VwGH 09.06.2017, Ra 2017/02/0063
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssatz
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Normen | |
RS 1 | Einer Bewilligung gemäß § 45 Abs. 4 StVO 1960 kommt konstitutiver Charakter zu. In einem solchen Fall kommt eine nachträgliche Bewilligung begrifflich nicht in Betracht (vgl. E , 90/02/0019); der Behörde ist es vielmehr mangels gesetzlicher Deckung verwehrt, die angestrebte Bewilligung rückwirkend zu erteilen (vgl. E , 2004/02/0126). Eine Bewilligung nach § 82 Abs. 1 StVO 1960 hat konstitutiven Charakter. In diesen Fällen kommt eine nachträgliche Bewilligung begrifflich nicht in Betracht (vgl. E , 90/02/0019). Es ist naheliegend, dass für eine mit den Regelungen der § 45 Abs. 4 StVO 1960 und § 82 Abs. 1 StVO 1960 vergleichbare Bewilligung nach § 45 Abs. 2 StVO 1960 nichts anderes gelten kann, also auch ihr konstitutiver Charakter zukommt, weshalb auch in diesen Fällen eine nachträgliche Bewilligung nicht in Betracht kommt. Bezieht sich der Antrag gemäß § 45 Abs. 2 StVO 1960 auf keinen bestimmten Zeitraum, ist über ihn pro futuro inhaltlich abzusprechen. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck, die Hofräte Mag. Dr. Köller und Dr. N. Bachler, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Harrer, über die Revision der V GmbH in W, vertreten durch Mag. Franz Müller, Rechtsanwalt in 3470 Kirchberg/Wagram, Georg-Ruck-Straße 9, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Wien vom , Zl. VGW- 101/074/29643/2014-9, betreffend Ausnahmebewilligung gemäß § 45 Abs. 2 StVO (Behörde gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Magistrat der Stadt Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Wien hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die revisionswerbende Partei beantragte mit einem am bei der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde eingelangten E-Mail "die Verlängerung unserer Ausnahmegenehmigung MA 65 ... für das Fahrzeug W-...". An den Voraussetzungen für die Ausnahmegenehmigung habe sich seit der letzten Antragstellung nichts geändert.
2 Mit Bescheid vom hat die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde den "Antrag der (revisionswerbenden Partei) vom auf Erteilung einer Ausnahmebewilligung von der im 1. Wiener Gemeindebezirk geltenden höchstzulässigen Parkdauer von zwei Stunden (Kurzparkzone) für das
Kraftfahrzeug mit dem Kennzeichen: W ... abgewiesen".
3 Die dagegen von der revisionswerbenden Partei erhobene Beschwerde hat das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen und hat die ordentliche Revision für unzulässig erklärt.
Nach der hier wesentlichen Begründung habe die revisionswerbende Partei zuletzt mit Bescheid der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde vom eine Ausnahmebewilligung gemäß § 45 Abs. 2 StVO für das gegenständliche Fahrzeug für die Dauer vom bis inne gehabt. Am sei zuletzt ein Antrag auf Verlängerung dieser Bewilligung gestellt worden, der mit dem vor dem Verwaltungsgericht angefochtenen Bescheid abgewiesen worden sei. Seit Ablauf der letztgültigen Bewilligung sei bis dato - außer dem Antrag vom - kein weiterer Antrag gestellt worden. In einem die revisionswerbende Partei betreffenden Fall habe der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom , Ra 2016/02/0071, die Revision zurückgewiesen unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung, wonach nach Ablauf der Frist bei Ausnahmegenehmigungen das Rechtsschutzbedürfnis fehle. In rechtlicher Hinsicht folge daraus, dass nach dem Ende der zuletzt erteilten Bewilligung am eine nun vom Verwaltungsgericht zu bewilligende Ausnahmegenehmigung nur für den Zeitraum vom bis zum (also für die Vergangenheit) erteilt werden könnte. Da dieser Zeitraum bereits verstrichen sei, könne das Ziel des Antrages, nämlich die Erteilung einer Ausnahmebewilligung nach § 45 Abs. 2 StVO für den Zeitraum bis zum nicht mehr erreicht werden.
