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VwGH vom 07.02.2008, 2007/21/0293

VwGH vom 07.02.2008, 2007/21/0293

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des D, vertreten durch Krause Roloff & Partner, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Steinhauserstraße 14a, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom , Zl. Fr-2364/06, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen serbischen Staatsangehörigen, gemäß § 86 Abs. 1 iVm § 60 Abs. 2 Z 6 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot. Sie führte aus, dass der Beschwerdeführer am illegal eingereist sei und einen Asylantrag gestellt habe. Dieser sei gemäß § 7 AsylG mit einem (negativen) Ausspruch nach § 8 AsylG abgewiesen worden. Die dagegen eingebrachte Berufung habe der Beschwerdeführer zurückgezogen.

Er habe am eine österreichische Staatsangehörige geheiratet; auf Grund dieser Verehelichung sei ihm am eine Erstniederlassungsbewilligung erteilt worden. Am sei ihm eine weitere Niederlassungsbewilligung erteilt worden und er habe am einen Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" eingebracht.

In der Folge zitierte die belangte Behörde die Aussagen des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau; diese habe am ausgesagt, dass sie seit eineinhalb Jahren mit ihrem Ehemann keine Beziehung mehr führte und kein aufrechtes Ehe- und Familienleben bestünde. Die Trennung wäre Ende 2004 erfolgt. Sie wäre mit ihm nur auf seinen Wunsch hin zur Behörde mitgekommen, damit der Beschwerdeführer bei der Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung keine Probleme bekäme. Somit habe - so die belangte Behörde weiter - der Beschwerdeführer bei Einbringung des Antrags auf Erteilung einer weiteren Niederlassungsbewilligung am und bei der weiteren Antragstellung am unrichtige Angaben über seine Person getätigt, indem er sich auf die Führung eines gemeinsamen Familienlebens mit der österreichischen Staatsangehörigen berufen, ein solches aber nicht geführt habe. Dadurch werde der als Orientierungsmaßstab heranzuziehende Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 6 FPG erfüllt und es sei die Annahme gerechtfertigt, dass sein Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre, wodurch die Tatbestandsvoraussetzungen nach § 86 Abs. 1 FPG erfüllt seien.

Mit dem Aufenthaltsverbot sei ein Eingriff in sein Privat- und Familienleben verbunden, weil in Österreich seine Lebensgefährtin, eine serbische Staatsangehörige, und eine gemeinsame Tochter lebten. Weiters gehe er in Österreich einer Beschäftigung nach und verfüge somit über berufliche Bindungen. Die aus der Berufstätigkeit ableitbare Integration sei jedoch geschmälert, weil er nur auf Grund der Fortsetzung der Ehe mit einer Österreicherin zum Schein keine Berechtigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz zur Ausübung einer Beschäftigung benötigt habe. Der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein hoher Stellenwert zu; dieses maßgebliche öffentliche Interesse habe der Beschwerdeführer durch sein Verhalten erheblich beeinträchtigt. Demnach sei das Aufenthaltsverbot dringend geboten und es wögen dessen Auswirkungen auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers nicht schwerer als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes. Es bestünden keine Anhaltspunkte, dass der Beschwerdeführer einen wenn auch eingeschränkten Kontakt mit seiner Familie nicht durch Besuche im Ausland aufrecht erhalten könnte. Die belangte Behörde sehe keinen Grund, die Ermessensbestimmung des "§ 60 Abs. 1" FPG zu Gunsten des Beschwerdeführers anzuwenden.

Der Verfassungsgerichtshof hat die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss vom , B 769/07-9, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten, der über die ergänzte Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die maßgeblichen Bestimmungen des FPG lauten:

"Voraussetzungen für das Aufenthaltsverbot

§ 60. (1) Gegen einen Fremden kann ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt


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1.
die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet oder
2.
anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

(2) Als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder

1. ...

...

