverfahren nach den Bestimmungen des AsylG 2005 (gemeint: nach Abschluss des Konsultationsverfahrens wieder) eingeleitet oder eine durchsetzbare Ausweisung nach § 10 AsylG 2005 erlassen worden sei, weshalb die Rechtswidrigkeit der Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft ab festzustellen sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Amtsbeschwerde, die ausschließlich die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft ab bekämpft, nach Vorlage der Verwaltungsakten sowie nach Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde und den Mitbeteiligten erwogen:
Die beschwerdeführende Sicherheitsdirektion wendet sich gegen die Ansicht der belangten Behörde, die in Deutschland erlassene Ausweisung samt Verfügung einer Einreiseverweigerung könne keine taugliche Grundlage sein, um den Tatbestand des § 76 Abs. 2 Z 3 FPG als erfüllt anzusehen. Mit diesem Vorbringen ist die Beschwerdeführerin im Recht. Zu dieser Rechtsfrage hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom , Zl. 2006/21/0389, bereits ausführlich Stellung genommen. Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird daher insoweit auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen. Aus den dort genannten Gründen stellt sich die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid vertretene Rechtsauffassung zu § 76 Abs. 2 Z 3 FPG als nicht zutreffend dar.
Dies führt im vorliegenden Fall allerdings nicht zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde brachte nämlich im angefochtenen Bescheid darüber hinaus auch - was in der Aktenlage Deckung findet - zum Ausdruck, dass im maßgeblichen Zeitraum ein Ausweisungsverfahren eingeleitet und nach Zulassung des Asylverfahrens wieder eingestellt worden sei. Das findet in der Amtsbeschwerde keine Beachtung, die somit übersieht, dass § 76 Abs. 2 Z 3 FPG nur bis zur Einleitung eines Ausweisungsverfahrens in Betracht kommen kann (vgl. abermals das genannte Erkenntnis vom ). Von daher geht die allein auf § 76 Abs. 2 Z 3 FPG abstellende Beschwerde im Ergebnis ins Leere, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am