Nach Wiedergabe und Zitierung zahlreicher Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes führte das Verwaltungsgericht in rechtlicher Hinsicht aus, es liege im konkreten Fall kein Rechtsschutzinteresse bzw. kein rechtliches Interesse an einer Sachentscheidung vor, weil ein Rechtsanspruch nur bei unmittelbarer zeitlicher Anknüpfung an eine vorhergehende Bewilligung bestehe, wenn eine solche Entscheidung nur dann rechtlich bedeutsam wäre, wenn bereits vor dem Ablauf des ein (weiterer) Antrag auf Erteilung einer Ausnahmebewilligung ab dem gestellt worden wäre. Nur dann wäre die Sachentscheidung des Verwaltungsgerichts eine unmittelbar zeitlich vorangehende. Wenn aber bei jeder weiteren Erteilung - unabhängig von der unmittelbaren zeitlichen Anknüpfung im Sinne einer Verlängerung - ein Rechtsanspruch bestehe, bedürfe es keiner Sachentscheidung durch das Verwaltungsgericht, weil die zeitliche Unterbrechung nicht schade. Die ursprünglich zulässige Beschwerde sei daher mangels Rechtsschutzbedürfnisses zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes mit Beschluss zurückzuweisen gewesen.
4 Gegen diesen Beschluss richtet sich die Revision wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, zu der die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht eine Revisionsbeantwortung erstattet hat.
5 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
6 Als zulässig erachtet die revisionswerbende Partei die Revision, weil das Verwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, namentlich dem Erkenntnis vom , 98/02/0195, abgewichen sei. Dort sei ein Ansuchen um Wiedererteilung oder Weitererteilung einer bereits einmal erteilten Ausnahmegenehmigung nach § 45 Abs. 2 StVO als Ansuchen um Neuerteilung einer solchen Genehmigung verstanden worden, weil die StVO eine Wiedererteilung oder Weitererteilung unter Bedachtnahme auf eine einmal erteilte Ausnahmegenehmigung nicht kenne. Unter Berücksichtigung dieser Entscheidung hätte sich das Verwaltungsgericht mit der Sache selbst beschäftigen müssen.
7 Die Revision ist zulässig und berechtigt.
8 § 45 StVO idgF lautet auszugsweise:
"(2) In anderen als in Abs. 1 bezeichneten Fällen kann die Behörde Ausnahmen von Geboten oder Verboten, die für die Benützung der Straßen gelten, auf Antrag bewilligen, wenn ein erhebliches persönliches (wie zB auch wegen einer schweren Körperbehinderung) oder wirtschaftliches Interesse des Antragstellers eine solche Ausnahme erfordert, oder wenn sich die ihm gesetzlich oder sonst obliegenden Aufgaben anders nicht oder nur mit besonderen Erschwernissen durchführen ließen und weder eine wesentliche Beeinträchtigung von Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs, noch wesentliche schädliche Einwirkungen auf die Bevölkerung oder die Umwelt durch Lärm, Geruch oder Schadstoffe zu erwarten sind.
...
(2b) Eine Bewilligung nach Abs. 2 kann auch für alle Straßenbenützungen des Antragstellers von der annähernd gleichen Art für die Dauer von höchstens zwei Jahren, nach Abs. 2a für die Dauer von höchstens sechs Monaten, erteilt werden, wenn für die Dauer dieser Befristung eine erhebliche Änderung der Verkehrsverhältnisse nicht zu erwarten ist."
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem von der revisionswerbenden Partei zitierten Erkenntnis vom , dem ein mit dem vorliegenden Sachverhalt vergleichbarer Fall zu Grunde lag, Folgendes ausgeführt:
"Soweit die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf die ihr für den Zeitraum vom bis für das gegenständliche Kraftfahrzeug erteilte Ausnahmegenehmigung geltend macht, die Voraussetzungen für die Erteilung einer derartigen Ausnahmebewilligung hätten sich nicht geändert, ist ihr entgegenzuhalten, daß die Straßenverkehrsordnung 1960 eine der Beschwerdeführerin offenbar vorschwebende Wieder- oder Weitererteilung der angestrebten Ausnahmegenehmigung unter Bedachtnahme auf den Umstand, dass bereits einmal eine Ausnahmegenehmigung erteilt wurde, nicht vorsieht. Daraus folgt, dass ihr mit dem Zusatz ‚Bitte um Verlängerung' versehenes Ansuchen vom als Ansuchen um Neuerteilung einer derartigen Genehmigung zu verstehen ist. Damit kann sich die Beschwerdeführerin aber nicht darauf berufen, dass ihr bereits eine derartige Ausnahmegenehmigung erteilt worden ist. Für die Behandlung ihres Ansuchens waren daher - unabhängig von der Frage, ob und aus welchen Gründen ihr eine Ausnahmegenehmigung bereits einmal erteilt wurde - nur die Bestimmungen des § 45 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung 1960 maßgeblich."
