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VwGH vom 24.04.2012, 2012/09/0021

VwGH vom 24.04.2012, 2012/09/0021

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler, Dr. Strohmayer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des Disziplinaranwalts bei der Disziplinaroberkommission Dr. AK, Bundesministerium für Inneres in 1014 Wien, gegen den Bescheid der Disziplinaroberkommission beim Bundeskanzleramt vom , Zl. 77/15-DOK/11, betreffend Freispruch in einer Disziplinarsache nach dem BDG 1979 (weitere Partei:

Bundesministerin für Inneres; mitbeteiligte Partei: RM in T, vertreten durch Mag. Wolfgang Kleinhappel, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rabensteig 8), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird im Umfang des Freispruches zu Spruchpunkt I. 1.) des Bescheides der Behörde erster Instanz wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Im Übrigen, sohin im Umfang des Freispruches zu Spruchpunkt I. 2.) des Bescheides der Behörde erster Instanz, wird der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit Disziplinarerkenntnis der Behörde erster Instanz vom wurde der Mitbeteiligte

I.) schuldig erkannt, er habe

1.) die ihm seitens seines Fachvorgesetzten, BezInsp WÖ, am während seines Dienstes erteilte mündliche Weisung, den (während dieses Dienstes seitens HE angezeigten) Sachverhalt hinsichtlich Verkehrsunfall mit Sachschaden und Fahrerflucht der BH Tulln anzuzeigen bzw. zur verwaltungsstrafrechtlichen Beurteilung vorzulegen, missachtet, indem er die Anzeige A… im VStV storniert und den stornierten Akt KontrInsp ST zur Genehmigung vorgelegt habe;

er habe dadurch eine Dienstpflichtverletzung gemäß § 44 Abs. 1 BDG 1979 iVm § 91 BDG 1979 begangen;

2.) sowie am gegen 00.51 Uhr unterlassen, im Zusammenhang mit der ihm angezeigten Abgängigkeit des BE die für die Weiterleitung an die zuständige Polizeiinspektion notwendigen und erforderlichen Daten zu erfragen, den Sachverhalt und die nach dem Wohnort zuständige Dienststelle zu verständigen und somit gegen eine Weisung in Form des Punktes 3.6.1 Abs. 3 Z. 2 und 9 des Erlasses des Bundesministerium für Inneres, BMI-OA 1000/0253/II/1/2005 (in der Folge: Erlass), iVm § 91 BDG 1979 verstoßen;

er habe dadurch eine Dienstpflichtverletzung gemäß § 44 Abs. 1 BDG 1979 iVm Punkt 3.6.1 Abs. 3 Z. 2 und 9 des Erlasses, iVm § 91 BDG 1979 begangen.

Es wurde die Disziplinarstrafe der Geldstrafe in Höhe eines Monatsbezuges (EUR 1.104,10) verhängt.

II.) Hingegen wurde er vom Vorwurf, er habe es am um 20.00 Uhr unterlassen, die Anfrage des Bruders des BE, ob ein Unfall bekannt sei, bei dem BE beteiligt gewesen sei, im elektronischen Einsatzprotokollsystem (EPS) zu dokumentieren und somit gegen eine Weisung in Form des Punktes 3.6.1 Abs. 3 Z. 9 des Erlasses verstoßen,

er habe dadurch eine Dienstpflichtverletzung gemäß § 44 Abs. 1 BDG 1979 iVm Punkt 3.6.1 Abs. 3 Z. 9 des Erlasses, iVm § 91 BDG 1979 begangen,

gemäß § 126 Abs. 1 BDG 1979 iVm § 118 Abs. 1 Z. 2 1. Halbsatz BDG 1979 freigesprochen.

Gegen den verurteilenden Teil erhob der Mitbeteiligte Berufung, der die belangte Behörde Folge gab und den Mitbeteiligten von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen gemäß §§ 126 Abs. 2 iVm 118 Abs. 1 Z. 1 und 2 BDG 1979 freisprach.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde des Disziplinaranwaltes.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zu Spruchpunkt I. 1.) des Bescheides der Behörde erster Instanz:

Die Behörde erster Instanz führte eine mündliche Verhandlung durch.

