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VwGH vom 06.09.2012, 2012/09/0083

VwGH vom 06.09.2012, 2012/09/0083

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler, Dr. Strohmayer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des Disziplinaranwaltes bei der Disziplinaroberkommission Dr. A K, Bundesministerium für Inneres in 1014 Wien, gegen den Bescheid der Disziplinaroberkommission beim Bundeskanzleramt vom , Zl. 100/9-DOK/11, betreffend ersatzlose Behebung und Zurückverweisung einer Disziplinarsache nach dem BDG 1979 (weitere Parteien: Bundesministerin für Inneres, Bundeskanzler; mitbeteiligte Partei: RevInsp C M, vertreten durch Mag. Werner Tomanek, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Neutorgasse 13/4), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit Bescheid der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres (in der Folge: DK beim BMI) vom wurde über RevI M die Disziplinarstrafe der Entlassung verhängt. Mit Bescheid vom behob die Disziplinaroberkommission beim Bundeskanzleramt (in der Folge: DOK) diesen Bescheid in den hier interessierenden Teilen gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 105 BDG 1979 ersatzlos und verwies die Disziplinarsache zur neuerlichen Verhandlung und Bescheiderlassung an die DK beim BMI zurück.

Die wesentliche Begründung lautete:

"Zu den weiteren gegen den Beschuldigten erhobenen Tatvorwürfen zu den Spruchpunkten 4. bis 9. sowie 11. des erstinstanzlichen Disziplinarerkenntnisses ist davon auszugehen, dass die Kundmachung der Geschäftseinteilung der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres für das Kalenderjahr 2010 gesetzwidrig (weil lediglich im Intranet erfolgt) war und eine ordnungsgemäße Kundmachung frühestens erst mit (laut Schreibweise des BMI vom , GZ BMI-PA1700/0007-I/2/2010, als Reaktion auf ein diesbezügliches Schreiben des Vorsitzenden der DOK vom ) erfolgt ist. Die genannte Geschäftseinteilung war auch deshalb mit einem Kundmachungsmangel behaftet gewesen, weil ihre Übermittlung an ausgewählte Empfänger nicht geeignet gewesen ist, alle Normadressaten (etwa suspendierte Beamte wie den Beschuldigten, Beamte des Ruhestandes, Sachverständige, Parteienvertreter) von ihrem Inhalt in Kenntnis zu setzen.

Zum Zeitpunkt der Erlassung (Verkündung) der Entscheidung erster Instanz am sowie zum Zeitpunkt von deren Zustellung an den Verteidiger des Beschuldigten am wies die Geschäftseinteilung der in Rede stehenden Disziplinarkommission für das Kalenderjahr 2010 den oa. Kundmachungsmangel (keine ortsübliche Kundmachung, etwa durch Anschlag an der Amtstafel) auf. Wie sich Verwaltungsbehörde gegenüber 'nicht gehörig' kundgemachten Verordnungen zu verhalten haben, ist in der Lehre umstritten; zum Teil wird angenommen, dass solche Akte - sofern sie wenigstens behördenintern kundgemacht werden - als Verwaltungsverordnungen gelten. Die Auffassung, dass eine nicht gehörig kundgemachte Rechtsverordnung als Verwaltungsverordnung gelte, wird als 'Gehorsamsthese' bezeichnet (vgl. WALTER-MAYER, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts, 7. Aufl., S. 223, Rz 603, Punkt 4, m.w.N.).

Die Disziplinaroberkommission als vom konkreten Ressort, dem der jeweilige Beschuldigte angehört, unabhängige Verwaltungsbehörde vertritt die Rechtsauffassung, dass eine Anwendung der genannten 'Gehorsamsthese' auf ihre Tätigkeit und somit eine Bindung ihrerseits ohne jeden Zweifel gesetzwidrige Rechtsverordnungen einer anderen Verwaltungsbehörde nicht in Betracht kommt.

