VwGH vom 06.09.2012, 2012/09/0084
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler, Dr. Strohmayer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des Disziplinaranwaltes des Bundesministeriums für Inneres bei der Disziplinaroberkommission gegen den Bescheid der Disziplinaroberkommission beim Bundeskanzleramt vom , Zl. 9/8-DOK/12, betreffend ersatzlose Behebung eines Disziplinarerkenntnisses und Zurückverweisung der Disziplinarangelegenheit nach dem BDG 1979 (mitbeteiligte Partei:
RK; weitere Parteien: Bundeskanzler, Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Mit dem am eingelangtem Schreiben des Landespolizeikommandos Tirol vom wurde gemäß § 110 Abs. 1 Z. 2 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979 (BDG 1979) an den Vorsitzenden der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres die gegen den Mitbeteiligten gerichtete Disziplinaranzeige wegen des Verdachtes verschiedener Dienstpflichtverletzungen erstattet. Mit Einleitungsbeschluss der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres vom , zugestellt an den Beschwerdeführer am , wurde gemäß § 123 Abs. 1 BDG 1979 ein Disziplinarverfahren eingeleitet.
Mit Disziplinarerkenntnis der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres vom wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt, für eine Detektei Zigarettenschmuggeltransporte observiert und über die Observierung Bericht erstattet zu haben, er habe damit eine Dienstpflichtverletzung gemäß § 56 Abs. 2 BDG 1979 begangen, weshalb über ihn gemäß § 92 Abs. 1 Z. 2 BDG 1979 die Disziplinarstrafe der Geldbuße in Höhe eines halben Monatsbezuges verhängt wurde. Von weiteren Vorwürfen wurde der Beschwerdeführer freigesprochen.
Auf Grund der Berufung des Beschwerdeführers wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde mit Bescheid vom ebenfalls einer Dienstpflichtverletzung gemäß § 56 Abs. 2 BDG 1979 für schuldig befunden und über ihn die Disziplinarstrafe des Verweises gemäß § 92 Abs. 1 Z. 1 BDG 1979 verhängt.
Dieses Disziplinarerkenntnis wurde mit dem hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/09/0035, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben, und zwar im Wesentlichen mit der Begründung, dass die Geschäftsverteilung, auf Grund welcher die Behörde erster Instanz entschieden habe, nicht gehörig kundgemacht worden sei, auf die nähere Begründung dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen.
Im fortgesetzten Verfahren hob die belangte Behörde mit Bescheid vom das erstinstanzliche Disziplinarerkenntnis vom gemäß § 66 Abs. 4 AVG auf.
In der Begründung führte sie wie folgt aus:
"Da der in erster Instanz entschieden habende Disziplinarsenat auf der Grundlage einer gesetzwidrigen Geschäftseinteilung (Rechtsverordnung) eingerichtet war und eine im erstinstanzlichen Disziplinarverfahren erfolgte Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter im zweitinstanzlichen Disziplinarverfahren einer Sanierung durch die DOK nicht zugänglich ist, war das erstinstanzliche Disziplinarerkenntnis gemäß § 66 Abs. 4 AVG, der gemäß § 105 BDG von der Anwendung im Disziplinarverfahren nicht ausgeschlossen ist, wegen Unzuständigkeit des erstinstanzlichen Senates ersatzlos aufzuheben und die Angelegenheit gemäß § 6 Abs. 1 AVG an den - auf der Grundlage einer in jeder Hinsicht gesetzeskonform kundgemachten Geschäftseinteilung der Disziplinarkommission zustande gekommenen -
Disziplinarsenat erster Instanz weiterzuleiten."
Die Behörde erster Instanz führte am eine mündliche Verhandlung durch und erkannte den Beschwerdeführer mit Disziplinarerkenntnis vom neuerlich einer Dienstpflichtverletzung gemäß § 56 Abs. 2 BDG 1979 für schuldig, es erfolgte gemäß § 115 BDG 1979 ein Schuldspruch ohne Strafe. Von weiteren Vorwürfen wurde der Beschwerdeführer gemäß § 118 Abs. 1 Z. 1 erster Halbsatz BDG 1979 freigesprochen.
