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VwGH vom 22.03.2018, Ra 2017/02/0228

VwGH vom 22.03.2018, Ra 2017/02/0228

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie den Hofrat Mag. Dr. Köller und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Harrer, über die Revision des M in K/Deutschland, vertreten durch Dr. Erik R. Kroker, Dr. Simon Tonini, Dr. Fabian Höss und Mag. Harald Lajlar, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Sillgasse 12/IV, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom , Zl. LVwG-1-473/2017-R3, betreffend Übertretung der StVO (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Bezirkshauptmannschaft Feldkirch), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch vom wurde dem Revisionswerber mit näheren Konkretisierungen vorgeworfen, er habe zu einem vor ihm am gleichen Fahrstreifen fahrenden Fahrzeug nicht einen solchen Abstand eingehalten, dass ein rechtzeitiges Anhalten möglich gewesen wäre, auch wenn das vordere Fahrzeug plötzlich abgebremst würde. Es sei mittels Videomessung ein zeitlicher Abstand von 0,38 Sekunden festgestellt worden. Der Revisionswerber habe dadurch § 99 Abs. 2c Z 4 StVO iVm § 18 Abs. 1 StVO verletzt. Über ihn wurde eine Geldstrafe von EUR 225,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 95 Stunden) verhängt.

2 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Verwaltungsgericht mit Erkenntnis vom mit der Maßgabe ab, dass die Tatbildumschreibung wie folgt zu ergänzen sei: "Sie haben dabei als Lenker des PKWs (...) eine Fahrgeschwindigkeit von 116 km/h und zum nächsten vor Ihnen fahrenden Fahrzeug einen zeitlichen Abstand von 0,38 Sekunden eingehalten". Die ordentliche Revision erklärte das Verwaltungsgericht für unzulässig.

Das Verwaltungsgericht führte aus, es habe den tatbildrelevanten Sachverhalt aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens, insbesondere aufgrund der Videoaufzeichnung des Fahrmanövers des Revisionswerbers, der Geschwindigkeits- und Abstandsmessung mit dem Verkehrsgeschwindigkeitsmessgerät der Bauart VKS 3.1 und der glaubwürdigen Zeugenaussage des Messbeamten GI M. als erwiesen angenommen.

Aus dem von der Landesverkehrsabteilung Vorarlberg ausgearbeiteten "Tatblatt" ergebe sich, dass die Geschwindigkeits- und Abstandsmessung eine näher angeführte Zeit gedauert habe. Das "Tatblatt" enthalte die aus der Videoaufzeichnung entnommenen Lichtbilder, wo die hintereinander fahrenden Fahrzeuge vom Messbeamten GI M. für die Geschwindigkeits- und Abstandsmessung erfasst worden seien.

Aus der Zeugenaussage des Messbeamten ergebe sich, dass der Nachfahrabstand aus dem zeitlich zweiten Bild ermittelt worden sei. GI M. habe in seiner Zeugenaussage darauf hingewiesen, dass eine Messung von Vorderachse zur Vorderachse erfolge. Dieser aus dem Auswerteprotokoll angegebene Wert habe 13,5 m betragen. Von diesem Wert sei der Achsabstand des Vorderfahrzeuges abgezogen worden. Dies würde einen Sicherheitsabstand von 11,1 m ergeben. Der ermittelte Wert von 11,1 m sei vom System auf 12 m aufgerundet worden. Dieser Wert ergebe einen Zeitwert von 0,38 Sekunden. Es sei amtsbekannt, dass bei dieser Berechnung der Heckbereich des vorausfahrenden Fahrzeuges und der Frontbereich des nachfahrenden Fahrzeuges unberücksichtigt blieben.

Soweit der Revisionswerber bemängle, dass kein Nachweis der Ordnungsmäßigkeit und Richtigkeit der Messung (insbesondere der gesetzten Messlinien) vorliegen würde, sei ihm die Zeugenaussage des Messbeamten entgegenzuhalten, wonach die Messpunkte- und die Messliniensetzung korrekt vorgenommen worden seien und das System gemäß den Vorgaben der Bedienungsanleitung bedient und eingestellt worden sei. Weiters seien auch die Außentemperaturgrenzen eingehalten worden.