6. gegenüber einer österreichischen Behörde oder ihren Organen unrichtige Angaben über seine Person, seine persönlichen Verhältnisse, den Zweck oder die beabsichtigte Dauer seines Aufenthaltes gemacht hat, um sich die Einreise- oder die Aufenthaltsberechtigung zu verschaffen;


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7.
...
8.
...
9.
eine Ehe geschlossen, sich für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung oder eines Befreiungsscheines auf die Ehe berufen, aber mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nie geführt hat;
...
Sonderbestimmungen für den Entzug der Aufenthaltsberechtigung
und für verfahrensfreie Maßnahmen

§ 86. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes ihren Hauptwohnsitz ununterbrochen seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

..."

§ 30 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG lautet:

"Aufenthaltsehe und Aufenthaltsadoption

§ 30. (1) Ehegatten, die ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht führen, dürfen sich für die Erteilung und Beibehaltung von Aufenthaltstiteln nicht auf die Ehe berufen.

(2) An Kindes statt angenommene Fremde dürfen sich bei der Erteilung und Beibehaltung von Aufenthaltstiteln nur dann auf diese Adoption berufen, wenn die Erlangung und Beibehaltung des Aufenthaltstitels nicht der ausschließliche oder vorwiegende Grund für die Annahme an Kindes statt war."

Nach dem unbestrittenen Sachverhalt hat der Beschwerdeführer im Mai 2003 eine österreichische Staatsangehörige geheiratet, das Familienleben wurde Ende des Jahres 2004 aufgehoben und der Beschwerdeführer hat sich bei der Beantragung von weiteren Niederlassungsbewilligungen am und auf diese Ehe berufen. Die Ehe ist (zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt der zweiten Instanz) noch aufrecht.

Für den Beschwerdeführer als Familienangehörigen einer Österreicherin gelten gemäß § 87 FPG die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach den §§ 85 Abs. 2 und 86 FPG.§ 86 Abs. 1 FPG fordert eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

Grundsätzlich ist bei der Beurteilung nach § 86 Abs. 1 FPG auf die Tatbestände des § 60 Abs. 2 FPG als "Orientierungsmaßstab" zurückzugreifen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0352).

Der Gerichtshof hat im Zusammenhang mit sogenannten Aufenthaltsehen bereits ausgesprochen, dass ein solches Grundinteresse verletzt ist, wenn eine Ehe rechtsmissbräuchlich geschlossen wurde, um Aufenthalts- und Beschäftigungsberechtigungen zu erhalten (vgl. für viele das bereits zitierte Erkenntnis Zl. 2007/21/0352); insofern wird auf die schwere Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens abgestellt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0154).

Vorliegend wurde die Ehe zwar nicht rechtsmissbräuchlich geschlossen, aber es wurde in der Folge vom Fremden in rechtsmissbräuchlicher Weise ein Familienleben behauptet, indem er unter Berufung auf die Ehe zweimal eine Verlängerung seines Aufenthaltstitels beantragte, obwohl ein Familienleben nicht mehr geführt wurde; die Ehefrau ist ausdrücklich auf Wunsch des Beschwerdeführers zur Behörde mitgekommen, damit dieser bei der Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung keine Probleme bekommt.

Diese Konstellation hat zur Folge, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 9 FPG nicht erfüllt ist; zu prüfen bleibt, ob in solchen Fällen das Aufenthaltsverbot auf § 60 Abs. 2 Z 6 leg. cit. gestützt werden kann, bzw. in weiterer Folge, ob anhand dieses Orientierungsmaßstabes auch die Prognose nach § 86 Abs. 1 FPG getroffen werden darf.

Im Geltungsbereich des Fremdengesetzes 1997 - FrG war durch § 36 Abs. 2 Z 9 leg. cit. klargestellt, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die rechtsmissbräuchliche Eheschließung nur unter den in dieser Norm festgelegten Voraussetzungen (insbesondere die Leistung eines Vermögensvorteils für die Eheschließung) die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes rechtfertigen können sollte und im Blick auf die speziellere Norm des § 36 Abs. 2 Z 9 FrG die Unterstellung eines derartigen Täuschungsverhaltens unter den Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z 6 FrG nicht in Betracht kam (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/21/0030). Konnte nun im Geltungsbereich des FrG eine rechtsmissbräuchliche Eheschließung (ohne Vermögensvorteil) nicht unter § 36 Abs. 2 Z 6 subsumiert werden, so konnte nichts anderes für Fälle gelten, in denen die Eheschließung selbst nicht als rechtsmissbräuchlich festgestellt wurde, sondern (lediglich) das spätere Berufen auf eine bestehende aber nicht mehr "gelebte" Ehe (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/21/0288).

