VwGH vom 26.06.2012, 2012/09/0031
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler, Dr. Strohmayer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des HP in W, vertreten durch Dr. Margit Kaufmann, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Florianigasse 7/6, gegen den Bescheid des Dienstrechtssenates der Stadt Wien vom , Zl. DS-D - 300/2011, betreffend Disziplinarstrafe der Entlassung nach der DO 1994 (weitere Partei: Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe als Notfallsanitäter der Magistratsabteilung 70 dem Gebot, gegenüber MitarbeiterInnen und KundInnen ein höfliches und hilfsbereites Verhalten an den Tag zu legen und im Dienst alles zu vermeiden, was die Achtung und das Vertrauen, die seiner Stellung entgegengebracht werden, untergraben könnte, zuwidergehandelt, indem er am um ca. 16:30 Uhr im Zuge des Transportes eines alkoholisierten und verletzten Patienten von der U-Bahnstation S ins SMZ-Ost nach der Ankunft im SMZ-Ost zum Patienten, der im Rettungstransportwagen aufgestanden sei, gesagt, dass es dieser "auf die leichte oder harte Tour haben" könne, daraufhin dem Patienten, der nicht aus dem Rettungstransportwagen aussteigen habe wollen und sich an der Trage festgehalten habe, von hinten das T-Shirt hochgezogen und ihm einen Faustschlag auf den Rücken verpasst habe, zu seinem Kollegen Herrn IH gesagt, dass dieser "nicht so blöd" schaue, sondern ihm endlich helfen solle und in weiterer Folge den auf der Spitalsliege liegenden Patienten, als dieser von der Liege habe steigen wollen, unsanft auf die Trage gedrückt und ihm einen Faustschlag gegen den Hals versetzt habe, worauf der Patient kurzzeitig zu röcheln begonnen habe.
Er habe hierdurch schuldhaft seine Dienstpflichten gemäß § 18 Abs. 2 erster und zweiter Satz der Dienstordnung 1994 (DO 1994) verletzt.
Wegen dieser Dienstpflichtverletzung wurde gemäß § 76 Abs. 1 Z. 4 DO 1994 die Disziplinarstrafe der Entlassung verhängt.
Die belangte Behörde führte zur Sachverhaltsfeststellung und zur Beweiswürdigung Folgendes aus (Anonymisierungen durch den Verwaltungsgerichtshof):
"Der Beschwerdeführer hat in seiner Funktion als Notfallsanitäter einem verletzten und betrunkenen Patienten, der nach seiner Ankunft im SMZ-Ost nicht aus dem Rettungswagen aussteigen wollte, gesagt, er könne es 'auf die leichte oder harte Tour' haben, und er hat seinen Kollegen I. H. bei dem Versuch, den Patienten vom Rettungswagen auf die Spitalstrage zu transferieren angefahren, dieser solle 'nicht so blöd' schauen. Dass er diese beiden Äußerungen tatsächlich getätigt hat, hat der Beschuldige selbst zugegeben und diese sind daher als erwiesen anzunehmen. Dass er dem Patienten in Aussicht gestellt hat, dass dieser es 'auf die leichte oder harte Tour' haben könnte, findet auch wortgleich Deckung in den Aussagen der Zeugen I. H. und G. E.
Sofern sich der Tatvorwurf auf den Schlag auf den Rücken und den Schlag auf den Hals des Patienten bezieht, ist der Sachverhalt auf Grund der schlüssigen und widerspruchsfreien Aussage des Zeugen I. H. als erwiesen anzusehen. Der Zeuge I. H. überzeugte vor allem durch sein aufrechtes und geradliniges Auftreten in der Verhandlung vom . Seine Schilderungen über die Geschehnisse am glichen im Wesentlichen seinen diesbezüglichen Angaben in der erstinstanzlichen Verhandlung am . Der Zeuge stellte in klaren Aussagen dar, was er an diesem Tag beobachtet hatte, und verstrickte sich auch nach verschiedenen Zwischenfragen der Senatsmitglieder nicht in Widersprüchen. Er konnte genau beschreiben, wie der Beschwerdeführer dem Patienten noch im Rettungswagen das T-Shirt hochgezogen und diesem mit der Faust auf den Rücken geschlagen hat und konnte dies im Einklang mit seiner verbalen Beschreibung in der Verhandlung vom auch demonstrieren.
