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VwGH vom 11.05.2018, Ra 2017/02/0169

VwGH vom 11.05.2018, Ra 2017/02/0169

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie den Hofrat Mag. Dr. Köller und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Harrer, über die Revision des S in L, vertreten durch Mag. Wolfgang Steiner und Mag. Anton Hofstetter, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Börsegasse 9/7, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom , Zl. LVwG-S-323/001-2017, betreffend Übertretungen des TSchG (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Bezirkshauptmannschaft Tulln), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis vom der Bezirkshauptmannschaft Tulln wurde der Revisionswerber mehrerer Übertretungen des Tierschutzgesetzes schuldig erkannt. Über ihn wurde eine Geldstrafe von insgesamt EUR 1.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 360 Stunden) verhängt. Weiters wurde ihm der Ersatz der Unterbringungs- und Versorgungskosten der Tiere sowie der Tiertransportkosten vorgeschrieben.

2 Der dagegen erhobenen Beschwerde wurde im Umfang einer hier nicht gegenständlichen Spruchkorrektur Folge gegeben und die verhängte Geld- sowie die Ersatzfreiheitsstrafe entsprechend herabgesetzt. Hinsichtlich der Barauslagen wurde der Beschwerde keine Folge gegeben. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für unzulässig erklärt. Zum Verfahrensgang führte das Verwaltungsgericht aus, das Verwaltungsgericht habe eine mündliche Verhandlung anberaumt, die zweimal habe vertagt werden müssen und die sodann für den anberaumt worden sei. Nach Übermittlung sowohl der Abberaumung hinsichtlich des ursprünglich vorgesehenen Termins als auch der Anberaumung für diesen Tag habe der Revisionswerber mit E-Mail vom mitgeteilt, er habe die Beilage nicht öffnen können. Er ersuche daher um "Wiederholung der Sendung in einfacher, üblicher Art". Mit E-Mail vom selben Tag seien dem Revisionswerber die Abberaumung sowie die Ladung neuerlich übermittelt worden. Er sei mit dem Verwaltungsgericht nicht mehr in Kontakt getreten. Zur mündlichen Verhandlung sei der Revisionswerber nicht erschienen.

An anderer Stelle verwies das Verwaltungsgericht sodann darauf, dass das Verwaltungsgericht eine weitere mündliche Verhandlung (für den , Anm.) anberaumt habe, um dem Revisionswerber noch eine Möglichkeit zu geben, seine Sicht der Dinge vor Gericht dazulegen. Mit E-Mail vom habe der Revisionswerber die Vertagung der Verhandlung beantragt. Das Verwaltungsgericht gab dazu unter anderem das Vorbringen des Revisionswerbers wieder, wonach dieser von der Verhandlung am keine Kenntnis gehabt habe und an dieser auch nicht habe teilnehmen können und es ihm auch an der erforderlichen Vorbereitungszeit gefehlt habe, weil er die Ladung zur Verhandlung am erst am erhalten habe. Zur neuerlichen Verhandlung sei der Revisionswerber nicht erschienen. Zur Frage der ausreichenden Vorbereitungsfrist führte das Verwaltungsgericht aus, dass der Revisionswerber vorgebracht habe, er habe von der am durchgeführten Verhandlung keine Kenntnis gehabt. Dem sei entgegenzuhalten, dass dem Revisionswerber die diesbezügliche Ladung (gleichzeitig mit der Abberaumung des vorher festgesetzten Termins) insgesamt zweimal (per E-Mail) zugestellt worden sei. Unstrittig stehe auch fest, dass er die gleichzeitig zugestellte Abberaumung der ursprünglich für angesetzten Verhandlung offenkundig zur Kenntnis genommen habe, zumal er an diesem Tag (zum ursprünglich festgesetzten Termin) unstrittig nicht bei Gericht erschienen sei. Dass er im Übrigen zwar zunächst technische Probleme beim Öffnen der Anlage moniert habe, nach nochmaliger Zustellung aber mit dem Gericht nicht mehr in Kontakt getreten sei, unterstreiche, dass der Revisionswerber die Ladung für zur Kennntnis habe nehmen können und zur Kenntnis genommen habe. Angesichts dessen und der (gesetzlich nicht gebotenen) nochmaligen Einräumung einer Möglichkeit, sich am persönlich vor Gericht zu verantworten, seien die Verteidigungsrechte des Revisionswerbers hinreichend gewahrt worden.