Anders ist jedoch die Rechtslage nach dem FPG zu beurteilen. Da § 60 Abs. 2 Z 9 FPG für die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes auf Grund des Abschlusses einer Aufenthaltsehe nicht mehr die Leistung eines Vermögensvorteils fordert, sind die oben zitierten Erwägungen zum Verhältnis der Aufenthaltsverbotstatbestände des § 60 Abs. 2 Z 6 und 9 FPG nicht mehr tragfähig und es kann ein Zuwiderhandeln gegen § 30 Abs. 1 NAG, wenn der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 9 FPG nicht erfüllt ist, gegebenenfalls als Erfüllung des Tatbestandes des § 60 Abs. 2 Z 6 FPG gewertet werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/21/0139).

Es bestehen keine Bedenken, nicht nur ein den Tatbestand des rechtsmissbräuchlichen Eheschlusses nach § 60 Abs. 2 Z 9 FPG verwirklichendes, sondern auch ein wie hier vorliegendes und den Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 6 FPG erfüllendes Verhalten als Orientierungsmaßstab zu nehmen und demnach auch als Verletzung eines Grundinteresses der Gesellschaft iSd § 86 Abs. 1 FPG zu werten, weil in beiden Fällen im Verstoß gegen § 30 Abs. 1 NAG eine schwere Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens liegt.

Der Gerichtshof erachtet somit die behördliche Beurteilung als zutreffend, dass anhand des festgestellten - oben zitierten - Verhaltens des Beschwerdeführers die in § 86 Abs. 1 FPG umschriebene Gefährlichkeitsprognose gerechtfertigt sei.

Entgegen der Beschwerdemeinung kann der Verwaltungsgerichtshof auch die behördliche Beurteilung nach § 66 FPG nicht als rechtswidrig erkennen. Gemäß § 60 Abs. 6 iVm § 66 Abs. 1 FPG ist ein Aufenthaltsverbot, würde dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK (diese Konventionsbestimmung nennt die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung, die Verhinderung von strafbaren Handlungen, den Schutz der Gesundheit und der Moral und den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) genannten Ziele dringend geboten ist. Ein Aufenthaltsverbot darf gemäß § 60 Abs. 6 iVm § 66 Abs. 2 FPG jedenfalls dann nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Bei dieser Abwägung ist auf die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen und die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen Bedacht zu nehmen.

Die belangte Behörde hat ohnehin einen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers angenommen. Sie hat aber auch zutreffend hervorgehoben, dass den fremdenrechtlichen Bestimmungen im öffentlichen Interesse ein hoher Stellenwert zukomme. Da der Beschwerdeführer sich erst seit dem Jahr 2002 in Österreich aufhält und seinen inländischen Aufenthalt ab dem Jahr 2005 erschlichen hat, können seine persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich nicht so schwer gewichtet werden, dass sie das genannte öffentliche Interesse überwiegen. Die Beschwerde verweist zwar darauf, dass der Beschwerdeführer in einer außerehelichen Beziehung lebe und dieser Beziehung eine minderjährige Tochter entstamme; es fehlen aber jegliche konkrete Behauptungen, dass diese Lebensgemeinschaft nicht auch außerhalb Österreichs fortgesetzt werden könnte. Der mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers weist somit nicht jene Intensität auf, die zu einer Unzulässigkeit des Aufenthaltsverbotes führen würde.

Soweit der Beschwerdeführer in einer Replik zur Gegenschrift der belangten Behörde vorbringt, dass er seit (wieder) verehelicht sei, ist dieses erst nach dem maßgeblichen Zeitpunkt der Bescheiderlassung eingetretene Ereignis für die Beurteilung des angefochtenen Bescheides unbeachtlich.

Da somit dem angefochtenen Bescheid die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am

Fundstelle(n):
EAAAE-72079