VwGH vom 26.09.2007, 2007/21/0215

VwGH vom 26.09.2007, 2007/21/0215

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):

2007/21/0296 E

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des M, vertreten durch Dr. Hans Heißl, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maria-Theresien-Straße 21/3, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg vom , Zl. UVS-410a-001/E2-2007, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, wurde am in Bregenz geboren. Er wuchs in Vorarlberg (in Lochau) auf und absolvierte nach dem Pflichtschulbesuch eine Kellner-Ausbildung mit gutem Erfolg. In Österreich leben auch seine Eltern und zwei Schwestern, von denen jedenfalls eine mittlerweile österreichische Staatsbürgerin ist.

Im Hinblick auf mehrere strafgerichtliche Verurteilungen des Beschwerdeführers verhängte die Bezirkshauptmannschaft Bregenz mit Bescheid vom gegen den Beschwerdeführer gemäß § 60 Abs. 1 und 2 Z 1 iVm § 61 Z 4 sowie §§ 63 und 66 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG ein unbefristetes Aufenthaltsverbot.

Der dagegen erhobenen Berufung gab der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Vorarlberg (die belangte Behörde) mit dem angefochtenen Bescheid vom nur insofern Folge, als die Dauer des Aufenthaltsverbotes auf 15 Jahre herabgesetzt wurde.

Begründend stellte die belangte Behörde (über den eingangs erwähnten Sachverhalt hinaus) fest, der Beschwerdeführer sei Ende 1999 nach Innsbruck und später nach Wien gezogen, wo er jeweils einer Beschäftigung nachgegangen sei. In weiterer Folge sei er nach Innsbruck und dann nach Bregenz zurückgekehrt und er habe auch dort gearbeitet. Der Beschwerdeführer sei jedoch in "Drogenkreise" gekommen, habe später seine Arbeit verloren und sei immer mehr in die Kriminalität abgeglitten. Daran anschließend stellte die belangte Behörde die (beginnend mit 1995) gegen den Beschwerdeführer ergangenen strafgerichtlichen Schuldsprüche und die ihnen zugrundeliegenden Tathandlungen im Einzelnen dar. Danach sei der Beschwerdeführer, nachdem er davor nur zu Geldstrafen verurteilt worden war, zuletzt mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom in Verbindung mit dem Berufungsurteil des Oberlandesgerichtes Graz vom wegen des teils vollendeten, teils versuchten gewerbsmäßig schweren und durch Einbruch begangenen Diebstahls und anderer Delikte zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von dreieinhalb Jahren verurteilt worden.

Diese Verurteilung - so führte die belangte Behörde nach Zitierung der maßgeblichen Rechtsvorschriften aus - erfülle die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 FPG und rechtfertige im Zusammenhalt mit den Sachverhalten, die den anderen Verurteilungen zugrunde lägen, die Annahme, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde sowie anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderlaufe. Wegen der Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren, bilde dies auch eine "bestimmte Tatsache" im Sinne des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG. Dieser Verurteilung lägen außergewöhnlich zahlreiche, über einen längeren Zeitraum andauernde, nach derselben Methode durchgeführte, auf der gleichen schädlichen Neigung beruhende und gegen das Rechtsgut des fremden Vermögens gerichtete strafbare Handlungen zugrunde. Dadurch habe der Beschwerdeführer gezeigt, dass er nicht in der Lage und nicht gewillt sei, sich an die in Österreich geltenden Gesetze zu halten. Aus diesen Straftaten sei auch abzuleiten, dass beim Beschwerdeführer kaum ein Unrechtsbewusstsein vorhanden sei und auch in dieser Hinsicht stelle sein Verhalten somit eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre.

In den weiteren Ausführungen ging die belangte Behörde von einem "hohen Integrationsgrad" des Beschwerdeführers aus und sie prüfte demzufolge die Zulässigkeit des durch das Aufenthaltsverbot bewirkten Eingriffs in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers unter dem Gesichtspunkt des § 66 (iVm § 60 Abs. 6) FPG, wobei sie auch eine Interessenabwägung nach Abs. 2 dieser Gesetzesstelle vornahm. Sie kam dabei zu dem Ergebnis, dass das Aufenthaltsverbot zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, zur Verhinderung von weiteren strafbaren Handlungen und zum Schutz der Rechte anderer dringend erforderlich sei und die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes schwerer wiegen würden als dessen Auswirkungen auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers. Das Aufenthaltsverbot sei wegen der Höhe der erwähnten Freiheitsstrafe auch nicht nach § 61 FPG unzulässig.

