VwGH vom 27.02.2018, Ra 2017/01/0401
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Fasching, Mag. Brandl sowie die Hofrätin Mag. Liebhart-Mutzl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Wech, über die Revision der Landespolizeidirektion Tirol gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom , Zl. LVwG- 2017/23/0816-8, betreffend Richtlinienbeschwerde nach § 89 Abs. 4 SPG (mitbeteiligte Partei: E D in I, vertreten durch Mag. Mathias Kapferer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Burggraben 4/4), zu Recht erkannt:
Spruch
Spruchpunkt I. des angefochtenen Erkenntnisses wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Angefochtenes Erkenntnis
1 Mit Spruchpunkt I. des angefochtenen Erkenntnisses wurde der Richtlinienbeschwerde der Mitbeteiligten nach § 89 Abs. 4 Sicherheitspolizeigesetz (SPG) Folge gegeben und festgestellt, dass durch die am gegenüber der Mitbeteiligten durch ein Organ der Landespolizeidirektion Tirol (LPD) getätigte Äußerung "wenn sie wollen, gehe ich jeden Tag da hinein und fische jeden Tag zehn heraus und nehme jeden Tag zehn fest" § 5 der Richtlinien-Verordnung, BGBl. Nr. 266/1993 (RLV), verletzt wurde (1.). Der Bund als Rechtsträger der LPD wurde zum Kostenersatz verpflichtet (2.) und die Revision für unzulässig erklärt (3.).
2 Das Verwaltungsgericht führte aus, die Mitbeteiligte habe vorgebracht, im Zuge der Identitätsfeststellung seien nicht nur ihr gegenüber, sondern auch gegenüber weiteren Mitarbeitern und Klienten des Jugendzentrums Äußerungen vorgenommen worden, die der Achtung der Menschenwürde entbehrten und den Eindruck der Voreingenommenheit erweckten.
3 Die LPD habe in ihrer Äußerung (unter anderem) vorgebracht, die Mitbeteiligte und eine weitere Mitarbeiterin des Jugendzentrums hätten sich "aufdringlich" neben die beiden Polizeibeamten gestellt und die Amtshandlung als "rassistisch" bezeichnet, weil aus dem Jugendzentrum "ausgerechnet" ein Asylwerber geholt worden sei.
4 Zunächst stellte das Verwaltungsgericht fest, zwei Polizeibeamte der LPD hätten vor einem näher bezeichneten und von einem Verein betriebenen Jugendzentrum eine Amtshandlung durchgeführt.
5 Bei diesem Jugendzentrum handle es sich um eine psychosoziale Einrichtung, in der vorwiegend junge Menschen, darunter viele mit Migrationshintergrund, betreut würden.
6 Die Amtshandlung habe den Asylwerber N N betroffen, der von den Beamten über ein vor dem Lokal aufgefundenes gestohlenes Moped befragt werden sollte.
7 Die Mitbeteiligte, eine Mitarbeiterin des Jugendzentrums, sei mit der Amtshandlung nicht einverstanden gewesen und habe hinterfragt, warum N N kontrolliert werde. Sie sei sodann von den Polizeibeamten aufgefordert worden, sich nicht einzumischen und wieder in das Vereinsgebäude zu gehen. Dass die Amtshandlung als "rassistisch" oder dergleichen bezeichnet worden sei, habe nicht festgestellt werden können. Jedenfalls sei eine lautstarke Diskussion entstanden und habe eine aufgebrachte Stimmung geherrscht.
8 Nach einer Äußerung der Mitbeteiligten, dass sie es nicht möge, "wenn man bei ihnen einfach Jugendliche herausfische", habe der Polizeibeamte die festgestellte Äußerung gemacht.
9 Beweiswürdigend wies das Verwaltungsgericht darauf hin, dass sich die Äußerung eindeutig aus "der Videoaufnahme" ergebe.
10 Rechtlich führte das Verwaltungsgericht aus, die Äußerung des einschreitenden Polizeibeamten vermittle den Eindruck von Voreingenommenheit. Es handle sich um eine abfällige Bemerkung, die "von oben herab" gegenüber der Mitbeteiligten geäußert worden sei und nicht dem "von einem Polizeibeamten zu wahrenden sachlichen zwischenmenschlichen Umgangston" entspreche. Darin liege eine unzureichende Achtung der Menschenwürde.
