VwGH vom 09.06.2017, Ra 2017/02/0068
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck, die Hofräte Mag. Dr. Köller und Dr. N. Bachler, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, unter Beiziehung der Schriftführerin Mag. Harrer, über die Revision des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Salzburg vom , Zl. 405-7/174/1/6-2016, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen (mitbeteiligte Partei: B S in S, vertreten durch die Ferner Hornung & Partner Rechtsanwälte GmbH in 5020 Salzburg, Hellbrunner-Straße 11; Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Bürgermeister der Landeshauptstadt Salzburg), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom wurde die Mitbeteiligte als handelsrechtliche Geschäftsführerin der Komplementärgesellschaft und somit als ein gemäß § 9 VStG zur Vertretung nach außen berufenes Organ der G GmbH & Co KG als Arbeitgeberin schuldig erachtet, dass am in der weiteren Betriebsstätte in A der Arbeitnehmer E um ca. 10.45 Uhr mit einem Kollegen mit dem Einschlagen von Holzpflöcken mit der Frontladeschaufel des Hoftraktors W (Ladeschaufel habe dabei als "Hammer" gedient) beschäftigt gewesen sei, obwohl Arbeitsmittel nur für Arbeitsvorgänge und unter Bedingungen benutzt werden dürften, für die sie geeignet und für die sie nach den Angaben des Herstellers oder Inverkehrbringers vorgesehen seien.
2 Die Mitbeteiligte habe dadurch § 35 Abs. 1 Z 1 iVm § 130 Abs. 1 Z 16 ASchG verletzt, weshalb sie zu einer Geldstrafe von EUR 1.100,-- (Ersatzfreiheitsstrafe ein Tag und 20 Stunden) verurteilt wurde.
3 Der dagegen von der Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde hat das Verwaltungsgericht mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG eingestellt. Die ordentliche Revision hat das Verwaltungsgericht für nicht zulässig erklärt.
4 In der Begründung gab das Verwaltungsgericht den Spruch des Straferkenntnisses, den Inhalt der Beschwerde sowie die Angaben der in der mündlichen Verhandlung vernommenen Personen wieder und stellte folgenden Sachverhalt fest (Abkürzungen nicht im Original):
"Am haben die Mitarbeiter des Gastronomiebetriebes ‚W' Herr J und Herr A einen Hoftraktor dazu verwendet, mit der Frontladeschaufel Pflöcke einzuschlagen. Bei diesen Arbeiten ist Herr J von der Ladeschaufel getroffen und schwer verletzt worden. Auf die Idee der zweckwidrigen Verwendung dieses Arbeitsgerätes sind die Mitarbeiter J und A gemeinsam gekommen. Herr J war hinsichtlich der Verwendung dieses Hoftraktors von einem Mitarbeiter der Firma M eingeschult worden. Herr A, der später in den Betrieb eingetreten ist, wurde von Herrn J eingeschult. Frau D ist gewerberechtliche Geschäftsführerin im Gastronomiebetrieb ‚W'. Diese teilt die Arbeiten am Betrieb entsprechend zu und kontrolliert deren Durchführung. Sie achtet darauf, dass die Arbeiter entsprechende Arbeitskleidung tragen und alle Arbeitsgeräte zweckentsprechend verwendet werden. Am Betrieb ist einmal im Jahr eine Sicherheitsfachkraft anwesend. Dabei wird der ganze Betrieb durchgegangen und die Sicherheitsfachkraft gibt entsprechende Unterweisungen, die Sicherheit von Arbeitsmitteln betreffend. Vor dem wurde der verfahrensgegenständliche Hoftraktor nie zum Einschlagen von Pflöcken mit der Frontladeschaufel verwendet. Solche Arbeiten sind im Betrieb das erste Mal durchgeführt worden. Frau D hat vorher nie beobachtet, dass das verfahrensgegenständliche Gerät zweckwidrig verwendet wurde. Im Betrieb W ist ein Kontrollsystem zur Vermeidung von Arbeitsunfällen in der Weise eingerichtet, dass die zweckmäßige Verwendung von den im Betrieb eingesetzten Arbeitsmitteln von Frau D überwacht wird. Dabei werden entsprechende Unterweisungen gegeben. Für den Fall, dass es zu zweckwidrigen Verwendungen von Arbeitsmitteln kommt, ist im Betrieb vorgesehen, dass es einerseits zu einer Kürzung bzw. Streichung von Prämien kommt. Andererseits sind aber auch arbeitsrechtliche Konsequenzen von der Ermahnung bis zur Aufkündigung des Dienstverhältnisses angedroht, was im Betrieb beschäftigten Mitarbeitern auch bewusst ist."