Auf Grund der dagegen erhobenen Berufung des Beschwerdeführers sprach die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid vom Folgendes aus:
"Der Berufung des Beschuldigten wird insofern Folge gegeben, als das angefochtene Disziplinarerkenntnis hinsichtlich des schuldsprechenden Teiles gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 105 BDG ersatzlos behoben und die Disziplinarsache zur neuerlichen Verhandlung und Bescheiderlassung an die erstinstanzliche Disziplinarkommission zurückverwiesen wird."
Die belangte Behörde begründete ihren Ausspruch im Wesentlichen wie folgt:
"Als Folge der Auslegung des Verfassungsgerichtshofes zum Erkenntnis vom , B 378/11-7, ist nunmehr davon auszugehen, dass die Disziplinarbehörden die als gesetzwidrig erkannte Verordnung 'Zusammensetzung der Senate und Geschäftsverteilung, gültig für das Jahr 2007 ab ' anzuwenden hatten, da im gegenständlichen Fall das gegen den Beschuldigten durchgeführte Verfahren mit bei der erstinstanzlichen Disziplinarkommission anhängig wurde. Aus diesem Grund war das erstinstanzliche Disziplinarerkenntnis zu beheben, da der Verfassungsgerichtshof zu Recht erkannt hat, dass die Verordnung über die Zusammensetzung der Senate und der Geschäftsverteilung, gültig für das Jahr 2007 ab dem , gesetzwidrig war (, V 88, 89/10). Da der erstinstanzliche Disziplinarsenat zum Entscheidungszeitpunkt des angefochtenen Disziplinarerkenntnisses auf der Grundlage einer gesetzwidrigen Geschäftseinteilung (Rechtsverordnung) eingerichtet war, war die im Umfang des oa. Schuldspruches bekämpfte, verfahrensgegenständliche Entscheidung gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 105 BDG wegen Unzuständigkeit des erstinstanzlichen Senates zu beheben und die Angelegenheit gemäß § 6 Abs. 1 AVG an den - auf der Grundlage einer in jeder Hinsicht gesetzeskonform kundgemachten Geschäftseinteilung der Disziplinarkommission zustande gekommenen - Disziplinarsenat erster Instanz weiterzuleiten. Nach stRspr tritt das Disziplinarverfahren dadurch in den Stand nach Erlassung des rechtskräftigen Einleitungs- und Verhandungsbeschlusses zurück (vgl. ; DOK , 103/8-DOK/00)."
Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Die Geschäftsverteilung der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres "Zusammensetzung der Senate und Geschäftsverteilung, gültig für das Jahr 2011 ab " enthält folgende Regelungen:
"Allgemeine Regelungen
...
Hinsichtlich der Zuständigkeit gilt Nachstehendes in der
angeführten Reihenfolge:
1. Für die Zuständigkeit der Senate ist der Zeitpunkt
des Anfalles der Rechtssache (Datum des Einlangens bei der
Disziplinarkommission) maßgebend.
2. Der dadurch bestimmte Senat bleibt bis zur
rechtskräftigen Erledigung der Rechtssache zuständig, selbst wenn inzwischen Veränderungen in der Geschäftsverteilung oder in der Zuweisung der Mitglieder oder Ersatzmitglieder zu den einzelnen Senaten eingetreten sein sollte.
3. Sind Mitglieder der Disziplinarkommission
ausgeschieden bzw. ist Ruhen der Mitgliedschaft eingetreten, so rückt jenes Ersatzmitglied nach, das im Zeitpunkt des Anfalles der Rechtssache nachgerückt wäre.
4. Erweist sich die Anwendung von Ziffer 2. tatsächlich unmöglich oder kann bei Anwendung von Ziffer 3. ein ordnungsgemäßer Senat nicht gebildet werden, so ist jener Senat heranzuziehen, der in Ansehung der dienstrechtlichen Stellung der/s Beamtin/Beamten nach der Geschäftsverteilung des aktuellen Jahres zuständig ist.