11 Die Äußerung sei zudem geeignet, als "Bedrohung" aufgefasst zu werden, da ein tägliches Erscheinen der Exekutive und die damit verbundene Durchführung von Kontrollen die Betreuungstätigkeit des Vereines erheblich beeinträchtigen würde.
12 Die getätigte Äußerung entspreche nicht einem achtungsvollen Umgang und verletze somit § 5 Abs. 1 RLV.
13 Gegen Spruchpunkt I. des Erkenntnisses richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision.
14 Die Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Zulässigkeit
15 Die Amtsrevision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, es stelle sich die Rechtsfrage, ob ein "unvoreingenommen wirkendes Verhalten" nach § 5 Abs. 1 RLV von einem Richtlinienbeschwerdeführer auch gegenüber Dritten eingefordert werden könne oder sich die "objektive Wirkung" (der Voreingenommenheit) auf den Beschwerdeführer beziehen müsse.
16 In der vorliegenden Rechtssache sei zwar die Mitbeteiligte Adressatin einer Amtshandlung (Identitätsfeststellung) gewesen. Jedoch habe sich die inkriminierte Äußerung nicht auf die Mitbeteiligte, sondern auf Dritte (nämlich den Verein und dessen "Klienten") bezogen. Sie sei daher objektiv ungeeignet gewesen, bei der Mitbeteiligten einen "wie immer gearteten Eindruck der Voreingenommenheit" zu erzeugen.
17 Die Revision ist zulässig.
Rechtslage
18 § 89 Sicherheitspolizeigesetz (SPG), BGBl. Nr. 566/1991
idF BGBl. I Nr. 161/2013, lautet:
"Beschwerden wegen Verletzung von Richtlinien für das
Einschreiten
§ 89. (1) Insoweit mit einer Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht die Verletzung einer gemäß § 31 festgelegten Richtlinie behauptet wird, hat das Landesverwaltungsgericht sie der zur Behandlung einer Aufsichtsbeschwerde in dieser Sache zuständigen Behörde zuzuleiten.
(2) Menschen, die in einer binnen sechs Wochen, wenn auch beim Landesverwaltungsgericht (Abs. 1), eingebrachten Aufsichtsbeschwerde behaupten, beim Einschreiten eines Organs des öffentlichen Sicherheitsdienstes, von dem sie betroffen waren, sei eine gemäß § 31 erlassene Richtlinie verletzt worden, haben Anspruch darauf, daß ihnen die Dienstaufsichtsbehörde den von ihr schließlich in diesem Punkte als erwiesen angenommenen Sachverhalt mitteilt und sich hiebei zur Frage äußert, ob eine Verletzung vorliegt.
(3) Wenn dies dem Interesse des Beschwerdeführers dient, einen Vorfall zur Sprache zu bringen, kann die Dienstaufsichtsbehörde eine auf die Behauptung einer Richtlinienverletzung beschränkte Beschwerde zum Anlaß nehmen, eine außerhalb der Dienstaufsicht erfolgende Aussprache des Beschwerdeführers mit dem von der Beschwerde betroffenen Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu ermöglichen. Von einer Mitteilung (Abs. 2) kann insoweit Abstand genommen werden, als der Beschwerdeführer schriftlich oder niederschriftlich erklärt, klaglos gestellt worden zu sein.
(4) Jeder, dem gemäß Abs. 2 mitgeteilt wurde, daß die Verletzung einer Richtlinie nicht festgestellt worden sei, hat das Recht, binnen 14 Tagen die Entscheidung des Landesverwaltungsgerichts zu verlangen, in dessen Sprengel das Organ eingeschritten ist; dasselbe gilt, wenn eine solche Mitteilung (Abs. 2) nicht binnen drei Monaten nach Einbringung der Aufsichtsbeschwerde ergeht. Das Landesverwaltungsgericht hat festzustellen, ob eine Richtlinie verletzt worden ist."
§ 31 SPG, BGBl. Nr. 566/1991, lautet auszugsweise:
"Richtlinien für das Einschreiten
§ 31. (1) Der Bundesminister für Inneres hat zur Sicherstellung wirkungsvollen einheitlichen Vorgehens und zur Minderung der Gefahr eines Konfliktes mit Betroffenen durch Verordnung Richtlinien für das Einschreiten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu erlassen.