10 Aus dieser Rechtsprechung ist für den Revisionsfall jedoch nichts zu gewinnen, weil sie nur zum Inhalt der Erledigung Stellung nimmt, wonach es für die Erledigung eines Antrags auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 45 Abs. 2 StVO in der Sache unbeachtlich ist, ob früher eine solche Ausnahmegenehmigung erteilt wurde.
11 Allerdings hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom , 2004/02/0126, zum dortigen Beschwerdevorbringen, die Ausnahmebewilligung nach § 45 Abs. 4 StVO hätte - da es sich um einen Antrag auf Verlängerung einer bereits bestehenden Ausnahmebewilligung gehandelt habe - ab "Auslaufen der alten Berechtigung" bzw. ab Antragstellung erteilt werden müssen und es habe kein Grund dafür bestanden, die gegenständliche Bewilligung erst mit Zustellung des Bescheides beginnen zu lassen, Folgendes ausgeführt:
"Einer Bewilligung gemäß § 45 Abs. 4 StVO kommt konstitutiver Charakter zu. In einem solchen Fall kommt eine nachträgliche Bewilligung begrifflich nicht in Betracht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 90/02/0019); der belangten Behörde war es vielmehr mangels gesetzlicher Deckung verwehrt, die angestrebte Bewilligung rückwirkend - darauf würde das Begehren des Beschwerdeführers hinauslaufen - zu erteile..."
12 Ebenso hat der Verwaltungsgerichtshof einer Bewilligung nach § 82 Abs. 1 StVO konstitutiven Charakter beigemessen, weshalb auch in diesen Fällen eine nachträgliche Bewilligung begrifflich nicht in Betracht kommt (vgl. , mwN).
13 Es ist naheliegend, dass für eine mit den genannten Regelungen (§ 45 Abs. 4 StVO, § 82 Abs. 1 StVO) vergleichbare Bewilligung nach § 45 Abs. 2 StVO nichts anderes gelten kann, also auch ihr konstitutiver Charakter zukommt, weshalb auch in diesen Fällen eine nachträgliche Bewilligung nicht in Betracht kommt.
14 Anderes gilt bei Ansuchen bzw. Bewilligungen für bereits abgelaufene konkrete Zeiträume, wie in den vom Verwaltungsgericht und von der belangten Behörde vor dem Verwaltungsgericht in der Revisionsbeantwortung - unzutreffend - für ihren Rechtsstandpunkt ins Treffen geführten Entscheidungen:
15 So lag dem Erkenntnis vom , 2013/02/0043, eine mit Bescheid befristete, im Entscheidungszeitpunkt bereits abgelaufene Ausnahmegenehmigung zu Grunde; im Beschluss vom , Ra 2016/02/0071, hat die Behörde einen konkreten Zeitraum für die Ausnahme datumsmäßig vorgegeben ( bis ), der ebenfalls im Entscheidungszeitpunkt abgelaufen war. In diesen Fällen fehlt es wegen des Ablaufes der Frist am rechtlichen Interesse an einer Sachentscheidung.
16 Im Revisionsfall bezieht sich der Antrag der revisionswerbenden Partei gemäß § 45 Abs. 2 StVO auf keinen bestimmten Zeitraum, weshalb über ihn im Sinne der dargestellten Rechtsprechung zum "Verlängerungsantrag" pro futuro inhaltlich abzusprechen gewesen wäre.
17 Zusammengefasst hätte das Verwaltungsgericht nach der dargestellten Rechtslage die Beschwerde nicht zurückweisen dürfen, sondern in der Sache selbst zu entscheiden gehabt. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
18 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Wien, am
Zusatzinformationen
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Schlagworte | Zeitpunkt der Bescheiderlassung Eintritt der Rechtswirkungen Besondere Rechtsgebiete Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung konstitutive Bescheide |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017020063.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
WAAAE-72034