Zu Punkt I. 1.) gab der einvernommene Zeuge BezInsp WÖ an, dem Mitbeteiligten gesagt zu haben, dass "der Akt im VSTV eingetragen werden muss und dass dieser dann zur BH geht" und bei einem weiteren Gespräch wiederholt habe, "dass die Entscheidung darüber bei der BH liegt. Der Akt muss vorgelegt werden". Er habe dem Mitbeteiligten nicht die Erlaubnis erteilt, den Fahrerfluchtakt zu stornieren. Auf nochmalige Nachfrage gab der Zeuge an:

"Auf Frage des DA, ob er dem (Mitbeteiligten) zweimal darauf hingewiesen habe, den Akt der BH vorzulegen, antwortete der Zeuge mit ja. Beim ersten Mal habe er diesem gesagt, dass der Akt - was auch logisch ist - im VSTV zu protokollieren ist und beim zweiten Gespräch habe ich diesem auf jeden Fall gesagt, dass der Akt jedenfalls an die BH weiterzuleiten ist."

Diese Aussage würdigte die Behörde erster Instanz, "die Aussage des Zeugen ist nachvollziehbar und ergeben sich keine Hinweise an dessen Glaubwürdigkeit zu zweifeln. Für den Senat ist daher erwiesen, dass dem (Mitbeteiligten) seitens BezInsp WÖ zwei Mal die Weisung erteilt wurde, zunächst den Akt zu protokollieren und in weiterer Folge trotz der neuen Umstände den Sachverhalt der BH Tulln anzuzeigen."

Die belangte Behörde begründete den Freispruch in diesem Punkt folgendermaßen:

"Vorauszuschicken ist, dass der erkennende Senat der DOK nicht die Augen davor verschließt, dass der diesen Spruchpunkt betreffende Handlungsablauf durchaus so stattgefunden haben kann. Der angeschuldigte Sachverhalt ist mit allen Nebenumständen nicht unplausibel, sodass es durchaus möglich ist, dass der (Mitbeteiligte) die genannte Weisung missachtet hat.

Dass allerdings ein bestimmter Sachverhalt nicht unwahrscheinlich ist, reicht im Hinblick auf die stricktest zu handhabende Zweifelsregel des 'in dubio pro reo' nicht aus, um zu einem verurteilenden Erkenntnis zu gelangen. Um einen Schuldspruch fällen zu können, muss, wenn schon nicht mit Sicherheit, so doch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden können, dass sich der einem Schuldspruch zugrundeliegende Sachverhalt in den bestrafungsrelevanten Punkten (das ist im vorliegenden Fall die Missachtung dieser Weisung sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht, also schuldhaft bzw. laut Erstinstanz vorsätzlich) tatsächlich so zugetragen hat.

Diese an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit ist im vorliegenden Fall jedoch nach Auffassung des erkennenden Senates der DOK zumindest in Bezug auf ein schuldhaftes Fehlverhalten des (Mitbeteiligten) (subjektive Tatseite) nicht gegeben. Wie im erstinstanzlichen Bescheid auf Seite 14 ausgeführt, hat Zeuge WÖ auf Befragung durch die Verteidigung erklärt, dass Akten bei unbekannter Täterschaft an der Dienststelle verbleiben und dort evident gehalten werden. Wie ebenfalls im erstinstanzlichen Bescheid wiedergegeben hat der (Mitbeteiligte) ausgesagt, dass ihn der Zulassungsbesitzer des angeblich beschädigten Fahrzeuges (ob tatsächlich ein Schaden eingetreten ist, ist dem erstinstanzlichen Bescheid nicht zweifelsfrei zu entnehmen) in weiterer Folge angerufen und ihm mitgeteilt hat, dass er die Anzeige zurückzieht, da er sich offenbar geirrt hat. Da auch die weiteren Erhebungen des (Mitbeteiligten) zu dem Ergebnis geführt haben, dass der ihm zuvor vom allenfalls geschädigten Zulassungsbesitzer genannte gegnerische Zulassungsbesitzer nicht der Täter sein konnte, hätte dies - bei weisungsgemäßem Verhalten - zu dem Ergebnis geführt, dass der (Mitbeteiligte) eine vom Geschädigten zurückgezogene Anzeige gegen nunmehr Unbekannt entgegen der Behördenpraxis (siehe Aussage Zeuge WÖ) an die BH Tulln hätte weiterleiten müssen; dies erscheint in der Tat wenig sinnvoll.