(2) In diesen Richtlinien ist zur näheren Ausführung gesetzlicher Anordnungen insbesondere vorzusehen, daß
...
5. die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes beim Eingriff in Rechte von Menschen auf die Erkennbarkeit ihrer Unvoreingenommenheit Bedacht zu nehmen haben, sodaß ihr Einschreiten von den Betroffenen insbesondere nicht als Diskriminierung auf Grund ihres Geschlechtes, ihrer Rasse oder Hautfarbe, ihrer nationalen oder ethnischen Herkunft, ihres religiösen Bekenntnisses oder ihrer politischen Auffassung empfunden wird;"
19 § 5 Abs. 1 der Richtlinien-Verordnung (RLV), BGBl. Nr. 266/1993, lautet:
"Achtung der Menschenwürde
§ 5. (1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes haben bei der Erfüllung ihrer Aufgaben alles zu unterlassen, das geeignet ist, den Eindruck von Voreingenommenheit zu erwecken oder als Diskriminierung auf Grund des Geschlechtes, der Rasse oder Hautfarbe, der nationalen oder ethnischen Herkunft, des religiösen Bekenntnisses, der politischen Auffassung oder der sexuellen Orientierung empfunden zu werden."
Dritte nicht Adressaten des § 5 Abs. 1 RLV
20 Vorliegend stellt sich die Rechtsfrage, ob ein "unvoreingenommen wirkendes Verhalten" nach § 5 Abs. 1 RLV von einem Richtlinienbeschwerdeführer auch gegenüber Dritten eingefordert werden könne. Dies ist aus nachstehenden Gründen zu verneinen:
21 In einer Richtlinienbeschwerde muss zur Einleitung des Verfahrens die Verletzung einer Richtlinie behauptet werden. Die Beschwerde kann von Menschen erhoben werden, die behaupten, beim Einschreiten eines Organs des öffentlichen Sicherheitsdienstes, von dem sie betroffen waren, sei eine gemäß § 31 SPG erlassene Richtlinie verletzt worden (§ 89 Abs. 2 SPG). Diese Betroffenheit ist nach dem Kreis der Menschen zu bestimmen, deren Interessen von der jeweils in Frage stehenden Richtlinie geschützt werden (vgl. ).
22 Die RLV stellt einen Berufspflichtenkodex der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes dar und bezweckt, eine wirkungsvolle einheitliche Vorgangsweise der Sicherheitsexekutive sicherzustellen und die Gefahr von Konflikten mit den "Betroffenen" zu mindern (vgl. , mwN). "Aufgabenerfüllung" nach der RLV bedeutet jeder Kontakt zwischen Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes und "Betroffenen" im Zusammenhang mit (irgendeinem) "Einschreiten" (vgl. ).
23 Mit dieser Rechtsprechung hat der Verwaltungsgerichtshof (allgemein) klargestellt, dass die RLV Verpflichtungen nur gegenüber "Betroffenen" und nicht gegenüber Dritten aufstellt. Dieses Ziel der RLV, die Minderung der Gefahr eines Konfliktes mit Betroffenen, ergibt sich auch aus § 31 Abs. 1 SPG.
24 Noch deutlicher zeigt dies die (im vorliegenden Fall maßgebliche) Z 5 des § 31 Abs. 2 SPG, nach der es alleine auf den Betroffenen ankommt (arg.: "sodaß ihr Einschreiten von den Betroffenen ... empfunden wird"). Der korrespondierende § 5 Abs. 1
RLV ist allgemeiner gehalten ("geeignet ..., den Eindruck ... zu
erwecken oder ... empfunden zu werden"), muss jedoch
gesetzeskonform so gelesen werden wie § 31 Abs. 2 Z 5 SPG.
25 In diesem Sinne hat der Verwaltungsgerichtshof bereits festgehalten, dass nach § 5 Abs. 1 RLV jeder "betroffen" ist, der zum Adressaten einer beliebigen Amtshandlung wird. Anderen Personen steht die Geltendmachung der behaupteten Richtlinienverletzung nicht zu. Eine allenfalls durch das Handeln der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nur mittelbar bewirkte Auswirkung auf Dritte ändert daran nichts (vgl. betreffend eine behauptete Rufschädigung des Lokales durch den Lokalinhaber , mwN).
