VwGH vom 27.01.2010, 2007/21/0342
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde der N, vertreten durch Mag. Gottfried Schmutzer, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Am Heumarkt 7/26, gegen den Bescheid der Österreichischen Botschaft Tunis vom , Zl. 415.00/66/2007, betreffend Visum, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine tunesische Staatsangehörige, stellte am bei der Österreichischen Botschaft Tunis (der belangten Behörde) den formularmäßigen Antrag auf Erteilung eines für 60 Tage gültigen Visums zum Zweck des Besuchs ihres die österreichische Staatsbürgerschaft besitzenden Bruders, der hier als Tischler unselbständig tätig ist.
Dem Antrag legte sie neben der Bestätigung über den Abschluss einer Reisekrankenversicherung u.a. eine Lohnbestätigung ihres Bruders, eine Bestätigung dessen Arbeitgebers, dass das Beschäftigungsverhältnis aufrecht sei, die Kopie eines Kaufvertrages, aus dem hervorgeht, dass der Bruder der Beschwerdeführerin über Wohnungseigentum an einer näher bezeichneten Wohnung in Wien verfügt, die aus zwei Zimmern, einem Vorzimmer, einer Küche, einem WC sowie einem zur Wohnung gehörigen Kellerlokal besteht, und eine von ihrem Bruder unterzeichnete Verpflichtungserklärung vor. In dieser Verpflichtungserklärung wurde die vorgedruckte Formulierung, der Bruder "lade" die
Beschwerdeführerin "zu einem Besuch in der Dauer von ... zu mir
ein." durch die Einfügung des Wortes "FAMILIENZUSAMMENFÜHRUNG" handschriftlich ergänzt.
Mit Schreiben vom brachte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin zur Kenntnis, sie gehe davon aus, es bestehe Grund zur Annahme, dass der Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Österreich zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte. Eine nähere Begründung, weshalb dies der Fall sei, enthält das genannte Schreiben nicht. Darüber hinaus wurde der Beschwerdeführerin von der belangten Behörde mitgeteilt, es bestehe Grund zur Annahme, dass sie das Bundesgebiet nach Ablauf der Gültigkeit des Visums nicht unaufgefordert verlassen werde, weil sie nicht überzeugend habe nachweisen können, dass sie feste, familiäre, soziale oder wirtschaftliche Bindungen an ihrem derzeitigen Wohnsitz habe. Einen darüber hinaus gehenden Vorhalt tätigte die belangte Behörde nicht.
Daraufhin erstattete die Beschwerdeführerin eine in französischer Sprache gehaltene Stellungnahme, worin sie noch auf ihr Kind hinwies, und legte ein Schreiben ihres Bruders vor, womit dieser bestätigte, dass die Beschwerdeführerin während ihres Aufenthalts in Österreich bei ihm wohnen werde. Weiters bekräftigte ihr Bruder darin, die Beschwerdeführerin werde Österreich vor Ablauf der Gültigkeit des Visums verlassen.
Darüber hinaus enthält der Verwaltungsakt eine von der Beschwerdeführerin vorgelegte Bestätigung der Gemeinde ihres Wohnortes, womit bescheinigt wurde, dass ihr Ehemann über ein Landgut im Ausmaß von ca. 12.000 m2 mit einer Obstbaumplantage samt einem darauf befindlichen Wohnhaus verfüge und eine landwirtschaftliche Tätigkeit ausübe. Diese Bescheinigung beruht nach dem Inhalt derselben zwar auf der Erklärung des Ehemannes der Beschwerdeführerin, enthält aber auch die Bestätigung, dass diese Umstände dem Aussteller der Urkunde persönlich bekannt seien. Weiters enthält der vorgelegte Akt eine Bescheinigung derselben Behörde, der zufolge der Ehemann der Beschwerdeführerin für deren Unterhalt aufkomme.
Ungeachtet dessen wies die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid den Antrag auf Erteilung des begehrten Visums unter Verwendung eines formularmäßigen Vordruckes ab. Dabei wurde durch Ankreuzen der dafür vorgesehenen Felder zum Ausdruck gebracht, dass die belangte Behörde davon ausgehe, die Wiederausreise der Beschwerdeführerin erscheine nicht gesichert (§ 21 Abs. 1 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG) und öffentliche Interessen stünden der Erteilung des Visums insofern entgegen, als der Aufenthalt der Beschwerdeführerin zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte, es sei denn, diese Belastung ergebe sich aus der Erfüllung eines vor der Einreise bestehenden gesetzlichen Anspruches (§ 21 Abs. 1 Z 3 iVm Abs. 5 Z 3 FPG).
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage des Verwaltungsaktes und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Wie dargestellt, hat die belangte Behörde ihre Entscheidung nur mit dem Hinweis auf in § 21 FPG genannte Tatbestände begründet. Das allein stellt freilich vor dem Hintergrund der besonderen Regeln für das Verfahren vor den österreichischen Vertretungsbehörden noch keinen Begründungsmangel dar, genügt es demnach doch (vgl. § 11 Abs. 2 iVm Abs. 6 letzter Satz FPG), dass der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt zumindest im Akt nachvollziehbar ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0104, mwN).