Dass der (Mitbeteiligte) - der sich an eine Wiederholung dieser jedenfalls schwer nachvollziehbaren Weisung nicht mehr erinnern kann - vor diesem Hintergrund davon ausgegangen ist, er könne mit dieser Anzeige nach deren Zurückziehung durch den Anzeigenleger wieder in der Weise verfahren, wie dies an der PI offenbar üblich sein dürfte (er hat die Anzeige gegen den mutmaßlichen Täter im VStV storniert und den stornierten Akt ohnehin zur Genehmigung vorgelegt, also nichts verheimlicht), und zwar ohne zuvor allenfalls rückfragen zu müssen, ist für den erkennenden Senat der DOK hingegen nachvollziehbar. Nach ho. Auffassung ist daher der für die Verurteilung des (Mitbeteiligten) herangezogene Sachverhalt bereits nicht ausreichend festgestellt, doch erübrigen sich diesbezügliche weitere Erhebungen deshalb, weil vor diesem Hintergrund das Vorliegen einer subjektiven Tatseite beim (Mitbeteiligten) - also sein Verschulden - nicht mit der für eine Verurteilung notwendigen Sicherheit feststellbar ist. Der (Mitbeteiligte) ist daher von diesem Vorwurf der Missachtung einer Weisung gemäß §§ 118 Abs. 1 Z 2 Fall 1 iVm § 126 Abs. 2 BDG 'in dubio pro reo' freizusprechen."

Nach diesen Ausführungen ist schwer nachzuvollziehen, welchen Sachverhalt die belangte Behörde ihrer Entscheidung zu Grunde legt.

In der Gegenschrift stellt die belangte Behörde allerdings klar, was sie meint:

"Wie bereits die Erstinstanz in ihrer Begründung ausgeführt hat, konnte sich der (Mitbeteiligte) an die Wiederholung der ihm zuvor erteilten Weisung, nachdem sich die Sachlage geändert hatte , nicht erinnern. Die Erstinstanz hat dieser Aussage des (Mitbeteiligten) allerdings keinen Glauben geschenkt, wozu sie lediglich darauf verwiesen hat, dass die dem (Mitbeteiligten)vorbringen entgegenstehende Aussage des Zeugen nachvollziehbar sei und keine Hinweise bestünden an seiner Glaubwürdigkeit zu zweifeln. Der erkennende Senat der DOK ist hingegen dieser Aussage des Zeugen nicht gefolgt, sondern ist in Übereinstimmung mit dem (Mitbeteiligten) im Zweifel davon ausgegangen, dass die aus im Disziplinarerkenntnis dargelegten Gründen nicht ohne Weiteres nachvollziehbare Weisung möglicherweise nicht erteilt worden ist und somit jedenfalls Zweifel am Vorliegen der subjektiven Tatseite beim (Mitbeteiligten) bestehen. Aus diesen Gründen hat sie den (Mitbeteiligten) im Zweifel freigesprochen, ohne dass sie dabei von den Sachverhaltsfeststellungen der Erstinstanz abgewichen ist; sie hat lediglich die Beweise anders gewürdigt, was jedoch nach ho. Auffassung keine Pflicht zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor der Zweitinstanz auslöst."