Hingegen erschien dem Dienstrechtssenat die Rechtfertigung des Beschwerdeführers, er habe den Patienten am Hosenbund und oben am T-Shirt gepackt und diesen 30 bis 40 Sekunden alleine in waagrechter Position gehalten, um zu verhindern, dass der Patient vornüber aus dem Rettungswagen stürzte, als äußerst unglaubwürdig, zumal der Patient zwischen 80 kg und 90 kg wog, weshalb diese Aussage als Schutzbehauptung gewertet wurde.
Für den Dienstrechtssenat ist nicht ersichtlich, weshalb der Zeuge I. H. hinsichtlich der Faustschläge eine Falschaussage machen hätte sollen, zumal er sich dadurch selbst einer strafgerichtlichen Verfolgung ausgesetzt und einer Dienstpflichtverletzung schuldig gemacht hätte. Es sagten sowohl der Zeuge als auch der Beschuldigte aus, dass sie ein normales berufliches Verhältnis zueinander gepflegt hätten. Da nicht einmal der Beschwerdeführer behauptet hatte, ein schlechtes Verhältnis zum Zeugen I. H. gehabt zu haben, liegt kein Hinweis dahingehend vor, dass ihn der Zeuge wissentlich falsch belastet hätte, zumal er sich dadurch selbst strafbar gemacht hätte. Dies wird auch dadurch untermauert, dass der Zeuge das ganze Verfahren hindurch bei den von ihm geschilderten Wahrnehmungen geblieben ist und sich selbst nie widersprochen hat. Die Aussagen des Zeugen I.H. werden auch nicht dadurch unglaubwürdig, dass er hinsichtlich der Meldung des Vorfalles noch einige Tage gezögert hat. Vielmehr ist eine derartige Reaktion angesichts der Tatsache, dass es sich beim Beschuldigten um den Vorgesetzten des Zeugen handelte und dass das Aufdecken einer Dienstpflichtverletzung weitreichende Folgen hat, durchaus nachvollziehbar und lebensnahe. In diesem Zusammenhang kann auch der vom Beschuldigten in seiner Berufung vertretenen Argumentation, der Vorfall könne nicht so gravierend gewesen sein, wenn der Zeuge diesen nicht unverzüglich gemeldet hat, keinesfalls gefolgt werden.
Lediglich der Vollständigkeit halber ist zu dem Berufungsvorbringen der nicht feststellbaren Körperverletzung darauf hinzuweisen, dass Gegenstand dieses Disziplinarverfahrens nicht eine erfolgte Körperverletzung, sondern das Versetzen eines Faustschlages ist."
Rechtlich führte die belangte Behörde folgendes aus:
"Angesichts des Umstandes, dass der Beschwerdeführer eine ihm in seiner Funktion als Notfallsanitäter anvertraute wehrlose und verletzte - offensichtlich stark unter Alkohol- oder Drogeneinfluss stehende - Person, die seiner Hilfe bedurfte, geschlagen hat, ist das Ausmaß der Schuld als äußerst schwer einzustufen. Die Aufgabe eines Notfallsanitäters besteht darin, Verletzte einer fachgerechten Erstversorgung zuzuführen, wobei sich die Dienstgeberin hierbei auf das Fachwissen, das notwendige Feingefühl und die Umsicht ihrer Sanitäterinnen und Sanitäter verlassen können muss. Durch seine Tat hat der Beschuldigte die unerlässlichen Voraussetzungen für die Ausübung seiner Funktion verletzt, zumal ein Notfallsanitäter mit der Erfahrung des Beschuldigten in der Lage sein muss, auch einen unruhigen Patienten entsprechend zu versorgen und ohne Anwendung von Gewalt an das zuständige Krankenhaus zu übergeben. Dies umso mehr, als der Beschwerdeführer selbst angegeben hat, eine Fortbildung in Bezug auf den Umgang mit renitenten Patienten durchlaufen zu haben. Das festgestellte Verhalten des Beschwerdeführers erschütterte das Vertrauen der Dienstgeberin und der Allgemeinheit in die ordnungsgemäße Dienstverrichtung, die Zuverlässigkeit und Integrität des Beschuldigten schwerstens. Auch wenn die gegebene Situation für den Beschuldigten belastend gewesen sein mag, kann nicht toleriert werden, dass ein Sanitäter einen seinem Schutz anvertraute Patienten verbal und körperlich attackiert.