26 Aus diesen Gründen kann vom Betroffenen einer Amtshandlung in einer Richtlinienbeschwerde ein "unvoreingenommen wirkendes Verhalten" nach § 5 Abs. 1 RLV nur gegenüber sich selbst, nicht aber gegenüber Dritten eingefordert werden.
Fallbezogene Anwendung
27 Ausgehend von diesen Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofes zu § 5 Abs. 1 RLV erweist sich das angefochtene Erkenntnis als rechtwidrig:
28 Die Auffassung des Verwaltungsgerichtes, die Äußerung sei geeignet, die Betreuungstätigkeit des Vereines im vorliegenden Jugendzentrum zu beeinträchtigen, übersieht, dass vom Betroffenen einer Amtshandlung ein "unvoreingenommen wirkendes Verhalten" nach § 5 Abs. 1 RLV nur gegenüber sich selbst, nicht aber gegenüber Dritten eingefordert werden kann. Eine allenfalls durch das Handeln der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes mittelbar bewirkte Auswirkung auf Dritte, kann nicht geltend gemacht werden.
29 Die Mitbeteiligte bringt in ihrer Revisionsbeantwortung vor, sie sei von der festgestellten Äußerung betroffen, weil ihr gegenüber von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes erklärt worden sei, dass sich die weitere "Zusammenarbeit" zwischen ihr und dem einschreitenden Organ im Sinne der festgestellten Äußerung gestalten werde. Zu diesem Vorbringen genügt es darauf hinzuweisen, dass sich dieses von den Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses (und auch dem Vorbringen in der Richtlinienbeschwerde) entfernt.
30 Das Verwaltungsgericht hat aber auch ein "unvoreingenommen wirkendes Verhalten" gegenüber der Mitbeteiligten als Betroffene angenommen: Es habe sich bei der festgestellten Äußerung um eine abfällige Bemerkung gehandelt, die "von oben herab" gegenüber der Mitbeteiligten geäußert worden sei und nicht dem "von einem Polizeibeamten zu wahrenden sachlichen zwischenmenschlichen Umgangston" entspreche. Auch kann die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses dahin verstanden werden, dass die Äußerung vom Verwaltungsgericht als "Bedrohung" gegenüber der Mitbeteiligten aufgefasst wurde.
Maßstab der Unvoreingenommenheit
31 Zu dieser Auffassung ist das Verwaltungsgericht auf
folgende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen:
32 Nach § 5 Abs. 1 RLV kommt es darauf an, ob der Beamte eine
Handlung gesetzt hat, die objektiv auf Voreingenommenheit hinweist. Ob der Beamte tatsächlich voreingenommen war, ist nicht maßgeblich (vgl. , und ).
33 Ein in einem als aggressiv, unfreundlich, rüpelhaft, herrisch, streitsüchtig oder provokant empfundenen Tonfall ausgesprochener Befehl eines Organs der öffentlichen Aufsicht übersteigt - abgesehen von der Schwierigkeit, ein solches Empfinden mit objektiven Maßstäben zu werten - zwar den im Zusammenhang mit der Erteilung einer zu befolgenden Anordnung üblichen zwischenmenschlichen Umgangston. Ein solches Verhalten ist aber noch nicht so gravierend, dass hieraus eine Verletzung der Richtlinie gemäß § 5 RLV resultieren würde. Auch eine als abfällig empfundene Handbewegung bzw. das als sarkastisch gewertete Lächeln des einschreitenden Sicherheitswachebeamten ist nicht geeignet, den Eindruck von Voreingenommenheit in objektiv nachvollziehbarer Form zu erwecken (vgl. , mwN).
34 Ausgehend von diesem Maßstab ist die vom Verwaltungsgericht festgestellte Äußerung des Polizeibeamten nicht geeignet, gegenüber der Mitbeteiligten den Eindruck von Voreingenommenheit in objektiv nachvollziehbarer Form zu erwecken.
35 Nicht zu beurteilen war nach dem Obgesagten, ob diese Äußerung allenfalls gegenüber Dritten ein "unvoreingenommen wirkendes Verhalten" nach § 5 Abs. 1 RLV bedeuten könnte. Ergebnis
36 Spruchpunkt I. des angefochtenen Erkenntnisses war daher wegen (der vorrangig aufzugreifenden) Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017010401.L00 |
Schlagworte: | Auslegung Gesetzeskonforme Auslegung von Verordnungen Verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen VwRallg3/3 |
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