An die zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Disziplinarerkenntnisses erster Instanz offenkundig mit Kundmachungsmängeln behaftete und daher eindeutig gesetzwidrig gewesene Geschäftseinteilung der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres für das Kalenderjahr 2010 war der erkennende Senat der Disziplinaroberkommission daher nicht gebunden und er hatte diese im vorliegenden Fall demnach nicht anzuwenden. Da der in erster Instanz zuständige Disziplinarsenat somit auf der Grundlage einer gesetzwidrigen Geschäftseinteilung (Rechtsverordnung) eingerichtet war, war das angefochtenen Disziplinarerkenntnis ersatzlos aufzuheben und die Angelegenheit an den - auf der Grundlage einer in jeder Hinsicht gesetzeskonform kundgemachten Geschäftseinteilung der Disziplinarkommission (nunmehr für das Kalenderjahr 2010) zustande gekommenen - Disziplinarsenat erster Instanz zurückzuverweisen."

Mit (Ersatz )Bescheid der DK beim BMI vom wurde über RevI M neuerlich die Disziplinarstrafe der Entlassung verhängt. Zur Zusammensetzung des entscheidenden Senates der DK beim BMI stützte sich die Behörde erster Instanz auf die Geschäftsverteilung für das Jahr 2011.

Mit Bescheid vom behob die DOK diesen Bescheid neuerlich gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 105 BDG 1979 ersatzlos und verwies die Disziplinarsache zur neuerlichen Verhandlung und Bescheiderlassung an die DK beim BMI zurück.

Die wesentliche Begründung lautete:

"Als Folge der Auslegung des Verfassungsgerichtshofes zum Erkenntnis vom , B 378/11-7, ist jedenfalls davon auszugehen, dass die Disziplinarbehörden die als gesetzwidrig erkannte Verordnung 'Zusammensetzung der Senate und Geschäftsverteilung, gültig für das Jahr 2008 ab ' anzuwenden hatten, da im gegenständlichen Fall das gegen den Beschuldigten durchgeführte Verfahren mit bei der erstinstanzlichen Disziplinarkommission anhängig wurde. Auch aus diesem Grund war das erstinstanzliche Disziplinarerkenntnis zu beheben, da der Verfassungsgerichtshof zu Recht erkannt hat, dass die Verordnung über die Zusammensetzung der Senate und der Geschäftsverteilung, gültig für das Jahr 2008 ab dem , gesetzwidrig war (-6). Da der erstinstanzliche Disziplinarsenat zum Entscheidungszeitpunkt des angefochtenen Disziplinarerkenntnisses auf der Grundlage einer gesetzwidrigen Geschäftseinteilung (Rechtsverordnung) eingerichtet war, war die im Umfang des oa. Schuldspruches bekämpfe, verfahrensgegenständliche Entscheidung gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 105 BDG wegen Unzuständigkeit des erstinstanzlichen Senates zu beheben."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Allgemeinen Regelungen der "Zusammensetzung der Senate und Geschäftsverteilung, gültig für das Jahr 2011 ab " der DK beim BMI, über deren Bescheid vom die DOK mit dem hier angefochtenen Bescheid entschieden hat, lauten auszugsweise folgendermaßen:

"Allgemeine Regelungen

Hinsichtlich der Zuständigkeit gilt Nachstehendes in der

angeführten Reihenfolge:

1. Für die Zuständigkeit der Senate ist der Zeitpunkt des Anfalles der Rechtssache (Datum des Einlangens bei der Disziplinarkommission) maßgebend.

2. Der dadurch bestimmte Senat bleibt bis zur rechtskräftigen Erledigung der Rechtssache zuständig, selbst wenn inzwischen Veränderungen in der Geschäftsverteilung oder in der Zuweisung der Mitglieder oder Ersatzmitglieder zu den einzelnen Senaten eingetreten sein sollte(n).