Die Beschwerde wendet sich im Weiteren zunächst gegen die Ansicht der belangten Behörde, der Aufenthalt der Beschwerdeführerin könnte zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen und verweist dazu auf die von ihr im Verwaltungsverfahren vorgelegte Lohnbestätigung ihres Bruders.
Nach dieser verfügt der Bruder der Beschwerdeführerin, der sich verpflichtet hat, die Kosten ihres Aufenthalts in Österreich zu bestreiten, unstrittig über ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von etwa EUR 1.450,--. Die belangte Behörde ging nun davon aus, dass dieses Einkommen unter Berücksichtigung einer monatlichen Belastung von EUR 640,-- nicht ausreicht, um für die Kosten des Aufenthalts der Beschwerdeführerin aufkommen zu können.
Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Die belangte Behörde berücksichtigte nicht, dass die Beschwerdeführerin nach den - ebenfalls unbestritten gebliebenen - Angaben ihres Bruders für die Dauer ihres Besuches in dessen Wohnung Unterkunft zu nehmen beabsichtigt. Dass dies angesichts der Größe seiner Wohnung oder sonstiger Umstände nicht möglich wäre, lässt sich dem vorgelegten Verwaltungsakt nicht entnehmen. Ebenso wenig geht aus dem Verwaltungsakt ein Hinweis hervor, wonach die belangte Behörde die Richtigkeit dieser Angaben bezweifelt hätte. Weshalb aber nun die monatlichen Einkünfte des Bruders der Beschwerdeführerin (selbst unter Berücksichtigung der von der belangten Behörde angeführten monatlichen Aufwendungen), der wohl im Haushalt ihres Bruders auch die dort vorhandenen Mittel des täglichen Bedarfes zur Verfügung gestellt würden, nicht ausgereicht hätten, für die Kosten ihres Aufenthalts für die in Aussicht genommene Aufenthaltsdauer von 60 Tagen sowie für die Kosten der Wiederausreise aufkommen zu können, und inwiefern es zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft kommen könnte, kann der Verwaltungsgerichtshof anhand der hervorgekommenen Umstände nicht nachvollziehen (vgl. zu einem monatlichen Nettoeinkommen von EUR 1.078,25 des Einladers hinsichtlich drei eingeladener Personen das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 2007/21/0012 bis 0014). Insoweit leidet der bekämpfte Bescheid an inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
Darüber hinaus ging die belangte Behörde aber auch davon aus, die Wiederausreise der Beschwerdeführerin erweise sich als nicht gesichert. Die belangte Behörde führte in ihrer Gegenschrift in diesem Zusammenhang aus, die Beschwerdeführerin habe im Antrag zu ihren beruflichen und wirtschaftlichen Verhältnissen im Heimatstaat angegeben, "Hausfrau und verheiratet zu sein". Angaben zu etwaigen Kindern seien nicht gemacht worden. Ein Nachweis für ein geregeltes Einkommen des Ehemannes, der als Bauer tätig sei, sei nicht erbracht worden. Weiters sei in der vom Bruder unterfertigten Verpflichtungserklärung als "Besuchszweck 'Familienzusammenführung'" angegeben worden. Da für die nachträglich im Verfahren behauptete Existenz eines Kindes keine Nachweise vorlägen und als Aufenthaltszweck "Familienzusammenführung" mit dem Bruder angegeben worden sei, sei die Wiederausreise als nicht gesichert anzusehen gewesen.
Dazu ist auszuführen, dass die belangte Behörde der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom hinsichtlich der Annahme des Fehlens der hier in Rede stehenden Erteilungsvoraussetzung lediglich vorhielt, nicht überzeugend nachweisen zu können, dass sie feste familiäre, soziale oder wirtschaftliche Bindungen an ihrem derzeitigen Wohnsitz habe. Der Verwaltungsgerichtshof judiziert nun in ständiger Rechtsprechung zur Erteilungsvoraussetzung nach § 21 Abs. 1 Z 2 FPG, es dürfe nicht ohne Weiteres ("generell") unterstellt werden, dass Fremde - mag es auch einzelne Gesichtspunkte geben, die auf ein Naheverhältnis zu Österreich oder auf eine bloß "lockere" Verbindung zum Herkunftsland hinweisen - unter Missachtung der fremdenrechtlichen Vorschriften im Anschluss an die Gültigkeitsdauer eines Visums weiterhin in Österreich (unrechtmäßig) aufhältig bleiben werden. Es bedürfte vielmehr konkreter Anhaltspunkte in diese Richtung, andernfalls werde davon auszugehen sein, dass die Wiederausreise des Fremden gesichert erscheine. Liegen entsprechende Anhaltspunkte für den Verdacht eines Verbleibens in Österreich über die Gültigkeitsdauer des Visums hinaus vor, hat die Behörde diese im Rahmen ihrer aus § 11 Abs. 1 letzter Halbsatz FPG resultierenden Verpflichtung zur Wahrung des Parteiengehörs gegenüber dem Fremden konkret darzulegen, wonach es dessen Sache ist, die sich daraus ergebenden Bedenken durch unter Beweis zu stellendes geeignetes Vorbringen zu zerstreuen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0629, mwN).
