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VwGH vom 20.12.2007, 2007/21/0261

VwGH vom 20.12.2007, 2007/21/0261

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des T, vertreten durch Mag. Dr. Wolfgang Fromherz, Mag. Dr. Bernhard Glawitsch und Mag. Ulrike Neumüller-Keintzel, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Graben 9, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom , Zl. Senat-FR-06-3027, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom ordnete die Bezirkshauptmannschaft Gmünd gegen den Beschwerdeführer, einen russischen Staatsangehörigen, gemäß "§§ 76 Abs. 1 und 2, 76 Abs. 3" Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) die Schubhaft "zur Sicherung des Verfahrens: Zurückschiebung/Abschiebung (Dublinbezug)" an.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde gemäß § 83 FPG die gegen den genannten Schubhaftbescheid erhobene Beschwerde ab.

Diesem Bescheid legte sie zu Grunde, dass der Beschwerdeführer am nach einem illegalen Grenzübertritt angehalten worden sei und einen Asylantrag gestellt habe. Er sei Inhaber eines tschechischen Visums und eines Reisepasses der Russischen Förderation. Durch das vorliegende tschechische Visum, den in seinem Reisepass angebrachten Grenzkontrollstempel "zu Polen" vom und den "EURODAC-Treffer (Fingerabdrücke - Antrag am in Lublin, Polen)" ergebe sich ein "Dublinbezug" zur Tschechischen Republik und zu Polen. Trotz der Mitteilung des Bundesasylamtes vom über die Ausstellung einer Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 51 AsylG 2005 werde er von der Erstbehörde weiterhin in Schubhaft angehalten.

Rechtlich folgerte die belangte Behörde, dass wegen des in Polen durchgeführten Asylverfahrens ein sogenannter "Dublinbezug" zu diesem gemäß § 39 Abs. 1 Z 15 AsylG 2005 sicheren Herkunftsstaat bestehe und berechtigterweise zu erwarten sei, dass der Asylantrag negativ beschieden werde und mit einer Zurückschiebung, Abschiebung oder Ausweisung in die Tschechische Republik oder den Heimatstaat vorzugehen sein werde. Aus diesem Grund erscheine vor allem die Heranziehung des Schubhaftgrundes des § 76 Abs. 2 Z 4 FPG im angefochtenen Bescheid der Erstbehörde schlüssig und zutreffend. Der Umstand, dass dem Beschwerdeführer nach Verhängung der Schubhaft vom Bundesasylamt eine Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 51 AsylG 2005 ausgestellt worden sei, ändere am Ergebnis nichts, denn diese diene gemäß § 51 Abs. 2 leg. cit. lediglich dem Nachweis der Identität für das Asylverfahren und der Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes im Bundesgebiet. Durch die Ausfolgung einer Aufenthaltsberechtigungskarte erfolge gemäß § 28 Abs. 1 AsylG 2005 bloß die Zulassung zum Verfahren, die gemäß § 28 Abs. 1 letzter Satz leg. cit. einer späteren zurückweisenden Entscheidung ausdrücklich nicht entgegenstehe. Auf Grund der Sachlage sei anzunehmen, dass offensichtlich der klassische "Asyltourismus" vorliege. Die Anwendung gelinderer Mittel im Sinne des § 77 FPG scheide aus.

Zum Beschwerdevorbringen, dass die Ehefrau und die Kinder des Beschwerdeführers zum Asylverfahren zugelassen worden wären, sei auszuführen, dass ohnehin auch der Beschwerdeführer selbst zugelassen wurde; der gleiche Schutzumfang sei also gewährt. Auch die Unterbringung der Familie in einem Flüchtlingswohnheim vermöge an der Erforderlichkeit der Schubhaft nichts zu ändern, zumal ein starkes Motiv für den Beschwerdeführer zu erkennen sei, sich - wie schon in Polen - mit seiner Familie dem Verfahren zu entziehen und als "Asyltourist" mit seiner Familie in einen anderen Schengenstaat weiterzuziehen. Die Anwendung gelinderer Mittel scheide somit aus, "zumal die Entscheidungsfristen im Asylverfahren (vgl. § 22 (3) AsylG) bei Schubhäftlingen ohnehin knapp bemessen sind".

Gemäß § 83 Abs. 4 FPG werde festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Die §§ 39 Abs. 3 und 76 FPG lauten auszugsweise:

Festnahme

§ 39. ...

(3) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, Asylwerber und Fremde, die einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, zum Zwecke der Vorführung vor die Behörde festzunehmen, wenn

1. gegen diesen eine durchsetzbare - wenn auch nicht rechtskräftige - Ausweisung (§ 10 AsylG 2005) erlassen wurde;

2. gegen diesen nach § 27 AsylG 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde;

3. gegen diesen vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Ausweisung (§§ 53 oder 54), oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot (§ 60) verhängt worden ist oder

4. auf Grund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung und der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass der Antrag des Fremden auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung zurückgewiesen werden wird.

Schubhaft

§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf Schubhaft verhängt werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen.

(2) Die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde kann über einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung anordnen, wenn

1. gegen ihn eine durchsetzbare - wenn auch nicht rechtskräftige - Ausweisung (§ 10 AsylG 2005) erlassen wurde;

2. gegen ihn nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde;

3. gegen ihn vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Ausweisung (§§ 53 oder 54) oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot (§ 60) verhängt worden ist oder

4. auf Grund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung und der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass der Antrag des Fremden auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung zurückgewiesen werden wird.

..."