4. Erweist sich die Anwendung von Ziffer 2. tatsächlich unmöglich oder kann bei Anwendung von Ziffer 3. ein ordnungsgemäßer Senat nicht gebildet werden, so ist jener Senat heranzuziehen, der in Ansehung der dienstrechtlichen Stellung und des Namens der/s Beamtin/Beamten nach der Geschäftsverteilung des aktuellen Jahres zuständig ist."

Das gegenständliche Disziplinarverfahren gegen RevI M wurde mit bei der DK beim BMI anhängig.

Mit Erkenntnis vom , V 1/11-6, hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass die Verordnung "Zusammensetzung der Senate und Geschäftsverteilung, gültig für das Jahr 2008" der DK beim BMI (wegen eines Kundmachungsmangels) gesetzwidrig war. Dieser Ausspruch wurde am im BGBl. II Nr. 277/2011 kundgemacht. Die belangte Behörde meint, die DK hätte diese Geschäftsverteilung ungeachtet dieses Ausspruches angesichts des Anfalls der Disziplinarrechtssache bei der DK am anwenden müssen. Damit verkennt die belangte Behörde jedoch die Vorschrift des Art. 139 Abs. 6 erster Satz B-VG, wonach alle Gerichte und Verwaltungsbehörden an den Spruch des Verfassungsgerichtshofes betreffend die Erklärung einer Verordnung als gesetzwidrig gebunden sind. Eine gegenteilige Auffassung kann auch den Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes zur Präjudizialität in dem von der belangten Behörde angeführten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B 378/11, nicht entnommen werden. Eine Bindung durch den Bescheid der DOK vom ist ebenfalls zu verneinen (vgl. Hengstschläger/Leeb, Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, 2007, Rz 28 zu § 66).

Mangels Bestehens einer Geschäftsverteilung für das Jahr 2008 kam daher die Anwendung der Z. 1 der oben wiedergegebenen allgemeinen Regelungen der "Zusammensetzung der Senate und Geschäftsverteilung, gültig für das Jahr 2011 ab " der DK beim BMI nicht in Betracht. Vielmehr kommt im vorliegenden Fall Z. 4 der allgemeinen Regeln dieser Geschäftsverteilung zur Anwendung, wonach dann, wenn sich die Anwendung der Z. 2 der allgemeinen Regelungen tatsächlich unmöglich erweist oder bei Anwendung von Z. 3 leg. cit. ein ordnungsgemäßer Senat nicht gebildet werden kann, jener Senat heranzuziehen ist, der "nach der Geschäftsverteilung des aktuellen Jahres zuständig ist". Zwar ist der in der vorliegenden Rechtssache gegebene Fall, dass die Zusammensetzung der DK nach der zum Zeitpunkt des Anfalles der Rechtssache wirksamen Geschäftsverteilung wegen deren Erklärung als gesetzwidrig durch den Verfassungsgerichtshof nicht bestimmt werden kann, in Z. 4 der allgemeinen Regelungen nicht ausdrücklich geregelt. Weil aber weder dem BDG 1979 noch der auf dessen Basis erlassenen Geschäftsverteilung unterstellt werden kann, dass eine rechtmäßige Entscheidung der DK mangels Bestehens einer Geschäftsverteilung für den Zeitpunkt des Anfalls der Disziplinarrechtssache im Jahr 2007 überhaupt unmöglich wäre, war für die Feststellung der im vorliegenden Fall vorgesehenen Zusammensetzung des erstinstanzlichen Disziplinarsenates gemäß Z. 4 der Geschäftsverteilung "Zusammensetzung der Senate und Geschäftsverteilung, gültig für das Jahr 2011 ab " der DK beim BMI "jener Senat heranzuziehen, der … nach der Geschäftsverteilung des aktuellen Jahres zuständig ist" (vgl. zur Auslegung im Fall einer "technischen Lücke" Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Auflage 1960, 254 f). Dem entspricht auch die personelle Zusammensetzung der DK bei Beschlussfassung des Disziplinarerkenntnisses erster Instanz.

Der angefochtene Bescheid erweist sich daher mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am