Der Beschwerdeführer hat sich durch sein Verhalten einer derart schweren Dienstpflichtverletzung schuldig gemacht, dass das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und der Dienstgeberin sowie das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben als Sanitäter so grundlegend zerstört wurde, dass er für eine Weiterbeschäftigung untragbar ist.
Äußere Umstände oder Beweggründe, durch welche die begangene Tat auch einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen naheliegen könnte, sind in dem Verfahren nicht hervorgekommen.
Daran ändert auch das Vorbringen des Beschwerdeführers, den Patienten lediglich 'härter angepackt zu haben', weil betrunkene renitente Patientinnen und Patienten härter angefasst werden müssten, nichts. Der Beschwerdeführer übersieht bei dieser Argumentation, dass ihm nicht vorgeworfen wurde, er habe den ihm anvertrauten Patienten 'härter angefasst', vielmehr wurde ihm angelastet, diesen geschlagen zu haben. Einen wehrlosen Menschen mit Faustschlägen zu attackieren, widerspricht diametral dem Verhalten eines mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen und trägt daher nicht zur Entlastung des Beschwerdeführers bei.
Zu der vom Beschwerdeführer behaupteten fehlenden Öffentlichkeitswirksamkeit ist festzuhalten, dass es bei der Beurteilung der Strafbarkeit bzw. der Strafbemessung keine rechtserhebliche Rolle spielt, ob das Verhalten des Beamten an die Öffentlichkeit gelangt ist oder nicht."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Insoweit sich die beschwerdeführende Partei gegen die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung wendet, ist ihr entgegenzuhalten, dass die Beweiswürdigung ein Denkprozess ist, der nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich ist, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorganges handelt bzw. darum, ob die Beweisergebnisse, die in diesem Denkvorgang gewürdigt wurden, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind. Die Schlüssigkeit der Erwägungen innerhalb der Beweiswürdigung unterliegt daher der Kontrollbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , Zl. 85/02/0053). Die Beschwerdeausführungen lassen aber Zweifel an der Schlüssigkeit der von der belangten Behörde detailliert dargelegten Erwägungen zur Beweiswürdigung nicht aufkommen. Insbesondere werden die Aussagen des Zeugen I.H. nicht dadurch unglaubwürdig, dass dieser erst nach mehreren Tagen Meldung erstattet hat.
Der Beschwerdeführer rügt auch, dass sich die belangte Behörde auf die Aussage eines einzigen Zeugen gestützt habe. Entgegen seiner Ansicht kommt es nicht auf die Anzahl der aufgenommenen Beweise an, sondern auf deren inneren Wahrheitsgehalt (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/05/0231).
Nicht nachvollziehbar ist das Beschwerdevorbringen, die Aussage eines einzigen Zeugen sei "nicht objektiv" für die Beurteilung der "Schwere der Dienstpflichtverletzung. Der Beschwerdeführer vermischt hier Aspekte der Beweiswürdigung mit solchen der Strafbemessung. Ob eine Tat erwiesen ist, ist eine andere Frage als die Beurteilung der Schwere einer festgestellten Dienstpflichtverletzung.