Hat der Disziplinarbeschuldigte in der Berufung die Beweiswürdigung der Disziplinarbehörde erster Instanz substanziiert gerügt (wovon die belangte Behörde augenscheinlich ausgeht), dann darf die zweitinstanzliche Disziplinarbehörde die Frage, ob der von ihr angenommene, damit in Widerspruch stehende Sachverhalt als "klar" zu werten sei, zufolge § 126 Abs. 1 BDG 1979 nicht nach der Aktenlage, sondern ausschließlich aufgrund von Ergebnissen beurteilen, die in einer von ihr (unmittelbar) durchgeführten mündlichen Verhandlung vorgekommen sind. Dies gilt - mangels einer diesbezüglichen Einschränkung im Gesetz - auch dann, wenn die belangte Behörde die Beweisergebnisse zugunsten des Disziplinarbeschuldigten anders würdigt. Die belangte Behörde hätte daher aufgrund des im Disziplinarverfahren geltenden Unmittelbarkeitsgrundsatzes eine mündliche Verhandlung durchführen müssen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/09/0181, und vom , Zl. 2011/09/0150).

Da die belangte Behörde sohin die von der Behörde erster Instanz in mündlicher Verhandlung aufgenommenen Beweise anders würdigte, ohne eine neuerliche mündliche Verhandlung durchzuführen, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, weshalb der angefochtene Bescheid in Spruchpunkt 1.) des Bescheides der Behörde erster Instanz gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben war.

Zu Punkt I. 2.) des Bescheides der Behörde erster Instanz:

Die Behörde erster Instanz begründete ihren Schuldspruch folgendermaßen:

"Weisungen sind- abhängig vom Adressatenkreis- individuelle oder generelle Normen. Sie können mündlich oder schriftlich ergehen ( Zl. 97/09/0326). Dass der Erlass des BM.I eine Weisung darstellt, steht außer Zweifel

Der (Mitbeteiligte) bestätigte, in Kenntnis des bezughabenden Erlasses bzw. der relevanten Ziffern zu sein. Warum er diesen Anruf nicht dokumentiert hatte bzw. geeignete Maßnahmen in die Wege geleitet hatte, wurde damit begründet, dass er nicht die Bedeutung des Sachverhaltes erkannt hatte.

Die dazu einvernommene Zeugin DB vermochte aufgrund des lange zurückliegenden Vorfalls und der Tatsache, dass sie sich damals in einem Ausnahmezustand befunden hatte, keine Aussagen mehr zu treffen. Sie verwies auf die damals vor der Polizei gemachten Angaben.

Danach hat (AS 41f, von KI ST verfasster Aktenvermerk von (richtig 2010)) sie beim vorliegenden Telefonat dem Beamten mitgeteilt, dass ihr Mann seit , 08.00 Uhr abgängig sei, sie schon alles abgesucht hatte und diesen nicht finden konnte. Gefragt wurde, ob eine Handypeilung möglich sei, wobei sie vom Beamten an den Handybetreiber verwiesen worden sei. Sie hätte auch nachgefragt, ob eine Vermisstenanzeige möglich wäre, wobei er die Ansicht vertreten habe, dass dies erst nach 24 Stunden möglich sei.

Aufgrund des durchgeführten Beweisverfahrens ist die Schuld- und Straffrage zu bejahen, wobei dem Beamten vorsätzliches Handeln vorzuwerfen ist.

Zutreffend ist wohl, dass die Exekutivdienstrichtlinien von einem relevanten Sachverhalt sprechen, der zu dokumentieren ist. Zutreffend ist auch, dass, nachdem sich diesbezüglich keine Erläuterungen in diesen Richtlinien befinden, was darunter zu verstehen ist, die Auslegung des Begriffes im Ermessen des Beamten steht. Allerdings steht nach Ansicht des Senates zweifelsfrei fest, dass es sich nunmehr um einen relevanten Sachverhalt gehandelt hat, der zu dokumentieren gewesen war und geeignete Maßahmen aufgrund dessen zu setzen gewesen wären. Dies ergibt sich schon aus dem Zusammenhalt mit der Tatsache, dass bereits der Bruder des Abgängigen um ca. 20.00 Uhr bei der Polizei selbst vorgesprochen und darauf hingewiesen hatte, dass Hr. BE telefonisch nicht erreicht werden kann, dieser -was für diesen unüblich ist - auch nicht zurückgerufen hatte und noch nicht von der Arbeit zurückgekehrt sei, sodass ein Unfall befürchtet wird. Der Beamte hatte noch Einsicht in den Computer genommen und festgestellt, dass ein solcher, an welchem Hr. BE beteiligt gewesen wäre, nicht gemeldet worden ist. Immerhin stand nunmehr fest, dass der Abgängige nicht nur seit 17.00 Uhr (Ende seiner Arbeitszeit) sondern auch seit 08.00 Uhr abgängig war. Fr. DB hatte sogar sowohl eine Handypeilung angeregt als auch den Wunsch geäußert, eine Vermisstenanzeige zu erstatten.