Der Messbeamte habe auch dargetan, dass er beim ersten als auch beim zweiten Bild mit der Messnase jeweils die Radaufstandsflächen des Fahrzeuges des Revisionswerbers und des vorausfahrenden Kfz anvisiert habe. Die Größe seines Monitors sei ca. die Größe eines A4-Blattes. Es bestünden somit für das Verwaltungsgericht keine Zweifel, dass sich die Messung auf die auf der Überholspur befindlichen Fahrzeuge des Revisionswerbers sowie seines Vordermannes beziehe.

Aufgrund der nachvollziehbaren Zeugenaussage des Messbeamten im Zusammenhalt mit der Dokumentation der Messung auf dem Tatblatt und in Anbetracht des Umstandes, dass es sich beim Zeugen um einen erfahrenen und für die Verwendung des gegenständlichen Messgeräts geschulten Messbeamten handle, werde von einer korrekt durchgeführten Messung ausgegangen.

3 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit den Anträgen, der Verwaltungsgerichtshof möge die Revision für zulässig erklären und in der Sache selbst entscheiden, das Straferkenntnis aufheben und das Verwaltungsstrafverfahren einstellen. In eventu wird beantragt, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Zudem beantragte der Revisionswerber die Zuerkennung von Kostenersatz. Revisionsbeantwortung wurde keine erstattet.

4 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

5 Eine Verwaltungsübertretung gemäß § 99 Abs. 2c Z 4 StVO begeht und ist mit einer Geldstrafe von 72 Euro bis 2.180 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe von 24 Stunden bis sechs Wochen, zu bestrafen, wer als Lenker eines Fahrzeuges den erforderlichen Sicherheitsabstand zum nächsten vor ihm fahrenden Fahrzeug gemäß § 18 Abs. 1 nicht einhält, sofern der zeitliche Sicherheitsabstand 0,2 Sekunden oder mehr, aber weniger als 0,4 Sekunden beträgt.

6 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit unter anderem vor, das Verwaltungsgericht habe es unterlassen, das beantragte Sachverständigengutachten zur Frage der Ordnungsmäßigkeit und Richtigkeit der Messung, insbesondere der gesetzten Messlinien, einzuholen. Das Verwaltungsgericht gehe im Rahmen seiner Beweiswürdigung von einer korrekt durchgeführten Messung aus. Dies werde damit begründet, dass dies aufgrund der nachvollziehbaren Zeugenaussagen des Messbeamten im Zusammenhalt mit der Dokumentation der Messung auf dem Tatblatt feststehe, weshalb das Verwaltungsgericht rechtlich zum Schluss komme, dass eine Tatbildverwirklichung gegeben sei. Der Verweis auf die nachvollziehbaren Aussagen des Messbeamten, insbesondere hinsichtlich der Setzung der Messlinien, reiche jedoch im vorliegenden Fall für den Nachweis der Ordnungsmäßigkeit und Richtigkeit der Messung nicht aus. Das Verwaltungsgericht weiche mit diesem Vorgehen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (näherer Hinweis auf und , 2001/03/0297). Objektive Beweisergebnisse würden im vorliegenden Fall nicht vorliegen. Gegenständlich habe die Ordnungsmäßigkeit der gesetzten Messlinien weder durch Vorzeigen bzw. nochmalige Setzung der Messlinien noch durch weitere objektive Beweisergebnisse insbesondere durch Vorlegen der Betriebsanleitung überprüft bzw. nachvollzogen werden können. Zur Ordnungsmäßigkeit der Messung liege lediglich die Aussage des messenden Beamten vor, weshalb zu dieser Frage jedenfalls das vom Revisionswerber beantragte Sachverständigengutachten vom Verwaltungsgericht eingeholt hätte werden müssen.

