VwGH vom 14.04.2011, 2007/21/0322

VwGH vom 14.04.2011, 2007/21/0322

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des George E, vertreten durch Mag. Gudrun Pixner, Rechtsanwältin in 4801 Traunkirchen, Mitterndorf 3, gegen den Bescheid des Unabhängiger Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom , Zl. VwSen-420497/7/Ste/FJ, betreffend Zurückweisung einer Maßnahmenbeschwerde (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste am nach Österreich ein und beantragte am selben Tag die Gewährung von Asyl. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom rechtskräftig abgewiesen, gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 8 Asylgesetz 1997 ausgewiesen. Ein (weiterer) Antrag auf internationalen Schutz vom wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Der dagegen erhobenen Berufung gab der unabhängige Bundesasylsenat mit Bescheid vom statt.

Mit - am selben Tag in Vollzug gesetztem - Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 und 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung und zur Sicherung der Abschiebung angeordnet.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die vom Beschwerdeführer gemäß Art. 129a Abs. 1 Z 2 B-VG und § 67a Z 2 AVG erhobene Beschwerde, soweit sie sich gegen eine am aus der Schubhaft erfolgte Vorführung vor die nigerianische Botschaft richtete, als unzulässig zurück.

Begründend führte sie im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer, der sich im Polizeianhaltezentrum Wels in Schubhaft befunden hatte, im Auftrag des Bezirkshauptmanns des Bezirks Vöcklabruck der nigerianischen Botschaft mit Sitz in Wien vorgeführt worden sei. Dabei sei dem Beschwerdeführer gegenüber kein Zwang ausgeübt worden; er habe sich gegen die Durchführung dieser Maßnahme in keiner Weise geäußert, sie habe daher "dem Grunde nach freiwillig" stattgefunden. Der Beschwerdeführer habe in seiner Beschwerde zwar vorgebracht, die Vorführung sei gegen seinen Willen erfolgt. Er habe aber weder in der Beschwerde noch in der aufgetragenen Verbesserung dargelegt, welche Handlungen er gesetzt haben oder zumindest welche Äußerungen er getroffen haben soll, in denen sich manifestiert hätte, dass die Amtshandlung gegen seinen Willen durchgeführt worden wäre. Die belangte Behörde verkenne dabei nicht, dass sich der Beschwerdeführer durch die Anhaltung in Schubhaft "in einem besonderen Verhältnis" befunden habe. Eine in diesem Zusammenhang stattfindende weitere Maßnahme wie etwa im vorliegenden Fall könne jedoch nicht selbständig angefochten werden, es sei denn, es käme zu einem Exzess mit besonderer Gewaltanwendung (etwa einer Verletzung des Art. 3 EMRK). Dies sei aber im vorliegenden Fall weder ersichtlich, noch sei solches behauptet worden. Die Beschwerde sei daher als unzulässig zurückzuweisen gewesen.

Selbst wenn man von einer "besonderen Maßnahme" ausgehen würde, so die belangte Behörde weiter, wäre die Beschwerde dagegen im vorliegenden Fall unbegründet. Es wäre nämlich zu beurteilen, ob für die Maßnahme eine Rechtsgrundlage vorhanden wäre. Eine Anordnung der Schubhaft sei gemäß § 76 Abs. 2 Z 3 FPG auch dann möglich, wenn gegen den Fremden vor der Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Ausweisung vorgelegen sei. Diese Voraussetzung sei im Fall des Beschwerdeführers erfüllt gewesen. Aus § 46 Abs. 1 FPG sei ersichtlich, dass Fremde auch gegen ihren Willen zur Ausreise verhalten werden können (Abschiebung); zur Sicherung der Abschiebung (aber auch des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung) könne auch die Schubhaft verhängt werden (§ 76 Abs. 2 FPG). Um aber die Abschiebung zu ermöglichen, werde es allenfalls erforderlich sein, vom Heimatstaat ein Heimreisezertifikat zu erlangen, was die Feststellung der Identität und der Staatsangehörigkeit eines Fremden voraussetze. Dementsprechend habe auch der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung zum Fremdengesetz 1993 eine Mitwirkungspflicht des Fremden zur Erlangung des erforderlichen Heimreisezertifikates oder eines nationalen Reisepasses bejaht. Die geltende Rechtslage sei in den demnach maßgeblichen Punkten mit der damaligen Rechtslage vergleichbar. Die Höchstdauer der Schubhaft könne gemäß § 80 Abs. 4 Z 1 FPG unter anderem dann überschritten werden, wenn die Abschiebung eines Fremden deswegen nicht stattfinden könne, weil die Feststellung seiner Identität und Staatsangehörigkeit nicht möglich sei. Eine Anordnung der Schubhaft sei "dabei" gemäß § 76 Abs. 2 Z 3 FPG auch dann möglich, wenn gegen den Fremden vor der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Ausweisung vorgelegen sei. Es bestehe daher auch nach dem FPG eine Mitwirkungspflicht des Fremden an der Erlangung eines Heimreisezertifikats oder Reisepasses; das Begehren der Vertretung des Heimatstaates, vor Ausstellung eines Heimreisezertifikates die Identität und Staatsangehörigkeit des Fremden durch persönliche Kontaktaufnahme zu prüfen, könne daher auch im Wege einer faktischen Amtshandlung durchgesetzt werden.