3 Dagegen erhob der Revisionswerber außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof, in der er neben der Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses sowie die Entscheidung in der Sache selbst, in eventu die Aufhebung und Zurückverweisung beantragt und Kostenzuspruch begehrt. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

4 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

5 Der Revisionswerber bringt in der Zulässigkeitsbegründung vor, das Verwaltungsgericht habe ihm nicht die gesetzlich vorgesehene Vorbereitungszeit gewährt und dadurch sein Recht auf rechtliches Gehör und auf ein faires Verfahren verletzt. Der Revisionswerber sei zwar zu der für den anberaumten Verhandlung geladen worden, ihm sei aber nicht die gesetzlich vorgeschriebene Vorbereitungszeit von mindestens 14 Tagen zur Verfügung gestanden. Der Revisionswerber verweist weiters darauf, dass er bereits im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht ausdrücklich darauf hingewiesen habe, keine Ladung zur (ersten) Verhandlung am erhalten zu haben.

6 Die Revision ist zulässig und auch begründet. 7 Gemäß § 44 Abs. 6 VwGVG sind die Parteien so rechtzeitig

zur Verhandlung zu laden, dass ihnen von der Zustellung der Ladung an mindestens zwei Wochen zur Vorbereitung zur Verfügung stehen.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat zu § 51e Abs. 6 VStG, der Vorgängerbestimmung des § 44 Abs. 6 VwGVG, bereits ausgesprochen, dass dann, wenn die vorgesehene Mindestfrist von zwei Wochen zwischen Zustellung der Ladung und der Verhandlung nicht gewahrt wurde, die Behörde den bekämpften Bescheid mit Rechtswidrigkeit belastet, weil nicht gesagt werden kann, dass die Behörde bei Wahrung dieser Mindestfrist nicht zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigen Ergebnis gelangt wäre, weshalb sich dieser Verfahrensmangel als wesentlich erweist (vgl hierzu mwH; , 2005/17/0004). Die zweiwöchige Vorbereitungszeit gilt jedenfalls für die erste Verhandlung (vgl. ).

9 Da § 51e Abs. 6 VStG nach der Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit als § 44 Abs. 6 VwGVG übernommen wurde, ist die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs weiterhin anwendbar (vgl. erneut ).

10 Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht insgesamt zwei Verhandlungen (am sowie am ) durchgeführt, zu denen der Revisionswerber nicht erschienen ist. Strittig ist, ob der Revisionswerber zur ersten Verhandlung am ordnungsgemäß geladen wurde und die vorgeschriebene Frist von zwei Wochen für die erste Ladung der Verhandlung eingehalten wurde. Nur in einem solchen Fall durfte das Verwaltungsgericht davon ausgehen, dass für die fortgesetzte Verhandlung am eine kürzere Vorbereitungszeit zulässig war.

11 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, muss die Behörde bei Zustellung ohne Zustellnachweis die Folgen dafür auf sich nehmen, dass der Behauptung der Partei, sie habe ein Schriftstück nicht empfangen, nicht wirksam entgegengetreten werden kann. Bei bestrittenen Zustellungen ohne Zustellnachweis hat die Behörde die Tatsache der Zustellung nachzuweisen. In diesem Fall muss - mangels Zustellnachweises - der Beweis der erfolgten Zustellung auf andere Weise von der Behörde erbracht werden. Gelingt dies nicht, muss die Behauptung der Partei über die nicht erfolgte Zustellung als richtig angenommen werden (vgl. ). Gemäß § 37 Abs. 1 Zustellgesetz können Zustellungen ohne Zustellnachweis u. a. auch an einer elektronischen Zustelladresse erfolgen. Das Dokument gilt mit dem Zeitpunkt des Einlangens beim Empfänger als zugestellt. Bestehen Zweifel darüber, ob bzw. wann das Dokument beim Empfänger eingelangt ist, hat die Behörde Tatsache und Zeitpunkt des Einlangens von Amts wegen festzustellen.