Die Herabsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes sei lediglich deshalb vorgenommen worden, weil der Beschwerdeführer in Österreich geboren und hier im Familienkreis aufgewachsen sei. Die "gegebene Integration" habe die belangte Behörde veranlasst, dem Beschwerdeführer eine Zukunftsperspektive mit der Möglichkeit einer "Rückkehr in den Familienkreis" bei entsprechendem Wohlverhalten einzuräumen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Gemäß § 9 Abs. 1 FPG entscheiden - als im Verfassungsrang normierte Ausnahme zur grundsätzlichen Zuständigkeit der Sicherheitsdirektionen - über Berufungen gegen nach dem FPG ergangene Bescheide im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind die unabhängigen Verwaltungssenate - vor dem Hintergrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofes vom , Rs C-136/03 (Dörr/Ünal) - aber auch in Berufungssachen nach dem FPG im Falle von türkischen Staatsangehörigen zuständig, sofern diese die Voraussetzungen nach Art. 6 oder nach Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des - durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten - Assoziationsrats vom über die Entwicklung der Assoziation (ARB) erfüllen (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2006/21/0280, mit dem Hinweis auf das Erkenntnis vom , Zl. 2006/18/0138, und auch auf den Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom , G 26/06 ua). Davon ist die belangte Behörde - wie sich aus der Inanspruchnahme ihrer Zuständigkeit erkennen lässt - offenbar ausgegangen. Das Bestehen einer ARB-Berechtigung des Beschwerdeführers war im Verfahren bisher auch nicht strittig und ist auf dem Boden der sachverhaltsmäßigen Annahmen im angefochtenen Bescheid auch nicht zu beanstanden.

Von daher bedarf aber die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer im Hinblick auf Art. 14 ARB und die insoweit gebotene Gleichbehandlung von assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen mit EWR-Bürgern in materiellrechtlicher Hinsicht das Vorliegen der in § 86 Abs. 1 FPG, mit dem die Richtlinie 2004/38/EG umgesetzt wurde, umschriebenen Voraussetzungen (vgl. auch dazu das schon erwähnte Erkenntnis Zl. 2006/18/0138, auf dessen Punkt 2.2. der Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird; siehe daran anschließend etwa auch die Erkenntnisse vom , Zl. 2006/18/0339, und Zl. 2006/18/0262). Die genannte Bestimmung des FPG lautet samt Überschrift (auszugsweise) wie folgt:

"Sonderbestimmungen für den Entzug der Aufenthaltsberechtigung und für verfahrensfreie Maßnahmen

§ 86. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes ihren Hauptwohnsitz ununterbrochen seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet

nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. ... "

Demnach verlangt die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen türkischen Staatsangehörigen, dem die Rechte nach dem ARB zukommen und der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen seit zehn Jahren im Bundesgebiet hat, das Vorliegen der Voraussetzungen nach dem fünften Satz der zitierten Bestimmung. Das hat die belangte Behörde - ebenso wie schon die Erstbehörde - verkannt. Demzufolge hat sie das in erster Instanz nicht auf § 86 Abs. 1 FPG, sondern auf § 60 Abs. 1 FPG gestützte Aufenthaltsverbot - ungeachtet der Wiedergabe des § 86 Abs. 1 FPG in der Begründung - insoweit bestätigt und bei ihrer Gefährdungsprognose nur auf den Maßstab dieser Norm - Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit und Zuwiderlaufen anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen - abgestellt.

Im angefochtenen Bescheid findet sich zwar auch die - sich offenbar auf den vierten Satz des § 86 Abs. 1 FPG beziehende - Wendung, das Verhalten des Beschwerdeführers stelle eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Doch ist damit schon deshalb nichts gewonnen, weil auch dadurch zum Ausdruck gebracht wird, dass die belangte Behörde das den strafgerichtlichen Verurteilungen zugrundeliegende Verhalten des Beschwerdeführers unter dem Gesichtspunkt einer für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes erforderlichen (negativen) Zukunftsprognose nicht am - gegenüber den Voraussetzungen nach § 86 Abs. 1 vierter Satz FPG - deutlich strengeren Maßstab des § 86 Abs. 1 fünfter Satz FPG ("... davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde") gemessen hat.

Schon angesichts dieses - auf einer Verkennung der Rechtslage beruhenden - (sekundären) Begründungsmangels war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben, wobei noch anzumerken ist, dass die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes für die Dauer von 15 Jahren in § 63 Abs. 1 FPG keine Grundlage hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das Mehrbegehren auf gesonderten Zuspruch von Umsatzsteuer findet darin keine Deckung.

Wien, am