5 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht nach Darstellung der von ihm als maßgebend erachteten Rechtslage aus, der Betrieb "W" habe den hohen Anforderungen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinsichtlich eines wirksamen Kontrollsystem gerecht werden können, indem umfangreiche Schulungen, Unterweisungen und eine hierarchische Kontrolle im Unternehmen stattgefunden hätten. Für den Fall von arbeitsrechtlichen Verfehlungen sei vorgesehen, dass sowohl Prämien gestrichen würden als auch dass arbeitsrechtliche Konsequenzen von der Ermahnung bis zu einer Beendigung des Dienstverhältnisses angedroht würden. Dies sei den betreffenden Mitarbeitern auch bewusst. Ein zumindest fahrlässiges Handeln der Mitbeteiligten sei daher nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichtes nicht anzunehmen, weshalb das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG zur Einstellung zu bringen gewesen sei.
6 Dagegen richtet sich die gemäß § 13 ArbIG erhobene Revision wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes.
7 Die Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet und die kostenpflichtige Ab- bzw. Zurückweisung der Revision beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8 Die von der Mitbeteiligten in der Revisionsbeantwortung behauptete Verspätung der Revisionserhebung liegt nicht vor, weil nach der Rechtsprechung zu § 13 ArbIG und § 26 Abs. 1 Z 4 VwGG (nunmehr Z 5) die Vorlage eines an ein Arbeitsinspektorat zugestellten Bescheides (nunmehr Erkenntnisses) an den revisionswerbenden Bundesminister an keine Frist gebunden ist (vgl. ).
9 Der revisionswerbende Bundesminister erachtete die Revision deshalb als zulässig, weil entgegen der näher angeführten Rechtsprechung keine konkreten Maßnahmen festgestellt worden seien, um eigenmächtiges Verhalten hintanzuhalten und wonach der beschuldigte Arbeitgeber selbst darlegen müsse, welche Maßnahmen er als an der Spitze der Unternehmenshierarchie stehender Anordnungsbefugter vorgesehen habe, um das Funktionieren des Kontrollsystems insgesamt zu gewährleisten, also sicherzustellen, dass die auf der jeweils übergeordneten Ebene erteilten Anordnungen zur Einhaltung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften auch an die jeweils untergeordnete tatsächlich befolgt würden.
10 Die Revision ist zulässig und berechtigt.
11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Ausgestaltung des Kontrollsystems entlastet schlichtes "Vertrauen" darauf, dass sich ein Arbeitnehmer weisungskonform verhalte, den Arbeitgeber nicht. Das entsprechende Kontrollsystem hat gemäß der gesicherten hg. Judikatur auch für den Fall eigenmächtiger Handlungen von Arbeitnehmern gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften Platz zu greifen. Im Rahmen eines funktionierenden Kontrollsystems kann es kein Vertrauen darauf geben, dass die eingewiesenen, laufend geschulten und ordnungsgemäß ausgerüsteten Arbeitnehmer die Arbeitnehmerschutzvorschriften einhalten. Vielmehr ist es für die Darstellung eines wirksamen Kontrollsystems erforderlich, unter anderem aufzuzeigen, welche Maßnahmen im Einzelnen der unmittelbar Übergeordnete im Rahmen des Kontrollsystems zu ergreifen verpflichtet war, um durchzusetzen, dass jeder in dieses Kontrollsystem eingebundene Mitarbeiter die arbeitnehmerschutzrechtlichen Vorschriften auch tatsächlich befolgt und welche Maßnahmen schließlich der an der Spitze der Unternehmenshierarchie stehende Anordnungsbefugte vorgesehen hat, um das Funktionieren des Kontrollsystems insgesamt zu gewährleisten, das heißt sicherzustellen, dass die auf der jeweils übergeordneten Ebene erteilten Anordnungen (Weisungen) zur Einhaltung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften auch an die jeweils untergeordnete, zuletzt also an die unterste Hierarchie-Ebene gelangen und dort auch tatsächlich befolgt werden. Wie der Verwaltungsgerichtshof ebenfalls bereits ausgesprochen hat, vermag auch das Hinzutreten eines - allenfalls auch krassen - Fehlverhaltens eines Arbeitnehmers, das in der Folge zu einem Arbeitsunfall geführt hat, am Verschulden des Arbeitgebers an einer nicht erfolgten Einrichtung eines wirksamen Kontrollsystems nichts zu ändern (vgl. , mwN, und vom , Ra 2016/02/0137, mwN).
12 Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung und in Anbetracht der Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis, denen sich kein den dargestellten Anforderungen entsprechendes konkretes Kontrollsystem entnehmen lässt, war der vom Verwaltungsgericht gezogene rechtliche Schluss, die Mitbeteiligte treffe kein Verschulden an der Nichteinhaltung der in Rede stehenden Arbeitnehmerschutzvorschriften, unbegründet.
13 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Wien, am
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