Da der Verwaltungsgerichtshof Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 76 Abs. 2 Z 4 FPG hatte, stellte er mit Beschluss vom , Zl. 2006/21/0090-5, den Antrag an den Verfassungsgerichtshof, die genannte Bestimmung als verfassungswidrig aufzuheben. Dieser Antrag wurde mit Erkenntnis vom , G 14/07 und 40/07, abgewiesen.

Vorweg ist anzumerken, dass die von der Schubhaftbehörde auch herangezogene Bestimmung des § 76 Abs. 1 FPG keinesfalls eine Grundlage für die Verhängung von Schubhaft gegen einen Asylwerber bilden kann, dessen Asylverfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 zu führen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/21/0360).

Die Schubhafttatbestände des § 76 Abs. 2 FPG sind final determiniert. Sie rechtfertigen die Verhängung von Schubhaft nur "zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung". Der Verfassungsgerichtshof hat darüber hinaus, zuletzt in seinem Erkenntnis vom , B 1330/06 und B 1331/06, klargestellt, dass die Behörden in allen Fällen des § 76 Abs. 2 FPG unter Bedachtnahme auf das verfassungsrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit verpflichtet sind, eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung des Verfahrens und der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzunehmen. Im Ergebnis bedeutet das, dass die Schubhaft auch dann, wenn sie auf einen der Tatbestände des § 76 Abs. 2 FPG gestützt werden soll, nur ultima ratio sein darf (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0043, mwN; sowie dem folgend etwa das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 2006/21/0177, 0178).

Dem Gesetzgeber kann es vor dem Hintergrund des angesprochenen verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes jedenfalls nicht zugesonnen werden, er sei davon ausgegangen, alle potentiellen "Dublin-Fälle" seien statt in Grundversorgung in Schubhaft zu nehmen. Eine Schubhaftnahme kann sich vielmehr nur dann als gerechtfertigt erweisen, wenn weitere Umstände vorliegen, die den betreffenden "Dublin-Fall" in einem besonderen Licht erscheinen und von daher in einem erhöhten Grad ein Untertauchen des betreffenden Fremden befürchten lassen (vgl. auch dazu das zitierte Erkenntnis Zl. 2007/21/0043). Der Umstand, dass ein Asylwerber bereits in einem anderen Land die Gewährung von Asyl beantragt hat, rechtfertigt für sich nicht den Schluss, dass er unrechtmäßig in einen anderen Staat weiterziehen und sich so dem Verfahren entziehen werde (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis Zlen. 2006/21/0177, 0178, unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B 292/04, VfSlg. 17.288).

Im vorliegenden Fall hat die Schubhaftbehörde dem Beschwerdeführer, der nach dem illegalen Grenzübertritt aufgegriffen wurde und sofort Asyl beantragt hat, nicht unterstellt, dass er unwahre Angaben über seinen Fluchtweg, die Asylantragstellung in einem anderen Land oder über seine Identität gemacht hätte. Dafür sprechen auch keine Anhaltspunkte in den Verwaltungsakten und es hat auch die belangte Behörde keine derartige Feststellung getroffen. Dazu kommt der vom Beschwerdeführer bereits bei seiner Erstbefragung vorgebrachte Umstand, dass seine Ehefrau und seine vier Kinder in Österreich in Flüchtlingsbetreuung lebten und dies weder von der Schubhaftbehörde noch von der belangten Behörde in Abrede gestellt wurde. Dem gegenüber liegen keine Umstände vor, die den von der belangten Behörde gezogenen Schluss rechtfertigen würden, es sei anzunehmen, dass der Beschwerdeführer in Österreich untertauchen werde.

Somit erweist sich schon die Schubhaftanordnung als rechtswidrig, dies hätte die belangte Behörde aufzugreifen gehabt.

Dazu kommt, dass das Bundesasylamt am der Schubhaftbehörde mitgeteilt hat, dass dem Beschwerdeführer eine Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 51 AsylG 2005 ausgestellt worden sei. Gemäß dieser Bestimmung ist einem Asylwerber dann eine Aufenthaltsberechtigungskarte auszustellen, wenn dessen Asylverfahren zuzulassen ist. Gemäß § 28 Abs. 1 leg. cit. ist das Verfahren zuzulassen, wenn der Antrag voraussichtlich nicht zurückzuweisen ist und das Verfahren nicht vor Zulassung inhaltlich entschieden wird. Weiters hat die Zulassung des Verfahrens gemäß § 27 Abs. 4 leg. cit. zur Folge, dass ein (allenfalls bereits) nach § 27 Abs. 1 Z 1 leg. cit. eingeleitetes Ausweisungsverfahren einzustellen ist. Dies bedeutet wiederum, dass die Schubhaft nach Zulassung des Asylverfahrens jedenfalls nicht mehr auf § 76 Abs. 2 (Z 2 und) Z 4 FPG gestützt werden darf (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/21/0267).

Nach dem Gesagten erweist sich der angefochtene Bescheid auch in dieser Hinsicht als rechtswidrig.

Ergänzend ist anzumerken, dass ein Ausspruch nach § 83 Abs. 4 FPG über die Fortsetzung der Schubhaft einen Teil der normativen Entscheidung der Behörde bildet und solcherart nicht in der Begründung, sondern im Spruch des Bescheides zum Ausdruck zu kommen hat. Letztlich ist auch die behördliche Begründung, dass die Anwendung gelinderer Mittel deswegen ausscheide, weil die Entscheidungsfristen im Asylverfahren bei Schubhäftlingen "ohnehin" knapp bemessen seien, verfehlt.

Insgesamt war daher der angefochtene Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am