5. Wenn ein Senat aus anderen Gründen nicht gebildet
werden kann, treten die Vorsitzenden und weiteren Mitglieder der
nachfolgenden Senate in der dort vorgesehenen Reihenfolge ein,
wobei für den Senat 4 der Senat 1 als nachfolgend gilt.
6. Bei Verhinderung aller Senatsvorsitzenden und deren
Stellvertreter ist die Zuständigkeit des Kommissionsvorsitzenden als Senatsvorsitzender gegeben."
Mit Erkenntnis vom , V 87/10-9, hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass die Verordnung "Zusammensetzung der Senate und Geschäftsverteilung, gültig für das Jahr 2007" der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres gesetzwidrig war. Dieser Ausspruch wurde am im Bundesgesetzblatt, BGBl. II Nr. 44, kundgemacht. Die belangte Behörde meint, die Disziplinarkommission hätte diese Geschäftsverteilung ungeachtet dieses Ausspruches angesichts des Anfalls der Disziplinarrechtssache bei der Disziplinarkommission am anwenden müssen. Damit verkennt die belangte Behörde jedoch die Vorschrift des Art. 139 Abs. 6 erster Satz B-VG, wonach alle Gerichte und Verwaltungsbehörden an den Spruch des Verfassungsgerichtshofes betreffend die Erklärung einer Verordnung als gesetzwidrig gebunden sind. Eine gegenteilige Auffassung kann auch den Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes zur Präjudizialität in dem von der belangten Behörde angeführten Erkenntnis vom , B 378/11-7, nicht entnommen werden.
Mangels Bestehens einer Geschäftsverteilung für das Jahr 2007 kam daher die Anwendung der Z. 1 der oben wiedergegebenen allgemeinen Regelungen der "Zusammensetzung der Senate und Geschäftsverteilung, gültig für das Jahr 2011 ab " nicht in Betracht. Vielmehr kommt im vorliegenden Fall Z. 4 der allgemeinen Regeln dieser Geschäftsverteilung zur Anwendung, wonach dann, wenn sich die Anwendung der Z. 2 der allgemeinen Regelungen tatsächlich unmöglich erweist oder bei Anwendung von Z. 3 leg. cit. ein ordnungsgemäßer Senat nicht gebildet werden kann, jener Senat heranzuziehen ist, der "nach der Geschäftsverteilung des aktuellen Jahres zuständig ist". Zwar ist der in der vorliegenden Rechtssache gegebene Fall, dass die Zusammensetzung der Disziplinarkommission nach der zum Zeitpunkt des Anfalles der Rechtssache wirksamen Geschäftsverteilung wegen deren Erklärung als gesetzwidrig durch den Verfassungsgerichtshof nicht bestimmt werden kann, in Z. 4 der Allgemeinen Regelungen nicht ausdrücklich geregelt. Weil aber weder dem BDG 1979 noch der auf dessen Basis erlassenen Geschäftsverteilung unterstellt werden kann, dass eine rechtmäßige Entscheidung der Disziplinarkommission mangels Bestehens einer Geschäftsverteilung für den Zeitpunkt des Anfalls der Disziplinarrechtssache im Jahr 2007 überhaupt unmöglich wäre, war für die Feststellung der im vorliegenden Fall vorgesehenen Zusammensetzung des erstinstanzlichen Disziplinarsenates gemäß Z. 4 der Geschäftsverteilung der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres "Zusammensetzung der Senate und Geschäftsverteilung, gültig für das Jahr 2011 ab " "jener Senat heranzuziehen, der … nach der Geschäftsverteilung des aktuellen Jahres zuständig ist" (vgl. zur Auslegung im Fall einer "technischen Lücke" Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Auflage 1960, 254 f). Dem entspricht auch die personelle Zusammensetzung der Disziplinarkommission bei Beschlussfassung des Disziplinarerkenntnisses vom .
Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am