Insoweit sich der Beschwerdeführer gegen die Strafe wendet, ist seinem Vorbringen, er sei erst einen Monat nach Begehung der Dienstpflichtverletzung suspendiert worden, zu entgegnen, dass es für die Rechtmäßigkeit einer Entlassung bedeutungslos ist, ob und wann eine Suspendierung ausgesprochen wurde.
Dennoch ist die Beschwerde berechtigt:
§ 77 DO 1994 idF LGBl. Nr. 2/2010 lautet:
"Strafbemessung
§ 77. (1) Maßgebend für die Höhe der Strafe ist die Schwere der Dienstpflichtverletzung. Dabei ist insbesondere Rücksicht zu nehmen
1. inwieweit das Vertrauen des Dienstgebers in die Person des Beamten durch die Dienstpflichtverletzung beeinträchtigt wurde,
2. inwieweit die beabsichtigte Strafe erforderlich ist, um den Beamten von der Begehung weiterer Dienstpflichtverletzungen abzuhalten,
3. sinngemäß auf die gemäß §§ 32 bis 35 StGB, für die Strafbemessung maßgebenden Gründe.
(2) Hat ein Beamter durch eine Tat oder durch mehrere selbständige Taten mehrere Dienstpflichtverletzungen begangen und wird über diese Dienstpflichtverletzungen gleichzeitig erkannt, ist nur eine Strafe zu verhängen. Diese Strafe ist nach der schwersten Dienstpflichtverletzung zu bemessen, wobei die weiteren Dienstpflichtverletzungen als Erschwerungsgrund zu werten sind.
(3) Hat sich der Beamte einer derart schweren Dienstpflichtverletzung schuldig gemacht, dass das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Dienstgeber oder das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben so grundlegend zerstört ist, dass er für eine Weiterbeschäftigung in seiner bisherigen Verwendung untragbar ist, ist ohne Rücksichtnahme auf die in Abs. 1 Z 2 und 3 genannten Strafbemessungsgründe jedenfalls die Disziplinarstrafe der Entlassung zu verhängen, es sei denn, die Tat ist auf äußere Umstände oder Beweggründe zurückzuführen, durch die sie auch einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen naheliegen könnte."
Ein Widerspruch zwischen Spruch und Begründung macht einen Bescheid inhaltlich rechtswidrig (vgl. aus vielen z.B. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 92/09/0121).
Die belangte Behörde stützt sich auf den "Untragbarkeitsgrundsatz" des § 77 Abs. 3 DO 1994.
Sie weist in der Begründung wesentlich darauf hin, es habe sich um einen "wehrlosen" Patienten gehandelt. Diese Beurteilung steht bereits mit der Tatumschreibung im Spruch des angefochtenen Bescheides im Widerspruch, denn dort wird ausgeführt, in welcher Weise sich der betrunkene Patient wiederholt bei seiner Verbringung in das Spital "gewehrt" hat (Aufstehen im Rettungswagen, Weigerung aus diesem auszusteigen, Versuch von der Spitalsliege zu steigen). Auch aus den Aussagen des I.H. ist zu ersehen, dass es sich um einen "renitenten" Alkoholisierten gehandelt hat, der "wieder wild um sich geschlagen hat". Der Zeuge MG sprach von einem "sehr unguten Patienten". In der im Akt einliegenden Krankengeschichte ist vermerkt: "Bei ausgeprägter psychomotorischer Unruhe entzieht sich der Pat. der klinischen Untersuchung ohne dabei Mitarbeiter zu gefährden. Tritt und schlägt um sich, hierbei werden alle Extremitäten frei bewegt."
Die belangte Behörde unterlässt Feststellungen zur Schwere der Taten, welche eine Beurteilung zuließen, in welchem Maß die Anwendung der körperlichen Gewalt durch den Beschwerdeführer unverhältnismäßig war; hiebei ist wesentlich auch das Verhalten des alkoholisierten Patienten (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 90/09/0181) und die (eventuell mangelhafte) Hilfestellung durch den zweiten Sanitäter I.H. einzubeziehen.
Der angefochtene Bescheid erweist sich daher mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
XAAAE-71990