Entgegen der in der Gegenschrift von der belangten Behörde vertretenen Auffassung beruht ihre Annahme, die Wiederausreise der Beschwerdeführerin erscheine als nicht gesichert, nicht auf einem mängelfreien Verfahren und stellt sich anhand des Akteninhalts auch nicht als nachvollziehbar dar.
Die Beschwerdeführerin legte Bestätigungen ihrer Heimatgemeinde vor, wonach ihr Ehemann im Bereich der Landwirtschaft tätig sei, über eine Obstbaumplantage auf einem Landgut mit einer Gesamtfläche von etwa 12.000 m2 verfüge und sich auf diesem Grundstück auch das Wohnhaus der Familie befinde. Darüber hinaus wurde von derselben Behörde bestätigt, dass ihr Ehemann für den Unterhalt der Beschwerdeführerin aufkomme. Schon aus diesem Grund (die Richtigkeit dieser Bestätigungen wurde von der belangten Behörde nicht in Zweifel gezogen) können der Beschwerdeführerin Bindungen in ihrem Heimatland - ungeachtet dessen, dass kein Einkommensnachweis des Ehemannes beigebracht wurde, wobei der Beschwerdeführerin die Vorlage eines solchen von der belangten Behörde aber auch nie aufgetragen wurde und sie ihr auch nie bekannt geben hat, sie bezweifle das Bestehen eines Einkommens - nicht abgesprochen werden.
Soweit die belangte Behörde davon ausging, die Beschwerdeführerin verfolge hinsichtlich ihres Aufenthalts in Österreich möglicherweise einen anderen Zweck als den von ihr angegebenen, nämlich nicht bloß den Besuch ihres Bruders, sondern den Verbleib in Österreich zwecks Familienzusammenführung mit ihrem Bruder, ist der belangten Behörde zum Vorwurf zu machen, dass sie dies der Beschwerdeführerin nie vorhielt und dementsprechend auch nie Gelegenheit gab, diesen Vorwurf zu entkräften (vgl. zur Verpflichtung zu fallbezogen konkreten Vorhalten auch die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2008/22/0626, und , Zl. 2008/21/0629). Insbesondere hätte die belangte Behörde die Beschwerdeführerin im Rahmen eines entsprechenden Vorhaltes auch zur Stellungnahme auffordern können, weshalb in der vom Bruder abgegebenen Verpflichtungserklärung in der für die Dauer des Aufenthalts vorgesehenen Rubrik das Schlagwort "Familienzusammenführung" angeführt wurde (vgl. zu einem ähnlich gelagerten Fall, in dem als Reisezweck "re-union family" angegeben wurde, das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0626).
Gegen die Ansicht der belangten Behörde spricht die Erklärung ihres Bruders, dass die Beschwerdeführerin noch vor Ablauf des Visums Österreich wieder verlassen werde, woraus erschlossen werden kann, dass - der Erklärung des Bruders zufolge - eine Familienzusammenführung gerade nicht ins Auge gefasst ist. Der belangten Behörde ist zwar zuzugestehen, dass die Verwendung des Wortes "Familienzusammenführung" in der Verpflichtungserklärung durchaus einen Hinweis auf eine derartige Absicht geben könnte, jedoch geht es zu ihren Lasten, dass sie - wie bereits oben ausgeführt - der Beschwerdeführerin keine Gelegenheit gab, diesen Verdacht nach konkretem Vorhalt zu entkräften. Dies gilt sinngemäß auch für die von der belangten Behörde gehegten Zweifel, ob die Beschwerdeführerin in ihrem Heimatland tatsächlich ein Kind habe, zumal der Verwaltungsgerichtshof nicht erkennen kann, weshalb für die Beschwerdeführerin auf Grund des von der belangten Behörde getätigten Vorhaltes Anlass bestanden hätte, die Existenz ihres Kind mittels Urkunden nachzuweisen.
Mit der von ihr gewählten Vorgangsweise hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid somit hinsichtlich ihrer Annahme des Fehlens der Erteilungsvoraussetzung, wonach die Wiederausreise gesichert erscheinen müsse, mit einem relevanten Verfahrensmangel belastet.
Da sohin insgesamt der angefochtene Bescheid keinen Bestand haben konnte, war dieser wegen - vorrangig wahrzunehmender - Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil im in der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008 festgelegten Pauschalsatz Umsatzsteuer bereits enthalten ist.
Wien, am
Fundstelle(n):
MAAAE-72153