Damit ist auch klar gestellt, dass es sich bei dem Anruf um einen Notruf gehandelt hatte.

Der Vollständigkeit halber sei auch erwähnt, dass der Verweis, sich mit dem Handybetreiber zwecks Peilung ins Einvernehmen zu setzen, sachlich unrichtig war, da dies nur über die Polizei in Angriff genommen werden kann, ebenso wie der Hinweis, dass die Erstattung einer Vermisstenanzeige erst nach 24 Stunden möglich sei. Eine derartige Bestimmung ist dem Senat unbekannt und konnte der (Mitbeteiligte) eine solche ebenso nicht anführen. Sein Einwand, dass im BMI Helpdesk sich ein diesbezüglicher Hinweis findet, vermag den Beamten nicht zu exkulpieren, da es sich dabei weder um eine Dienstanweisung, noch um einen Dienstbefehl oder eine sonstige seitens des Beamten anzuwendende Vorschrift handelt."

Die belangte Behörde argumentierte - zusammengefasst - dahingehend, dass ihr "unklar" sei, "inwieweit sich die Informationslage des Mitbeteiligten seit dem ersten Anruf des Bruders von Hr. BE (, 20.00 Uhr) durch den Anruf der Ehegattin am , 00.51 Uhr "in einem relevanten Ausmaß geändert" habe. Es läge weder ein "Notruf noch ein Alarm" vor.

Der Disziplinaranwalt hält dem unter Hinweis auf die Ausführungen der Behörde erster Instanz entgegen:

"Aus dem Zusammenhalt mit der Tatsache, dass bereits der Bruder des Abgängigen um ca. 20.00 Uhr bei der Polizei selbst vorgesprochen und darauf hingewiesen hatte, dass Hr. BE telefonisch nicht erreicht werden kann, dieser - was für diesen unüblich ist - auch nicht zurückgerufen hatte und noch nicht von der Arbeit zurückgekehrt sei, sodass ein Unfall befürchtet werde, hatte der (Mitbeteiligte) noch Einsicht in den Computer genommen und festgestellt, dass ein solcher, an welchem Hr. BE beteiligt gewesen wäre, nicht gemeldet worden sei. Nach 00.51 Uhr stand aber nunmehr fest, dass der Abgängige nicht nur seit 17.00 Uhr (Ende seiner Arbeitszeit) sondern auch seit 08.00 Uhr abgängig war. (Die Ehefrau) hatte sogar sowohl eine Handypeilung angeregt als auch den Wunsch geäußert, eine Vermisstenanzeige zu erstatten."

Der Erlass sieht in seinem Punkt 3.6.1 Abs. 3 folgende Aufgaben vor:

"Z. 2 Entgegennahme von Notrufen und Alarmen sowie Veranlassung der erforderlichen Maßnahmen

Z. 9 Dokumentation relevanter Sachverhalte (z.B. in Form von Tagesberichten)"

Unter Notruf ist ein (meist telefonisch oder per Funk übermittelter) Hilferuf (bei Gefahr für Menschenleben) zu verstehen (vgl. Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 1978, Band 4, und Duden online, www.duden.de/zitieren/10150938/2.2, ).