Soweit sich die Beschwerde gegen die Übermittlung von Daten an die nigerianische Botschaft im Rahmen der Vorführung wende, sei gemäß § 90 Sicherheitspolizeigesetz - SPG eine Zuständigkeit der Datenschutzkommission gegeben, weil keine Erhebung von Daten "in Zusammenhang mit einem Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt" stattgefunden habe. Das Anbringen des Beschwerdeführers sei daher zur Beurteilung der datenschutzrechtlichen Frage an die Datenschutzkommission weitergeleitet worden.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Die Beschwerde wendet sich in erster Linie gegen die Ansicht der belangten Behörde, die Vorführung sei freiwillig erfolgt. Der Beschwerdeführer habe sich zum Zeitpunkt der Vorführung in Schubhaft befunden und gar keine andere Möglichkeit gehabt, als sich der Vorführung zu fügen; andernfalls hätte er mit Zwangsmaßnahmen durch die die Vorführung durchführenden Beamten und in weiterer Folge in der Schubhaft zu rechnen gehabt. Außerdem sei die Schubhaft zum Zeitpunkt der Vorführung bereits unrechtmäßig gewesen. Mit Bescheid vom habe der unabhängige Bundesasylsenat festgestellt, dass der Asylantrag des Beschwerdeführers vom zu Unrecht zurückgewiesen worden sei, sodass ihm ab dem der Status eines Asylwerbers zukam. Die Unrechtmäßigkeit der Schubhaft ab diesem Zeitpunkt sei vom Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich mit Erkenntnis vom festgestellt worden.

Dieses Vorbringen verhilft der Beschwerde zum Erfolg:

Gemäß Art. 129a Abs. 1 Z 2 B-VG in Verbindung mit § 67a Z 2 AVG erkennen die unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden von Personen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein, ausgenommen in Finanzstrafsachen des Bundes. Das gilt gemäß dem - insofern nur klarstellenden (vgl. Eisenberger/Ennöckl/Helm , Die Maßnahmenbeschwerde (2006) 97) - § 88 Abs. 1 SPG auch für Fälle der Ausübung unmittelbarer sicherheitsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt.

Eine Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt liegt dann vor, wenn ohne Durchführung eines Verfahrens einseitig in subjektive Rechte des Betroffenen eingegriffen wird. Ein derartiger Eingriff ist im Allgemeinen dann zu bejahen, wenn physischer Zwang ausgeübt wird oder die unmittelbare Ausübung physischen Zwangs bei Nichtbefolgung eines Befehls droht. Die Ausübung unmittelbarer Zwangsgewalt setzt begriffsnotwendig ein positives Tun der die Zwangsgewalt gebrauchenden Behörde einer bestimmten Person gegenüber voraus und liegt nur vor, wenn es keines dazwischengeschalteten weiteren Handelns mehr bedarf, um den behördlich gewollten Zustand herzustellen. Rechtswidrig sind solche Akte, wenn sie entweder ohne gesetzliche Ermächtigung gesetzt werden oder wenn die gesetzliche Ermächtigung überschritten (missbraucht) wird (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/05/0231, mit weiteren Nachweisen).

Die Auffassung der belangten Behörde, die Vorführung des Beschwerdeführers sei freiwillig erfolgt, ist nicht nachvollziehbar. Der Beschwerdeführer wurde in Begleitung von zwei Exekutivbeamten vom Polizeianhaltezentrum Wels zur nigerianischen Botschaft nach Wien gebracht. Die belangte Behörde hat nicht festgestellt, dass es ihm freigestanden wäre, die Vorführung abzulehnen. Allein der Umstand, dass er sich weder verbal noch physisch zur Wehr gesetzt hat und es folglich zu keiner unmittelbaren Gewaltanwendung durch die Beamten gekommen ist, schließt aber die Qualifikation der Maßnahme als Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt nicht aus und lässt auch nicht den Schluss zu, der Beschwerdeführer habe ihr zugestimmt. Die belangte Behörde ist auch nicht im Recht, wenn sie meint, die Vorführung sei - selbst wenn sie nicht freiwillig erfolgt wäre - als Teil der Schubhaft nicht selbständig bekämpfbar. Sowohl Umstände des Schubhaftvollzugs als auch Vorkommnisse während des Schubhaftvollzugs können nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes mit einer Maßnahmenbeschwerde im Sinn des § 67a Z 2 AVG angefochten werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0545; zur Vorführung vor Botschaftsangehörige während der Schubhaft vgl. auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/02/0572, und den hg. Beschluss vom , Zl. 96/02/0318).

Die belangte Behörde hätte daher im vorliegenden Fall die Maßnahmenbeschwerde meritorisch behandeln und überprüfen müssen, ob der bekämpfte Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt rechtmäßig gesetzt wurde bzw. ob der Beschwerdeführer dadurch in seinen subjektiven Rechten verletzt wurde. Wenn die belangte Behörde - in der oben wiedergegebenen Eventualbegründung - für die Rechtmäßigkeit der Maßnahme § 76 Abs. 2 Z 3 FPG ins Treffen führt, lässt sie außer Acht, dass die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft ab dem - und somit auch zum Zeitpunkt der bekämpften Vorführung - im Grunde des § 41 Abs. 3 zweiter Satz Asylgesetz 2005 rechtswidrig war, was von der belangten Behörde mit Bescheid vom festgestellt wurde.

Soweit sich die Beschwerde dagegen wendet, dass die belangte Behörde ihre Zuständigkeit für die Überprüfung der als Teil der Maßnahme bekämpften Übermittlung von Daten an die nigerianische Botschaft verneint hat, geht sie allerdings ins Leere, weil die Behörde darüber mit dem angefochtenen Bescheid nicht abgesprochen, sondern die Beschwerde insoweit (nur) gemäß § 6 AVG an die Datenschutzkommission weitergeleitet hat.

Dadurch, dass die belangte Behörde nach dem oben Gesagten die Rechtslage verkannte, hat sie ihre Entscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am