12 Der Revisionswerber bestreitet, die Ladung für die Verhandlung am erhalten zu haben. Das Verwaltungsgericht hält dazu im angefochtenen Erkenntnis fest, dem Revisionswerber sei die Ladung für die Verhandlung am insgesamt zweimal zugestellt worden. Wie dem Akt zu entnehmen ist, hat das Verwaltungsgericht dem Revisionswerber die Ladung zur Verhandlung am per E-Mail zukommen lassen, wobei im Akt lediglich ein Ausdruck der versendeten E-Mail beiliegt. Weiters findet sich im Akt - offenbar als Antwort auf diese an ihn verschickte Ladung - eine E-Mail des Revisionswerbers, wonach er "den Text nicht öffnen" könne und "nicht beurteilen könne, woran das liege". Dass die Abberaumung der Verhandlung für den gleichzeitig mit der Ladung für die Verhandlung am zugestellt wurde und der Revisionswerber zum ursprünglich festgesetzten Termin am nicht bei Gericht erschien, ist kein ausreichender Nachweis dafür, dass der Revisionswerber die Ladung für den tatsächlich erhalten hat. Auch der Umstand, dass der Revisionswerber Probleme beim Öffnen der Anlage (der Ladung) monierte, nach nochmaliger Zustellung - für die es im Übrigen ebenfalls keinen entsprechenden Zustellnachweis im Akt gibt - nicht mehr mit dem Gericht in Kontakt trat, stellt keinen ausreichenden Nachweis für eine Zustellung dar. Andere Umstände oder Hinweise dafür, dass die Ladung für den dem Revisionswerber tatsächlich zugekommen ist, lassen sich dem Akt nicht entnehmen und werden auch im angefochtenen Erkenntnis nicht ins Treffen geführt. Auch ist weder dem Akt noch dem angefochtenen Erkenntnis zu entnehmen, an welchem Tag der Revisionswerber die Ladungen für die Verhandlungen nachweislich erhalten hat.

13 Da im vorliegenden Fall keine ausreichenden Nachweise dafür vorgelegen haben, dass dem Revisionswerber die Ladung zur Verhandlung am zugekommen ist, kann von einer ordnungsgemäßen Ladung zur ersten Verhandlung nicht ausgegangen werden. Die Ladung zur fortgesetzten Verhandlung am hat der Revisionswerber seinen Angaben nach zwar erhalten, jedoch hätte ihm hierfür die gesetzlich vorgeschriebene Vorbereitungszeit von zwei Wochen zur Verfügung stehen müssen. Da die Ladung für die Verhandlung am mit datiert ist und gemäß dem dem Akt beiliegenden Ausdruck erst mit E-Mail vom selbigen Tag an den Revisionswerber versandt wurde, konnte dies offenkundig nicht der Fall gewesen sein.

14 Im gegenständlichen Fall wurde somit im Ergebnis die Vorbereitungsfrist nach § 44 Abs. 6 VwGVG nicht eingehalten, dies ist dem Unterbleiben einer Verhandlung gleichzuhalten. Bei einem rechtswidrigen Unterlassen der nach Art. 6 EMRK oder Art. 47 GRC erforderlichen mündlichen Verhandlung ist keine Relevanzprüfung hinsichtlich des Verfahrensmangels vorzunehmen (vgl. hierzu wiederum mwH).

15 Das angefochtene Erkenntnis war somit wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

16 Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3, 5 und 6 VwGG abgesehen werden.

17 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017020169.L00
Schlagworte:
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5

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