Da es sich bei der vorliegenden, dem Mitbeteiligten bekannten Situation, dass nämlich ein - wenn auch volljähriger - Bankangestellter ohne seinen nächsten Angehörigen (wie hier seiner Ehefrau, die laut Aktenvermerk des die Abgängigkeitsanzeige am , um 8.05 Uhr schließlich aufnehmenden Beamten KR "hochschwanger" war) etwas anzukündigen, am Morgen nicht an seiner Arbeitsstelle erscheint, am Abend nicht in seine Wohnung zurückkehrt, telefonisch nicht erreichbar ist und entgegen seinen Gewohnheiten nicht zurückruft, die Nachforschungen seitens der Ehefrau und des Bruders erfolglos verlaufen waren und mittlerweile seit dem letzten Kontakt fast 17 Stunden vergangen waren, um eine außergewöhnliche, eine Gefahr für BE indizierende Situation handelt, ist mit der Ansicht der Behörde erster Instanz und gegen die Ansicht der belangten Behörde jedenfalls der Anruf der Ehefrau des BE am um 00.51 Uhr als Hilferuf an die Polizei und damit als Notruf im Sinne des Erlasses einzustufen. Der Mitbeteiligte wäre spätestens ab diesem Zeitpunkt verpflichtet gewesen, erforderliche Maßnahmen (wie etwa die im Schuldspruch der Behörde erster Instanz genannten Beispiele, aber auch Befragung der Ehefrau hinsichtlich näherer Umstände vor dem Verschwinden, der bisher von ihr und ihrem Bruder gesetzten Maßnahmen, Verständigung von Sektorstreifen zwecks Ausschau nach dem Fahrzeug des BE …) zu treffen.

Dies ergibt sich unabhängig von der Tatsache, dass BE "sich in den frühen Morgenstunden des nächst einem Donaualtarm an einem Baum erhängt hat".

Indem die belangte Behörde dies verkannt hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.

Dass der Mitbeteiligte am um 00.51 Uhr eine Dokumentation im Sinne des Punktes 3.6.1 Abs. 3 Z. 9 des Erlasses unterlassen habe, wurde ihm im Bescheid der Behörde erster Instanz nicht angelastet. Die Erwähnung bloß der Z. 9 des Erlasses kann eine wörtliche Tatanlastung nicht ersetzen. Die Anlastung des Fehlens einer Dokumentation betreffend diese Tatzeit findet sich auch nicht in dem den Umfang der Disziplinarsache begrenzenden Einleitungs- und Verhandlungsbeschluss vom .

Sache des Berufungsverfahrens ist die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs des Bescheides der Unterinstanz gebildet hat (vgl. die in Walter/Thienel,

Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998), Seite 1264, E 108 ff, wiedergegebene hg. Rechtsprechung).

Fehlt eine verbale Tatanlastung, dann ist es der Berufungsbehörde verwehrt, eine Entscheidung zu dieser "fiktiven" Tatanlastung zu treffen, wie dies die belangte Behörde offenbar zu Punkt 3.6.1 Abs. 3 Z. 9 des Erlasses getan hat. Hingegen ist die Berufungsbehörde verpflichtet, im Spruch ihres Bescheides die verletzte Gesetzesstelle richtigzustellen, was im konkreten Fall für den Fall eines Schuldspruches im Sinne des Spruches der belangten Behörde lediglich bedeutet, dass die Zitierung der Z. 9 des Erlasses zu entfallen habe.

Im Hinblick auf das fortzusetzende Verfahren und die dann zu behandelnde Rüge der mitbeteiligten Partei in der Berufung, im Spruch des Bescheides der Behörde erster Instanz fehle der genaue Wortlaut der Z. 2 des Erlasses, es sei der Inhalt der Weisung lediglich zu Z. 2 dieses Erlasses konkret ausgeführt, weist der Verwaltungsgerichtshof noch einmal darauf hin, dass die Berufungsbehörde berechtigt und verpflichtet wäre, den Inhalt der im Spruch bloß nach der Ziffer zitierten Norm im Falle eines Schuldspruches in den Spruch ihres Bescheides aufzunehmen, weil dadurch dem Mitbeteiligten kein anderer Sachverhalt zur Last gelegt würde.

Der angefochtene Bescheid erweist sich daher hinsichtlich Spruchpunkt I. 2.) des Bescheides der Behörde erster Instanz mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am

Fundstelle(n):
AAAAE-71963