VwGH vom 19.04.2017, Ra 2017/02/0039

VwGH vom 19.04.2017, Ra 2017/02/0039

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie den Hofrat Mag. Dr. Köller und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Harrer, über die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom , Zl. LVwG-S-3213/001-2015, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen (Partei gemäß § 21 Abs. 2 Z 1 VwGG: Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf; mitbeteiligte Partei: S in R, vertreten durch Dr. Thomas Jappel, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hörlgasse 12), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte wurde mit Straferkenntnis der BH Gänserndorf vom unter Anführung von Tatzeit und Tatort schuldig erachtet, er habe es als Inhaber der Firma P zu verantworten, dass bei der Aufstellung oder Benutzung von Arbeitsmitteln unter oder in der Nähe von elektrischen Freileitungen keine geeigneten Maßnahmen getroffen worden seien, um jegliches gefahrbringendes Annähern der Arbeitnehmer und der Arbeitsmittel an diese Leitungen sowie Stromschlag durch diese Leitungen zu verhindern und dass nicht dafür gesorgt worden sei, dass in der Nähe von unter Spannung stehenden Teilen mit Nennspannungen über 120 Volt Gleichspannung nur dann gearbeitet werde, wenn durch geeignete Maßnahmen nach den anerkannten Regeln der Technik sichergestellt sei, dass Arbeitnehmer/innen die unter Spannung stehenden Teile nicht berühren könnten und nicht mit Körperteilen oder Gegenständen in gefährliche Bereiche eindringen könnten. Im Zuge der Arbeiten habe der Kranarm die Straßenbahnoberleitung berührt, wodurch diese abgerissen sei. Der Lenker des Kranes, Herr H, sei durch einen Stromschlag leicht verletzt worden. Dadurch habe der Mitbeteiligte § 34 Abs. 4 ASchG iVm § 14 Abs. 1 Elektroschutzverordnung 2012 verletzt, weshalb über ihn eine Geldstrafe von EUR 1.660,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 180 Stunden) verhängt wurde.

2 Der gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten hat das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis Folge gegeben, das Straferkenntnis aufgehoben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG eingestellt. Die ordentliche Revision hat es als nicht zulässig erachtet.

3 In der Begründung führte das Verwaltungsgericht unter Bezug auf § 44a Z 1 VStG aus, im vorliegenden Fall beziehe sich die Tatanlastung lediglich darauf, dass der Lenker eines Kranes bei einem Stromschlag verletzt worden sei. Dass es sich bei diesem Lenker um einen Arbeitnehmer des Mitbeteiligten handle, sei dem Mitbeteiligten im gesamten Verfahren nie angelastet worden. Hiebei handle es sich jedoch um ein wesentliches Tatbestandsmerkmal, weil die Verpflichtungen des Arbeitgebers nach § 34 Abs. 4 ASchG und § 14 Abs. 1 Elektroschutzverordnung 2012 ausschließlich Schutzmaßnahmen für Arbeitnehmer beträfen. Da somit innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist eine vollständige und richtige Tatanlastung nicht erfolgt sei, sei wegen eingetretener Verfolgungsverjährung die Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses und die Einstellung des Verfahrens zu verfügen gewesen.

4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

5 Der Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet und die kostenpflichtige Zurück- bzw. Abweisung der Revision beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

6 Die revisionswerbende Partei erachtet die Revision als zulässig, weil entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtes die Tatanlastung alle Elemente der übertretenen Norm enthalte und dadurch keine Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte des Mitbeteiligten und keine Gefahr seiner Doppelbestrafung bewirkt worden seien.

7 Die Revision ist zulässig und berechtigt.

8 Gemäß § 34 Abs. 4 ASchG sind, wenn Arbeitsmittel unter oder in der Nähe von elektrischen Freileitungen aufgestellt oder benutzt werden, geeignete Maßnahmen zu treffen, um jegliches gefahrbringendes Annähern der Arbeitnehmer und der Arbeitsmittel an diese Leitungen sowie Stromschlag durch diese Leitungen zu verhindern.

9 Nach § 14 Abs. 1 Elektroschutzverordnung 2012 haben Arbeitgeber/innen dafür zu sorgen, dass in der Nähe von unter Spannung stehenden Teilen mit Nennspannungen über 50 V Wechselspannung oder 120 V Gleichspannung nur dann gearbeitet wird, wenn durch geeignete Maßnahmen nach den anerkannten Regeln der Technik sichergestellt ist, dass Arbeitnehmer/innen die unter Spannung stehenden Teile nicht berühren können und nicht mit Körperteilen oder Gegenständen in gefährliche Bereiche (Abs. 3 und 4) eindringen können.

10 Das Verwaltungsgericht ging davon aus, dass sich die Tatanlastung lediglich darauf beziehe, dass der Lenker eines Kranes bei einem Stromschlag verletzt worden sei. Damit verkennt das Verwaltungsgericht die von der belangten Behörde herangezogenen oben zitierten Tatbestände, die zu ihrer Erfüllung gerade keinen Erfolg der Tathandlung fordern, sondern das Unterlassen näher beschriebener "geeigneter Maßnahmen" pönalisieren. Tatbildlich ist weder das Abreißen der Straßenbahnoberleitung noch die Verletzung des Kranführers.

11 Im Übrigen ist bereits der Rechtfertigung vom und auch der Beschwerde vom zu entnehmen, dass der im Spruch namentlich Genannte vom Mitbeteiligten als sein Dienstnehmer bezeichnet wird und diese Eigenschaft auch niemals bestritten wurde.

12 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Wien, am

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