7 Die vorliegende Revision ist aus den vom Revisionswerber aufgezeigten Gründen zulässig, weil das Verwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist. Sie ist aus diesem Grund auch begründet.

8 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, ist insbesondere in Grenzbereichen von Messergebnissen - wie hier mit einer Messung von 0,38 Sekunden - nachvollziehbar und schlüssig darzulegen, dass tatsächlich sämtliche Voraussetzungen für eine technisch einwandfreie Messung gegeben waren. Dies stellt in der Regel eine Fachfrage dar, die - sofern die Behörde nicht selbst über das erforderliche Fachwissen verfügt - von einem beizuziehenden technischen Sachverständigen zu beantworten ist (siehe ).

Im vorliegenden Fall fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass das Verwaltungsgericht selbst über das nötige technische Fachwissen zur Beurteilung der gegenständlichen Messung verfügt. Eine nähere Begründung dafür, weshalb das Verwaltungsgericht zulässiger Weise von der beantragten Aufnahme eines Sachverständigenbeweises Abstand nehmen konnte, lässt sich dem angefochtenen Erkenntnis ebenfalls nicht entnehmen. Bereits aus diesem Grund ist das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit belastet.

9 Zudem erweist sich auch die Begründung des Verwaltungsgerichts in Bezug auf die Überprüfbarkeit der Setzung der Messlinien und -punkte als mangelhaft:

Diesbezüglich hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass für den Fall, dass das Ergebnis eines Messvorganges von subjektiven Entscheidungen des Beamten abhängt, wie hier vom Setzen von Messlinien bzw. Messpunkten, dieser Vorgang zu einem späteren Zeitpunkt auf seine Genauigkeit überprüfbar sein muss. Erst wenn objektiv feststellbar ist, dass die Messlinien an den in der Betriebsanleitung vorgesehenen Stellen gesetzt wurden, kann die Verlässlichkeit der vorgenommenen Abstandsmessung abschließend beurteilt werden (vgl. m.w.H.). Das Verwaltungsgericht hat sich zur Richtigkeit der Messlinien- und Messpunktesetzung auf die Aussage des Messbeamten gestützt, der jedoch in der mündlichen Verhandlung angab, sich an die konkrete Übertretung nicht mehr erinnern zu können. Das Fehlen eines objektiven Beweises für die Richtigkeit der Setzung der Messlinien kann gemäß der hg. Rechtsprechung allerdings nicht durch eine Aussage des Beamten, der sich an die Messung nicht mehr erinnern kann, ersetzt werden (siehe ). Dem angefochtenen Erkenntnis ist darüber hinaus auch nicht nachvollziehbar zu entnehmen, ob das Gerät entsprechend der Betriebsanleitung bedient wurde (vgl. ); auch diesbezüglich genügt die Aussage des Beamten, der an die Messung keine Erinnerung mehr hat, nicht. Ferner reichen auch Fotos mit den eingezeichneten Messlinien sowie eine Videoaufzeichnung, die lediglich den geringen Sicherheitsabstand, nicht jedoch die Setzung der Messlinien dokumentiert, als Nachweis für die Messliniensetzung nicht aus (vgl. erneut ).

Die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses genügt im Ergebnis nicht den von der hg. Judikatur aufgestellten Anforderungen an eine auf objektiven Beweisergebnissen beruhende Überprüfung der Messung, weshalb sich das angefochtene Erkenntnis auch aus diesem Grund als rechtswidrig erweist.

10 Da somit Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung das Verwaltungsgericht zu einem anderen Erkenntnis hätte kommen können, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

11 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017020228.L00
Schlagworte:
Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Rechtliche Beurteilung Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Verfahrensmangel Beweismittel Zeugenbeweis Zeugenaussagen von Amtspersonen Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Begründung Begründungsmangel Besondere Rechtsgebiete "zu einem anderen Bescheid" Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Techniker Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel Sachverständigenbeweis

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